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Düsseldorf/Berlin. Es war eine Nachricht, die in Deutschland große Sorge auslöste: Am 20. November 2023 teilte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul in Düsseldorf mit, dass Ermittler einen 15-Jährigen wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Anschlags auf einen Weihnachtsmarkt festgenommen hätten. Der Jugendliche habe sich in einer Chatgruppe mit anderen über entsprechende Szenarien ausgetauscht und diese schließlich konkretisiert, so Reul. Daraufhin hätten die Sicherheitsbehörden zugegriffen, den Jugendlichen festgesetzt und Beweismittel beschlagnahmt. Wie oft sind wir in den vergangenen Monaten Terroranschlägen entgangen? Die Bundesregierung gab darüber am 21. Februar Auskunft.

Über vier seit Anfang 2022 in Deutschland verhinderte terroristische Anschläge berichtet die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion vom 2. Februar. Angefragt hatten – unter der Überschrift „Terroristische Personenpotenziale und verhinderte Anschläge“ – die AfD-Abgeordneten Bernd Baumann, Gottfried Curio und Martin Hess.

Der Regierung zufolge wurden im Jahr 2022 zwei Anschläge in Nordrhein-Westfalen verhindert, von denen einer dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“ (Kurzbezeichnung: PMK -rechts-) und einer dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität – religiöse Ideologie“ (PMK -religiöse Ideologie-) zugeordnet wurden. Im Jahr 2023 wurde der Antwort zufolge je ein Anschlag in Nordrhein-Westfalen und einer in Hamburg verhindert, die beide dem Phänomenbereich „Politisch motivierten Kriminalität – religiöse Ideologie“ (PMK -religiöse Ideologie-) zugerechnet wurden.

Noch rechtzeitig gestoppte Anschlagsplanungen nicht in der Statistik enthalten

Wie die Bundesregierung auf die Frage nach der Zahl der zwischen Anfang 2022 und dem 20. Januar 2024 verhinderten Anschläge zugleich darlegt, setzt die abschließende Entscheidung über die Einstufung von infrage kommenden Sachverhalten als „vollendete, verhinderte oder technisch gescheiterte Anschläge“ eine Einzelfallbetrachtung voraus.

Diese ist erst nach Vorliegen aller relevanter Erkenntnisse möglich. Hierzu zählten unter anderem „das nachweisbare Vorliegen einer politischen Motivation im Rahmen der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen mindestens einer der Straftatbestände (gemäß der Paragrafen 89a, 89b, 89c, 91, 129a, 129b Strafgesetzbuch)“, soweit diese mindestens das Versuchsstadium erlangt haben.

Man gelange hierdurch zu einer restriktiven polizeilichen Zählweise, weil mögliche terroristische Anschlagsplanungen, die den Sicherheitsbehörden zwar bekannt geworden sind, aber durch polizeiliche oder nachrichtendienstliche Maßnahmen bereits in einem frühen Stadium unterbunden werden konnten, nicht in die angefragte Statistik aufgenommen werden, erklärt die Bundesregierung dazu.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte lägen demnach bezogen auf den Zeitraum 1. Januar 2022 bis 20. Januar 2024 Informationen zu vier verhinderten terroristischen Anschlägen vor.

Bildung einer Terrorvereinigungen in der rechten Szene nicht ausgeschlossen

Wissen wollten die Fragesteller von der Bundesregierung auch, wie sie die aktuelle Terrorgefahr in den jeweiligen Phänomenbereichen einstuft.

Zum PMK -rechts- heißt es in der Regierungsantwort: „Bei der Betrachtung rechtsextremistischer Strukturen ist erkennbar, dass auf Grundlage einer Gewalt bejahenden Ideologie nicht nur einzelne schwerste Gewaltstraftaten durch Einzeltäter oder Kleinstgruppen, sondern auch die Bildung terroristischer Vereinigungen innerhalb des rechten Spektrums zu befürchten ist, wie entsprechende Ermittlungsverfahren belegen.“

Diesbezügliche Tatbegehungsweisen seien insbesondere vom Grad der individuellen Radikalisierung sowie den logistischen und persönlichen Möglichkeiten, respektive Ressourcen, abhängig. In diesem Zusammenhang werde durch die hohe Affinität der rechten Szene zu Waffen und Sprengstoffen ein gesteigertes Gefährdungspotential generiert, so die Einschätzung der Bundesregierung.

Brutalität und Gewaltbereitschaft bei Linksextremisten stark ausgeprägt

Das von gewaltorientierten Linksextremisten ausgehende Gefährdungspotenzial (PMK -links-) ist aus Sicht der Bundesregierung besorgniserregend. In der Antwort wird ausgeführt: „Die in den letzten Jahren zunehmende Radikalisierung in Teilen der gewaltbereiten Szene hat sich auf einem hohen Niveau intensiviert. Aus diesem Spektrum kommt es immer wieder zu Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit von Menschen und zur Verursachung hoher Schadenssummen.“

Vor allem im „antifaschistischen Kampf“ gewaltbereiter Linksextremisten seien Brutalität und Gewaltbereitschaft stark ausgeprägt. Es gebe erhebliche Angriffe auf „als solche ausgemachte Faschisten“, die von professionell organisierten Kleingruppen ausgingen. Die Bundesregierung erläutert: „Besonders relevant ist diese Situation in Szeneschwerpunkten wie Berlin, Hamburg und Leipzig. Aber auch andernorts radikalisieren sich einzelne Kleingruppen, schotten sich vom Rest der Szene ab und begehen konspirativ, arbeitsteilig und planvoll Straf- und Gewalttaten.“

Innerhalb des gewaltbereiten „antifaschistischen“ Spektrums finde sich zudem eine zuletzt zunehmende Anzahl bereits gewalttätiger Linksextremisten, die versuchten, sich der Strafverfolgung zu entziehen und als „untergetaucht“ bezeichnet werden könnten. Bei ungehindertem Fortgang könnte dieser Umstand zu einer Radikalisierungsspirale führen, die im schlimmsten Fall auch die Entwicklung hin zu terroristischen Strukturen als möglich erscheinen lasse.

Grundlegende Ablehnung staatlich-institutionellen Handelns

Das Personenpotential im Phänomenbereich PMK -sonstige Zuordnung- ist der Regierung zufolge als „sehr heterogen“ zu beschreiben. In der Antwort wird näher beschrieben: „Gemeinsamkeit besteht in der grundlegenden Ablehnung staatlich-institutionellen Handelns, sodass die Bemühungen [dieses Personenkreises] auch künftig darin liegen werden, demokratische Strukturen zu schwächen bis hin zur Herbeiführung eines Systemwechsels.“

Die deliktischen Schwerpunkte dürften nach Expertenansicht auch künftig im Bereich niederschwelliger Straftaten wie Sachbeschädigungen, Nötigungen, Beleidigungen und/beziehungsweise oder Propagandadelikte liegen. Bei einem entsprechend hohen Grad der Emotionalisierung sei allerdings die (anlassbezogene) Begehung schwerster Gewaltdelikte in Betracht zu ziehen.

Die Bundesregierung informiert in ihrer Antwort auch darüber, dass der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof am 11. Dezember 2023 gegen insgesamt 27 Beschuldigte aus der Reichsbürgerszene bei den Oberlandesgerichten München, Stuttgart und Frankfurt am Main Anklage „wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Inland gemäß §§ 129, 129a StGB und andere Straftaten“ erhoben hat.

Deutschland gilt als „Rückzugs- und Ruheraum“ für ausländische Kämpfer

Die Gefährdungslage, die aus dem Phänomenbereich PMK -ausländische Ideologie- erwächst, wird der Bundesregierung zufolge als „gering“ eingestuft. In der jüngeren Vergangenheit seien keine Anschläge in Deutschland zu verzeichnen gewesen, die diesem Phänomenbereich zugerechnet werden könnten.

Tagespolitische Ereignisse im Ausland würden jedoch von der in Deutschland lebenden Diaspora aufgegriffen und in demonstrativen Veranstaltungen auf der Straße sichtbar. Grundsätzlich gelte Deutschland als sogenannter „Rückzugs- und Ruheraum“ (Finanzierung, Rekrutierung, Logistik sowie Rückzugsraum für Kämpfer).

Gefahr durch den islamistisch motivierten Terrorismus ist gestiegen

Zuletzt zum Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologie- und zur Gefahr, die vom islamistischen Terrorismus ausgeht. Hierzu schreibt die Bundesregierung: „Die Gefahr […] ist in der jüngeren Vergangenheit und nicht zuletzt durch die Auswirkungen des Nahostkonflikts angestiegen.“

Festzustellen sei, dass neben der Bedrohung durch jihadistisch motivierte Einzeltäter mit einfach zu beschaffenden Tatmitteln zunehmend Ermittlungsverfahren und Festnahmen im Zusammenhang mit komplex geplanten Anschlagsszenarien und konkretem Organisationsbezug zu beobachten seien. Beispielsweise nehme die Bewegung „Islamischer Staat in der Provinz Khorasan“ (ISPK) mit ihren Hauptwirkungsgebieten in Afghanistan und Pakistan vermehrt Anschlagsziele außerhalb ihres bisherigen Einflussbereichs in den Blick und versuche ihr Netzwerk bis nach Europa auszubauen.

Die Regierung erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass während der Weihnachtsfeiertage 2023 mehrere Personen mit mutmaßlichen Bezügen zum ISPK im Zusammenhang mit Anschlagsplanungen unter anderem in Köln festgenommen worden seien.


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Die Aufnahme zeigt den Tag nach dem Terroranschlag am Breitscheidplatz in Berlin, viele Menschen haben Blumen niedergelegt. Bei dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche hatte der islamistische Terrorist Anis Amri, ein Tunesier, am 19. Dezember 2016 einen Sattelzug in eine Menschenmenge gesteuert. Beim Attentat und als dessen Folge starben insgesamt 13 Personen, mindestens 67 weitere Besucher des Marktes wurden zum Teil schwer verletzt.
(Foto: Andreas Trojak/Wikipedia/unter Lizenz CC BY 2.0 DEED – vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Kleines Beitragsbild: Symboldarstellung „Terrorismus stoppen“ aus dem Bildangebot von Pixabay.
(Bild: Alex S./unter Pixabay License = freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich)


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