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Berlin. Der 2. Januar 2001 war – aus Sicht der Bundeswehr – ein historisches Datum: An diesem Dienstag rückten zum ersten Mal in der Geschichte unserer Streitkräfte Frauen zum Dienst in Kampfeinheiten von Heer, Luftwaffe und Marine ein. 244 weibliche Rekruten traten den Dienst mit der Waffe an. Mit seiner sogenannten „Kreil-Entscheidung“ (siehe HINTERGRUND) hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg am 11. Januar 2000 Frauen den Weg in den kompletten Militärdienst der Bundeswehr geebnet. Bis dahin konnten sich Frauen auf freiwilliger Basis im Sanitätsdienst oder im Militärmusikdienst verpflichten, doch durften sie sich nicht der „kämpfenden Truppe“ anschließen. Heute – Stand 30. April 2023 – sichern 263.108 Menschen (182.140 Uniformträger und 80.968 Zivilbedienstete) die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, darunter 24.124 weibliche Soldaten. Tendenz steigend? …

Mit dem Frauenanteil unter den Uniformierten der Bundeswehr befasste sich vor Kurzem die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen). Die Politikerin (Wahlkreis Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost), die unter anderem Mitglied im 1. Afghanistan-Untersuchungsausschuss und Stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss ist, wandte sich dazu mit einer Schriftlichen Frage an das Verteidigungsministerium.

Bayram wollte wissen: „Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um dem im Jahresbericht 2022 der Wehrbeauftragten Eva Högl veröffentlichten Umstand beizukommen, dass entgegen der nach dem ,Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr‘ zu erfüllenden Quote von 15 Prozent nur 9,5 Prozent der [Uniformträger] derzeit Frauen sind.“ Die Abgeordnete fragte außerdem: „Worin sieht die Bundesregierung die Ursache [für diese Entwicklung]?“

Ganze Bandbreite an Ausbildungswegen und Laufbahnen in der Truppe

Die Antwort der Bundesregierung beziehungsweise des Ministeriums übermittelte am 20. April die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung Siemtje Möller. Sie versicherte: „Der Gesamtprozess des Personalmanagements wird regelhaft analysiert, um mögliche systemische Hemmnisse an einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Dienst und Karriere zu identifizieren und durch entsprechende Maßnahmen auszuschließen. Dieser vielschichtige Ansatz wird durch die Weiterentwicklung militärischer Gleichstellungspläne, jährliche Zielvereinbarungen sowie Mentoring- oder Coaching- Programme ergänzt.“

Die nachwuchs- und personalwerblichen Maßnahmen der Bundeswehr würden in einer Vielzahl von Jobprofilen und Formaten – wie beispielsweise Webserien – Frauen in der Bundeswehr abbilden, erklärte Möller weiter. Bei der Ansprache der Zielgruppe sei es wesentlich, Frauen, die bereits erfolgreich in den Streitkräften dienten, auch „sichtbar“ zu machen. Die personalwerblichen Maßnahmen würden diesem Grundsatz folgen. „Allen Frauen, die die Voraussetzungen für die militärische Laufbahn oder eine zivile Karriere erfüllen, steht die ganze Bandbreite an Ausbildungswegen und Laufbahnen in der Bundeswehr offen“, so die Staatssekretärin.

Frauenanteile bei den Bewerbungseingängen sind stabil geblieben

In ihrer Antwort auf die Schriftliche Frage Bayrams nannte die Vertreterin des Ministeriums auch Zahlen. Möller: „Bezogen auf die Anzahl an Bewerbungen ist in der Jahresbilanz 2022 in der Bundeswehr ein Anteil von insgesamt rund 18 Prozent an Bewerbungen von Frauen festzustellen, wobei die Offizierslaufbahn mit rund 24 Prozent für Frauen am attraktivsten ist. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Frauenanteile bei den Bewerbungseingängen stabil.“

Mit der Berücksichtigung unterschiedlicher Lebensentwürfe und Biografien könnten nicht nur die Ziele einer chancengerechten Personalentwicklung und gleichberechtigter Teilhabe erfüllt werden, sondern auch bislang noch nicht hinreichend ausgereizte Potenziale – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bundeswehr – aktiviert werden, gab Möller ferner zu bedenken.

Neu eingeführtes Personalformat „Radar“ für Offizierinnen des Truppendienstes

Über das im Jahr 2022 neu etablierte Format „Radar“ für weibliche Offiziere des Truppendienstes äußerte sich die Staatssekretärin ebenfalls. Sie erläuterte das Projekt: [Das Format „Radar“] wird „zukünftig in einer regelmäßigen und kontinuierlichen Gesamtbetrachtung der Personalkörper der Offizierinnen des Truppendienstes hinsichtlich bisheriger und möglicher folgender Entwicklungsschritte eng begleitet. Mit diesem Format wurde ein ganzheitlich übergreifendes Instrument im Sinne eines zielgruppenspezifischen, an Lebensphasen und Karriere-Meilensteinen orientierten Monitorings zur Begleitung und Optimierung des individuellen Personalentwicklungsprozesses sowie zur Gewinnung relevanter, evidenzbasierter Erkenntnisse zum Personalmanagement von Offizierinnen des Truppendienstes in toto eingeführt.“ Möller führte aus: „Im Kontext der Personalbindung untersucht ,Radar‘ insbesondere den Meilenstein des Statuswechsels von der Soldatin auf Zeit zur Berufssoldatin, sowie die möglichen Motive, warum Frauen diesen Schritt gegebenenfalls nicht vollziehen (wollen).“

Um die Quote von 15 Prozent an Soldatinnen in den Streitkräften zu erreichen, würden darüber hinaus verschiedene Maßnahmen im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beziehungsweise Dienst weitergeführt, um als familienfreundlicher Arbeitgeber zu überzeugen.

Ortsunabhängiges Arbeiten durch Telearbeit und Formen des mobilen Arbeitens

Neben der Anerkennung des Verteidigungsministeriums als familienfreundlichem Arbeitgeber durch die, bereits seit mehr als zehn Jahren bestehende, Zertifizierung mit dem Qualitätssiegel „Audit Beruf & Familie“, gibt es für alle Bundeswehrangehörigen (militärisch und zivil) verschiedene Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle. Diese sollen die Flexibilität für Familien erhöhen und damit insbesondere für Frauen attraktiv sein.

Auch dazu nahm Möller in ihrer Antwort an die Abgeordnete der Grünen Stellung. Die Bundeswehr – so die Staatssekretärin – biete ortsunabhängiges Arbeiten durch Telearbeit und zwei Formen des mobilen Arbeitens an, die es Bundeswehrangehörigen ermöglichen sollen, örtlich flexibel zu arbeiten. Und: „Instrumente wie Teilzeitbeschäftigung, Möglichkeiten zu familienbedingter Beurlaubung, Gleitzeit und Vertrauensarbeitszeit tragen zusätzlich zu den von der Bundeswehr an vielen Bundeswehrstandorten bereitgestellten Kinderbetreuungsangeboten zur Familienfreundlichkeit der Bundeswehr und damit zur Erhöhung des Anteils von Soldatinnen bei.“

Wir haben das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Januar 2000 im Verfahren „Tanja Kreil gegen Bundesrepublik Deutschland“ für Sie in unserem Servicebereich „bundeswehr-journal (Bibliothek)“ beim Dienstleister Yumpu-Publishing eingestellt. Sie können das Dokument am Bildschirm ansehen. Über die ESC-Taste in Yumpu kommen Sie hierhin zurück. Zu der Entscheidung der Straßburger Richter:

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Hintergrund                           

Der Deutsche Bundeswehr-Verband (DBwV) kann noch heute voller Stolz auf das Jahr 2000 zurückblicken. In diesem Jahr – am 11. Januar 2000 – ließ der Europäische Gerichtshof Frauen als weibliche Soldaten an der Waffe in der Bundeswehr zu. Zuvor war Frauen nur die freiwillige Bewerbung für den Sanitätsdienst oder für den Militärmusikdienst in den bundesrepublikanischen Streitkräften erlaubt. Die Laufbahn der Offiziere im Sanitätsdienst war seit 1975 für weibliche Bewerberinnen geöffnet, ab 1991 galt dies für alle Laufbahnen im Sanitätsdienst und Militärmusikdienst.

Gegen diese grundsätzliche Beschränkung klagte eine Bewerberin – Tanja Kreil. Sie hatte sich 1996 für den Sanitätsdienst beworben und war „mangels einschlägiger beruflicher Vorbildung“ am Ende abgelehnt worden. Dennoch wollte Kreil zur Bundeswehr. Der DBwV überzeugte sie, unbedingt eine Einstellung zu beantragen und gegen die vorhersehbare Ablehnung des Antrags sofort Widerspruch einzulegen. Die Begründung dafür wurde vom DBwV geliefert, ebenso die Klage vor dem Verwaltungsgericht Hannover gegen die Zurückweisung.

Den Rechtsschutz für Tanja Kreil übernahm ein DBwV-Vertragsanwalt in Hannover, Rechtsanwalt Jochen Rothardt. Sein Plan: dem Verwaltungsgericht eine Verweisung des Rechtsstreits an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg nahezulegen. Dies gelang. Bereits 1999 empfahl der Generalanwalt der EU den Luxemburger Richtern in einem Votum, einen Verstoß gegen die Europäische Gleichstellungsrichtlinie festzustellen.

In seinem abschließenden Urteil stellte der Europäische Gerichtshof schließlich unter anderem fest, dass Artikel 12a (Absatz 4) des Grundgesetzes, wonach Frauen grundsätzlich der Dienst mit der Waffe verboten ist, gegen die EU-Richtlinie zur beruflichen Gleichstellung von Mann und Frau verstößt.

Vom erfolgreichen Gang nach Luxemburg profitierten und profitieren bis heute Tausende Frauen, denen der Weg durch die „Kreil-Entscheidung“ in alle Bereiche der Bundeswehr geebnet wurde – nur die Klagende nicht, die keine Bundeswehruniform mehr tragen sollte.

Es sei klar gewesen, dass Tanja Kreil sich beruflich neu orientieren musste, bis es zu einer Entscheidung kommen würde, erklärte später Oberst a.D. Bernhard Gertz. Der frühere Luftwaffenoffizier, von 1993 bis 2008 Bundes- und heutiger Ehrenvorsitzender des DBwV, hatte sich im Fall „Kreil“ persönlich stark engagiert und durch seine Beharrlichkeit und Fachkenntnis auch als Jurist die personalpolitische Wende mit eingeleitet. Es sei auch klar gewesen, dass die Klägerin bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofes an ihrer Bewerbung für die Bundeswehr festhalten musste, weil die Klage sonst „wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses in der Sache“ nicht mehr entschieden worden wäre. Gertz: „Tanja Kreil wusste das und hat dies 1998 auch selbst so formuliert: ,Letztlich gehe es darum, Geschichte geschrieben zu haben und den Frauen… ein kleines Stück mehr Freiraum schenken zu können’. Wir haben uns bei Tanja Kreil bedankt und ihre Entscheidung für den Verbleib in ihrem Zivilberuf vollauf verstanden.“

Das Jahr 2001 sei aus mehreren Gründen ein besonderes Datum, sagte einmal Maja Apelt, Professorin für Organisations- und Verwaltungssoziologie, in einem Gespräch mit dem Westdeutschen Rundfunk (WDR). „Das Erste ist, dass es um die Durchsetzung eines gleichen Rechts auf Arbeit ging, das Tanja Kreil erkämpft hat.“ Zweitens habe das Militär damals immer größere Personalengpässe gehabt – insofern sei der Bundeswehr letztlich die Öffnung der Streitkräfte als erzwungene Öffnung doch eigentlich sehr recht gewesen. Drittens habe sich die Bundeswehr zu jener Zeit von einer Verteidigungs- zu einer Einsatzarmee gewandelt; für die gesellschaftliche Akzeptanz der damit verbundenen Auslandseinsätze sei es hilfreich gewesen, nicht als reiner Männerbund zu gelten, sondern „als eine Organisation, die in der Lage ist, Frauen zu integrieren“.


1. Das Symbolbild „Frauen in der Bundeswehr“ vom 20. Juli 2021, dem Jahrestag des Deutschen Widerstandes gegen das verbrecherische Naziregime, entstand beim Feierlichen Gelöbnis auf dem Paradeplatz des Berliner Bendlerblocks.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

2. Das Hintergrundbild unserer Infografik wurde ebenfalls am 20. Juli 2021 beim Feierlichen Gelöbnis auf dem Paradeplatz am Bendlerblock aufgenommen.
(Sebastian Wilke/Bundeswehr; Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 06.23)

3. Unser zweites Symbolfoto „Frauen in der Bundeswehr“ vom 25. September 2020 wurde bei der Beförderung von Offizieranwärtern der Luftwaffe zum Dienstgrad „Leutnant“ gemacht. Die Aufnahme zeigt die Angehörigen des damaligen Studierendenjahrgangs 2018 der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, kurz HSU.
(Foto: Sebastian Wewer/HSU/Bundeswehr)

Unser Großbild auf der START-Seite zeigt weibliche Bundeswehrangehörige – heute in allen Laufbahnen und Verwendungen ein fester Bestandteil der Truppe.
(Foto: Jonas Weber/Bundeswehr)


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