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Nürnberg/Schrobenhausen/Koblenz. Die europäische MBDA-Gruppe mit ihren nationalen Unternehmen, etwa MBDA Deutschland, entwickelt und fertigt unter anderem Lenkflugkörper- und Luftverteidigungssysteme für Heer, Luftwaffe und Marine. Beim Messeauftritt von MBDA bei der Enforce Tac 2024 in Nürnberg stand das leichte, schultergestützte Lenkflugkörpersystem Enforcer im Mittelpunkt. Bei der Bundeswehr ist das System unter der Bezeichnung „Leichtes Wirkmittel 1800+“ bereits in der Einführungsphase. Erst vor Kurzem wurde der Enforcer auf dem Truppenübungsplatz Baumholder im Rahmen eines Demonstrationsprogramms erneut erfolgreich getestet. Ende 2019 war MBDA Deutschland bereits vom Koblenzer Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) mit der Enforcer-Beschaffung betraut worden.

Enforcer soll die Truppe befähigen, so heißt es in einer MBDA-Pressemitteilung aus Schrobenhausen, den Auftrag „in einem Wirkbereich bis über 1800 Meter unter allen auftretenden Einsatzbedingungen bei Tag und bei Nacht mit einer hohen Ersttreffer-Wahrscheinlichkeit zuverlässig, effizient und effektiv durchzuführen“. Über das Zielspektrum schreibt das Unternehmen: „Es umfasst sowohl stationäre als auch sich bewegende Ziele, Ziele in gedeckter oder teilgedeckter Stellung sowie in Infrastrukturen, gegen die reaktionsschnell und präzise die erforderliche Wirkung erzielt werden muss.“

Bei der Entwicklung von Enforcer wurden MBDA zufolge Einsatzerfahrungen der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte berücksichtigt. Jüngste Einsätze hätten dabei den besonderen Bedarf an einer kompakten, leichten, präzisen und nicht zuletzt kostengünstigen Mehrzweckwaffe gezeigt, die von einem einzelnen Soldaten transportiert und bedient werden könne.

Weitere Anwendungsmöglichkeiten in den Dimensionen Land, Luft und See

Die modulare Systemarchitektur des Lenkflugkörpers bietet Möglichkeiten, ihn mit geringem Entwicklungsaufwand für weitere Anwendungsmöglichkeiten in den Dimensionen Land, Luft und See anzupassen. Beispielsweise kann der Multi-Effekt-Gefechtskopf durch einen panzerbrechenden Gefechtskopf ausgetauscht oder der Flugkörper zur Drohnenbekämpfung ausgelegt werden.

Dorothee Frank, Redakteurin für Verteidigung, Sicherheitspolitik & Wehrtechnik im Meckenheimer Verlag cpm (cpm Defence Network), hat sich bei MBDA Deutschland nach den weiteren Einsatzmöglichkeiten erkundigt. Sie erfuhr, dass bereits eine Enforcer-Variante zur Panzerabwehr geplant ist – unternehmensinterne Bezeichnung „Enforcer X“.

Eine weitere Entwicklung soll der Enforcer in einer Luftverteidigungsvariante sein, so Frank. Diese bei MBDA Deutschland als „Small Anti-Drone Missile“ bezeichnete Entwicklung „könnte die Lücke innerhalb der Heeresflugabwehr im Nah- und Nächstbereich schließen, die in der Bundeswehr zwischen dem kanonenbasierten Skyranger, Stinger und dem Lenkflugkörpersystem IRIS-T SL besteht“.

Interview mit dem Unternehmensleiter „Vertrieb & Geschäftsentwicklung“

Weitere Informationen liefert ein von MBDA Deutschland während der Nürnberger Messetage verbreitetes Interview mit Guido Brendler, seit April 2022 Unternehmensleiter „Vertrieb & Geschäftsentwicklung“ sowie Mitglied der Geschäftsführung. Vor seinem Wechsel in die Industrie beziehungsweise zur MBDA Deutschland GmbH hatte Brendler knapp 22 Jahre als Berufsoffizier bei der Deutschen Luftwaffe (zuletzt im Dienstgrad Oberstleutnant) gedient. Unter anderem war der Pilot, der auch verschiedene Stabsfunktionen bekleidet hatte, dabei das Kampfflugzeug Tornado geflogen.

Das Interview mit Brendler für MBDA führte Theodor Benien, seit 2020 selbstständiger Kommunikationsberater mit Schwerpunkt „Internationale Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“ (Benien hatte zuvor unter anderem rund 30 Jahre lang als Leiter „Kommunikation“ in verschiedenen Divisionen und Business Units der Airbus-Gruppe gearbeitet und war zuletzt vor seiner aktuellen Tätigkeit Vice President „Communications“ im Eurofighter-Konsortium gewesen).

Auf die Frage von Benien nach einer „Enforcer-Familie“, leichte Flugkörper für verschiedene Anwendungen, erklärte Brendler: „Wir wollen mit Enforcer X eine Panzerabwehrvariante des Lenkflugkörpers anbieten, die wir als ,leichtes Panzerabwehrsystem/Light Anti-Tank System‘ klassifizieren würden. Im Gegensatz zum Enforcer, der über einen Multi-Effekt-Gefechtskopf mit Multimode-Zünder verfügt, wird Enforcer X einen Tandem-Gefechtskopf mit Hohlladung haben, der es ermöglicht, schwer gepanzerte Fahrzeuge und solche mit reaktivem Schutz der dritten Generation zu bekämpfen.“

MBDA arbeite außerdem an einer „Enforcer Air Launched“-Version zur Bewaffnung von Drohnen und an einer Counter-Drone-Version, der sogenannten „Small Anti-Drone Missile“, erklärte Brendler weiter. Alle Enforcer-Versionen basierten auf der Technologie des Originals „Leichtes Wirkmittel 1800+“. „Dies bedeutet für den Kunden eine erhebliche Zeit- und Risikominimierung, und wir können die Raketen schneller bereitstellen“, so der Vertriebsleiter.

Beim Thema „Small Anti-Drone Missile“ hakte Gesprächspartner Benien nach. Er wollte wissen: „Kleine Drohnen sind zu einer ernsthaften Herausforderung auf dem potenziellen Schlachtfeld geworden. Vor allem, wenn Drohnen in überwältigenden Mengen während eines Schwarmeinsatzes angreifen. Ist Ihre ,kleine Anti-Drohnen-Rakete‘ gut genug, um die Herausforderungen von UAS-Schwärmen zu meistern (Anm.: UAS = Unmanned Aircraft System)?“

Dazu Brendler: „Ein wirksamer Schutz gegen Drohnen kann nur in Kombination mit verschiedenen Faktoren gewährleistet werden: tödliche Wirkung innerhalb einer angemessenen Entfernung, Bekämpfung mehrerer Ziele mit hoher Beweglichkeit und hohe Genauigkeit gegen kleine und mittelgroße Drohnen. Dies sind nur einige der Fähigkeiten, mit denen wir die ,Small Anti-Drone Missile‘ entwickelt haben. Also, ja!“

Die „Small Anti-Drone Missile“ sei mehr als geeignet, um die identifizierten Herausforderungen zu meistern, versicherte Brendler. Neben den operativen Fähigkeiten sei auch der „Design-to-Cost“-Ansatz, der ein günstiges Kostenverhältnis zwischen dem Spektrum der Bedrohungen und der Rakete ermöglicht, beachtet und umgesetzt worden. Und: „In Kombination mit anderen Effektorsystemen, wie beispielsweise dem Skyranger 30 von Rheinmetall, ergeben sich so komplementäre Reichweiten-Kombinationen, die operativ äußerst sinnvoll sind.“

Redaktioneller NACHBRENNER I

Am 21. März teilte MBDA in einer Presseerklärung mit, dass die vom Konzern initiierte Produktionssteigerung von Enforcer-Lenkflugkörpern – die sogenannte Enforcer Production Increase Campaign (kurz E.P.I.C.) – von der Europäischen Kommission nun im Rahmen des ASAP-Programms zur Finanzierung empfohlen worden sei (Anm.: ASAP = Act in Support of Ammunition Support).

Im Rahmen von ASAP will die EU die Produktion von Munition in den Mitgliedsländern steigern und stellt dafür 500 Millionen Euro aus dem Gemeinschaftsbudget als Fördermittel zur Verfügung.

Das E.P.I.C.-Projekt zielt nach MBDA-Angaben „auf eine signifikante Erhöhung der Enforcer-Produktion ab“ und soll damit „wesentlich zum weiteren Ausbau der Serienproduktion von Enforcer-Lenkflugkörpern bei MBDA Deutschland in Schrobenhausen und bei MBDA-Partnerfirmen in Europa“ beitragen.

Éric Béranger, Vorstandsvorsitzender des MBDA-Konzerns, wird in der Pressemitteilung mit den Worten zitiert: „Das ASAP-Programm der Europäischen Kommission und insbesondere das E.P.I.C.-Projekt werden einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Produktion von Enforcer-Lenkflugkörpern nicht nur hochzufahren, sondern auch belastbarer und schneller zu machen. Die Serienproduktion des Enforcer ist bereits in vollem Gange. Die ersten Lieferungen an die Bundeswehr sind Ende 2023 erfolgt. Auch ein Exportvertrag wurde bereits abgeschlossen. Wir erhöhen die Produktion von Enforcer-Flugkörpern um ein Vielfaches, um die Kundennachfrage für die kommenden Jahre zu decken.“

Redaktioneller NACHBRENNER II

Wie die Fachzeitschrift Europäische Sicherheit & Technik (ESuT) in einen Beitrag über Enforcer am 22. März berichtete, geht aus der Parlamentsvorlage von 2019 hervor, dass der Rahmenvertrag eine Höchstmenge von 3087 Lenkflugkörpern vorsieht. Weiter heißt es in dem ESuT-Text: „Als Mindestabnahme wurde die Lieferung von 850 Systemen genannt. Das Finanzvolumen wurde mit 76 Millionen Euro angegeben. Die 850 bestellten Systeme sollen – wie der Parlamentsvorlage zu entnehmen ist – 2023/2024 an die Bundeswehr ausgeliefert werden. Für die optionalen, noch nicht bestellten 2237 Enforcer sei ein Lieferzeitraum bis 2026 vorgesehen.“


Hintergrund                           

MBDA S.A.S. ist ein europäisches und global agierendes Unternehmen der Verteidigungsindustrie mit Standorten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und den USA (Anm.: S.A.S. = Société par actions simplifiée; eine französische Form der Aktiengesellschaft). Der MBDA-Konzern beschäftigt nach eigenen Angaben aktuell mehr als 14.000 Mitarbeiter und erwirtschaftet jährlich durchschnittlich einen Umsatz von 4,2 Milliarden Euro.

Anteilseigner von MBDA sind Airbus mit 37,5 Prozent, BAE Systems mit 37,5 Prozent und der italienische Konzern Leonardo mit 25,0 Prozent.

MBDA ist das Ergebnis der europäischen Konsolidierung im Bereich der Lenkflugkörperindustrie, entstanden im Jahr 2001. 2006 hatte MBDA die deutsche LFK-Lenkflugkörpersysteme GmbH von der damaligen EADS (heute Airbus) übernommen. Die Umfirmierung der LFK zu MBDA Deutschland GmbH erfolgte 2012.


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Zu unserem Bildmaterial:
1. und 2. Der schultergestützte Enforcer ist ein Fire-and-Forget-Lenkflugkörpersystem mit einer Einsatzreichweite von bis zu 1800 Metern, manchen MBDA-Angaben zufolge sogar bis zu 2000 Metern. Der Enforcer zeichnet sich durch sein geringes Gewicht und hohe Präzision aus. Er kann bei Tag und bei Nacht eingesetzt und aus geschlossenen Räumen heraus verschossen werden. „Dies führt zu einer erheblichen Steigerung der Durchsetzungsfähigkeit der Truppe bei mobilen Bodenoperationen“, so der Hersteller.
(Fotos: MBDA Deutschland GmbH)

3. Guido Brendler, seit 1. April 2022 Leiter „Vertrieb & Geschäftsentwicklung“ sowie Mitglied der Geschäftsführung bei der MBDA Deutschland GmbH.
(Foto: MBDA Deutschland GmbH)

Die Symbolaufnahme „Enforce Tac“ entstand 2023 im Eingangsbereich des Messezentrums Nürnberg.
(Bild: Nürnberg Messe GmbH)


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