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Berlin. Bei einer Pressekonferenz in Berlin am vergangenen Donnerstag (4. April) stellte Verteidigungsminister Boris Pistorius die Ergebnisse und Inhalte einer rund fünf Monate dauernden Prüfungs- und Entscheidungsphase zur Themenkomplex neuen „Grobstruktur der deutschen Streitkräfte“ vor. An dem Termin, zu dem zahlreiche Medienvertreter gekommen waren, äußerten sich auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, und der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung Nils Hilmer. Die neue Struktur, die Pistorius mit dem Begriff „Bundeswehr der Zeitenwende“ kennzeichnete, soll seinen Worten zufolge „der neuen alten Herausforderung Landes- und Bündnisverteidigung“ entsprechen. „Niemand soll auf die Idee kommen, NATO-Territorium anzugreifen“, warnte der Minister. Bei der Bundeswehrtagung in Berlin vergangenen Jahres (9. und 10. November) mit militärischem und zivilem Führungspersonal der deutschen Streitkräfte hatte Pistorius „Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime“ ausgerufen und auf die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien verwiesen.

Nicht nur die deutschen Streitkräfte sollen (wieder einmal) reformiert werden. Auch die zivile Verwaltung soll angepasst werden. In einer Presseerklärung des Verteidigungsministeriums vom 4. April heißt es lapidar: „Die Bundeswehr wird so insgesamt neu aufgestellt und damit auch auf den Verteidigungsfall ausgerichtet.“

Die Planung und operative Führung werden künftig in eine Hand gelegt und die Teilstreitkräfte neu gegliedert. Außerdem wird ein streitkräftegemeinsamer Unterstützungsbereich aufgestellt.

Zwei Inspekteure werden im Mai in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedet

Was nun sehen die Pläne der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr für eine „Bundeswehr der Zeitenwende“ im Einzelnen vor?

Zukünftig soll es neben Heer, Luftwaffe und Marine noch eine vierte Teilstreitkraft geben: den Cyber- und Informationsraum (CIR). Die Organisationsbereiche Streitkräftebasis und Zentraler Sanitätsdienst verlieren mit der Strukturreform an Eigenständigkeit. Dies hat auch personelle Konsequenzen: Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis, sowie Generaloberstabsarzt Ulrich Baumgärtner, Inspekteur des Sanitätsdienstes, werden im Mai ihr Kommando abgeben müssen. Dies berichtete unter anderem die Deutsche Presse-Agentur.

Operatives Führungskommando für alle Einsätze deutscher Streitkräfte

Ein weiteres zentrales Strukturelement ist der Aufbau eines neuen Operativen Führungskommandos. Dafür werden das Einsatzführungskommando in Schwielowsee bei Potsdam und das Territoriale Führungskommando in Berlin herangezogen und miteinander „fusioniert“. Das Einsatzführungskommando ist bisher für die Bundeswehr in Auslandsmissionen, das Territoriale Führungskommando für die Führung aller Bundeswehr-Operationen in Deutschland zuständig.

Mit dieser Verschmelzung soll laut Ministerium „die einheitliche Führung in allen Einsätzen deutscher Streitkräfte“ sichergestellt werden. Dies ermögliche nicht nur eine einheitliche Beratung des Verteidigungsministeriums, sondern stelle auch eine zentrale Ansprechstelle für nationale und internationale Partner zur Koordinierung gemeinsamer Einsätze und Missionen bereits, heißt es dazu in der Pressemitteilung des Ministeriums.

Die Landeskommandos der Bundesländer dienten bei der Installation des Operativen Führungskommandos als Bindeglied und garantierten die notwendige Anschlussfähigkeit in der Fläche der Bundesrepublik, so der Pressetext weiter.

Sanitätsdienst und Streitkräftebasis künftig im neuen Unterstützungskommando

Außerdem soll die Bundeswehr ein neues Unterstützungskommando erhalten. Darin aufgehen werden bisherige Organisationsbereiche der Bundeswehr, wie die Streitkräftebasis und der Sanitätsdienst. Die Presseerklärung des BMVg geht ins Detail: „Mit der Aufstellung des neuen Unterstützungsbereichs wird der besonderen Herausforderung der Verteilung knapper Schlüsselfähigkeiten Rechnung getragen.“

Neben dem Zentralen Sanitätsdienst soll das Unterstützungskommando die Logistik sowie die Fähigkeiten ABC-Abwehr (ABC = atomar, biologisch, chemisch), Feldjägerwesen, zivil-militärische Zusammenarbeit (Civil Military Co-Operation/CIMIC) und weitere zentrale militärische Dienststellen – beispielsweise das Planungsamt der Bundeswehr – aufnehmen.

Das Ministerium erläutert: „Durch diese Bündelung wird nicht nur sichergestellt, dass die Bereitstellung dieser Fähigkeiten nach den Maßgaben des Operativen Führungskommandos erfolgt, sondern sie können auch flexibel in allen Einsatzoptionen aller Teilstreitkräfte eingesetzt werden. Darüber hinaus schafft das Unterstützungskommando eine effiziente militärische Verwaltungsstruktur, die Verwaltungsaufgaben bündelt und den Teilstreitkräften den Rücken freihält.“

Für die Gesundheitsversorgung der Bundeswehr soll es übrigens einen „Gesamtverantwortlichen“ geben. Damit werde nicht nur das hohe fachliche Niveau der sanitätsdienstlichen Versorgung weiterhin gewährleistet, sondern auch die wichtige enge Verzahnung mit dem zivilen Gesundheitssystem, hofft das Wehrressort.

Bundeswehrgemeinsame Aufgaben künftig im zivilen Bereich bündeln

Um im Verteidigungsfall das volle Potenzial ausschöpfen zu können, soll auch die Wehrverwaltung an die neuen Anforderungen angepasst werden. Die Ausführungen des Verteidigungsministeriums hierzu: „Es gilt, die Streitkräfte in allen Bereichen – wie Personal, Material oder Infrastruktur – bestmöglich zu unterstützen und zu entlasten. Hierfür werden bundeswehrgemeinsame Aufgaben im zivilen Bereich gebündelt und beispielsweise in der neuen Abteilung ,Fachaufgaben Bundeswehr‘ im Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen (BAIUDBw) wahrgenommen.“

Ein künftiger Schwerpunkt im Verantwortungsbereich der Verwaltung soll zudem sein, die notwenige Vorsorge zu treffen, um im Verteidigungsfall die erforderliche Aufwuchsfähigkeit zu gewährleisten (Stichwort „Organisatorische Umsetzung einer möglicherweise wieder eingeführten Wehrpflicht“).

Ministerstatement zur angestrebten neuen Bundeswehrstruktur

Ehe sich Minister Pistorius, General Breuer und Staatssekretär Hilmer am Donnerstagnachmittag den zahlreichen Fragen der Pressevertreter stellten, äußerte sich Pistorius noch einmal ausführlich zum Vorhaben „Bundeswehr der Zeitenwende“. Wir dokumentieren nachfolgend – redigiert und gekürzt – sein Statement:

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen heute vorstellen, wie die „Bundeswehr der Zeitenwende“ aussehen wird, und das an einem besonderen Tag – die NATO wird heute 75 Jahre alt. Die Allianz hat gerade in den vergangenen beiden Jahren eindrucksvoll gezeigt, welche Kraft sie entfalten kann, wenn sie gefordert ist. Je größer und akuter die Bedrohung von außen, desto enger und besser arbeiteten und arbeiten die Verbündeten zusammen. Wir in Deutschland müssen dafür Sorge tragen, dass die NATO auch in Zukunft ihrer Rolle gerecht werden kann. Dies bedeutet eben auch für uns die Herausforderung, die Bundeswehr wieder aufzustellen für eine „neue alte Herausforderung“, nämlich die der Landes- und Bündnisverteidigung.

Um das zu gewährleisten, hatte ich Generalinspekteur Carsten Breuer und Staatssekretär Niels Hilmer damit beauftragt, Vorschläge zu machen für eine „Bundeswehr der Zeitenwende“. Heute Morgen habe ich nun endgültig die entsprechenden Entscheidungen getroffen und dazu die nötige Vorlage gezeichnet. Der Auftrag, Vorschläge für eine Strukturreform zu erarbeiten, ist übrigens vor mehr als fünf Monaten im November im Rahmen der Bundeswehrtagung in Berlin erteilt worden.

Die Projektgruppe, die sich aus vielen Vertretern aller Geschäftsbereiche des Ministeriums – auch der nachgeordneten Behörden – und der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche zusammensetzte, hat über viele Monate äußerst intensiv und sehr kooperativ zusammengearbeitet. Wir haben die Expertise aus dem gesamten Geschäftsbereich des BMVg genutzt und bewusst darauf verzichtet, teure Berateraufträge zu erteilen.

Heute senden wir ein Signal des Aufbruchs. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Bundeswehr so umzubauen in ihren Strukturen, dass sie für den Ernstfall – für den Verteidigungsfall, für den Kriegsfall – optimal aufgestellt ist.

Das Ergebnis lautet zusammengefasst: Die Bundeswehr hat künftig ein Operatives Führungskommando, die Bundeswehr hat künftig vier Teilstreitkräfte, und die Bundeswehr hat künftig ein Unterstützungskommando.

Zunächst zum Operativen Führungskommando. Die Idee dahinter ist, Planung und operative Führung der Bundeswehr aus einer Hand durch das neue Kommando zu gewährleisten. Die Aufstellung erfolgt unter Hinzuziehung des Territorialen Führungskommandos und des Einsatzführungskommandos. Beide werden zusammengefasst. Die Vorteile dieses neuen Operativen Führungskommandos liegen auf der Hand: Schnelle Entscheidungen zu treffen aufgrund eines gemeinsamen 360-Grad-Lagebildes – eines Gesamtbildes. Damit einher wird auch die Fähigkeit gehen, die Leitung des Ministeriums in allen Einsatzangelegenheiten „aus einer Hand“ beraten zu können.

Zu den Aufgaben des Operativen Führungskommandos wird unter anderem die Planung des übergeordneten Kräfteansatzes für militärische Einsätze gehören. Das Operative Führungskommando wird zudem zentraler Ansprechpartner für die NATO sein (und auch ein Ansprechpartner für Bundes- und Landesbehörden, beispielsweise die Polizei oder das Technische Hilfswerk). Das Operative Führungskommando soll ferner alle Absprachen zu internationalen und nationalen Missionen und Aufträgen „in einer Hand“ bündeln.

Zu den Teilstreitkräften: Drei Dimensionen sind bekannt – Land, Luft und Weltraum sowie See. Neu hinzu kommt nun der Cyber- und Informationsraum (kurz CIR). Der Cyber- und Informationsraum ist für unsere Sicherheit von ständig wachsender Bedeutung. Die Fähigkeiten der neuen Teilstreitkraft CIR werden das genau abbilden. Hierzu gehört beispielsweise die Sicherstellung von Führungsfähigkeit – eine immer zentralere Funktion, vor allem wenn es um die Vernetzung von Waffensystem der verschiedenen Teilstreitkräfte geht. Auch geht es zum Beispiel um die Analyse hybrider Bedrohungen, etwa bei Desinformationskampagnen oder Cyber-Attacken. Auch wird die Aufgabe von CIR sein, beispielsweise bei unseren Kampftruppen an der NATO-Ostflanke im Feld aufzuklären und selbst zu wirken. Da kann es dann um Fernmeldeeinheiten oder den Elektronischen Kampf gehen, bei dem wir – um ein Beispiel zu nennen – Störsender gegen Sprengfallen einsetzen.

Veränderung wird es bei allen Teilstreitkräften geben, nehmen wir etwa das Heer. So sollen die Heimatschutzkräfte künftig dem Heer zugeordnet werden, was natürlich im Ernstfall Sinn macht.

Dann zum Unterstützungskommando. Im Unterstützungskommando sollen die Fähigkeiten gebündelt werden, die in allen Dimensionen gebraucht werden – insbesondere also der Zentrale Sanitätsdienst, die Logistik, das Feldjägerwesen, die ABC-Abwehr und CIMIC, die zivil-militärische Zusammenarbeit. Ziel dieser Bündelung ist, dass einmal alle Teilstreitkräfte – je nach Bedarf – Zugriff haben auf alle Fähigkeiten.

Alle bisherigen Verwaltungsaufgaben der Fähigkeitskommandos werden künftig in dem neuen Unterstützungskommando zusammengeführt. Die Fähigkeitskommandos können sich so auf der Grundlage der Planung des operativen Führungskommandos auf ihre originäre Auftragserfüllung konzentrieren.

Zur zivilen Wehrverwaltung. Die Zusammenarbeit unserer Streitkräfte mit der Wehrverwaltung wird in Zukunft noch enger miteinander abgestimmt sein. So soll zum Beispiel auch die Verwaltung der Wehrfeuerwehr der Bundeswehr strickt dem Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung folgen. Weiter wollen wir beispielsweise der Frage nachgehen, ob und wie militärisches Personal durch zivile Kräfte ersetzt werden kann, um so die Truppe zu entlasten. Bundeswehrgemeinsame Aufgaben sollen dafür gebündelt werden. So soll es künftig im Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr/BAIUDBw extra eine neue Abteilung „Fachaufgaben Bundeswehr“ geben.

Meine Damen und Herren! Mir ist sehr wichtig, noch einmal deutlich zu machen, dass wir in den letzten fünf Monaten äußerst intensiv gearbeitet und diskutiert haben. Es ist klar, dass es Kritik gegeben hat in diesem Prozess. Und klar ist auch: es wird weiter Kritik geben. Das liegt jedoch geradezu in der Natur der Sache. Denn wenn es nicht so wäre, dann wäre es keine Reform. Eine Reform, die den Anspruch erhebt, eine zu sein, an der muss man sich auch reiben. Am Ende geht es immer auch um Abwägungsentscheidungen. Es gibt kein Schwarz und Weiß, es gibt kein „Nur richtig“ und kein „Nur falsch“ – dies bedeutet, dass jede Entscheidung letztlich auf einer Abwägung in die eine oder andere Richtung beruht. Wir haben uns mit allen Einwänden auseinandergesetzt und wir haben abgewogen. Jetzt gehen wir gemeinsam an die Arbeit der Umsetzung in den nächsten Monaten.

Meine Damen und Herren! Wir alle wissen, dass sich die Bedrohungslage in Europa verschärft hat. Es muss allen klar sein: Wir verteidigen unser Land und unsere Bündnispartner und machen auch mit unserer Strukturreform unmissverständlich deutlich: Niemand sollte auf die Idee kommen, das NATO-Gebiet anzugreifen. Dafür müssen wir glaubhaft und wahrhaftig einstehen. Und dafür muss die Bundeswehr entlang der genannten Vorgaben ausgerichtet werden.

Für die Anpassung habe ich den Streitkräften ein halbes Jahr Zeit gegeben. Ich danke allen Bundeswehrangehörigen, die die Reform umsetzen sollen und werden. Gemeinsam wird sie uns gelingen, die „Bundeswehr der Zeitenwende“.

Feinausplanung „entlang der bundeswehrgemeinsamen Leitprinzipien“

So weit die Ausführungen des Verteidigungsministers. Die Pressemitteilung aus dem Hause Pistorius schließt mit der Vorschau: „Nun gilt es, insgesamt auch die weitere Binnenstruktur an diese Vorgaben der ,Bundeswehr der Zeitenwende‘ anzupassen. Um die erforderliche Neuausrichtung insgesamt zu erreichen, ist in den nächsten Monaten eine Feinausplanung entlang der bundeswehrgemeinsamen Leitprinzipien Aufwuchsfähigkeit, Skalierbarkeit, Dynamikrobustheit, Digitalisierung in Zukunftstechnologie und Operationsführung sowie Innovationsüberlegenheit und Kriegsversorgung erforderlich.“

Wir werden die einzelnen Reformschritte auf dem Weg zur „Bundeswehr der Zeitenwende“ mit großem Interesse verfolgen …

Redaktioneller NACHBRENNER

Am 14. Mai 2024 um 14 Uhr wird der Generalinspekteur der Bundeswehr auf der Bonner Hardthöhe in einem feierlichen Appell die Führung der Streitkräftebasis übergeben.

In einer Presseankündigung dazu heißt es: „Als bedeutenden Schritt für die Streitkräftebasis im Übergang zu einer neuen Bundeswehrstruktur wird General Carsten Breuer [an diesem Dienstag] die Führungsverantwortung vom Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, an [dessen] Stellvertreter, Generalmajor Stefan Lüth, übergeben.“ Schelleis habe in mehr als acht Jahren an der Spitze der Streitkräftebasis diesen Organisationsbereich „mit außerordentlichem Engagement“ geführt, so der Pressetext weiter. „Sein bevorstehender Abschied und die Übergabe der Führungsverantwortung an Generalmajor Lüth sind nicht nur ein Wendepunkt für die Streitkräftebasis, sondern auch ein besonderer Moment in der Geschichte der Bundeswehr.“


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Unser Bildmaterial:
1. Boris Pistorius bei der Pressekonferenz des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) am 4. April 2024 in Berlin.
(Bildschirmfoto: Quelle BMVg; Bildbearbeitung: mediakompakt)

2. Das Hintergrundbild unserer Grafik entstand am 20. Juli 2023 beim Feierlichen Gelöbnis 2023 im Bendlerblock, dem Jahrestag des Widerstandes gegen die Hitler-Diktatur.
(Foto: Jörg Carstensen/Bundeswehr; Infografik © Bundeswehr; Lokalisierung mediakompakt 05.24)


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