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Berlin/Paris/Kuala Lumpur (Malaysia). Das in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur ansässige Internationale Schifffahrtsbüro (International Maritime Bureau, IMB) hat am heutigen Donnerstag (11. Januar) seinen Jahresbericht 2023 zur Seepiraterie vorgestellt. Demnach wurden im vergangenen Jahr – Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember – insgesamt 120 Vorfälle von Seepiraterie und bewaffneten Raubüberfällen auf Schiffe gemeldet. 2022 waren es 115 Angriffe gewesen. 105 Schiffe wurden 2023 geentert, neun Angriffe versucht, vier Schiffe gekapert und zwei Schiffe beschossen.

Das IMB in Kuala Lumpur ist eine Organisationseinheit für „Kriminalitätsabwehr“ der in Paris ansässigen Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC), eröffnet 1992. Das Meldezentrum ist an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr besetzt.

In seinem Jahresreport warnt das International Maritime Bureau insbesondere vor der zunehmenden Gefährdung der Schiffsbesatzungen: Die Zahl der Besatzungsmitglieder, die als Geiseln genommen oder entführt wurden, stieg von 41 (im Jahr 2022) auf 73 (im Jahr 2023) beziehungsweise von zwei (2022) auf 14 (2023). Weitere zehn Besatzungsmitglieder wurden im vergangenen Berichtszeitraum bedroht, vier verletzt und eines angegriffen.

Erste Entführung vor der Küste Somalias seit dem Jahr 2017

Am 14. Dezember 2023 registrierte das IMB die erste Schiffsentführung vor der Küste Somalias seit 2017. Es handelte sich dabei um einen Massengutfrachter mit 21 Besatzungsmitgliedern. Der mutmaßlich von somalischen Piraten geenterte Frachter „MV Lila Norfolk“, der unter liberianischer Flagge fuhr, konnte kurz darauf durch den Zerstörer „INS Chennai“ der Indischen Marine befreit werden. Die Piraten hatten zu diesem Zeitpunkt bereits wieder das Schiff verlassen.

Die Besatzung der „MV Lila Norfolk“ hatte sich während des Überfalls nach Angaben des Kapitäns in einem extra dafür eingerichteten Schutzraum (Safe Room oder auch Zitadelle genannt) verschanzt.

Drei von vier gemeldeten Schiffsentführungen im Golf von Guinea

Auch wenn die Zahl der gemeldeten Vorfälle im Golf von Guinea nach Angaben des IMB tendenziell rückläufig ist (22 Vorfälle im Jahr 2023 gegenüber 19 im Jahr 2022 – jedoch 35 im Jahr 2021 und 81 im Jahr 2020), ereigneten sich drei von vier der im vergangenen Jahr weltweit gemeldeten Entführungen in diesen gefährlichen Gewässern.

Auch für die Straße von Singapur gibt es dem Jahresbericht zufolge keinen Grund zur Entwarnung: Zwar handelte es sich hier überwiegend um geringfügigere Zwischenfälle, jedoch bleibt die Anzahl an Vorfällen konstant hoch (2023: 37 zu 2022: 38).

Schiffe mit deutscher Beteiligung waren besonders betroffen

Schiffe mit deutscher Beteiligung waren im vergangenen Jahr insgesamt 14-mal Gegenstand von Seepiraterie und damit nach Singapur (28 Vorfälle) am zweithäufigsten betroffen.

Oliver Wieck, Generalsekretär der Internationalen Handelskammer Deutschland (Anm.: ICC Deutschland vertritt die Interessen der deutschen Wirtschaft innerhalb der globalen ICC-Organisation) sagte zum Erscheinen des Jahresberichts 2023: „Die wachsende Zahl an Überfällen auf Schiffe und Besatzungen ist besorgniserregend. Sie zeigen einmal mehr, dass Piraterie kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine hochaktuelle Herausforderung ist.“

Wieck warnte: „Im Zuge des Nahostkonflikts nehmen die politisch motivierten Angriffe militanter Huthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer zu. Dadurch wird eine auch für die deutsche Exportwirtschaft besonders wichtige Schifffahrtsroute behindert.“ Rund 90 Prozent des Welthandels würden heute über den Seeweg abgewickelt, so der Generalsekretär weiter. Für die deutsche Exportwirtschaft sei es deshalb von existenzieller Bedeutung, dass der Seehandel offen und sicher bleibe. Nur so könnten weitere Störungen in den Lieferketten und höhere Kosten vermieden werden.

Gefährliche Passage zwischen dem Suezkanal und der Meerenge Bab al-Mandab

Im Zuge des Krieges in Gaza, ausgelöst durch den Terrorangriff der militant-islamistischen Organisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, haben die im Jemen agierenden Huthi immer wieder ihre Solidarität mit der vom Iran protegierten Hamas bekundet. Die Hamas-Schutzmacht unterstützt auch die Huthi-Rebellen, die zu der schiitischen Strömung der Saiditen zählen (im Iran selbst dominiert ebenfalls der schiitische Islamismus).

Die Huthi hatten zunächst damit gedroht, sämtliche Schiffe anzugreifen, die unter israelischer Flagge fahren, im Besitz israelischer Unternehmen sind oder von Firmen in Israel betrieben werden. Wichtigstes Ziel der Huthi dabei sei es – so erklärte es beispielsweise der ägyptische Politikwissenschaftler Mohammed Ezz Al-Arab Anfang Dezember vergangenen Jahres gegenüber der Tagesschau – „Druck auf Israel auszuüben, um den Gaza-Krieg zu beenden“.

Nach immer neuen Attacken auch auf Handelsschiffe anderer Nationen im Roten Meer ist inzwischen die gesamte zivile Schifffahrt in der Passage zwischen dem Suezkanal und der Meerenge Bab al-Mandab gefährdet. An der jemenitischen Küste vorbei führt eine der wichtigsten maritimen Routen der Welt: Es ist der kürzeste Seeweg von Europa nach Asien – etwa zehn Prozent des gesamten Welthandels laufen über das Rote Meer. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Passage – nicht zuletzt für den Ölmarkt – sorgt jeder Angriff dort für weltweite Negativschlagzeilen.

Operation „Prosperity Guardian“ als Reaktion auf Angriffe der Huthi-Rebellen

Die USA, Großbritannien und 18 weitere Staaten versuchen seit Dezember, mit der Operation „Prosperity Guardian“ den Handelsverkehr in der Region zu schützen. Nun plant auch die Europäische Union eine eigene Mission, um den Seeverkehr im Roten Meer gegen Huthi-Angriffe zu sichern. Medienberichten zufolge will sich Deutschland wohl mit der Fregatte „Hessen“ an dem Unternehmen beteiligen. Wir verfolgen die Entwicklung …

Beendigung der deutschen „Atalanta“-Beteiligung Ende April 2022

Blicken wir noch einmal zurück auf den Kampf der Europäer gegen das Piratenunwesen. Hier standen lange Zeit das Horn von Afrika und die Gewässer vor Somalia im Blickpunkt. Die Bundeswehr nahm vom 10. November 2008 bis zum 30. April 2022 an EU NAVFOR Somalia, bekannt auch als Operation „Atalanta“, teil.

Die Aufgaben der deutschen Kontingente im Rahmen von Operation „Atalanta“ umfassten vor allem den Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (UN World Food Programme, WFP). Hinzu kamen die Abschreckung, Verhütung und Beendigung von Piraterie, die Durchsetzung des gegen Somalia verhängten Waffenembargos sowie die Überwachung des illegalen Handels mit Drogen und der Fischereitätigkeiten.

Gemeinsam mit den internationalen Partnern war die Bundeswehr erfolgreich. In einer Bilanz des Verteidigungsministeriums heißt es: „Neben der Tatsache, dass alle Schiffe des WFP ihre jeweiligen Zielhäfen erreicht haben, ist festzustellen, dass die Piraterie am Horn von Afrika insgesamt zurückgedrängt werden konnte.“ Seit 2009 habe die Operation „Atalanta“ rund 1800 Schiffe des WFP auf ihrem Weg entlang der somalischen Küste schützen können und somit die Lieferung von fast 2,5 Millionen Tonnen Lebensmitteln und weiteren Hilfsgütern ermöglicht.

Mit dem Rückgang der Piraterie in der Region reduzierte Deutschland nach und nach auch die Beteiligung an „Atalanta“. Im März 2022 dann beschloss das Bundeskabinett, den Einsatz nicht über das Mandatsende hinaus zu verlängern. Die letzten deutschen Verbindungsoffiziere im Hauptquartier der Operation in der Rota Naval Base in Spanien kehrten Ende April 2022 nach Deutschland zurück.

EU will weiterhin Sicherheits- und Verteidigungskräfte Somalias stärken

Mit dem Rückzug Deutschlands aus der EU NAVFOR Somalia – Operation „Atalanta“ endete allerdings nicht der Anti-Piraten-Einsatz der EU. Im Gegenteil: Mit Wirkung vom 23. November 2023 ernannte der Europäische Rat Vizeadmiral Ignacio Villanueva Serrano (Spanien) zum Befehlshaber der Militäroperation der EU als Beitrag zur maritimen Sicherheit im westlichen Indischen Ozean und im Roten Meer. Er übernahm das Amt von Vizeadmiral José M. Núñez Torrente (ebenfalls Spanien).

Über die Operation „Atalanta“ schreibt der Rat in seiner Pressemitteilung vom 15. November vergangenen Jahres: „[Sie ist] Teil des umfassenden Ansatzes der EU für ein friedliches, stabiles und demokratisches Somalia. Somit werden durch sie andere EU-Missionen und -Programme in der Region aktiv unterstützt. Die Operation ,Atalanta‘ der EU NAVFOR stimmt sich mit den EU-Missionen EUCAP Somalia und EUTM Somalia ab, um die Sicherheits- und Verteidigungskräfte Somalias zu stärken.“

Redaktioneller NACHBRENNER I

Wie die WELT AM SONNTAG unter Berufung auf informierte Kreise in Brüssel und Berlin jetzt am 14. Januar berichtet, will sich Deutschland offenbar mit einer Fregatte F124, der „Hessen“, an einer Mission der Europäer zur Sicherung des Seeverkehrs im Roten Meer gegen Angriffe der Huthi beteiligen. Dem Bericht des Blattes zufolge soll die Fregatte „Hessen“ am 1. Februar in Richtung der Region aufbrechen.

In dem Beitrag heißt es weiter: „Die neue Mission, die am 19. Februar bei einem Treffen der EU-Außenminister verabschiedet werden soll, wird bis Ende Februar starten. […] Als wahrscheinlich gilt, dass der militärische Arm der europäischen Meeresüberwachungsmission zur Sicherung der Straße von Hormus (European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz, EMASoH) – die Operation „Agenor“, an der sich auf freiwilliger Basis sieben EU-Länder beteiligen – im Rahmen einer eigenständigen EU-Mission auf das Rote Meer und den Golf von Aden ausgeweitet wird.“ Paris und Berlin seien dafür, so die WELT AM SONNTAG. Vorteil dieser Lösung sei, dass die neue Mission auf eine bestehende Infrastruktur zurückgreifen könne. „Die EU-Schiffe sollen vor allem die Lage beobachten, aber auch einzelne Schiffe begleiten und zur Not mit Waffengewalt eingreifen, um Raketen und Drohnen der Huthi-Rebellen abzuschießen“, so die Zeitung.

Das Thema „Deutsche Fregatte im Roten Meer“ hatte auch bereits bei der Regierungspressekonferenz am 28. Dezember in Berlin eine Rolle gespielt. Christian Wagner, Sprecher des Auswärtigen Amtes, hatte dort auf eine entsprechende Frage eines Pressevertreters nach einem deutschen Engagement geantwortet: „Wir verurteilen die Angriffe auf die Handelsschifffahrt im Roten Meer. Das sind massive Eingriffe in die internationale Schifffahrt, und sie gefährden globale Handelswege.“ Wagner hatte zudem ausgeführt: „Sie wissen, dass es in Brüssel Beratungen darüber gab, das ,Atalanta‘-Mandat auszuweiten. [Es gibt] noch keine Beschlussreife. [… Wir prüfen jetzt] in Brüssel zusammen mit unseren EU-Partnern, ob es einen neuen maritimen Einsatz der EU geben kann. Darüber ist noch nicht entschieden. Wir als Bundesregierung stünden dafür bereit. Es ist nämlich wichtig, dass wir auch als EU angesichts der fortdauernden Angriffe so schnell wie möglich handlungsfähig sind.“

Oberstleutnant i.G. Mitko Müller, der bei der Pressekonferenz das Verteidigungsministerium vertrat, hatte die Frage nach entsprechenden Vorbereitungen bejaht. Müller wörtlich: „Diesbezügliche Prüfungen zwischen den Ressorts und mit den Ressorts laufen.“

Redaktioneller NACHBRENNER II

Über eine Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Mission EU NAVFOR Operation „Aspides“ im Roten Meer will der Bundestag am 21. Februar beraten. Ein von der Bundesregierung dazu angekündigter Antrag soll an diesem Mittwoch im Anschluss an die 40-minütige Debatte zur weiteren Beratung an den federführenden Auswärtigen Ausschuss überwiesen werden.

Die EU-Mission „Aspides“ soll helfen, Handelsschiffe gegen Angriffe der Huthi-Miliz im Jemen zu sichern. Wegen der seit Anfang Oktober anhaltenden Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer ist die Schifffahrt in der Region teils zum Erliegen gekommen.

Redaktioneller NACHBRENNER III

Am kommenden Donnerstag (8. Februar) um 10 Uhr wird nach Angaben der Deutschen Marine die Fregatte „Hessen“ von Wilhelmshaven aus ins Mittelmeer verabschiedet. Vorbehaltlich eines EU- und eines nationalen Mandates wird sich die Fregatte dann zum Schutz der Handelsschifffahrt und für die Freiheit der Seewege im Roten Meer am internationalen Einsatz EU NAVFOR Operation „Aspides“ beteiligen.

Die „Hessen“ soll mit einer Besatzungsstärke von etwa 240 Mann auslaufen. Diese Zahl wird neben der eigentlichen Stammbesatzung auch das Flugbetriebsteam für zwei Bordhubschrauber Sea Lynx und weiteres Einsatzpersonal – wie ein Ärzteteam, Soldaten des Seebataillons sowie einen Militärgeistlichen – mit einschließen.

Fregattenkapitän Volker Kübsch, Kommandant des Schiffes, sagte jetzt im Heimatstützpunkt: „Ein potentieller Einsatz im Roten Meer wird für Schiff und Besatzung einen erneuten Härtetest darstellen. Die Motivation der Besatzung und die Einsatzfähigkeit des Schiffes haben wir im Rahmen der Very High Readiness Joint Task Force (Maritime) – kurz VJTF (M) – in der Nord- und Ostsee in den vergangenen sechs Monaten sicherlich deutlich unter Beweis gestellt.“

Die Geschehnisse der letzten Wochen und Monate im Roten Meer machten deutlich, so der Kommandant weiter, dass dieser Einsatz eine ganz andere Charakteristik haben werde. Die Bedrohung dort in der Region sei nun nicht mehr abstrakt, sie sei ganz konkret und bestehe aus einer Vielzahl an Waffen, die dort regelmäßig zum Einsatz gebracht würden. Kübsch versicherte zugleich: „Ich weiß nur zu gut um die Fähigkeiten des Schiffs und der Besatzung und möchte daher allen Freunden und Angehörigen der Soldaten ein wenig die Sorgen um uns nehmen – Sie alle können sich in jeder Hinsicht auf uns verlassen.“


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Zu unserem Bildmaterial:
1. Besatzungsmitglieder des Lenkwaffenkreuzers USS „San Jacinto“ im Mai 2010 vor der Ostküste Somalias bei einem nächtlichen Boarding-Manöver. Zum damaligen Zeitpunkt war das amerikanische Kriegsschiff Teil der Combined Task Force 151 (CTF 150) zur Bekämpfung der Seepiraterie im Golf von Aden und vor Somalia.
(Foto: Ja’lon Rhinehart/U.S. Navy)

2. Eine Spezialeinheit der USS „San Jacinto“ kontrolliert vor der somalischen Küste die Besatzung eines Skiffs, die sich verdächtig verhalten hat und möglicherweise in einen Piraterie-Vorfall verwickelt war. Die Grafik zeigt die Schwerpunkte der seeräuberischen Aktivitäten im Jahr 2023 nach Angaben des IMB in Kuala Lumpur; die Aufnahme wurde Ende Mai 2010 gemacht.
(Foto: Ja’lon Rhinehart/U.S. Navy; Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 01.24)

Kleines Beitragsbild: Symbolbild „Seepiraterie“.
(Bild: nr; Bildmontage mediakompakt)


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