Berlin. Bundespräsidialamt, Deutscher Bundestag, Paradeplatz des Bendlerblocks, Treffen mit US-Verteidigungsminister Lloyd James Austin III. – der 62 Jahre alte SPD-Politiker Boris Pistorius hatte am gestrigen Donnerstag (19. Januar), seinem ersten Arbeitstag als neuer Chef des Wehrressorts, einen randvollen Terminkalender. Zwei Tage zuvor, am 17. Januar, war Pistorius von Bundeskanzler Olaf Scholz in enger Abstimmung mit der Partei- und Fraktionsspitze der Sozialdemokraten zum Nachfolger von Christine Lambrecht berufen worden.
Kurz nach Bekanntgabe der Spitzenpersonalie hatte Pistorius, bis dahin Minister für Inneres und Sport des Bundeslandes Niedersachsen, in Hannover vor Medienvertretern erklärt, er wolle die Bundeswehr „stark machen für die Zeit, die vor uns liegt“. Dabei hatte er eine enge Zusammenarbeit mit den Angehörigen der Streitkräfte versprochen. Der SPD-Politiker bei der eilig einberufenen Pressekonferenz wörtlich: „Die Bundeswehr muss sich auf eine neue Situation einstellen, die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine entstanden ist. Mir ist wichtig, die Soldatinnen und Soldaten ganz eng in diesem Prozess zu beteiligen und sie mitzunehmen.“ Die Truppe könne sich außerdem darauf verlassen, „dass ich mich – wann immer es nötig ist – vor sie stellen werde“, hatte der künftige Verteidigungsminister am Dienstag versichert.
Pistorius hatte die Pressevertreter auch darauf hingewiesen, dass er „als langjähriger Innenminister in Niedersachsen immer sehr dicht dran an Bundeswehr-Fragen gewesen“ sei. Er hatte dabei unter anderem an die Zusammenarbeit im Bundesland mit dem Militär im Bereich des Katastrophenschutzes erinnert.
Am gestrigen Donnerstag schließlich wurde der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius durch den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, mit militärischen Ehren im Bendlerblock empfangen worden. Hier am zweiten Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) erklärte Pistorius, er werde das neue Amt mit ganzer Kraft angehen. Dazu benötige er die Unterstützung aller Angehörigen der Bundeswehr.
Vor seiner Amtseinführung war der neue Verteidigungsminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue offiziell ernannt worden. Pistorius hatte dazu aus Steinmeiers Händen und im Beisein von Scholz seine Ernennungsurkunde erhalten. Zuvor war der scheidenden Verteidigungsministerin Lambrecht die Entlassungsurkunde ausgehändigt worden.
Danach fuhr Pistorius zum Deutschen Bundestag, um seinen Amtseid zu leisten. Ebenfalls wurde dort der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Hitschler vereidigt. Am Mittag folgte dann die Vereidigung der Parlamentarischen Staatssekretärin Siemtje Möller.
Bundespräsident Steinmeier hatte in Schloss Bellevue bei der Entlassung Christine Lambrechts und der Ernennung ihres Nachfolgers Boris Pistorius folgende Rede gehalten:
Der 24. Februar 2022 hat die Ukraine, aber auch Deutschland in eine überwunden geglaubte Zeit gestürzt, eine Zeit des Krieges und der Gewalt, eine Zeit der Unsicherheit. Dieser Epochenbruch hat Europa verändert, er hat die deutsche Politik verändert – und er hat auch die Aufgaben des Bundesministeriums der Verteidigung verändert.
Liebe Christine Lambrecht! Ich möchte Ihnen heute danken – nicht nur für Ihre Bereitschaft, als Bundesministerin der Verteidigung in schwerster Zeit Verantwortung zu tragen, sondern auch für Ihr langjähriges politisches Engagement. 23 Jahre haben Sie sich als Abgeordnete im Deutschen Bundestag in unterschiedlichen Ämtern für unsere Parlamentarische Demokratie eingesetzt. Sie waren rechtspolitische Sprecherin, stellvertretende Vorsitzende und Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Ihrer Fraktion; Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium der Finanzen, Bundesministerin der Justiz, kurzzeitig dazu auch Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Sie haben Ihre Ämter nie in einfachen Zeiten ausgeübt. Als Justizministerin schufen Sie die Grundlage, um Hass und Hetze im Netz härter und effektiver verfolgen zu können – und wollten damit vor allem Menschen, die sich politisch und gesellschaftlich engagieren, vor Anfeindungen schützen. Wichtige Verbesserungen im Verbraucherschutz haben Sie auf den Weg gebracht. Und in den Hochzeiten der Corona-Pandemie war Ihre rechtliche Expertise unverzichtbar, wenn es um die Verhältnismäßigkeit von Schutzmaßnahmen ging.
Als Bundesministerin der Verteidigung waren Sie noch nicht einmal drei Monate im Amt, als Russland am 24. Februar die Ukraine überfiel. In Ihrem letzten Amt konnten Sie sich nicht auf politische Routinen verlassen. Sie haben jeden Tag aufs Neue die Lage beurteilen, Ihre politischen Schwerpunkte daran anpassen und unter Zeitdruck komplexe und weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Und dabei erfuhr das Bundesministerium der Verteidigung neben dem enormen Bedeutungszuwachs auch riesige öffentliche Aufmerksamkeit. Ich danke Ihnen für all das, was Sie als Bundesministerin in Ihren verschiedenen Positionen auf den Weg bringen konnten; für die Bereitschaft, über so viele Jahre für unser Land, für unsere Demokratie einzustehen; sie zu verteidigen, wo sie angegriffen wird; ihre Probleme nicht nur zu beklagen, sondern auch lösen zu wollen. Diesen Dank spreche ich Ihnen heute im Namen der Bundesrepublik Deutschland aus. Alles Gute und herzlichen Dank!
Meine Damen und Herren, der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine hat schreckliches Leid über Millionen von Menschen gebracht und die europäische Sicherheitsordnung zerstört. Wir stehen fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer, wir unterstützen sie beim Kampf für ihre Freiheit und wir helfen beim Wiederaufbau ihres geschundenen Landes. Deutschland ist nicht im Krieg. Aber die Jahre der Friedensdividende, von der wir Deutschen so lange und reichlich profitiert haben, diese Jahre sind vorbei. Für Deutschland beginnt eine Epoche im Gegenwind. Wir müssen auf Bedrohungen reagieren, die auch auf uns zielen.
Was heißt das für die Bundeswehr, was bedeutet das für die Soldatinnen und Soldaten? In diesem Umfeld neuer Bedrohungen und geopolitischer Veränderungen kommt es jetzt entscheidend darauf an, die Bundeswehr abschreckungsfähig und verteidigungsbereit zu machen. Sie muss konsequent auf ihren Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet werden. Dafür braucht es eine modernere und umfassendere Ausrüstung, eine effizientere Beschaffung, eine solidere Personaldecke und vor allen Dingen Aufmerksamkeit und Respekt für die Truppe.
Und bei alldem dürfen wir keine Zeit verlieren. Als starkes Land in der Mitte Europas haben wir eine Verantwortung nicht nur für uns, sondern auch für andere. Wir stehen nicht allein, sondern im Bündnis mit Partnern. Und diese Partner müssen und werden sich auf uns verlassen können.
Lieber Boris Pistorius! Sie übernehmen das Ministeramt in einer Bedrohungs- und Gefährdungslage, die Deutschland lange nicht mehr kannte – und müssen direkt loslegen bei den bereits anstehenden internationalen Terminen. Für all die kommenden Herausforderungen und notwendigen Reformen benötigen Sie jetzt einen kühlen Kopf, gute Nerven, Führungsstärke, klare Sprache und politische Erfahrung. Dass Sie all das haben, haben Sie in anderen anspruchsvollen politischen Ämtern gezeigt – darunter in zehn Jahren als Innenminister des Landes Niedersachsen. Zu Ihrer neuen Aufgabe als Bundesminister der Verteidigung gratuliere ich Ihnen herzlich und wünsche Ihnen Durchhaltevermögen, gutes Gelingen und eine glückliche Hand!
Nach der Ernennung von Pistorius durch Bundespräsident Steinmeier zum höchsten Vorgesetzten aller Bundeswehrsoldaten (und zugleich deren obersten Disziplinarvorgesetzten) nahm Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am frühen Donnerstagvormittag dem neuen Bundesminister der Verteidigung im Plenarsaal des Parlaments nach Artikel 64 Absatz 2 des Grundgesetzes den Amtseid ab.
Der Amtseid (in Artikel 56 des Grundgesetzes) lautet: Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Pistorius leistete den Eid ohne religiöse Beteuerung. Danach nahm er als neuer Minister des Kabinetts Scholz auf der Regierungsbank Platz.
Im Anschluss an die Ernennung und die Vereidigung von Pistorius empfing Generalinspekteur Eberhard Zorn den SPD-Politiker im Bendlerblock mit militärischen Ehren. Anwesend bei diesem Termin war auch Ex-Verteidigungsministerin Lambrecht, die von ihrem Nachfolger in dessen kurzem Statement ausdrücklich gelobt wurde.
Pistorius sagte bei der Übernahme der Amtsgeschäfte und bei seinem Dienstantritt: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herzlich willkommen hier im Bendlerblock. Ich habe heute Morgen vom Bundespräsidenten meine Urkunde erhalten und bin gerade [im Deutschen Bundestag] vereidigt worden. Und bin sehr freundlich aufgenommen worden. Gestern bereits bei einem ersten Besuch hier im Haus und auch jetzt wieder.
Ich bitte um Verständnis, dass das heute noch kein ausführliches Statement wird. Dafür wird es noch ausreichend Gelegenheit in der nächsten Zeit geben angesichts der aktuellen Fragestellungen und Herausforderungen, vor denen wir stehen.
Ganz ohne Frage, und das sage ich mit aller Demut und mit allem Respekt: Dies ist ein außerordentlich besonderer Moment für mich. Es ist eine Aufgabe mit herausragend großer Verantwortung, schon in Friedenszeiten, aber erst recht in Zeiten, in denen wir in Europa wieder mit einem Krieg konfrontiert sind. Und es ist damit eine Herausforderung für die Sicherheit unseres Landes, aber gleichzeitig immer auch für 265.000 Menschen [in den Streitkräften] mit und ohne Uniform.
Es sind keine normalen Zeiten. Es ist Krieg in Europa. Russland führt einen grausamen Vernichtungskrieg gegen einen souveränen Staat, gegen die Ukraine. Deutschland ist nicht Kriegspartei, trotzdem sind wir von diesem Krieg betroffen.
Die Bedeutung der äußeren Sicherheit ist eine andere, als noch vor einem Jahr. Deswegen geht es nicht nur darum, die Bundeswehr jetzt und schnell stark zu machen. Es geht vor allem um Abschreckung, Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit. Und es geht bei alldem jetzt auch darum, die Ukraine weiter zu unterstützen, eben auch mit Material aus der Bundeswehr.
Ich bin Christine Lambrecht sehr, sehr dankbar für die Arbeit, die sie im vergangenen Jahr geleistet hat. Sie hat viele Dinge angeschoben, aber der größte Teil der Zeitenwende, meine Damen und Herren, liegt noch vor uns.
Die Streitkräfte, das muss man leider sagen, sind in den vergangenen Jahrzehnten oft vernachlässigt worden. Diese Bundesregierung hat das beendet. Meine Aufgabe wird es sein, diesen greifbaren Fortschritt jetzt hinzubekommen. Und ich empfinde Freude und Entschlossenheit für diese neue Aufgabe.
Ich sage Ihnen auch, die Sicherheit in diesem Land hat für jeden von uns auch eine persönliche Bedeutung. Und als jemand, der zehn Jahre in Niedersachsen für Innere Sicherheit Verantwortung getragen hat, weiß ich, dass Sicherheit ein Grundbedürfnis der Menschen ist. Dies gilt natürlich auch und in besonderer Weise für die Menschen, die in der Bundeswehr, im Verteidigungsministerium und darüber hinaus ihren Dienst versehen.
Aber gerade die Truppe braucht unsere Unterstützung. Und ich brauche für meine Arbeit in den nächsten Jahren die Unterstützung aller, die in diesem Bereich tätig sind in der Bundeswehr, im Verteidigungsministerium, in den Behörden, die dazu gehören. Ich brauche jeden Einzelnen, ich brauche die Unterstützung aller, und ich werde sie auch einfordern.
Meine Damen und Herren, der Bundeswehr kommt in der Zeitenwende eine Schlüsselrolle zu. Meine Aufgabe wird es sein, und daran setze ich alle meine Kraft, dass die Bundeswehr diesen Auftrag erfüllen kann. Im Interesse Deutschlands, im Interesse der NATO und im Interesse der Menschen.
Eine Stunde, nachdem Pistorius mit militärischen Ehren im Bendlerblock empfangen worden war, begrüßte er bereits seinen ersten internationalen Gast: US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Der Amerikaner war nach Berlin gekommen, um über das für den Freitag (20. Januar) angesetzte Treffen im Ramstein-Format zu sprechen.
Als „Ramstein-Format“ werden die monatlichen Konferenzen und Treffen der Kontaktgruppe für die Verteidigung der Ukraine (Ukraine Defense Consultative Group/Ukraine Defence Contact Group) bezeichnet. Der Begriff bezieht sich auf die rund zehn Kilometer westlich von Kaiserslautern gelegene Ramstein Air Base der U.S. Air Force als Tagungsort der ersten Koordinierungskonferenz, die am 26. April 2022 auf Einladung der Vereinigten Staaten stattgefunden hatte. Aufgabe der Treffen im Ramstein-Format, an denen Vertreter aus mehr als 50 Ländern teilnehmen, ist die Koordination der militärischen und zivilen Unterstützung der Ukraine zur Abwehr der russischen Kriegsaggression.
Weitere Gesprächsthemen zwischen Pistorius und Austin waren dem Ministerium zufolge unter anderem die Zusammenarbeit in der NATO sowie die Lage im Indo-Pazifik. Schließlich ging es auch noch um militärische Aspekte der nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands.
Zu unserer Bildfolge:
1. Der SPD-Politiker Boris Pistorius erhielt am Morgen des 19. Januar 2023 im Schloss Bellevue in Berlin von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunde zum Bundesminister der Verteidigung. Zuvor hatte der Bundespräsident die bisherige Amtsinhaberin, Christine Lambrecht, offiziell entlassen.
(Foto: Tom Twardy/Bundeswehr)
2. Vereidigung des neuen Bundesministers der Verteidigung durch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am frühen Vormittag des 19. Januar im Plenarsaal des Bundestages.
(Foto: Thomas Trutschel, photothek/Deutscher Bundestag)
3. Dienstantritt des neuen Verteidigungsministers: Boris Pistorius wurde im Bendlerblock im Beisein seiner Vorgängerin mit militärischen Ehren empfangen. Die Aufnahme zeigt Christine Lambrecht und Nachfolger Boris Pistorius auf dem Paradeplatz des Ministeriums am 19. Januar kurz vor 10 Uhr.
(Foto: Tom Twardy/Bundeswehr)
4. Pistorius bei seiner Ansprache nach der Amtsübernahme am Donnerstag, 19. Januar.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)
5. Der frisch vereidigte Verteidigungsminister Pistorius begrüßte eine Stunde nach der Amtseinführung als ersten internationalen Gast seinen amerikanischen Kollegen, US-Minister Lloyd Austin, im Bendlerblock.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)
Kleines Beitragsbild: Abschreiten der Ehrenformation am 19. Januar auf dem Paradeplatz des Bendlerblocks – der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius und Amtsvorgängerin Christine Lambrechts, ganz rechts Generalinspekteur Eberhard Zorn.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)