Brüssel. Die Europäische Union und das Atlantische Bündnis wollen in Zukunft noch intensiver zusammenarbeiten. Dies ist auch eine Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. In Brüssel im Hauptquartier der Militärallianz unterzeichneten am heutigen Dienstag (10. Januar) NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel eine entsprechende Vereinbarung. Mit diesem Abkommen wollen die Vertragspartner NATO und EU die Partnerschaft der beiden Organisationen qualitativ „auf eine neue Stufe“ heben.
Die neue Kooperationserklärung mit ihren 14 Punkten ist die inzwischen dritte zwischen NATO und EU. Darin appellieren beide Seiten erneut an Russland, den Ukrainekrieg sofort zu beenden. Zudem bekräftigen sie ihre Rückendeckung für die Ukraine.
Unter Punkt 1 der Erklärung heißt es: „Die strategische Partnerschaft zwischen der NATO und der EU gründet sich auf unsere gemeinsamen Werte, unsere Entschlossenheit zur Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen und unser unmissverständliches Engagement für die Förderung und Sicherung von Frieden, Freiheit und Wohlstand im euro-atlantischen Raum.“
Den russischen Überfall auf das Nachbarland Ukraine verurteilt die Erklärung in ihren Punkten 2 und 3 scharf. Der Dokumententext: „Heute sind wir mit der größten Bedrohung der euro-atlantischen Sicherheit seit Jahrzehnten konfrontiert. Der brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine verstößt gegen das Völkerrecht und die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen. Er untergräbt die europäische und globale Sicherheit und Stabilität. Russlands Krieg hat eine Nahrungsmittel- und Energiekrise verschärft, von der Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt betroffen sind.“
NATO und EU fordern und versichern: „Wir verurteilen die russische Aggression auf das Schärfste. Russland muss diesen Krieg sofort beenden und sich aus der Ukraine zurückziehen. Wir bringen unsere uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck und bekräftigen unsere unerschütterliche und anhaltende Unterstützung für ihre Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen. Wir unterstützen voll und ganz das der Ukraine innewohnende Recht auf Selbstverteidigung und auf die Wahl ihres eigenen Schicksals.“
In weiteren Punkten der Erklärung ist festgeschrieben, auf welchen Gebieten das Verteidigungsbündnis und die Europäische Union künftig gemeinsam sicherheitspolitischen Herausforderungen begegnen wollen. Hintergrund dabei ist und bleibt auf absehbare Zeit „der wachsende geostrategische Wettbewerb“ vor allem mit China – eine Entwicklung, die bereits beim NATO-Gipfel im vergangenen Jahr schwerpunktmäßig thematisiert worden war.
Die Allianz wird in dem Papier, an dem Experten und Politiker mehr als ein Jahr gearbeitet haben (das wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine aufgeschoben und überarbeitet werden musste), als „Fundament der kollektiven Verteidigung“ bezeichnet. Wörtlich heißt es unter Punkt 7 und 8: „Wie sowohl im Strategischen Konzept der NATO als auch im Strategischen Kompass der EU hervorgehoben wird, geht es heute um eine entscheidende Phase für die euro-atlantische Sicherheit und Stabilität, die mehr denn je die Bedeutung des transatlantischen Bandes verdeutlicht und eine engere Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Allianz erforderlich macht.“ Und: „Die NATO ist nach wie vor das Fundament der kollektiven Verteidigung für ihre Bündnispartner und von wesentlicher Bedeutung für die euro-atlantische Sicherheit. Wir erkennen den Wert einer stärkeren und fähigeren europäischen Verteidigung an, die einen positiven Beitrag zur globalen und transatlantischen Sicherheit leistet und die das Bündnis ergänzt und mit ihr interoperabel ist.“
Die Vertragspartner fordern nun die europäischen Staaten auf, ihre Streitkräfte zu verstärken, aufzurüsten und miteinander kompatibel zu gestalten. Dies müsse vor allem in Hinblick auf die Unterstützung der US-geführten NATO geschehen.
Das Abkommen legt auch fest, dass sich die in dem Dokument vertretenen Mitgliedsländer in Zukunft noch stärker mit Fragen der Widerstandsfähigkeit (Resilienz) und dem Schutz kritischer Infrastrukturen befassen müssen. Als neue Herausforderungen werden in dem Dokument auch der „Kampf gegen Cyber-Angriffe“ sowie die „Manipulation von Informationen und Einmischung aus dem Ausland“ genannt. Eine engere Kooperation erforderten zudem der Klimawandel sowie das Engagement im Weltraum.
NATO-Generalsekretär Stoltenberg sagte bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Michel und von der Leyen: „Wir sind entschlossen, die Partnerschaft zwischen unseren beiden Organisationen auf die nächste Stufe zu heben.“ Die gemeinsame Erklärung ziele darauf ab, die strategische Partnerschaft zwischen der NATO und der EU weiter zu stärken und auszubauen – aufbauend auf den beeindruckenden Fortschritten in der Zusammenarbeit seit der Unterzeichnung früherer Erklärungen in den Jahren 2016 und 2018. Stoltenberg wies auch darauf hin, dass die NATO-EU-Partnerschaft „noch wichtiger wird, wenn Finnland und Schweden Vollmitglieder des Bündnisses werden“. Mit dem Beitritt dieser beiden Länder werde „die NATO 96 Prozent der Bürger in der Europäischen Union und einen größeren Anteil ihres Territoriums als je zuvor“ schützen.
NATO und EU sind zwei Organisationen, die beide ihr Hauptquartier in der belgischen Metropole haben. Sie sind formell im Grunde strikt getrennte internationale Körperschaften, die aber über die große Mehrzahl ihrer jeweiligen Mitgliedsländer seit Jahrzehnten eine enge transatlantische Partnerschaft bilden. 21 von 30 NATO-Mitgliedern gehören auch der EU an. Mit den bald zu erwartenden Beitritten von Schweden und Finnland zur Allianz blieben dann nur noch Irland, Malta, Österreich, Zypern als bündnisfreie EU-Staaten übrig.
Bereits am heutigen Dienstag gab es zu der Unterzeichnung der „Joint Declaration on EU-NATO-Cooperation“ erste Kommentare in den Medien.
So schreibt die Kölnische Rundschau mit Blick auf den in der Ukraine tobenden Krieg: „Der russische Überfall auf die Ukraine hat brutal deutlich gemacht, wo die Defizite liegen. Zwar zeigen die Mitglieder beider Organisationen, von Querschüssen aus Budapest einmal abgesehen, ein beeindruckendes Maß an Zusammenhalt. Aber die EU-Staaten, die in ihrer großen Mehrheit ja auch NATO-Mitglieder sind, müssen ehrlich feststellen: Ohne die Unterstützung und die politische Führung der USA und des aus der EU ausgetretenen Großbritannien hätten sie nicht viel ausgerichtet.“
Der Kommentator des Kölner Blattes beklagt: „Die Mühe, die wir auf dem Kontinent dabei haben, Waffensysteme für Kiew zusammenzukratzen, ist die Konsequenz aus drei Jahrzehnten Nachlässigkeit. Balten, Polen, und Skandinavier sind löbliche Ausnahmen. Europäische Rüstungsprojekte – vom Panzer bis zum Flugzeug – geraten regelmäßig an den Rand des Scheiterns. Frankreich, einzige Atommacht in der EU, ist weit davon entfernt, die Partner nach US-Muster an ihrem Abschreckungspotenzial teilhaben zu lassen.“
Die EU selbst werde, auch wenn sie eine Beistandspflicht kenne, nicht die Aufgaben des Militärbündnisses NATO übernehmen können, warnt die Kölnische Rundschau. Schon mit Rücksicht auf neutrale Staaten sei der relevante Artikel 42 im EU-Vertrag „weich formuliert“. Aber die NATO sei ein Bündnis auf Gegenseitigkeit, kein Einbahn-Transfersystem, in dem Amerikaner und Briten für die Sicherheit aller zu sorgen hätten. Gerade die USA werden dazu angesichts ihrer Probleme im Pazifik immer weniger bereit sein. Der Kommentar endet mit dem Appell: „Wir Europäer müssen unsere Hausaufgaben machen. Dazu gehört auch die EU-Gemeinschaftsaufgabe der Sicherung militärischer Mobilität. Da ist noch viel zu tun.“
Äußerst skeptisch gibt sich die überregionale Tageszeitung nd.Der Tag (früher neues deutschland). Zur Absichtserklärung, die Partnerschaft von NATO und EU „auf eine neue Stufe“ heben zu wollen, meint das Blatt: „Erklärungen dieser Art gibt es alle paar Jahre. Man passt eigene Ziele neuen Gegebenheiten an, vermeidet ineffizientes Nebeneinander. Diesmal ist Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine ein gegebener Anlass. So weit, so logisch.“
Dann erklärt nd.Der Tag seiner Leserschaft: „Das Problem solcher EU-NATO-Vereinbarungen ist: Sie führten bislang nie zum Abbau bestehender Spannungen. Nicht auf dem Kontinent, nicht anderswo der Welt. Auch sollte jetzt niemand erwarten, dass die Zusammenarbeit innerhalb der Bündnisse harmonischer wird. Das Lachen von Jens Stoltenberg (NATO) und Ursula von der Leyen (EU) in die Kameras beim Händeschütteln konnte die Sorgenfalten nur mäßig überdecken.“
Man müsse sich nur mal das brüchig gewordene Verhältnis zwischen den EU- und NATO-Partnern Frankreich und Deutschland anschauen, so der Kommentator weiter. Statt – wie verabredet – die Geschicke von Europa gemeinsam zu lenken, herrschten Uneinigkeit und Misstrauen. „Egal ob es um Energiepolitik, Anti-Corona-Maßnahmen oder Korruptionsbekämpfung geht: Die EU ist in Kompromissen gefangen. Und die NATO? Sie spiegelt – siehe Streit um Panzerlieferungen in die Ukraine – abgestimmte Politik oft nur vor und macht sich überdies immer mehr zum Anhängsel Washingtons.“
Das Berliner Medium, das bis 1989 in der damaligen DDR die Parteizeitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) war und heute auf alte Ost-Linke und auch auf junge West-Linke als Leser abzielt, kommt zum Schluss: „Ob es nun die jeweils innere und die gemeinsame Einheit befördert, wenn EU und NATO im ,wachsenden geostrategischen Wettbewerb‘ gegen China in Stellung gehen und im Weltraum effektiver zusammenarbeiten wollen, ist höchst ungewiss. Eine Aussage der Vereinbarung ist aber zweifellos richtig: Die Klimazerstörung samt mannigfacher humanitärer Katastrophen wird immer mehr zum Risiko für den Rest Frieden und Sicherheit in der Welt.“
Die Aufnahme zeigt EU-Ratspräsident Charles Michel, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (Mitte) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 10. Januar 2023 im Hauptquartier des Militärbündnisses in Brüssel nach der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung.
(Foto: NATO)
Kleines Beitragsbild: Die „Joint Declaration on EU-NATO Cooperation“/“Gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit von EU und NATO“.
(Foto: NATO)