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Brüssel. Die Europäische Union (EU) will fast 1,2 Milliarden Euro in 61 Projekte der industriellen Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich investieren. Dies kündigte am Mittwoch dieser Woche (20. Juli) die Europäische Kommission in einer Presseerklärung an. Die 61 Forschungs- und Entwicklungsprojekte wurden laut Kommission in einer ersten Vorschlagsrunde „nach der Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen im Rahmen des Europäischen Verteidigungsfonds (EVF)“ ausgewählt.

Mit den ausgewählten Vorschlägen unterstützt der Fonds jetzt durchweg Projekte für – wie es die Kommission in ihrem Pressestatement formulierte – „hochwertige Verteidigungsfähigkeiten“. Dazu zählen beispielsweise die nächste Generation von Kampflugzeugen, Panzern oder Schiffen. Hinzu kommen kritische Verteidigungstechnologien wie Clouds für die militärische Verwendung, Künstliche Intelligenz (KI), Halbleiter, Weltraum-Projekte sowie Abwehrmaßnahmen im Cyber- und medizinischen Bereich.

Der EVF soll außerdem neue bahnbrechende Technologien – insbesondere in den Bereichen „Quantentechnologien“ und „neue Materialien“ – vorantreiben und das Potenzial vielversprechender KMU sowie Start-up-Unternehmen nutzen. (Anm.: KMU sind kleine und mittlere Unternehmen nach EU-Empfehlung 2003/361; danach zählt ein Unternehmen zu den KMU, wenn es nicht mehr als 249 Beschäftigte hat und einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro erwirtschaftet oder eine Bilanzsumme von maximal 43 Millionen Euro aufweist.)

Programm des EVF tangiert gesamte industrielle EU-Wertschöpfungskette

Die Dänin Margrethe Vestager, seit 2014 EU-Kommissarin für Wettbewerb und seit 2019 außerdem Geschäftsführende Vizepräsidentin und Kommissarin für Digitales, begrüßte die für die europäische Verteidigungszusammenarbeit gefällten Entscheidungen ausdrücklich. Sie sagte in Brüssel: „Die ausgewählten, qualitativ hochwertigen Projekte haben gezeigt, dass die industrielle Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich in Europa tatsächlich verwirklicht werden kann – und zwar auch in großem Maßstab. Die fast 700 Unternehmen, die nun mit EU-Mitteln die nächste Generation innovativer Verteidigungstechnologien erforschen und entwickeln sollen, werden eine resiliente und wettbewerbsfähige industrielle Basis schaffen.“

Vestager wies ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei 43 Prozent der jetzt an den ausgewählten Projekten beteiligten Einrichtungen um KMU-Unternehmungen handele. Dies zeige, dass das Programm des EVF die gesamte industrielle Wertschöpfungskette der EU einbeziehe.

Europäische Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich soll zur Norm werden

Der Franzose Thierry Breton, seit Dezember 2019 EU-Kommissar für den Bereich „Binnenmarkt und Dienstleistungen“, mittlerweile mit einer erweiterten Zuständigkeit für „Verteidigung und Raumfahrt“ in der Kommission von Ursula von der Leyen, äußerte sich ebenfalls zu den Auswahlentscheidungen. Er erklärte: „Mit rund 1,2 Milliarden Euro, die in 61 kooperative europäische Verteidigungsprojekte investiert werden sollen, liefert der Europäische Verteidigungsfonds heute konkrete Ergebnisse im Hinblick auf eine stärker integrierte europäische Verteidigungsindustrie, die Innovationen fördert und unseren Streitkräften Spitzenkapazitäten zur Verfügung stellt.“ Durch den EVF werde die europäische Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich zunehmend zur Norm. Breton wörtlich: „Wir geben unser Geld besser aus, wenn wir es gemeinsam ausgeben; es kommt allen Mitgliedstaaten und europäischen Verteidigungsunternehmen – ob groß oder klein – zugute.“

Die Dienststellen der Europäischen Kommission werden in Kürze Vorbereitungen treffen, um mit den ausgewählten Konsortien eine Finanzhilfevereinbarung abzuschließen. Nach Abschluss dieser Vereinbarungen sowie der Annahme eines Vergabebeschlusses der Kommission sollen die entsprechenden Dokumente noch vor Ende des Jahres unterzeichnet werden.

Auffallend starkes Engagement der kleinen und mittleren Unternehmen

In ihrer Pressemitteilung nannte die Kommission weitere Details zur ersten Vorschlagsrunde. Den EU-Angaben zufolge wurden 142 Vorschläge eingereicht, weit mehr als bei den beiden Vorläuferprogrammen („Vorbereitende Maßnahme im Bereich Verteidigungsforschung“ = Preparatory Action on Defence Research/PADR und „Europäisches Programm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich“ = European Defence Industrial Development Programme/EDIDP). Die Vorschläge deckten dabei alle vorgegebenen Themenfelder ab. Es beteiligten sich wichtige Branchenführer, dazu KMU, Midcap-Unternehmen (mittelgroße Firmen, die weder den Konzernen noch den KMU zuzuordnen sind) sowie Forschungs- und Technologieeinrichtungen.

Vorschläge wurden von „fast 700 Rechtspersonen aus 26 EU-Mitgliedstaaten und Norwegen“ eingereicht. (Anm.: Norwegen ist kein Mitglied der Europäischen Union; die Skandinavier haben in zwei Volksabstimmungen 1972 und 1994 – als bisher einziges Land Europas – einen EU-Beitritt mehrheitlich abgelehnt.)

An den ausgewählten Vorschlägen beteiligten sich nach Auskunft der Kommission „durchschnittlich 18 Einrichtungen aus acht EU-Mitgliedstaaten plus Norwegen“.

Zu verzeichnen war ein starkes Engagement bei den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Im Pressetext aus Brüssel heißt es zu diesem Punkt: „KMU machen mehr als 40 Prozent aller Einrichtungen unter den ausgewählten Vorschlägen aus und erhalten demnach fast 20 Prozent der insgesamt beantragten EU-Mittel.“

Großen Wert legte die Kommission auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Forschung und der Entwicklung von Fähigkeiten. Demzufolge sollen 322 Millionen Euro zur Finanzierung von 31 Forschungsprojekten genutzt werden. 845 Millionen Euro sollen in die Finanzierung von 30 Großprojekten zur Entwicklung von Systemen und Technologien für Verteidigungsfähigkeiten fließen.

Mehr als fünf Prozent der eingeplanten Etatmittel sind laut EU „für die Finanzierung bahnbrechender Ideen“ vorgesehen, durch die Innovationen im Hinblick auf eine radikale Veränderung der Verteidigungstheorie und -praxis angeschoben werden können. Diese Vorgabe bezeichnen die Entscheider in Brüssel als „Förderung disruptiver Technologien für die Verteidigung“.

Die letzte Rahmenbedingung im EVF-Auswahlverfahren lautete schließlich: „Übereinstimmung [der eingereichten Vorschläge] mit den Prioritäten auf EU-Ebene, insbesondere mit der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ), da die Hälfte der ausgewählten Entwicklungsvorschläge später im Rahmen eines SSZ-Projekts – auch PESCO-Projekt genannt – verwirklicht werden soll.“


Hintergrund                           

Der Europäische Verteidigungsfonds (EVF) ist das Leitinstrument der Europäischen Kommission zur Unterstützung der Verteidigungszusammenarbeit in Europa. Der EVF ist „kein Ersatz für die Anstrengungen der Mitgliedstaaten“. Er fördert vielmehr die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen aller Größen und Forschungsakteuren in der gesamten Europäischen Union.

Der EVF unterstützt wettbewerbsfähige und kooperative Verteidigungsprojekte während des gesamten Forschungs- und Entwicklungszyklus, wobei der Schwerpunkt auf Projekten zur Entwicklung moderner und interoperabler Verteidigungstechnologien und entsprechender Ausrüstung liegt. Zudem fördert der Fonds Innovationen und schafft Anreize für die grenzüberschreitende Beteiligung von KMU.

Die Projekte werden nach Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen ausgewählt und auf der Grundlage der Prioritäten definiert, die von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) – insbesondere des Fähigkeitenentwicklungsplans (Capability Development Plan, CDP) – in Bezug auf Verteidigungsfähigkeiten vereinbart wurden.

Der Fonds ist für den Zeitraum 2021 bis 2027 mit Mitteln in Höhe von 7,953 Milliarden Euro (zu jeweiligen Preisen) ausgestattet, die sich auf zwei Säulen aufteilen:
2,651 Milliarden Euro sind für die Finanzierung kooperativer Forschung im Bereich Verteidigung vorgesehen, um entstehenden und künftigen Sicherheitsbedrohungen begegnen zu können;
5,302 Milliarden Euro sind eingeplant für die Kofinanzierung kooperativer Projekte zur Fähigkeitenentwicklung.

Jeweils vier bis acht Prozent der EVF-Mittel sollen genutzt werden für die Entwicklung disruptiver Technologien (die Potenzial „für bahnbrechende Innovationen“ im Verteidigungsbereich bergen) oder fließen in einschlägige Forschungsprojekte.

Die Durchführung des EVF erfolgt mithilfe von sogenannten „Jahresarbeitsprogrammen“, die während des mehrjährigen Finanzrahmens 2021 bis 2027 an 17 „stabilen thematischen und horizontalen Maßnahmenkategorien“ (so die Kommission in ihrem Pressetext) mit folgenden Schwerpunkten ausgerichtet sind:
Sich abzeichnende Herausforderungen: Hier gilt es, ein multidimensionales und ganzheitliches Konzept des modernen Gefechtsfeldes herauszubilden, das etwa medizinische Unterstützung im Verteidigungsbereich, den Bereich CBRN (chemisch, biologisch, radiologisch und nuklear), biotechnische und menschliche Faktoren, Informationsüberlegenheit, fortschrittliche passive und aktive Sensoren, Cyberraum und Weltraum umfasst.

Verstärkende Faktoren und Enabler im Verteidigungsbereich: Diese sollen dem EVF einen entscheidenden technologischen Impuls verleihen und in allen Fähigkeitsbereichen (digitaler Wandel, Energie-Resilienz und ökologischer Wandel, Werkstoffe und Komponenten, disruptive Technologien) relevant sein. Hinzu kommen offene Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen für innovative, zukunftsorientierte Verteidigungslösungen einschließlich besonderer Aufforderungen für KMU.

Exzellenz in der Kriegsführung: Zur Verstärkung des Fähigkeitenaufbaus und der Unterstützung ambitionierter Verteidigungssysteme – etwa in den Bereichen Luftkampf, Luft- und Raketenabwehr, Bodenkampf, Schutz der eigenen Kräfte und Mobilität, Seegefechte, Unterwasserkriegsführung sowie Simulation und Ausbildung.


Unsere Symbolaufnahmen zeigt Angehörige des Eurokorps am 9. Mai 2011 im französischen Strasbourg anlässlich einer Zeremonie zum Jubiläum „25 Jahre Europaflagge“. Seit dem 9. Mai 2011 wird auch zusätzlich zur Bundesflagge je eine Europaflagge vor dem Eingang West und Ost des Reichstagsgebäudes in Berlin, dem Sitz des Deutschen Bundestages, gehisst. Eine weitere Europaflagge weht über dem südöstlichen Turm des Reichstagsgebäudes, während die anderen drei Türmen jeweils eine Bundesflagge tragen.
(Foto: Pietro Naj-Oleari/für European Parliament)

Kleines Beitragsbild: Schriftzug im Eingangsbereich der Europäischen Kommission. Die Kommission residiert in Brüssel im Berlaymont-Gebäude am östlichen Rand der Stadt. Das Berlaymont-Gebäude beherbergt die Büros des Präsidenten beziehungsweise der Präsidentin der EU-Kommission (derzeitige Amtsinhaberin ist Ursula von der Leyen) sowie der übrigen 26 Kommissare und deren Mitarbeiter. Weiterhin befinden sich dort die Büros des Generalsekretariats, des juristischen Dienstes und der Pressesprecher der Kommission. Das Logo der Europäischen Kommission im Eingangsbereich greift das Berlaymont-Gebäude in stilisierter Form auf.
(Foto: LIBER Europe)


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