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Karlsruhe/Berlin. Der Mittwoch vergangener Woche (15. November) hatte es – bundespolitische gesehen – in sich! An diesem Tag hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Aufstockung des Klima- und Transformationsfonds (KTF) durch 60 Milliarden Euro ungenutzte Kredite zur Bekämpfung der Corona-Pandemie für unzulässig erklärt. In der Folge verhängte Bundesfinanzminister Christian Lindner eine weitgehende Ausgabensperre für den Haushalt 2023 und weitere Sondervermögen. Ist auch das Sondervermögen „Bundeswehr“ von dieser Sperre betroffen? So zumindest hatte es Medien wie etwa die Augsburger Allgemeine Zeitung behauptet. Das Bundesministerium der Verteidigung veröffentlichte am heutigen Donnerstag (23. November) dazu Klarstellungen …

Wegen der Notfallsituation während der Corona-Pandemie hatte der Bund den Haushalt 2021 nachträglich in Form einer Kreditermächtigung um 60 Milliarden Euro aufgestockt. In solch außergewöhnlichen Situationen ist es trotz Schuldenbremse möglich, Kredite aufzunehmen. Am Ende wurde das Geld aber nicht für die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen gebraucht. Die Bundesregierung wollte das Geld vielmehr für den Klima- und Transformationsfonds nutzen und schichtete es mit mehrheitlicher Zustimmung des Bundestages 2022 rückwirkend um.

197 Abgeordnete der Unionsfraktion im Bundestag klagten gegen die Vorgehensweise in Karlsruhe, weil aus ihrer Sicht auf diese Weise die Schuldenbremse umgangen werden sollte.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte daraufhin, dass der Bund zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder nicht für den Klimaschutz nutzen dürfe. Die Änderung des Nachtragshaushalts 2021 sei verfassungswidrig, so das höchste Gericht Deutschlands am 15. November. Es gehe um die Wirksamkeit der Schuldenbremse, erklärte die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König, bei der Urteilsverkündung.

Sämtliche Nebenhaushalte des Bundes stehen jetzt auf dem Prüfstand

Nach dem Karlsruher Urteil zum zweiten Nachtragshaushalt 2021 und den damit verbundenen Implikationen für die Schuldenbremse im Allgemeinen stehen jetzt sämtliche Nebenhaushalte des Bundes auf dem Prüfstand. Das Bundesministerium der Finanzen hat deshalb – wie eingangs bereits berichtet – im Etat des laufenden Jahres vorsorglich Finanzzusagen für die Zukunft gesperrt. Denn augenblicklich ist fraglich, welche Gelder in den kommenden Jahren überhaupt noch fließen können.

Mit der Sperre dürfen die für 2023 geplanten Mittel zwar weiter ausgegeben werden. Doch die Ministerien dürfen keine Versprechen für 2024, 2025 und 2026 mehr machen. Die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen wurden für den Fall vorsorglich gesperrt, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch auf ältere Rücklagen in anderen Sondervermögen anzuwenden ist.

Dazu schrieb die Legal Tribune Online (LTO), das Online-Fachmagazin für die Juristen-Branche, am Dienstag dieser Woche (21. November): „Ob sich das Urteil nun wirklich auf alle Rücklagen bezieht und wie gegebenenfalls damit umzugehen ist, sollen jetzt Staatsrechtler und Ökonomen klären. […] Sollten sie zu dem Schluss kommen, dass auch ältere Rücklagen betroffen sind, hätte die Bundesregierung ein noch viel größeres Problem als bisher angenommen. Denn es fehlten dann nicht nur 60 Milliarden Euro für Klimaprojekte und die Modernisierung der Wirtschaft. Man hätte dann auch Milliarden an Euro bereits ausgegeben, die man gar nicht hätte haben dürfen, etwa für die Energiepreisbremsen.“

Zu beachten sei auch, dass in den Stellungnahmen der Sachverständigen für die kommende Anhörung im Haushaltsausschuss bereits große Bedenken anklingen, heißt es im LTO-Beitrag weiter. So halte beispielsweise der Bundesrechnungshof die Bundeshaushalte für 2023 und 2024 „in verfassungsrechtlicher Hinsicht für äußerst problematisch“.

Klarstellungen des Verteidigungsministeriums zu Presseberichten

Zur Frage, ob das Sondervermögen „Bundeswehr“ von der dramatischen Entwicklung betroffen ist, gab bereits die LTO Entwarnung. Das Online-Magazin: „[Das Geld für die Bundeswehr] ist nach bisheriger Auffassung in der Ampel-Koalition nicht unmittelbar betroffen. Grund dafür ist, dass der Bundestag den mit Krediten in Höhe von 100 Milliarden Euro gefüllten Topf separat im Grundgesetz verankert hat. Mit Zustimmung der Union wurde in der Verfassung nicht nur festgeschrieben, wofür das Geld genutzt werden darf, sondern auch, dass die Schuldenbremse hier nicht greift. Darauf hatte besonders die FDP bestanden, um die Mittel extra gut abzusichern, was sich nun bezahlt macht.“

In einer am heutigen Donnerstag um 9:12 Uhr versandten Pressemitteilung äußert sich das Verteidigungsministerium zum Sondervermögen „Bundeswehr“ und der Haushaltssperre. Der Text:

In der Augsburger Allgemeinen wird unter der Überschrift „Finanzministerium verhängt Haushaltssperre bei Sondervermögen ,Bundeswehr‘“ berichtet, dass das [Bundesministerium der Finanzen, BMF] als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Zahlungen des Verteidigungsministeriums aus dem Sondervermögen stoppt. Diese Aussage ist unzutreffend. Die vom Bundesministerium der Finanzen verhängte Haushaltssperre bezieht sich auf die im Bundeshaushalt 2023 noch verfügbaren Verpflichtungsermächtigungen.

Zum Verständnis: Das Sondervermögen „Bundeswehr“ ist prinzipiell von der Haushaltssperre ausgenommen. Es sind aus dem Sondervermögen heraus allerdings auch neue Vorhaben vorgesehen, deren Finanzierung nicht ausschließlich über das Sondervermögen abgedeckt sein wird. Die restliche Finanzierung ab 2028 soll dann durch den Einzelplan 14 abgedeckt werden. Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) hat die Inanspruchnahme der Verpflichtungsermächtigungen wegen solcher Projekte bis auf weiteres aus eigener Initiative eingeschränkt. Hier wirkt also zunächst die Haushaltssperre. Das bietet dem BMVg die Möglichkeit, Anträge beim BMF zu stellen, um die Finanzierung auch dieser Projekte aus dem Sondervermögen abzusichern. Dies ist eine Vorsichtsmaßnahme, bis die Prüfung der einzelnen Verpflichtungsermächtigungen abgeschlossen ist. Hierzu stehen wir im engen Austausch mit dem BMF.

Um 12:07 Uhr schließlich erklärt das Verteidigungsministerium in einer zweiten Pressemitteilung mit dem Titel „Aufhebung der internen Haushaltssperre des Sondervermögens“:

In gemeinsamer abschließender Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen/BMF konnten wir klarstellen, dass das Sondervermögen „Bundeswehr“ von den Vorgaben der Haushaltssperre ausgenommen ist und die Verpflichtungsermächtigungen aus dem Wirtschaftsplan 2023 des Sondervermögens keiner Sperre unterliegen.

Die vorsorglich erfolgte Ausweitung der Haushaltssperre auf Verpflichtungsermächtigungen aus dem Sondervermögen „Bundeswehr“ wurde durch ergänzenden Erlass aufgehoben. Es ist damit gewährleistet, dass auch die Finanzierung solcher Projekte sichergestellt ist, deren Finanzierung nicht ausschließlich über das Sondervermögen Bundeswehr abgedeckt sein wird.

66 Prozent des Sondervermögens „Bundeswehr“ bereits vertraglich gebunden

Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 war der Deutsche Bundestag drei Tage später, am 27. Februar, in Berlin zu einer Sondersitzung zusammengetreten. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte an diesem Sonntag in einer Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine von einer „Zeitenwende“ gesprochen und in diesem Zusammenhang ein Sondervermögen „Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro angekündigt. Auch hatte er zugesichert, dass Deutschland „ab sofort“ zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung investieren werde.

Wie ist es mittlerweile um das Sondervermögen für die deutschen Streitkräfte bestellt? Bei einem Besuch an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg am 27. Oktober äußerte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius in seiner Rede vor rund 300 Akademieangehörigen nicht nur über die aktuellen Krisenlagen, die Bedeutung der Bündnisse und seine Erwartungen an die zukünftigen Spitzenführungskräfte. Er befasste sich auch mit dem Finanzvolumen für die Truppe und erklärte, dass Ende dieses Jahres „etwa 66 Prozent der 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen vertraglich gebunden“ sein werden. Pistorius wie dabei auch deutlich auf die Problematik nach Auslaufen des Topfes hin. „Die Herausforderung beginnt in den Jahren 2027/2028 – da wird das Sondervermögen verbraucht sein“, warnte der Minister bei seinem Besuch an der höchsten militärischen Ausbildungseinrichtung Deutschlands.

Ähnlich argumentierte vor Kurzem auch Vizekanzler Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Der Politiker von Bündnis 90/Die Grünen forderte in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung „eine rechtzeitige Debatte über die Finanzierung der Bundeswehr nach Auslaufen des 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens. Habeck: „Wenn wir die Zeitenwende ernst nehmen, muss Deutschland für seine Sicherheit mehr tun. Dafür werden wir für die Bundeswehr viel Geld brauchen.“ Da das Sondervermögen für die Bundeswehr absehbar aufgebraucht sein werde, rät Habeck zur Aufnahme von Krediten „über den bisher zulässigen Rahmen hinaus“. Die Frankfurter Allgemeine zitiert den Wirtschaftsminister weiter: „Die Schuldenbremse hat gute Gründe und sie gilt für die Arbeit dieser Koalition. Aber wir sollten über den Tag hinausdenken und überlegen, ob die politischen Regeln, die wir uns gegeben haben, unverändert zu den veränderten Zeiten passen.“


Hintergrund                           

Mit seinem am 15. November 2023 verkündetem Urteil (2 BvF 1/22) hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 2 und Art. 115 Abs. 2 Grundgesetz (GG) unvereinbar und nichtig ist. In einer Pressemitteilung des Gerichts werden der Fall und die zur Urteilsfindung relevanten Gründe ausführlich dargelegt. Wir dokumentieren den Pressetext aus Karlsruhe auszugsweise:

Die antragstellenden Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion wenden sich gegen die rückwirkende Änderung des Haushaltsgesetzes und des Bundeshaushaltsplans 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021. Mit diesem sollte eine im Bundeshaushalt 2021 als Reaktion auf die Corona-Pandemie vorgesehene, jedoch im Haushaltsjahr 2021 nicht unmittelbar benötigte Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro durch eine Zuführung an den „Energie- und Klimafonds“ (EKF), ein unselbständiges Sondervermögen des Bundes, für künftige Haushaltsjahre nutzbar gemacht werden. Die Zuführung erfolgte im Februar 2022 – also rückwirkend – für das abgeschlossene Haushaltsjahr 2021. Der EKF wurde zwischenzeitlich in „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) umbenannt.

Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an notlagenbedingte Kreditaufnahmen. Der Senat stützt seine Entscheidung auf drei, jeweils für sich tragfähige Gründe:
Erstens hat der Gesetzgeber den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt.
Zweitens widerspricht die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die „Schuldenbremse“ bei gleichzeitiger Anrechnung als „Schulden“ im Haushaltsjahr 2021 ist demzufolge unzulässig.
Drittens verstößt die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.

Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Umfang des KTF um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.


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Zu unserer Bildmontage „Sondervermögen ,Bundeswehr‘ vor dem Aus?“: Einige Medien berichteten nach dem Karlsruher Urteil, dass auch der Finanztopf für die deutschen Streitkräfte von der vom Bundesfinanzministerium verhängten Haushaltssperre betroffen sein könnte (das Verteidigungsministerium dementierte dies inzwischen entschieden). Das weichgezeichnete Hintergrundbild zeigt eine angetretene Formation beim Feierlichen Gelöbnis am 20. Juli 2023 im Berliner Bendlerblock. Das Verkehrszeichen wurde einmontiert.
(Foto: Jörg Carstensen/Bundeswehr; Grafik und Bildmontage: mediakompakt)

Kleines Beitragsbild: Schriftzug im Eingangsbereich des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.
(Bild: nr)


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