Berlin. Der 62 Jahre alte Minister für Inneres und Sport des Bundeslandes Niedersachsen Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister. Diese Entscheidung habe Bundeskanzler Olaf Scholz gemeinsam mit der Partei- und Fraktionsspitze der SPD getroffen, heißt es in einer Pressemitteilung der Sozialdemokraten vom heutigen Dienstag (17. Januar). Mit Sperrfrist 10 Uhr hatte bereits das ARD-Hauptstadtstudio gemeldet: „Entscheidung gefallen – Boris Pistorius soll neuer Verteidigungsminister werden.“ Am gestrigen Montag (16. Januar) hatte Noch-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht Bundeskanzler Scholz über ihren beabsichtigten Rücktritt informiert.
„Ich freue mich sehr, mit Boris Pistorius einen herausragenden Politiker unseres Landes für das Amt des Verteidigungsministers gewonnen zu haben“, sagte der Kanzler heute in Berlin. Pistorius sei „ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltungserprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik beschäftigt und mit seiner Kompetenz, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem großen Herz genau die richtige Person ist, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen“.
Nach dem Rücktritt von Lambrecht habe sich Scholz mit der Partei- und Fraktionsführung der SPD eng beraten und sich für Pistorius als neuen Verteidigungsminister entschieden, so der Pressetext aus der Parteizentrale. Pistorius war vor seiner Berufung zum Landesinnenminister im Februar 2013 fast sieben Jahre lang Oberbürgermeister von Osnabrück gewesen.
SPD-Chef Lars Klingbeil bezeichnete ihn als ideale Besetzung für das Amt des Bundesministers der Verteidigung. „Boris Pistorius ist in dieser herausfordernden Zeit der Richtige für den Job als Verteidigungsminister an der Spitze des Ministeriums“, so Klingbeil.
Auch SPD-Chefin Saskia Esken zeigte sich über die Benennung von Pistorius „mehr als zufrieden“. Sie dankte Vorgängerin Lambrecht „für ihre wertvolle Arbeit“. Lambrecht habe „in äußerst schwierigen Zeiten – mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Europa – das Ressort der Verteidigung übernommen. Sie hat in dieser Zeit viel geleistet. Ihre Entscheidung, das Amt zur Verfügung zu stellen, verdient unseren Respekt.“
Wer ist der neue Verteidigungsminister? Boris Pistorius wurde am 14. März 1960 in Osnabrück geboren. Nach dem Abitur am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Osnabrück im Jahr 1978 absolvierte Pistorius bis 1980 eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Anschließend – im Jahreszeitraum 1980 bis 1981 – leistete er in der Steuben-Kaserne in Achim (Kreis Verden) seinen Wehrdienst. Dort war damals das Flugabwehrregiment 11 mit dem Flugabwehrkanonenpanzer Gepard stationiert (die Garnison Achim wurde 2003 mit allen noch vorhandenen Truppenteilen aufgelöst).
Es folgten die Studienjahre. Von 1981 bis 1987 studierte Pistorius an der Universität Osnabrück und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Rechtswissenschaften, unterbrochen (1982 bis 1983) von einem Französisch-Studium an der Université catholique de l’Ouest/UCO im westfranzösischen Angers.
Sein 1. Staatsexamen legte der angehende Jurist 1987 in Hamm ab, es folgten ein Referendariat und das 2. Staatsexamen (1987 bis 1990) am Oberlandesgericht Oldenburg. 1990 konnte sich Pistorius in seiner Heimatstadt als Rechtsanwalt niederlassen. Ein Jahr später, 1991, trat er in die Niedersächsische Landesverwaltung als Regierungsassessor ein und wurde für eine kurze Zeit Dezernent für Lehrerpersonalien bei der Bezirksregierung Weser-Ems, Außenstelle Osnabrück.
1991 erhielt Pistorius – seit 1976 Mitglied der SPD – auch das Angebot, persönlicher Referent des damaligen Niedersächsischen Innenministers (und späteren Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen) Gerhard Glogowski zu werden. Der Aufgabenbereich war gekoppelt an die Position des Stellvertretenden Leiters des Ministerbüros. Die beiden Tätigkeiten übte Pistorius bis 1996 aus.
In den Jahren 1997 bis 2002 war der Jurist schließlich Leiter verschiedener Dezernate bei der Bezirksregierung Weser-Ems. Im Anschluss leitete Pistorius (bis 2006) die Abteilung „Schulen und Sport“ der Bezirksregierung Weser-Ems.
Der politische Werdegang des neuen Bundesministers der Verteidigung beinhaltet folgende Stationen:
– 1996 bis 2013: Ratsmitglied der Stadt Osnabrück (politische Schwerpunkte waren unter anderem Finanzen, Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung);
– 1999 bis 2002: Zweiter Bürgermeister der Stadt Osnabrück (Niederlegung des Amtes im Jahr 2002 „aus beruflichen Gründen“);
– 2006 bis 2013: Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück (als Nachfolger des SPD-Politikers Hans-Jürgen Fip);
– seit 14. November 2017: Mitglied des Niedersächsischen Landtages (18. und 19. Wahlperiode);
– 2013 bis 2017: Mitglied des Bundesrates (seit 2017 Stellvertretendes Bundesratsmitglied);
– seit 19. Februar 2013: Niedersächsischer Minister für Inneres und Sport.
In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) skizzierte am heutigen Dienstag Peer Hellerling unter der Überschrift „Pistorius und die Bundeswehr in Niedersachsen“ das sicherheits- und wehrpolitische Wirken des SPD-Politikers. So schreibt Hellerling: „Seit seinem Wehrdienst in Achim blieb Pistorius der Truppe verbunden: Er nahm beispielsweise an Appellen und Feierlichen Gelöbnissen teil, darunter im Mai 2018 in Hannovers Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne. Schnittmengen gab es auch bei gemeinsamen Übungen mit der Polizei. Im August 2019 etwa trainierten das Spezialeinsatzkommando (SEK) unter seinen Blicken [die Terrorabwehr]. Seit Jahren warnt Pistorius auch vor Kürzungen beim Katastrophenschutz – mit Kriegsausbruch [in der Ukraine] initiierte der Innenminister dann ein millionenschweres Sondervermögen für den Wiederausbau des Zivilschutzes.“
Zuletzt, so der HAZ-Redakteur, habe sich Pistorius dafür eingesetzt, dass eins der neuen Heimatschutzregimenter der Bundeswehr in Niedersachsen stationiert wird. Im September vergangenen Jahres habe der Minister dann den Erfolg verkünden können: Am niedersächsischen Standort Nienburg soll das insgesamt sechste Heimatschutzregiment bis zum Jahr 2025 seine Arbeit aufnehmen. Damals habe Pistorius auch erklärt: „Wir brauchen neue Ansätze in der Landes- und Bündnisverteidigung, genauso wie im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes. Dazu gehört auch, die Stärkung der territorialen Reserve der Bundeswehr durch Heimatschutzregimenter.“
Der Sozialdemokrat hatte lange Zeit einen russlandfreundlichen Kurs befürwortet und war dabei bis zu deren Auflösung im April 2022 Mitglied der deutsch-russischen Freundschaftsgruppe des Bundesrates gewesen. Noch im Jahr 2018 hatte Pistorius die Ansicht vertreten, eine europäische Friedensordnung ohne Russland sei undenkbar. Mit Erinnerung an die Ostpolitik des früheren SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt solle der Umgang mit Russland „freundschaftlich-kritisch“ sein, so Pistorius damals.
Im Mai 2022 hingegen, wenige Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, korrigierte der Innenminister Niedersachsens seinen Kurs grundlegend und kritisierte den Machthaber im Kreml scharf. Dies geschah beim Landesparteitag der Sozialdemokraten in Hildesheim. Dort, bei seinem Redebeitrag zum Thema „100-Milliarden-Euro Sondervermögen für die Bundeswehr“, nannte Pistorius seine frühere Haltung eine „trügerische Hoffnung“ und sprach sich für starke deutsche Streitkräfte aus. Deutschland solle der Ukraine helfen, den Krieg zu gewinnen.
Bliebe noch zu erwähnen, dass der designierte Verteidigungsminister bereits seit 2013 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der NATO und seit 2017 Mitglied des Europol-Kontrollgremiums JPSG (Joint Parliamentary Scrutiny Group) ist.
Die Reaktionen auf die Bekanntgabe des Lambrecht-Nachfolgers waren fast ausschließlich positiv. Aber es gab auch vereinzelt Ablehnung.
So sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Johann Wadephul, Stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion für die Bereiche Auswärtiges und Verteidigung, der Deutschen Presse-Agentur (dpa): „Erneut spielen Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle.“ Bei der Personalie handle es sich um eine „Besetzung aus der B-Mannschaft“. Wadephul warf Scholz vor, mit der Entscheidung „seine eigene Zeitenwende nicht ernst [zu] nehmen“. Um die Truppe voranzubringen, sei nicht nur Geld nötig, sondern auch Sachverstand.
Ähnlich ablehnend klang Rüdiger Lucassen, Obmann der AfD-Bundestagsfraktion im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Lucassen erklärte: „Was die Bundeswehr für ihren Wiederaufbau bräuchte, ist ein echter Fachmann außerhalb verkrusteter Parteistrukturen, der sich ganz auf seine Aufgabe konzentriert. Stattdessen bekommt sie einen weiteren Parteisoldaten ohne Fachkompetenz und Affinität zu unseren Streitkräften. Bundeskanzler Scholz setzt mit dieser Entscheidung erneut die Parteilogik über das Wohl unseres Landes.“
Neben den wenigen Kritikern gab es viel Zuspruch für die Personalie „Pistorius“. So begrüßte die Wehrbeauftragte Eva Högl, die selbst für das Amt bei etlichen Medien und in Teilen des Berliner Politbetriebes im Gespräch gewesen war, die Entscheidung des Bundeskanzlers ausdrücklich. Mit Boris Pistorius bekomme die Bundeswehr „einen engagierten, führungsstarken und leidenschaftlichen Politiker“, so Högl gegenüber der Rheinischen Post. Die Truppe liege dem neuen Verteidigungsminister „sehr am Herzen“, versicherte sie.
Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, urteilte über Pistorius: „Er hat Expertise im Thema ,Sicherheit‘ und ist in der Parlamentarischen Versammlung der NATO ein angenehmer Kollege.“ Zugleich warnte sie gegenüber dem Nachrichtenportal t-online: „Eine Schonfrist bekommt er angesichts der dramatischen internationalen Lage und dem Zustand der Bundeswehr leider nicht.“ Auf Twitter fügte die Freidemokratin hinzu: „Wir werden mit Boris Pistorius konstruktiv zusammenarbeiten und ihn unterstützen, sofern er ausschließlich die Interessen der […] Soldaten vertritt und Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium gegenüber durchsetzungsstark ist. Gegenüber Parlament erwarte ich offenere Kommunikation.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hob in einem Gespräch mit Medienvertretern hervor, dass Pistorius „ein sehr erfahrener Politiker“ sei, der „in schwierigen Situationen über die nötige Nervenstärke verfügt“. Er habe Pistorius immer als „verbindlich und verlässlich“ erlebt. Der künftige Verteidigungsminister übernehme das Amt in sehr entscheidenden Zeiten, sagte Habeck mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gratulierte seinem „neuen Kabinettskollegen Boris Pistorius“ auf Twitter. Er freue sich auf eine gute Zusammenarbeit der beiden Ministerien, so Lindner. „Vor allem mit der Umsetzung des Sondervermögens liegt eine große Aufgabe vor uns“, heißt es in dem Tweet.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr lobte die Personalentscheidung des Kanzlers ebenfalls. Pistorius habe eine langjährige Erfahrung mit der Struktur von Sicherheitsbehörden, erklärte Dürr im Gespräch mit t-online. „Ich bin davon überzeugt, dass er der richtige Mann für das Amt des Verteidigungsministers ist und die Zeitenwende mit Leben füllen kann“, glaubt Dürr.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, Pistorius trete eine herausfordernde Aufgabe an. Dabei müsse er umgehend liegengebliebene Projekte – etwa eine „Instandsetzungsoffensive“ für den Leopard-Kampfpanzer oder die Munitionsbestellung – anpacken.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sieht seinen scheidenden Innenminister für die neue Rolle gut vorbereitet. „Boris Pistorius hat auch schon bisher in Niedersachsen, einem der größten Bundeswehrstandorte in Deutschland, stets einen sehr guten und engen Draht zum Militär und zu den Bundeswehrangehörigen“, erinnerte der SPD-Landespolitiker.
Agnieszka Brugger, Stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des Verteidigungsausschusses, äußerte sich in einem schriftlichen Pressestatement. Boris Pistorius sei eine exzellente Wahl, sie freue sich auf die Zusammenarbeit „mit einem so erfahrenen Minister für eine kluge Sicherheitspolitik und die Anliegen der Bundeswehr“, schreibt Brugger. Und: „Ich wünsche ihm alles Gute für die schwierigen und verantwortungsvollen Aufgaben, die vor ihm liegen. Als langjähriger Minister auf Landesebene genießt Boris Pistorius großes Ansehen. In den Themen der inneren und äußeren Sicherheit gibt es viele Überschneidungen, als erfahrener Innenminister bringt er hier Fachkompetenz und Organisationserfahrung mit.“
Alexander Müller, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Obmann der FDP im Verteidigungsausschuss, nahm ebenfalls in einer knappen Pressemitteilung Stellung zu der Spitzenpersonalie. Dort heißt es: „Es ist gut, dass die Nachbesetzung der Spitze des Verteidigungsministeriums nun schnell erfolgt. Herrn Pistorius wünschen wir einen erfolgreichen Start und freuen uns auf eine konstruktive Zusammenarbeit bei der Umsetzung der Zeitenwende. In den kommenden Jahren werden wir die Bundeswehr konsequent zur Landes- und Bündnisverteidigung befähigen. Die dafür nötigen Reformen im Bereich der Beschaffung, der Finanzen und des Personals benötigen kluge Köpfe und starken Willen zur Umsetzung. Wir werden den Prozess konstruktiv begleiten und eigene Impulse einbringen. Die Zeitenwende wird jetzt angepackt.“
Weitere Reaktionen haben wir auf Twitter eingesammelt. So schrieb der CSU-Bundestagsabgeordnete und frühere Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung (2018 bis 2021) Thomas Silberhorn: „Im Interesse der Bundeswehr, unseres Landes und unserer Sicherheit in Europa wünsche ich Boris Pistorius viel Erfolg und eine glückliche Hand als Bundesminister der Verteidigung!“
Wolfgang Hellmich, Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss und sicherheits- und verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, twitterte: „Eine hervorragende Entscheidung!“
Reinhard Brandl (CSU), Mitglied für die Unionsfraktion im Verteidigungsausschuss und im Gremium „Sondervermögen Bundeswehr“, richtete per Twitter aus: „Alles Gute Boris Pistorius. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Es kann nach Lambrecht nur besser werden.“
Auch die „Bundeswehr-Community“ teilte ihre Einschätzung zum Amtswechsel im BMVg mit. André Wüstner beispielsweise, seit 2013 Vorsitzender des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, sagte dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) bei einer speziellen Umfrage zu Pistorius: „Alle, die ihn kennen, sagen, Pistorius weiß, was es heißt, klar zu sprechen und klare Ansagen zu machen. Er hört aber auch zu. Er ist hoch anerkannt und viele sagen: ‚Der wird das rocken‘.“ Die Aufgaben für „den Neuen“ sind laut Wüstner enorm. „Er muss auf sein Ministerium zugehen, er muss gleichermaßen die Angehörigen der Streitkräfte adressieren, er muss die Dinge klar ansprechen. Insbesondere die prekäre Lage in der Bundeswehr. Wir haben noch nie so eine prekäre Lage gehabt, zwischen Auftrag und Ressourcen.“
Patrick Sensburg, Präsident des Verbandes der Reservisten der Bundeswehr, sagte dem WDR: „Pistorius bringt Führungsstärke mit, das brauchen wir jetzt. Und wir freuen uns natürlich, dass jetzt jemand an der Spitze des Ressorts steht, der gedient hat. Ich glaube, dass er die Themen sehr intensiv wahrnehmen wird und dass er Bündnis und Landesverteidigung ins Zentrum rücken wird, ohne zu vergessen, dass wir weiter auch militärische Verpflichtungen haben.“ Pistorius ist aus Sicht von Sensburg ein Mann mit viel Erfahrung: „Vor allem im Bereich der inneren Sicherheit, des Militärs und der zivilen Zusammenarbeit. Das sind Themen, die ihn begleitet haben.“
Sozialdemokrat Reinhold Robbe, von 2005 bis 2010 Wehrbeauftragter des Bundestages, wurde ebenfalls vom WDR befragt. Er äußerte: „Boris Pistorius hat – im Gegensatz zu seinen Vorgängerinnen – einen Riesenvorteil: Er hat gedient. Er hat ein Gefühl für die Bundeswehr und für die Themen, was eine wichtige Voraussetzung für dieses Amt ist, behaupte ich.“ Robbe führte weiter aus: „Ich kenne Pistorius seit rund 30 Jahren, und er hat sich seitdem immer für die Themen der Sicherheit und der Außenpolitik interessiert.“ Außerdem, so ergänzte der frühere Wehrbeauftragte, habe der künftige Verteidigungsminister in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass er auch in Konflikt- und Krisensituationen rasch handeln könne.
Auch der Verband der Beamten und Beschäftigten der Bundeswehr (kurz VBB) meldete sich am heutigen Dienstag mit einer Presseerklärung zu Wort. Darin gratuliert der VBB „dem neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius zu seinem Amt“. Die Interessenvertretung aller Zivilbeschäftigten der deutschen Streitkräfte wünscht Pistorius bei seiner Aufgabenerfüllung schließlich „viel Erfolg und Fortüne“. Weiter heißt es im Pressetext: „Wir bieten unsere tatkräftige Unterstützung bei der Beseitigung des Reformstaus an. Der Sachverstand, der Erfahrungsschatz und die Loyalität unserer Zivilbeschäftigten ist ein solides Fundament für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.“
Über den Rücktritt von Ministerin Christine Lambrecht, den man „mit Bedauern und Respekt zur Kenntnis“ genommen habe, schreibt der VBB: „Ministerin Lambrecht hatte die Ressort-Verantwortung in einer Zeit, in der durch den russischen Überfall auf die Ukraine eine besondere sicherheitspolitische Herausforderung auf eine Bundeswehr traf, die einen erheblichen Reformstau in struktureller, personeller und materieller Hinsicht aufweist.“
Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, aber auch die Leistungsfähigkeit der Bundeswehrverwaltung seien unter anderem durch die Entscheidung Lambrechts, die Werft in Rostock zu erwerben und die Instandhaltungskapazitäten für die Marine substanziell zu verbessern, gestärkt worden.
Lassen Sie uns der Vollständigkeit halber und aus guter Chronistenpflicht auch noch einen Blick auf die Stimmen einiger Medien richten. So meint Thorsten Knuf in seinem heutigen Leitartikel in der Berliner Morgenpost: „Dem Kanzler ist ein Coup gelungen: Mit dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius hat er einen Sozialdemokraten für die Führung des Bundesverteidigungsministeriums ausgewählt, den in den vergangenen Tagen niemand auf dem Schirm hatte.“
Für Pistorius spreche, dass er seit zehn Jahren Innenminister eines großen Bundeslandes und damit oberster Dienstherr der dortigen Polizei sei. Er kenne sich mit Sicherheitsfragen aus und wisse, was es heißt, ein Ministerium zu führen. Der neue Verteidigungsminister gelte als zugänglich und bringe Sicherheitskräften großen Respekt entgegen, was ihm dabei helfen werde, einen guten Draht zu den Angehörigen der Bundeswehr aufzubauen.
Knuf fasst in der Berliner Morgenpost zusammen: „Auf Pistorius wartet eine Menge Arbeit. Schon in Friedenszeiten ist das Amt ausgesprochen schwierig. Die Bundeswehr ist in einem desolaten Zustand. Sie leidet unter einer aufgeblähten Verwaltung, ihr fehlt es an funktionsfähigen Waffen, an Munition und Ausrüstung. Der notwendige Komplettumbau der Streitkräfte muss nun unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine geschehen. Nebenbei sind noch Waffenlieferungen an das überfallene Land zu organisieren. Immerhin: Geld für die Bundeswehr gibt es erst einmal, mit dem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen steht für die kommenden Jahre ein zusätzliches Finanzpolster neben dem Wehretat zur Verfügung. Doch ewig wird das Geld nicht reichen. In der NATO gibt es bereits Bestrebungen, die Mitgliedstaaten auf höhere Verteidigungsaufgaben zu verpflichten. Deutschland wird sich sehr schnell dazu verhalten müssen.“
Die Mitteldeutsche Zeitung meint: „Deutschland wird mit dem neuen Verteidigungsminister gut leben können. Das heißt aber nicht, dass die Entscheidung vollends überzeugt. Da ist etwa der zeitliche Verlauf: Angeblich war eine Ablösung Lambrechts schon seit dem 3. Januar im Gespräch, seit Veröffentlichung ihres bizarren Silvestervideos. Dem folgte jedoch ein ähnlich bizarres Wochenende knapp 14 Tage später, an dem die Republik nicht wusste, ob die Verteidigungsministerin tatsächlich geht. […] Das ist schlechtes Management.“
Friedrich Roeingh kommentiert für die Allgemeine Zeitung Mainz: „Boris Pistorius ist genau die richtige Neubesetzung für den Posten des Verteidigungsministers. Der Niedersachse ist ein äußerst erfahrener Politiker, hinreichend verwaltungserprobt. Er ist auch in die Union hinein gut vernetzt, was für die fällige Neuaufstellung der Bundeswehr unverzichtbar ist.“ Es mag zwar nicht zwingend sein, dass der Neue selbst einmal beim Bund war, schreibt Roeingh weiter. Diese Tatsache sei allerdings für die Vertrauensbildung in die Truppe hinein mehr als förderlich. Pistorius müsse nun angesichts der enormen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen um sich herum einen Stab aufbauen, dessen Flexibilität und Teamspirit sich am besten an der ukrainischen Armeeführung messen ließe („wenn denn das Verteidigungsministerium nicht vor allem für seine internen Fehden zwischen den Waffengattungen und den Leitungsebenen bekannt wäre“, so Roeingh). Zugleich müsse Pistorius einen Kaltstart hinlegen. Denn, so die Allgemeine Zeitung Mainz: „Bei der Frage, wie die NATO die Ukraine mit Kampfpanzern gegen eine russische Frühjahrsoffensive versorgen kann, läuft er den Briten, den Balten und den Polen bereits hinterher. Und bei der Münchener Sicherheitskonferenz muss der Minister in nur einem Monat strategische Linien für Deutschlands künftige Rolle bei der europäischen Landesverteidigung zeichnen können.“
Die Frankfurter Rundschau spricht heute von einer „Mammutaufgabe“ für Boris Pistorius: „Alleine wird der künftige Verteidigungsminister die vielen verschiedenen Aufgaben nicht bewältigen können. Vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz sollte die Fehler nicht wiederholen, mit denen er die zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht geschwächt hat. [Er sollte] deren Nachfolger bei Entscheidungen zur Verteidigungspolitik mindestens einbinden – wie etwa bei Waffenlieferungen.“
Bildhaft kommentiert Tobias Peter in der Badischen Zeitung: „Pistorius hat sich als Innenminister einen Ruf als ,roter Sheriff‘ verdient: als einer, der bereit ist, hart durchzugreifen. Das ist eine gute Grundlage für einen, der nun ,ein roter General‘ sein soll. Der künftige Verteidigungsminister hat angekündigt, er werde sich vor seine Truppe stellen. Das sind Töne, die dort sehr begrüßt werden dürften. Vor Pistorius liegen extrem schwierige Aufgaben. An der dringend notwendigen Reform des Beschaffungswesens sind schon viele gescheitert. Neben seiner Erfahrung und seinem Auftreten spricht für ihn auch eines: Er hat erkennbar Lust auf die Herausforderung. Das klingt banal – doch diese Begeisterung war bei Christine Lambrecht in diesem Amt nie richtig zu spüren.“
Und zum Schluss das Straubinger Tagblatt. Die Zeitung rät dazu: „Der neue Chef im Bendlerblock muss auch die Neubeschaffung von Hubschraubern, Panzern und Schiffen neu aufsetzen, sonst versickern die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen in den Gängen des Materialbeschaffungsamtes der Bundeswehr wie Wasser im Sand. Auch diese Herausforderung ist herkulisch. Die Ertüchtigung der Bundeswehr ist eigentlich zu groß für einen Minister allein. Pistorius’ Vorteil ist, dass die Armee ganz unten ist. Es kann nur besser werden.“
Zu unserer Bildsequenz:
1. Der designierte Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius, Nachfolger von Christine Lambrecht.
(Foto: SPD)
2. Pistorius bei seiner kurzen Presseerklärung in Hannover unmittelbar nach Bekanntwerden seiner Berufung durch Bundeskanzler Olaf Scholz.
(Bildschirmfoto: Quelle ZDFheute)
3. Die Wehrbeauftragte Eva Högl twitterte aktuell dieses Bild und schrieb dazu: „Am 12. Oktober 2022 beim Jahresempfang der Wehrbeauftragten in der Niedersächsischen Landesvertretung. Boris Pistorius sprach als ,Hausherr‘ ein exzellentes Grußwort. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.“
(Bild: Amt der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages)
Kleines Beitragsbild: Innenminister Pistorius im September 2018 im niedersächsischen Seedorf. Hier verlieh er an diesem Tag das Fahnenband des Bundeslandes an das hier stationierte Fallschirmjägerregiment 31 der Luftlandebrigade 1. Er bezeichnete die Regimentsangehörigen dabei als „äußerst verlässlicher Partner“ des Landes.
(Foto: Bundeswehr)