Berlin/Strausberg/Munster. Digitalisierung ist das zentrale Thema des 21. Jahrhunderts schlechthin. Die Digitale Transformation führt zu einem grundlegenden Wandel von Staat und Gesellschaft. Das betrifft auch die Streitkräfte Deutschlands und das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) selbst. Diese Transformation erstreckt sich über alle Dimensionen der Bundeswehr – von der Dimension „Land“, die Dimension „See“, die Dimensionen „Luft“ und „Weltraum“ bis hin zur Dimension „Cyber- und Informationsraum“. Berührt sind sämtliche Fähigkeitsdomänen: von Führung, Aufklärung, Wirkung bis hin zur Unterstützung. Die Digitale Transformation ist der ausschlaggebende Faktor für alle Führungsebenen, das taktische/operative/strategische Handeln der Truppe und zugleich von hoher Bedeutung für die Verwaltungsbereiche bis hin zur vernetzten Zusammenarbeit mit Stellen außerhalb der Bundeswehr.
Als Nutzer komplexer Technik ist gerade das Deutsche Heer besonders von der Digitalisierung betroffen. Dieser Prozess erfordert nicht nur die Entwicklung und Einführung neuer Technologien in die Streitkräfte, sondern auch ein neues Denken und Handeln auf allen Ebenen. Unter Federführung des Heeres wollen sich die Teilstreitkräfte und Organisationsbereich der Bundeswehr gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnern aus Militär, Politik und Wirtschaft dieser großen Herausforderung stellen.
In einem Onlinebeitrag der größten Teilstreitkraft vom März 2020 heißt es: „Um die Komplexität und Geschwindigkeit der Digitalisierung landbasierter Operationen gemeinsam zu bewältigen und sich auf zukünftige Aufgaben vorzubereiten, hat das Heer eine Strategie entwickelt und Strukturen ins Leben gerufen.“
Die „Strategie Digitalisierung Land“ ist eine Handlungsanweisung. Mit ihr soll der Prozess zur erfolgreichen Digitalisierung landbasierter Operationen langfristig strukturiert, alle damit verbundenen Projekte zeitlich harmonisiert und auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet werden. Vorgestellt worden war die Strategie am 6. Dezember 2019 dem BMVg-Leitungsgremium „Digitalisierung der Bundeswehr“ durch den damaligen Heeresinspekteur, Generalleutnant Jörg Vollmer.
Kernelement der Strategie ist die „Vier-E-Formel“. Die vier „E“ stehen für die vier Säulen Enforcement (Implementierung), Establishment (Einrichtung), Enrichment (Erweiterung) und Experimentation (Experimentieren). Was ist damit gemeint?
Enforcement: Es soll am Anfang ein vollständig digitalisierter mechanisierter Verband von der Größe eines Heeresbataillons und mit der Unterstützung von Kräften des Cyber- und Informationsraums, der Streitkräftebasis und des Zentralen Sanitätsdienstes geschaffen werden. Langfristig sei es das Ziel, so die gesamten Landstreitkräfte zu digitalisieren, erklärt der bereits erwähnte Heeresbeitrag dazu.
Establishment: In einem zukünftigen bundeswehrgemeinsamen Systemzentrum „Digitalisierung Land“ im niedersächsischen Munster sollen alle Fäden der Digitalisierung zusammengeführt und die Verzahnung der beteiligten Bereiche in einem multinationalen Umfeld sichergestellt werden.
Enrichment: Die Veränderungen im digitalen Zeitalter – im Gegensatz zum analogen – beruhen vor allem auf der Umwandlung aller Arten von analogen Signalen in digitale Zahlencodes. Dazu das Heer: „Alle Teilnehmer des Prozesses können dadurch stetig horizontal und vertikal miteinander vernetzt, große Datenmengen übertragen, verarbeitet, ausgewertet und genutzt werden.“ Und: „Durch die Schaffung einer gemeinsamen Datenbasis für die Landstreitkräfte wird es in Zukunft gelingen, diese Potenziale deutlich besser und schneller zu nutzen.“
Experimentation: In Test- und Versuchsstrukturen – wie im gemeinsamen Digitalisierungszentrum in Munster – sollen digitale Technologien und Werkzeuge noch vor einer Beschaffung getestet und erprobt werden. Die Nutzer sollen dabei „möglichst einsatznah“ eingebunden werden.
Die Urheber der „Strategie Digitalisierung Land“ haben ihre Zielvorgabe wie folgt formuliert: „Gelingt die Umsetzung in diesen vier Bereichen, werden die Landstreitkräfte in der Lage sein, die Digitalisierung gemeinsam mit den multinationalen Partnern koordiniert und mit hohem Operationstempo zu gestalten.“
Befassen wir uns nun näher mit dem in Munster zu errichtenden „Systemzentrum Digitalisierung Dimension Land“ (so die offizielle Bezeichnung). In dem im Februar vergangenen Jahres erschienenen „5. Bericht zur Digitalen Transformation des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung“ wird ausgeführt: „Das Systemzentrum […] wird das zentrale Organisationselement für die Dimension ,Land‘, welches bundeswehrgemeinsam die Beiträge der Organisationsbereiche zum Anteil der Community of Interest Services und Communication-Services Land abstimmt. Dabei ist das [Zentrum] das zentrale Funktions- und Steuerungselement für die nutzerseitige Operationalisierung der [Digitalisierung landbasierter Operationen], welches alle Digitalisierungsaktivitäten und -fähigkeiten des Heeres zentral unter einem Dach bündelt.“
Weiter wird in dem Beitragstext ausgeführt: „Unter kontinuierlicher Einbindung der jeweiligen Endanwender werden technologische Innovationen, Systeme und Verfahren im Systemzentrum […] im Sinne eines Reallabors, das heißt im möglichst vollständigen taktisch-operativen Nutzungskontext, getestet und der Beschaffungsprozess zielgerichtet unterstützend beschleunigt. Nach erfolgter Billigung der konzeptionellen Ausplanung des [Zentrums] im August 2022, wird mit der zum Jahresende erwarteten abgeschlossenen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung eine ministerielle Stationierungsentscheidung folgen. Damit wird das Systemzentrum […] aus der Planungs- in die Umsetzungsphase gehoben und dessen vollständiger Aufbau als mehrjähriger, stufenweise ablaufender Prozess bis 2027 realisiert.“
Am 3. August 2022 wurde das Konzept „Systemzentrum Digitalisierung Dimension Land“ durch den damaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, gebilligt.
Wie nun steht es um das neue Zentrum? Das wollte auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Lehmann (Wahlkreis Leipzig I) in Erfahrung bringen. Lehmann, unter anderem Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestages, fragte die Bundesregierung: „Wie ist der aktuelle Sachstand – Standort, Planungsstand Infrastruktur, geplante Inbetriebnahme, Kosten – des Digitalisierungszentrum des Heeres, und wann kann dem Deutschen Bundestag volle Arbeitsfähigkeit des Digitalisierungszentrums gemeldet werden?“
Dem CDU-Politiker antwortete am 14. November vergangenen Jahres die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung, Siemtje Möller. Sie teilte unter anderem mit: „Derzeit erfolgen Untersuchungen und Feinausplanungen, um in die Umsetzungsphase [für das Systemzentrum Digitalisierung Dimension Land] überzugehen. Über die Stationierung und daraus resultierende Infrastrukturmaßnahmen sowie deren Kosten wurde noch nicht entschieden. Ziel ist es, den beabsichtigten Aufwuchs bis Ende 2028 (volle Betriebsbereitschaft) zu realisieren.“
Wir haben zum Schwerpunktthema „Digitale Transformation und Bundeswehr“ in unserem Servicebereich „bundeswehr-journal (Bibliothek)“ beim Dienstleister Yumpu-Publishing drei ergänzende Dokumente eingestellt.
Beim ersten Dokument handelt es sich um den 37 Seiten umfassenden „5. Bericht zur Digitalen Transformation des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung“, erschienen im Februar 2023. Die Publikation umfasst den Berichtszeitraum Oktober 2022 bis September 2023. Die Autoren verweisen in ihrem Schlusswort auf den hohen Stellenwert der Digitalisierung in den deutschen Streitkräften. Sie schreiben: „Die Digitale Transformation ist weiterhin eine bestimmende Handlungslinie für den Geschäftsbereich BMVg. Nicht zuletzt aufgrund der Auswirkungen des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine werden die Themen ,Digitalisierung‘ und ,Führungsfähigkeit‘ von andauernder und prägender Bedeutung [für die Bundeswehr] sein.“ Zum BMVg-Bericht:
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Der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, der Verein Bitkom, spricht im Zusammenhang mit dem geplanten Systemzentrum des Deutschen Heeres in Munster von einem „Leuchtturmprojekt“. Die Interessenvertretung begrüßt das Vorhaben „als eine einzigartige Möglichkeit, die Digitalisierungskompetenz in den Landstreitkräften zu bündeln und auszubauen“. Die Projektgruppe „Innovationen“ im Bitkom-Arbeitskreis „Verteidigung“ hat im August 2020 in einem Workshop Empfehlungen für das Bundeswehr-Projekt erarbeitet. Diese umfassen die Handlungsfelder „Infrastrukturelle Anbindung und Voraussetzungen“, „Prozesse und Methoden“ sowie „Zukunftsfähigkeit und Einbindung neuer Technologien“. Die wesentlichen Erkenntnisse aus diesem Workshop werden in einem Positionspapier dargestellt. Bitkom e.V., gegründet 1999, vertritt mehr als 2200 Mitgliedsunternehmen aus der digitalen Wirtschaft in Deutschland. Zu den Mitgliedern zählen Mittelständler, Startups und Global Player. Nach eigenen Angaben „fördert und treibt [der Verband] die digitale Transformation der deutschen Wirtschaft und setzt sich für eine breite gesellschaftliche Teilhabe an den digitalen Entwicklungen ein – Ziel ist es, Deutschland zu einem leistungsfähigen und souveränen Digitalstandort zu machen“. Zum Bitkom-Positionspapier:
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Einen lesenswerten Beitrag über die „Digitalisierung der Bundeswehr“ hat die Informationsstelle Militarisierung (kurz IMI) im März 2020 veröffentlicht. Autor des Aufsatzes „Weg in die (Tech)Aufrüstungsspirale“ ist Martin Kirsch, IMI-Mitarbeiter und Experte für das Thema „Militarisierungstendenzen in der Innen- und Außenpolitik“. Der gemeinnützige Verein, der 1996 von Vertretern des linksalternativen Spektrums der Neuen Sozialen Bewegungen – insbesondere der Friedensbewegung – gegründet wurde, hat seinen Sitz in Tübingen. Ein bekanntes Gesicht von IMI ist der Friedensforscher, Politikwissenschaftler und ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken (von 2017 bis 2021) Tobias Pflüger. Pflüger war zu jener Zeit auch Mitglied des Verteidigungsausschusses. Den Kirsch-Beitrag zum Digitalisierungsprozess in den deutschen Streitkräften finden Sie hier:
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Unser Symbolbild „Digitalisierung“ zeigt einen Soldaten des Deutschen Heeres.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)