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Berlin. Die Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte hat – da sind sich nahezu alle westlichen Militärexperten sicher – inzwischen begonnen. Aber sie ist unübersichtlich. Es ist von starken russischen Verteidigungslinien die Rede, von kleinen Geländegewinnen der Ukrainer, von einigen befreiten Ortschaften. Aber auch von heftigen ukrainischen Verlusten vor allem in der schwerumkämpften Region Saporischschja (mittlerweile soll die Ukraine dort unter anderem sieben Leopard-2-Panzer und 17 US-Schützenpanzer Bradley verloren haben). Wie ist das Lagebild tatsächlich, besteht immer noch Anlass zu Optimismus? Darüber sprach am heutigen Sonntag (18. Juni) in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ Matthias Deiß, Stellvertretender Chefredakteur im ARD-Hauptstadtstudio, mit Brigadegeneral Christian Freuding.

Freuding, vor einigen Jahren unter anderem Adjutant der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), leitet seit April 2022 im Ministerium das Lagezentrum „Ukraine“. Seit Mai dieses Jahres ist er zudem Leiter des Planungsstabes, der 2012 – nach mehr als 40 Jahren – durch den damaligen Minister Thomas de Maizière (CDU) abgeschafft worden war. SPD-Minister Boris Pistorius hat den Planungs- und Führungsstab vor Kurzem wieder installiert und den Brigadegeneral mit dessen Leitung beauftragt.

Immer wieder hat der Heeresoffizier in den vergangenen Tagen und Wochen die Entwicklung in der Ukraine militärisch analysiert und erläutert. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, hatte die Berufung Freudings zum Chef des alten und neuen Planungsstabes nach Bekanntwerden der Personalie ausdrücklich begrüßt. Der Tageszeitung DIE WELT hatte sie gesagt: „Bereits als Leiter des Lagezentrums ,Ukraine‘ hat Christian Freuding die herausfordernde Aufgabe zielstrebig bewältigt und mit einer angenehmen Mischung aus notwendiger Klarheit und Empathie über die Situation informiert. Er ist daher mit seiner unaufgeregten und stringenten Art eine hervorragende Wahl für diesen wichtigen Posten [als Leiter des Planungsstabes].“

Äußerst restriktiver Umgang mit militärischen Informationen

Brigadegeneral Freuding mahnte bei seinem Auftritt im ARD-Hauptstadtstudio im Hinblick auf die aktuelle Lage in der Ukraine zur Zurückhaltung. Er begründete dies in der Sendung „Bericht aus Berlin“ mit dem Hinweis: „Es ist so, dass die Ukrainer äußerst restriktiv mit ihren Informationen umgehen. Es gibt keine Angaben zu Truppenkörpern. Es gibt keine Angaben zu Ort, zu Zeit und zu Zahlen. Wir nennen das militärisch ,Operation Security‘. Das ist natürlich auch nachvollziehbar. Weil daraus sonst der Feind Schlüsse ziehen könnte.“

Er würde sich der Einschätzung, es laufe derzeit für die Ukrainer „nicht so gut“, keinesfalls anschließen wollen. Freuding argumentierte: „Wir haben ein erstes Wiedergewinnen der Initiative durch die ukrainischen Streitkräfte gesehen. Wir haben erste Angriffserfolge gesehen. Wir haben aber auch gesehen, dass die Verteidigungsstellungen der russischen Streitkräfte sehr stark vorbereitet wurden. Das ist eine Beobachtung, die wir schon über die letzten Wochen und Monate machen konnten. Und wir sehen gerade aktuell, dass sich die ukrainischen Kräfte konsolidieren und sicherlich sehen werden, wo sie Erfolge hatten, mit was sie Erfolge hatten und [wie sie] diese Erfolge weiter [ausnutzen können].“

Die ukrainische Taktik nicht „von der Berliner Sommerterrasse aus“ beurteilen

Zur Taktik der ukrainischen Streitkräfte wollte sich der General nicht äußern. Auf die Frage nach „großen Durchbrüchen“ der Ukraine durch die russischen Verteidigungslinien warnte Freuding: „Wir müssen ein bisschen vorsichtig sein, damit wir nicht anmaßend werden, dass wir von der Berliner Sommerterrasse aus, die ukrainische Taktik beurteilen.“ Er erinnerte zugleich daran: Die Ukrainer zahlen in diesem Krieg seit mehr als 400 Tagen einen hohen Preis. Und ich glaube, wir haben weder die Sicht darauf (noch das Recht darauf), das ukrainische Vorgehen der Truppenteile [dahingehend] zu beurteilen, ob es gut, schlecht, zweckmäßig oder unzweckmäßig war.“

Zum Thema „Ausbildung ukrainischer Soldaten“ sagte Freuding, er sei sicher, dass sich die Ukrainer gründlich vorbereitet hätten. Man habe zudem die Ukrainer „im Rahmen des Möglichen, im Rahmen der Zeit, die uns tatsächlich zur Verfügung stand, gut, bestmöglich ausgebildet“. Er gehe davon aus, so der Interviewpartner von Deiß im ARD-Hauptstadtstudio, dass die ukrainischen Kräfte „wohl überlegt ihre Initiative, ihre Offensiv-Operation in den nächsten Tagen wieder aufnehmen werden“.

Auf die Kritik – in erster Linie an der Bundeswehr – nach zu kurzer Ausbildungszeit für die ukrainischen Soldaten, räumte der Leiter Planungsstab ein, dass er diese Einschätzung teile. Wörtlich sagte Freuding in der Sendung: „Militärische Ausbildung kann nie genug sein. Also die Aussage ist absolut richtig. Wir hätten uns auch gerne mehr Ausbildungszeit gewünscht. Wir haben – als wir angefangen haben, ungefähr vor einem Jahr die Ukraine an komplexen Waffensystemen auszubilden – immer diese Diskussion gehabt, ist es genug, muss es mehr sein. Und wir haben dann gelernt, dass man sich da im gegenseitigen Einvernehmen auch annähern muss, dass die Ukrainer sagen, was sie bereit sind an Zeit zu investieren. Wie viel Zeit sie investieren können. Und wir müssen dann sagen, dass und das können wir leisten. Die Ideallösung gibt es da nicht. Und da muss man unter den besonderen Umständen des Krieges auch Abstriche machen.“

Zwischen Unterstützung der Ukraine und eigener Verteidigungsfähigkeit

Zur Frage der Nachlieferung zerstörten westlichen Kriegsgeräts an die Ukraine führte Freuding in seinem Gespräch mit Deiß aus: „Jede Unterstützungsleistung war von Beginn an immer eine Abwägungsentscheidung zwischen Unterstützung der Ukraine und der eigenen Verteidigungsfähigkeit. Wir liefern ja nach. Wir haben mit dem Mai-Paket – anlässlich des Besuches von Präsident Selenskyj bei Bundeskanzler Scholz – gesagt, wir liefern noch mal 20 Marder, wir liefern noch mal 30 Leopard 1a5. Sie wissen, wir sind im engen Verbund mit unseren dänischen und niederländischen Partnern und Freunden, [und haben eine Leopard-1a5-Initiative] angeschoben, die sich ab Juli [auswirken wird].“ Mit dieser Initiative wolle man die Ukraine „bis ins Jahr 2024“ mit einer stark modernisierten Version des Kampfpanzers Leopard 1a5 im Umfang von bis zu sechs Panzerbataillonen ausstatten.

Auf die Frage von Gastgeber Deiß, ob dies angesichts einer möglichen Abnutzungsstrategie Putins reichen werde, wies Freuding darauf hin: „Wir waren in dieser Woche wieder in Brüssel im Rahmen der Ukraine-Defense-Contact-Group – besser bekannt unter dem Begriff ,Rammstein-Format‘. Ich habe dort eine ganz starke Geschlossenheit und Entschlossenheit der westlichen Partner gespürt, dass wir die Zeit zu unserem Verbündeten machen, und dass wir nicht zulassen, dass Putin die Zeit zu seinem Verbündeten macht. Wir sind darauf eingestellt auf die lange Strecke, die Ukraine weiter zu unterstützen.“


Randnotiz                                  

Interview mit dem Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, Brigadegeneral Christian Freuding, zum Krieg in der Ukraine – Schwerpunkt im ARD-Fernsehmagazin „Bericht aus Berlin“ am Sonntag, 18. Juni 2023, ab 18 Uhr.
Das Video zum Thema „Kriegsgeschehen in der Ukraine“ mit Brigadegeneral Freuding ist verfügbar bis zum 18. Juni 2024 unter dem Link: https://tinyurl.com/29b5jnde.
Alle Angaben ohne Gewähr.


Das Bildschirmfoto zeigt den Leiter des Planungsstabes und Leiter des Lagezentrums „Ukraine“ im Bundesministerium der Verteidigung, Brigadegeneral Christian Freuding.
(Videostandbild: Quelle ARD-Hauptstadtstudio/Bericht aus Berlin)

Kleines Beitragsbild: Studiografik der Sendung „Bericht aus Berlin“.
(Bild: ARD-Hauptstadtstudio)


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