Koblenz/Merzenich. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr erhält neue leichte Luftlanderettungszentren. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in Koblenz hat Anfang Februar das Merzenicher Unternehmen M. Schall GmbH & Co. KG damit beauftragt, acht solcher Systeme zu liefern. Der Vertrag hat ein Volumen in Höhe von rund 40 Millionen Euro und wird aus dem Bundeswehr-Sondervermögen finanziert. Der Haushalts- und der Verteidigungsausschuss des Bundestages stimmten dem Beschaffungsvorhaben im Januar zu.
Die mobilen Sanitätseinrichtungen, in der die notfallmedizinische und -chirurgische Erstversorgung von Patienten erfolgen soll, verfügen unter anderem über eine Ambulanz, einen Operationsbereich sowie intensivmedizinische Pflegekapazitäten.
Der zuständige Projektleiter im BAAINBw, Oberfeldapotheker René Schliebener, sagte anlässlich des Vertragsschlusses in Koblenz: „Mit den neuen leichten Luftlanderettungszentren werden die seit 2003 in der Nutzung befindlichen Systeme ersetzt, da diese ihre maximale Nutzungsdauer erreicht haben.“ Die neue Sanitätsausstattung sorge für verbesserte Behandlungsmöglichkeiten der Bundeswehrkräfte in den Einsatzgebieten. So sei nun beispielsweise ein neues, tragbares Röntgen- und ein Knochenchirurgie-Gerät Bestandteil der Ausstattung.
Das Knochenchirurgie-Gerät kann entweder bei der operativen Öffnung einer Schädeldecke (Fachbegriff „Schädeltrepanation“) oder bei der Behandlung komplizierter Knochenbrüche eingesetzt werden.
Auch bei der Basisausstattung gibt es Neuerungen. So ist die Beleuchtung auf LED-Technik umgestellt, und die neuen Zelte sind deutlich leichter als ihre Vorgänger.
Insgesamt sind die neuen mobilen Sanitätseinrichtungen rund 30 Tonnen leichter als die alten Systeme. Zudem sind sie auch im Hinblick auf ihr Volumen stark reduziert und somit für den Lufttransport optimiert worden.
Alle neuen Geräte sind auf eine hohe Unabhängigkeit von der üblichen Stromversorgung ausgelegt und mit Akkus ausgestattet. Dies ermöglicht eine kontinuierliche Behandlung von verletzten Personen auch bei Ausfall der Stromerzeugeraggregate. Auch diese werden durch Anlagen, die auf dem neuesten Stand der Technik sind, ersetzt.
Die erste Ausstattung „Leichtes Luftlanderettungszentrum“ soll nach Auskunft des Beschaffungsamtes im vierten Quartal dieses Jahres an die Bundeswehr übergeben werden. Die Auslieferung des letzten der insgesamt acht Systeme ist für Ende 2024 vorgesehen.
Der Vertrag beinhaltet eine Option über die Lieferung weiterer acht Systeme. Diese werden wahrscheinlich benötigt, sollte die NATO in naher Zukunft die Struktur und den Umfang ihrer Reaktionskräfte tatsächlich anpassen. Das neue Streitkräftemodel (New Force Model, NFM) wurde beim NATO-Gipfel im Juni vergangenen Jahres in Madrid beschlossen, um die Reaktionsfähigkeit des Bündnisses zu erhöhen.
Am 21. Dezember wird das BAAINBw eines der neuen Luftlanderettungszentren an den Sanitätsdienst der Bundeswehr übergeben. Das Kommando Schnelle Einsatzkräfte des Sanitätsdienstes in Leer wird das Zentrum als Nutzer übernehmen.
Mit dem System „Luftlanderettungszentrum, leicht“ zeige die Finanzierung herausgehobener Projekte durch das Sondervermögen „Bundeswehr“ für den Sanitätsdienst sichtbar Wirkung, heißt es dazu in einer Presseankündigung.
Auf dem Gipfeltreffen im Juni 2022 in Spaniens Hauptstadt Madrid hat sich die NATO unter anderem auch ein neues Streitkräftemodell, das New Force Model (NFM), verordnet. Das NFM soll die bisherigen NATO-Formate ablösen, insbesondere die NATO Response Force (NRF) sowie die Speerspitze der schnellen Eingreiftruppe des Bündnisses (die Very High Readiness Joint Task Force, VJTF).
Claudia Major und Göran Swistek erläutern in ihrer am 28. Juli 2022 in der Reihe „SWP-Aktuell“ (SWP = Stiftung Wissenschaft und Politik) erschienenen Publikation „Die NATO nach dem Gipfel von Madrid“: „Der Anspruch des NFM ist, etwa 800.000 Soldaten zu organisieren. Es teilt die Streitkräfte und Fähigkeiten der Alliierten verschiedenen potentiellen Konfliktregionen innerhalb des euroatlantischen Raums zu – etwa dem Ostseeraum – und organisiert sie in drei Stufen, sogenannten Tiers, mit wachsender Bereitschaftszeit. Tier 1 und Tier 2 bilden mit 100.000 beziehungsweise 200.000 Soldaten den Kern und weisen mit 10 beziehungsweise 30 Tagen eine hohe Reaktionsbereitschaft auf. Tier-3-Truppen, weitere 500.000 Soldaten, sollen graduell in bis zu 180 Tagen einsatzbereit sein.“
Innerhalb der drei NFM-Tiers seien weitere Differenzierungen vorgesehen, so die Autoren der Berliner Stiftung. So sollen innerhalb von Tier 1 die bisher existierenden NRF und VJTF in einer neuen schnellen Eingreiftruppe aufgehen, der Allied Reaction Force (ARF) mit 40.000 Soldaten. Diese würden dem obersten NATO-Befehlshaber SACEUR ständig – also bereits vor Ausbruch einer Krise – unterstellt, um eine schnelle Reaktion zu ermöglichen. Major und Swistek: „Das ist eine beachtliche Neuerung: Bislang haben einige Staaten, darunter Frankreich und Deutschland, dies abgelehnt.“
Weiter analysieren die Autoren das Bündniskonzept „New Force Model“ wie folgt: […] „In allen drei Stufen [sind] Kräfte verplant, die jeder Alliierte zur Verteidigung seines eigenen Territoriums oder unter nationaler Führung als freiwilligen zusätzlichen Beitrag vorhält. Die Staaten behalten also die Hoheit über die meisten ihrer Truppen. Das NFM bedeutet auch nicht, dass die NATO nun tatsächlich über 800.000 Soldaten verfügen würde – es handelt sich lediglich um eine neue Zuordnung. Viele Truppen bleiben unter nationaler Führung, und bei einigen ist die tatsächliche Einsatzbereitschaft fraglich.“
Zu unserer Bildsequenz:
1. Das leichte Luftlanderettungszentrum der Bundeswehr soll die notfallmedizinische Erstversorgung verletzter und verwundeter Kräfte übernehmen.
(Bild: Bundeswehr)
2. Vertragsunterzeichnung: die Vizepräsidentin des Koblenzer Bundesamtes Annette Lehnigk-Emden und Markus Schall, Geschäftsführer der Firma M. Schall GmbH & Co. KG (Merzenich).
(Foto: Dirk Bannert/Presse- und Informationszentrum BAAINBw)
3. Das Luftrettungszentrum (leicht) verfügt unter anderem über eine Ambulanz, einen OP-Bereich sowie intensivmedizinische Pflegekapazitäten.
(Foto: Patrick Grüterich/Bundeswehr)