Berlin/Frankenberg/Bad Frankenhausen/Cham/Pfreimd. Die Schonfrist für den „Neuen“ ist vorbei: Rund sechs Wochen nach seinem Amtsantritt wurde Verteidigungsminister Boris Pistorius nach den Querelen um den Schützenpanzer Puma erneut mit der harten Realität seines Amtes konfrontiert. Offenbar kann die Bundeswehr ihre Zusagen an die NATO und deren schnellen Eingreiftruppe (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF) nicht einhalten, auch wenn sich Pistorius persönlich dafür immer wieder verbürgt hatte. Seit seinem ersten Tag im Amt hatte der SPD-Politiker betont, Deutschland sei innerhalb der NATO ein verlässlicher Partner. Nun berichtete am Montag dieser Woche (6. März) das Politmagazin ZDFfrontal, dass die Truppe „ihre Zusagen an die NATO für die Eingreiftruppe VJTF kaum erfüllen“ könne. Interne Bundeswehr-Dokumente belegten „anhaltende massive Ausfälle bei brandneuen Leopard-2-Kampfpanzern“.
Die schnelle Eingreiftruppe der Allianz wird im Verteidigungsfall als erster Großverband alarmiert und in Marsch gesetzt. Die VJTF soll den Aggressor aufhalten, bis das Gros der NATO-Truppen mobilisiert werden kann. Im Beitrag von ZDFfrontal heißt es dazu: „Es ist eine der schwierigsten und verantwortungsvollsten Aufgaben im Bündnis – Jahr für Jahr übernimmt darum ein anderes Land die Führung.“
2023 stellt Deutschland mit rund 8000 Kräften den Kern dieser NATO-Speerspitze. Innerhalb von zwei bis sieben Tagen müssen die einzelnen VJTF-Elemente bereit sein für eine Verlegung an die Front. Seit vielen Monaten bereiten sie sich auf diese Aufgabe vor. Die Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“ (Standort ist das sächsische Frankenberg) bildet seit dem 1. Januar den VJTF-Leitverband.
Ein zentraler deutscher Verband innerhalb der multinationalen Eingreiftruppe VJTF ist das zur Panzergrenadierbrigade 37 gehörende Panzerbataillon 393, das im thüringischen Bad Frankenhausen beheimatet ist. Das Bataillon wurde ausgewählt, weil es als einziges vollständig mit hochmodernen Kampfpanzern des Typs Leopard 2 A7V ausgestattet ist. „Auf diese Panzer baut die NATO“, so ZDFfrontal. Das Magazin berichtet weiter: „Offiziell ist der Verband top vorbereitet. Als Deutschland im Januar seine Führungsrolle übernahm, titelte das Bundesministerium der Verteidigung auf seiner Webseite: ,Deutsches Heer bereit für die Very High Readiness Joint Task Force 2023‘. Doch interne Bundeswehr-Dokumente belegen handfeste Probleme bei der Einsatzbereitschaft der VJTF-Panzertruppe.“
30 seiner 44 Leopard-2-Panzer muss das Panzerbataillon 393 jederzeit für den Ernstfall bereithalten – das ist die NATO-Zusage, von der eingangs gesprochen wurde. ZDFfrontal beruft sich nach eigenen Angaben „auf eine als Verschlusssache eingestufte ,Verfügbarkeitsprognose‘ der Panzergrenadierbrigade 37 von Anfang Februar 2023“. Dem Dokument zufolge sollen bei dem unterstellten Panzerbataillon 393 im Januar „statt 30 lediglich 17 Panzer einsatzbereit“ gewesen sein. Im Februar – so zitiert ZDFfrontal aus der „Verfügbarkeitsprognose“ – sollen es gerade einmal 20 Kampfpanzer Leopard 2 A7V gewesen sein.
Für das kommende Jahr wird in dem Bundeswehr-Papier auch eine Vorhersage erstellt, die nicht besonders optimistisch ausfällt. So rechnen die Planer nicht damit, dass das Bataillon aus Bad Frankenhausen bis Ende 2023 wieder aus eigener Kraft die der NATO versprochenen 30 Leopard-2-Panzer wird stellen können.
Der SPIEGEL hat dazu ebenfalls recherchiert und „aus Bundeswehrkreisen“ erfahren, dass die modernen 2 A7V „dieses Jahr fast komplett zur routinemäßigen Wartung, die alle zwei Jahre vorgeschrieben ist, müssen“. Hinzu komme, so der SPIEGEL weiter, dass es „bei der Inspektion durch den Hersteller teils erhebliche Verzögerungen“ gebe. Grund sei unter anderem ein „Mangel an dringend benötigten Ersatzteilen“. Folglich müsse man für die VJTF-Verpflichtungen nun Leopard-Panzer aus anderen Bereichen abziehen.
Zurück zum ZDFfrontal-Beitrag. Auch für den Rest des Jahres 2023 bleibe die Lage im Panzerbataillon 393 laut „Verfügbarkeitsprognose“ der Bundeswehr prekär. In keinem Monat würden dort mehr als 23 Leopard 2 A7V einsatzbereit zur Verfügung stehen, im Juli sogar lediglich 14 Panzer.
Das ZDF berichtet weiter: „Die Leopard-Lücken beim Bataillon 393 soll nun unter der Hand ein anderer Verband behelfsmäßig schließen. „Die VJTF-Verpflichtung kann nur unter Rückgriff auf das Panzerbataillon 104 erfolgen“, wird aus der „Verfügbarkeitsprognose“ zitiert. ZDFfrontal interpretiert dieses Vorhaben mit den Worten: „Im Kriegsfall müsste also das [im oberpfälzischen Pfreimd] ansässige Bataillon 104, das der Panzerbrigade 12 in Cham (Oberpfalz/Bayern) untersteht, innerhalb kürzester Zeit seine Panzer abgeben. Die Soldaten dort stünden ohne Gerät da. Doch eine verlässliche Lösung ist das nicht: Denn offiziell darf von den Panzer-Problemen im Panzerbataillon 393 nichts nach außen dringen. Auf eine Rolle in der NATO-Speerspitze sind die Leopard-Fahrzeuge des Panzerbataillons 104 bislang kaum vorbereitet.“
Sei die Einsatzbereitschaft in Bayern ähnlich schlecht wie beim VJTF-Verband in Thüringen, könnte die Bundeswehr selbst nach dem Plündern mit zu wenig Material dastehen, warnt der ZDF-Beitrag. Denn das Panzerbataillon 104 aus Pfreimd verfüge bislang erst selbst über wenige Leopard 2 A7V (Ende Februar sollen es alles in allem erst 13 Leopard-Kampfpanzer gewesen sein, ab Ende April wird die Gesamtzahl der Leopard 2 A7V beim Panzerbataillon 104 voraussichtlich wohl 25 Fahrzeuge betragen).
Zu unserem Bildmaterial:
1. Die Aufnahme vom 7. September 2021 zeigt Soldaten des Panzerbataillons 393, die für ihren Verband im Depot in Karlsruhe neue Leopard-Kampfpanzer in der Variante A7V und die zugehörige Ausstattung übernehmen.
(Foto: Marco Dorow/Bundeswehr)
2. Das Hintergrundbild unserer Infografik „Leopard-Bestand beim Panzerbataillon 393“ entstand am 6. Oktober 2021 auf dem Standortübungsplatz Bad Frankenhausen bei der Erprobung des neuen Leopard 2 A7V.
(Foto: Marco Dorow/Bundeswehr; Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 03.23)
Kleines Beitragsbild: Soldaten des Panzerbataillons 393 erproben am 6. Oktober 2021 ihren neuen Leopard 2 A7V im Gelände des Standortübungsplatzes in Bad Frankenhausen.
(Foto: Marco Dorow/Bundeswehr)