Berlin. Der Bundestag hat am gestrigen Freitag (23. Juni) dem Antrag der Bundesregierung auf „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Sicherheitsoperation in Bosnien und Herzegowina“ (EUFOR Althea) zugestimmt. In namentlicher Abstimmung votierten 487 Abgeordnete für eine Verlängerung bis zum 30. Juni 2024, 80 Abgeordnete stimmten dagegen, zwei enthielten sich (167 Stimmen wurden als „nicht abgegeben“ registriert). Der Auswärtige Ausschuss hatte zur Abstimmung eine Beschlussempfehlung vorgelegt, der Haushaltsausschuss hatte seinen Bericht zur Finanzierbarkeit der neuen Mission abgegeben.
Die Bundeswehr soll nun nach der Regierungsentscheidung und der Abstimmung im Parlament ihre Beteiligung an EUFOR Althea um ein Jahr fortsetzen und dafür, wie bisher, bis zu 50 Soldaten entsenden (siehe dazu auch unseren letzten Beitrag über die Bundeswehr-Mission in Bosnien und Herzegowina vom 9. Juli 2022).
In ihrem Antrag schreibt die Bundesregierung zur Rolle des militärischen Beitrags von EUFOR Althea: „Zentrale Aufgabe ist die Unterstützung der weiterhin andauernden und bisher erfolgreichen Umsetzung des Dayton-Friedensabkommens, welches den Bosnienkrieg 1995 beendete. EUFOR Althea ist die einzige Operation im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union auf Grundlage der ,Berlin-Plus‘-Vereinbarung von 2003 zwischen EU und NATO. Als Nachfolgeoperation von IFOR und SFOR ist EUFOR Althea damit in der Lage, auf Fähigkeiten der NATO zur Unterstützung der militärischen Operation zurückzugreifen, die unter anderem im NATO-Hauptquartier Sarajevo vorgehalten werden. Der Kernauftrag des NATO-Hauptquartiers Sarajevo ist die Beratung Bosnien-Herzegowinas in Fragen der Reform des Verteidigungs- und Sicherheitssektors zur Unterstützung der euroatlantischen Integration des Landes.“
Die Bundeswehr hat dem Regierungsantrag zufolge im Rahmen von EUFOR Althea vor allem den Auftrag, „die Ausbildung bosnischer Streitkräfte zu unterstützen und zu koordinieren, einen Beitrag zur Einhaltung des Dayton-Friedensabkommens zu leisten, die Schaffung eines sicheren Umfelds zu unterstützen sowie Führungs-, Verbindungs- und Beratungs-, Beobachtungs- und Unterstützungsaufgaben wahrzunehmen“. Weiter heißt es: „Der deutsche Beitrag zu EUFOR Althea ist zum einen auf den Betrieb von zwei Häusern der Verbindungs- und Beobachtungsteams und zum anderen auf Personal zur Unterstützung des Stabes im Hauptquartier [der Mission] ausgerichtet. Die Teams gewinnen Informationen aus dem direkten Bevölkerungsumfeld und tragen durch Beobachtung, Patrouillen, den Kontakt zu lokalen Akteuren und Institutionen sowie eigener Berichterstattung zur Verdichtung des Gesamtlagebildes bei.“
Die Bundesregierung erinnert in ihrem Antrag auch daran, dass sich nach wie vor als Folge des Krieges von 1992 bis 1995 große Mengen Waffen, Munition und Minen in Bosnien und Herzegowina befänden. Die Expertise von EUFOR Althea in Bereichen der Nonproliferation, Demilitarisierung und Entminung sei handlungsleitend für die Umsetzung des „Ammunition Weapons and Explosives Masterplan“ (eingeführt 2014) des Landes.
EUFOR Althea arbeite in diesem Bereich mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) zusammen, erklärt die Regierung. Im Einklang mit der bosnisch-herzegowinischen „Mine Action Strategy“ leiste EUFOR Althea zudem Aufklärungsarbeit über die Gefahren durch Minen.
Über die aktuellen politischen Rahmenbedingungen in Bosnien-Herzegowina führt die Bundesregierung in ihrem Antrag aus: „Das ethnisch und politisch gespaltene Land birgt grundsätzlich Konfliktpotential. Seit Abschluss des Dayton-Friedensabkommens haben keine Kampfhandlungen in Bosnien und Herzegowina stattgefunden. Dennoch ist es bislang nicht gelungen, starke gesamtstaatliche Institutionen zu etablieren.“
Bosnien-Herzegowina befinde sich vor diesem Hintergrund weiterhin in einem frühen Stadium der Umsetzung von politischen und sozioökonomischen Reformen, so die Analyse aus Berlin. Die Bundesregierung warnt in ihrer Lagebeschreibung: „Sezessionistische Politik und Rhetorik sowie Hassrede verstärken die Polarisierung der Gesellschaft und schwächen die gesamtstaatlichen politischen Institutionen. Verbreitete Desinformation beruht häufig auf national-ethnischen Narrativen und verstärkt fortbestehende ethnische Spaltungen. Diese Spaltungen werden immer wieder bewusst instrumentalisiert.“
Beispielhaft verweist die Regierung auf die Entität Republika Srpska (Anm.: Mit dem Dayton-Friedensabkommen von 1995 wurde die Republika Srpska als eine von zwei Entitäten des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina anerkannt). Deren Präsident, Milorad Dodik, hatte am 9. Januar dieses Jahres eine verfassungswidrige nationalistische Parade zum „Tag der Republika Srpska“ abhalten lassen und dabei tiefe Freundschaftsbekundungen gegenüber Russland und dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin geäußert. Dodik treibe darüber hinaus Gesetzesvorhaben voran, die im Widerspruch zur Verfassung stünden und die Institutionen des Gesamtstaats und den EU-Annäherungsprozess unterminierten.
Über die friedlich verlaufenen Wahlen in Bosnien-Herzegowina am 2. Oktober 2022 und die danach erfolgte vergleichsweise rasche Konstituierung der Parlamente schreibt die Bundesregierung in ihrem Antragstext außerdem: „In den Entitäten und auf Gesamtstaatsebene ist die Regierungsbildung abgeschlossen. Daran knüpfen sich Hoffnungen auf eine weitere Stabilisierung. Alle Parteien haben die Gewährung des EU-Kandidatenstatus an Bosnien und Herzegowina durch den Europäischen Rat am 15. Dezember 2022 grundsätzlich begrüßt. Für den EU-Beitrittsprozess des Landes bleibt die Umsetzung dringend notwendiger Reformen, die bisher weiterhin ausbleibt, maßgeblich. Es bestehen weiterhin Blockaden im politischen Reformprozess, das Destabilisierungspotenzial ist unverändert hoch.“
Die Operation EUFOR Althea bleibe daher „als Garant für Stabilität in dem Land essenziell“, schlussfolgert die Bundesregierung. Die Erneuerung des Althea-Mandates durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 2. November 2022 habe in Bosnien-Herzegowina breite politische Unterstützung gefunden.
Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Mission EUFOR Althea veranschlagt die Bundesregierung für den Zeitraum 1. Juli 2023 bis 30. Juni 2024 mit „voraussichtlich insgesamt rund 9,1 Millionen Euro“.
Bestritten wird dieses Finanzvolumen aus dem Einzelplan 14 (Kapitel 1401 Titelgruppe 08). Hiervon entfallen laut Regierung jeweils rund 4,55 Millionen Euro auf die Haushaltsjahre 2023 und 2024. Für die einsatzbedingten Zusatzausgaben ist im Bundeshaushalt 2023 und wird im Rahmen der Aufstellung des Bundeshaushalts 2024 jeweils im Einzelplan 14 Vorsorge getroffen.
Bosnien-Herzegowina ist laut einer Pressemeldung des in München ansässigen Vereins Handicap International das am stärksten mit Landminen verseuchte Land Europas. Die Landminen stammen noch aus den Balkankriegen der 1990er-Jahre. Handicap International schreibt auf seiner Website http://www.landmine.de: „Die Minenräumung in Bosnien und Herzegowina kommt nur schleppend voran, immer wieder ereignen sich tödliche Unfälle. Besonders wichtig ist deshalb die Risikoaufklärung der Bevölkerung.“
Bosnien-Herzegowina unterzeichnete den Minenverbotsvertrag am 3. Dezember 1997 und wurde mit Inkrafttreten der Konvention am 1. März 1999 Vertragsstaat. Obwohl das genaue Ausmaß der Kontamination im Land nicht bekannt ist, wird von 965,36 km² verminter Fläche ausgegangen, die vor allem aus dem Konflikt nach dem Verfall Jugoslawiens (1992 bis 1995) stammt. 95 km² der Fläche sind nach Informationen von Handicap International bestätigt kontaminiert. Auf 861.36 km² besteht lediglich der Verdacht einer Kontamination.
Entsprechend den Verpflichtungen gemäß der Ottawa-Konvention betreibt Bosnien-Herzegowina Risikoaufklärung. Die Aufklärung konzentriert sich auf ländliche Gegenden, in denen ein Großteil der von Minen betroffenen Bevölkerung lebt. Zudem richtet sich Risikoaufklärung besonders an Kinder, Landwirtschaftspersonal und Migranten.
Handicap International schreibt in seinem Pressetext weiter: „Grundsätzlich erhalten Überlebende von Minenunfällen in Bosnien und Herzegowina durch die Krankenversicherung Zugang zu medizinischer Versorgung und Rehabilitationsmaßnahmen. Im Jahr 2020 waren ein Großteil dieser Angebote aufgrund der COVID-19-Pandemie jedoch nicht zugänglich. Zwischen 1992 und 2019 gab es in Bosnien-Herzegowina 8120 Minenopfer.“ Die Zahl dürfte sich in den vergangenen dreieinhalb Jahren erhöht haben …
Zu unserem Symbolbild: Missionsemblem auf der Uniform eines Angehörigen des Einsatzkontingents EUFOR Althea.
(Bild: nr)