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Berlin. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Helge Braun, Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, hält mehr Geld für die Landesverteidigung für unbedingt nötig. Auch über das NATO-Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinaus. Im Interview mit der politischen Wochenzeitung Das Parlament (Erscheinungstag 9. September) sagte Braun: „Wenn wir die zwei Prozent erreichen, dann sind die tief liegenden Probleme noch lange nicht gelöst. Der Finanzbedarf der Bundeswehr wird vorübergehend also über zwei Prozent liegen.“

Die im aktuellen Haushaltsentwurf der Bundesregierung vorgesehenen 71 Milliarden Euro für den Verteidigungsetat hält der Christdemokrat für zu niedrig. Im Gespräch mit dem Parlament erklärte er dazu: „Das Zwei-Prozent-Ziel erfordert einen Anstieg der Verteidigungsausgaben im Kernhaushalt auf 80 Milliarden Euro.“ Braun kritisierte ferner den Umfang der bestehenden Sondervermögen, da diese die Schuldengrenze des Grundgesetzes aufweichten. „Echte Schulden und Defizite werden verschleiert“, so sein Hauptargument.

Prof. Dr. Helge Braun (Jahrgang 1972) ist im Zivilberuf Anästhesist und Notfallmediziner. Mit einer Arbeit über Herzrasen bei Operationen promovierte er 2007. Der Wissenschaft bleibt er stets eng verbunden: Als Honorarprofessor unterrichtet Braun nach wie vor an den Universitäten Frankfurt am Main und Gießen.

Bundespolitiker Helge Braun saß bereits von 2002 bis 2005 im Parlament in Berlin. 2009 bis 2013 war er Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung; seit Dezember 2013 Staatsminister bei der damaligen Bundeskanzlerin, von März 2018 bis Dezember 2021 schließlich Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes. Brauns politische Basis ist der Wahlkreis Gießen.

Wir veröffentlichen das Braun-Interview der Publikation Das Parlament in Auszügen mit freundlicher Genehmigung des Bundestages (Online-Dienste). Die Fragen stellte Redakteur Stephan Balling.

Haushaltspolitik der Schwarzen Null hat Deutschland stark gemacht

Herr Braun, wie beurteilen Sie den Gesetzentwurf zum Haushalt 2023 der Bundesregierung?
Helge Braun: Das Ansinnen des Bundesfinanzministers, zur haushaltspolitischen Normalität nach den vergangenen Krisen zurückzukehren, ist richtig. Ich mache mir aber angesichts der sogenannten Sondervermögen große Sorgen um die Verschuldungssituation des Bundes.

Im internationalen Vergleich steht Deutschland noch gut da mit einer Verschuldung in Höhe von 77 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die USA kommen auf 144 Prozent.
Braun: Staaten können pleitegehen. Das hat die europäische Staatsschuldenkrise vor gut zehn Jahren gezeigt. Solide Haushalte sind entscheidend. Wir sind doch nur deshalb so gut durch die jüngsten Krisen gekommen, weil wir über viele Jahre mit der Schwarzen Null eine Haushaltspolitik gemacht haben, die Deutschland handlungsfähig und stark gemacht hat.

Sondervermögen weichen die Schuldengrenze des Grundgesetzes auf

Der Bundesrechnungshof zählt 29 Sondervermögen mit einem Umfang von rund 869 Milliarden Euro. Was heißt das für das Budgetrecht des Parlaments?
Braun: Der Begriff des Sondervermögens ist irreführend. In der Regel handelt es sich um mehrjährige Kreditermächtigungen, also Schuldentöpfe. Angesichts der schieren Zahl dieser Schuldentöpfe ist es für uns als Haushaltspolitiker extrem schwierig, den Überblick darüber zu behalten, wie viel Geld an welcher Stelle wann abfließt. Aus diesen Sondervermögen besteht ein Verschuldungspotenzial von 522 Milliarden Euro. In dem gesamten Zeitraum, für den diese Sondervermögen aktiviert sind, steht in der Finanzplanung für den normalen Bundeshaushalt eine Nettokreditaufnahme von nur 108 Milliarden Euro. Das zeigt, wie diese Sondervermögen die Schuldengrenze des Grundgesetzes aufweichen. Echte Schulden und Defizite werden verschleiert.

Ist eine Grenze im Grundgesetz für Sondervermögen nötig?
Braun: Besser ist es, die Freiheitsgrade für Krisen zu erhalten, aber zurückhaltend zu nutzen. Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr beispielsweise ist richtig. Hier gilt auch eine enge Bindung an eine Sache. Aber die Gesamtzahl und –höhe der Sondervermögen ist ausufernd und nicht sachgerecht.

Verteidigungspolitik in Krisenzeiten nicht nach finanziellen Zielen ausrichten

Die Verteidigungsausgaben insgesamt sollen 2024 auf 71 Milliarden Euro anwachsen, 19 Milliarden Euro davon aus dem Sondervermögen. Die Ausgaben steigen damit in Richtung der NATO-Verpflichtung, zwei Prozent des BIP in die Verteidigung zu investieren. Inwiefern ist die Zeitenwende damit im Bundeshaushalt angekommen?
Braun: Das, was Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Zeitenwende-Rede angekündigt hat, setzt seine Regierung mit diesem Haushaltsentwurf noch nicht vollumfänglich um. Das Zwei-Prozent-Ziel erfordert einen Anstieg der Verteidigungsausgaben im Kernhaushalt auf 80 Milliarden Euro.

Polen hat nach der russischen Invasion in die Ukraine seinen Verteidigungsetat 2023 auf mehr als vier Prozent des BIP im Vergleich zu 2021 nahezu verdoppelt. Ein Vorbild für Deutschland?
Braun: Die NATO-Staaten haben sich auf das Zwei-Prozent-Ziel geeinigt. Das müssen wir erreichen. In Krisenzeiten darf man Verteidigungspolitik aber nicht nach finanziellen Zielen ausrichten. Der Bundesverteidigungsminister muss deutlich machen, was für die Landes- und Bündnisverteidigung erforderlich ist. Wenn der Investitionsbedarf dann über dem Zwei-Prozent-Ziel liegt, dann ist es in dieser geopolitischen Zeit sachgerecht, auch dafür die Spielräume zu schaffen.

Steigende Nachfrage nach Rüstungsgütern auch durch Ukrainekrieg

Sehen Sie diese Notwendigkeit jetzt?
Braun: Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine erleben wir international eine steigende Nachfrage nach Rüstungsgütern. Das ist ein Faktor, der die Preise steigen lässt. Wir bekommen heute für die 100 Milliarden Euro des Sondervermögens nicht mehr das, was wir uns im Februar 2022 vorgestellt haben. Die Bundeswehr muss zusätzlich ersetzen, was sie an Material an die Ukraine für deren Abwehrkampf gegen die russische Invasion abgegeben hat. Dazu kommt die geplante Stationierung einer Brigade in Litauen. Wenn wir die zwei Prozent erreichen, dann sind also die tief liegenden Probleme noch lange nicht gelöst. Der Finanzbedarf der Bundeswehr wird vorübergehend also über zwei Prozent liegen.

Herr Braun, auf wie viel Arbeit stellen Sie sich in den nächsten Wochen ein?
Braun: Die Zeit zwischen der ersten Haushaltswoche im September bis zur Bereinigungssitzung im November, wenn wir als Haushaltsausschuss den Haushaltsentwurf für die finale Abstimmung im Plenum des Bundestages vorbereiten, ist immer sehr arbeitsintensiv. Ich gehe diesmal von besonders schwierigen Beratungen aus. Das liegt nicht daran, dass wir unzureichende Einnahmen haben. Die Steuereinnahmen steigen von 358 Milliarden Euro im Jahr 2023 auf 375 Milliarden Euro 2024. Da sollte es eigentlich gar nicht so schwierig sein, diesen Haushalt aufzustellen. Aber wegen der vielen Ausgabenwünsche und Kostensteigerungen sieht der Regierungsentwurf an sehr vielen Stellen Kürzungen in Bereichen vor, die sehr wichtig sind, auch für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, zum Beispiel die deutlichen Kürzungen beim Bundesfreiwilligendienst oder bei Mehrgenerationenhäusern. Deshalb wird der Haushaltsausschuss noch an vielen Stellen Veränderungen an dem Entwurf der Bundesregierung vornehmen, da bin ich sicher.


Zu unserer Aufnahme: Rede von Helge Braun am 7. September 2023 im Bundestag im Rahmen der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 15 „Gesundheit“.
(Foto: Florian Gaertner, photothek/Deutscher Bundestag)

Kleines Beitragsbild: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Helge Braun.
(Pressebild: Büro Braun)


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