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Koblenz. Neumark, Broer, Eißing, Pauli – vier Namen, vier tragische Schicksale, vier außergewöhnliche Menschen, vier Vorbilder. Käthe Neumark, Thomas Broer, Dieter Eißing und Florian Pauli waren Angehörige des Sanitätswesens beziehungsweise des Sanitätsdienstes. In einer bewegenden Feierstunde wurden am gestrigen Donnerstag (17. August) in der Koblenzer Falckenstein-Kaserne zu Ehren der Vier drei Straßen und der Exerzierplatz der Kaserne umbenannt. Die würdevolle Umbenennung nahm der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, vor.

Oberstarzt Prof. Dr. med. dent. Ralf Vollmuth ist Beauftragter des Inspekteurs für Geschichte, Theorie und Ethik der Wehrmedizin am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Er forscht und lehrt zur Medizingeschichte und Militärmedizin. Bei der Veranstaltung in der Falckenstein-Kaserne mit zahlreichen geladenen Gästen aus den Reihen der Streitkräfte und Vertretern der Stadt Koblenz hielt Vollmuth die Festrede.

„Tradition kann man nicht verordnen, sie muss wachsen“, so die Botschaft seiner Rede, die sich mit der Tradition der Bundeswehr und des Sanitätsdienstes befasste. Zur Entwicklung einer Traditionslinie seien viele Schritte nötig, sagte der Wissenschaftler. Die Diskussion über den richtigen Umgang mit diesem Thema jedenfalls sei noch lange nicht abgeschlossen.

Erste Militärärztin in der jüngeren Geschichte deutscher Streitkräfte

Die Angehörigen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr können auf eine ganz besondere Tradition zurückblicken: auf Frauen im Sanitätswesen. Wie weit diese Historie zurückreicht, zeigt das Leben und Wirken der jüdische Ärztin Dr. Käthe Neumark. Im Ersten Weltkrieg betreute sie als erste Militärärztin in der jüngeren deutschen Militärgeschichte überhaupt verwundete und kranke Soldaten. Nach der Machtergreifung der Nazis emigrierte Neumark, die in jenen Jahren vor allem in der Kinder- und Jugendmedizin tätig war, in die Niederlande, wo sie 1939 starb (mehr über das Leben der Ärztin unter HINTERGRUND).

Rabbiner Zsolt Balla, religiöses Oberhaupt der Jüdischen Militärseelsorge in Deutschland, zitierte bei der Festveranstaltung in der Kaserne in Koblenz in seiner Rede unter anderem eine Passage aus dem Weisheitsbuch „Kohelet“. (Anm.: Das Buch, auch „Prediger Salomo“ genannt, ist ein biblisches Werk voller tiefer Lebensweisheit; „Kohelet“ ist in die hellenistische Epoche einzuordnen und wurde wahrscheinlich von König Salomo, oder mit einem Verweis auf König Salomo, von einem anderen Autor verfasst.) Balla, am 21. Juni 2021 in der Brodyer Synagoge in Leipzig in sein Amt eingeführt und damit erster Militärbundesrabbiner in der Geschichte der Bundeswehr, sagte über Käthe Neumark: „Ein guter Name ist besser als Parfüm.“ In diesem Sinne seien es die guten Namen und die mit ihnen verbundenen Lebensgeschichten, die blieben, so der Rabbiner. „Die guten Namen und die mit ihnen verbundenen Lebensgeschichten – sie werden Teil unseres kollektiven Gedächtnisses, sie werden Teil einer Tradition und sie werden nicht verfliegen wie der süße Duft eines Parfüms.“

In Zukunft werden alle militärischen Appelle in der Falckenstein-Kaserne am Dr.-Käthe-Neumark-Platz stattfinden. Nach der Einweihung der großen blauen Tafel würdigte der Inspekteur des Sanitätsdienstes die neuen Namensgeber für drei Straßen in der Falckenstein-Kaserne.

In Erinnerung an drei gefallene Kameraden des Sanitätsdienstes

Zunächst enthüllte Baumgärtner das Schild Oberstabsarzt-Dr.-Broer-Straße. Der damals 33-jährige Oberstabsarzt Dr. Thomas Broer verlor am 15. April 2010 in Afghanistan sein Leben, als sein Yak-Sanitätsfahrzeug getroffen wurde. Das Ganze ereignete sich im Distrikt Baghlan-e Jadid in der Baghlan-Provinz.

Dort lief zu dem Zeitpunkt die Operation „Taohid“. Soldaten aus Deutschland, Belgien, Schweden und Kroatien waren gemeinsam mit afghanischen Einheiten im Einsatz, um Aufständische aus der Gegend zu vertreiben. An einer Brücke, der sogenannten „Dutch Bridge“, geriet zunächst eine deutsche Patrouille in einen Hinterhalt. Major Jörn Radloff, Hauptfeldwebel Marius Dubnicki und Stabsunteroffizier Josef Kronawitter verließen ihr Fahrzeug, einen gepanzerten Geländewagen Eagle IV. In diesem Moment detonierte ein ferngezündeter Raketensprengkopf. Die deutschen Soldaten hatten keine Chance. Es folgten heftige Gefechte. Als ein mobiler Arzttrupp sich auf den Weg zur Anschlagsstelle machte, wurde er mit einer Panzerfaustgranate beschossen – dabei kam Oberstabsarzt Dr. Broer ums Leben.

Witwe aus Neuseeland zur Namensgebung nach Koblenz angereist

Es folgte die Widmung der Oberstabsarzt-Dr.-Eißing-Straße, die sich direkt an der früheren Wirkungsstätte des Mediziners, dem Sanitätsversorgungszentrum der Falckenstein-Kaserne, befindet. Die Enthüllung des Straßenschildes nahm der Inspekteur gemeinsam mit der aus Neuseeland angereisten Witwe des Verstorbenen, die nach dem Tod ihres Mannes in die neuseeländischen Streitkräfte eingetreten war, vor.

Oberstabsarzt Dr. Dieter Eißing war in der UNOMIG-Mission als Beobachter für die Vereinten Nationen tätig (UNOMIG = United Nations Observer Mission in Georgia/Beobachtermission der Vereinten Nationen in Georgien). Er starb am 8. Oktober 2001 zusammen mit acht weiteren Missionsangehörigen beim Abschuss seines Hubschraubers über dem Kodori-Valley in Georgien. Wie Dr. Broer, so war auch Dr. Eißing erst 33 Jahre alt.

Seine Hilfsbereitschaft wurde dem Seedorfer Fallschirmjäger zum Verhängnis

Zuletzt enthüllte der Inspekteur zusammen mit dem mittlerweile erwachsenen Sohn des Namensgebers die Oberfeldwebel-Pauli-Straße. Oberfeldwebel Florian Pauli fiel im selben Jahr wie Oberstabsarzt Dr. Thomas Broer, ebenfalls beim ISAF-Einsatz in Afghanistan.

Dabei wurde ihm seine große Hilfsbereitschaft zum Verhängnis: Bei dem Versuch, am 7. Oktober 2010 einen scheinbar verletzten Afghanen medizinisch zu versorgen, sprengte sich dieser in die Luft und riss den Fallschirmjäger aus Seedorf mit in den Tod. Der Selbstmordanschlag ereignete sich nahe Pol-e Chomri, der Hauptstadt der Provinz Baghlan. Der Soldat, der auch Rettungsassistent war, wurde 26 Jahre alt.


Hintergrund                           

Von der Medizinerin Käthe Neumark gibt es im Internet kein Foto. Sogar ihre Begräbnisstätte ist unbekannt. Hinterlassen hat sie uns – wie unsere Bildkomposition zeigt – nur wenige Spuren: ihre Dissertation, eine Annonce mit dem Hinweis auf ihre Kinderpension im niederländischen Küstenort Zandvoort, ein um 1925 von dem Künstler Mateo Cristiani gestaltetes Exlibris mit ihrem Namen und der Grafik „Lesende Frau“.

Die jüdische Krankenschwester und Kinderärztin Dr. med. Käthe Neumark kam am 5. Januar 1871 in der Seehafenstadt Emden als Tochter des Kaufmanns Joseph Neumark und seiner Frau Bertha geb. Schönberg zur Welt. In Emden besuchte sie die „höhere Töchterschule“, auch „Mädchenrealgymnasium“ genannt. Weil sie in jenen Jahren ihre schwerkranken Eltern pflegen musste, stellte sie zunächst ihre schulischen und beruflichen Pläne zurück.

Nach dem Tod ihrer Eltern zog Neumark im Alter von 26 Jahren nach Frankfurt am Main. Beim Verein für jüdische Krankenpflegerinnen begann sie im August 1897 eine Ausbildung zur Krankenschwester. Im Februar 1902 verließ sie den Verein, um ein Medizinstudium aufzunehmen. Sie blieb in Frankfurt, setzte zunächst ihre unterbrochene Schulausbildung fort und legte im September 1903 am Realgymnasium in Wiesbaden die Reifeprüfung ab. Danach war der Weg als Studentin vorgezeichnet.

Nach ihrem Medizinstudium in Freiburg im Breisgau, Heidelberg und München promovierte Neumark an der Universität München am 19. Dezember 1910 zur „Dr. med.“ (ihre Dissertation behandelte das Thema „Wasserharnruhr“/die „hormonbedingte gestörte Urinausscheidung“). Zuvor hatte sie als Medizinalpraktikantin an der Kinderklinik der Medizinischen Akademie Düsseldorf und an der Psychiatrischen Klinik Köln erste berufliche Erfahrungen sammeln können.

Nach einem Zwischenaufenthalt in Düsseldorf im Jahr 1911 ließ sich Käthe Neumark 1912 in Frankfurt am Main als Kinderärztin nieder und praktizierte dort – mit Unterbrechungen – bis 1933. Seit 1911 arbeitete sie zudem als beratende Ärztin für den Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs unterstützte Neumark, die dem Verein für jüdische Krankenpflegerinnen stets verbunden geblieben war, das im Schwesternhaus eingerichteten „Vereinslazarett 27“ als Ärztin. In dieser Funktion war sie dort die einzige Frau. Im Winter 1914/1915 wurde sie als Ärztin im Heeressanitätswesen einem Reservelazarett in Halle an der Saale zugeteilt. Dort erhielt sie den damals für Frauen ungewöhnlichen Status eines Sanitätsoffiziers. Ob sie die gesamte Kriegszeit in Halle verbrachte, ist der Quellenlage nach ungeklärt.

Vermutlich im Jahr 1919 wird Neumark auch Frankfurts erste Schulärztin. In den Jahren 1926 bis 1933 praktizierte die Ärztin und Spezialistin für Kinderheilkunde – zunächst in der Praxis im Frankfurter „Reuterweg 49“, später dann „Am Tiergarten 18“.

Nach dem die Nationalsozialisten ihr im Jahr 1933 als Jüdin die Kassenzulassung entzogen hatten, emigrierte Neumark in die Niederlande. Sie bekam eine Aufenthaltsgenehmigung für Zandvoort. Im September 1933 eröffnete sie in dem westlich von Amsterdam gelegenen Küstenort in der „Oosterparkstraat 50“ die Kinderpension „Kinder-Tehius Dr. Käthe Neumark“ (dort sollen 1934 auch Anne Frank und ihre Schwester Margot einige Sommerwochen verbracht haben; Anne hatte sich von 1942 bis 1944 mit ihrer jüdischen Familie in einem Amsterdamer Hinterhaus versteckt und schrieb dort bis zur Festnahme durch die NS-Ordnungspolizei ihr später weltberühmt gewordenes Tagebuch). Die Pension in der „Oosterparkstraat 50“ gab es nach bisherigem Kenntnisstand nur einige Monate.

Die Einrichtung „Kinder-Tehuis Dr. Käthe Neumark/Vorheen Kinderen Schoolarts in Frankfurt a. M.“ befand sich später dann ab 1934 in Zandvoort in der „Brederodestraat 35“. Vermutlich leitete Käthe Neumark die Pension bis zu ihrem Tod am 30. Mai 1939. Sie starb im Exil mit 68 Jahren. Den nationalsozialistischen Überfall auf die Niederlande, den Terror der deutschen Besatzer und die nachfolgenden Deportationen in die Vernichtungslager musste die deutsche Ärztin jüdischen Glaubens nicht mehr miterleben.


Zu unseren Bildern:
1. Der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, enthüllt gemeinsam mit Militärbundesrabbiner Zsolt Balla die Tafel für den Dr.-Käthe-Neumark-Platz.
(Foto: Michael Laymann/Bundeswehr)

2. Generaloberstabsarzt Baumgärtner und die Witwe von Oberstabsarzt Dr. Dieter Eißing, der 2001 bei einem Auslandseinsatz unter Flagge der Vereinten Nationen ums Leben kam.
(Foto: Michael Laymann/Bundeswehr)

3. Dr. Käthe Neumark: Von der Militär- und Kinderärztin gibt es weder ein Bild, noch ist ihre Grabstätte bekannt. Geblieben sind wenige Spuren – ihre Dissertation, eine Annonce mit dem Hinweis auf ihre Kinderpension im niederländischen Küstenort Zandvoort, ein um 1925 von dem Künstler Mateo Cristiani gestaltetes Exlibris mit ihrem Namen.
(Bildmaterial: nr; grafische Bearbeitung und Bildmontage: mediakompakt)

Kleines Beitragsbild: Tafel am Dr.-Käthe-Neumark-Platz der Koblenzer Falckenstein-Kaserne.
(Foto: nr)


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