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Moskau/Kiew/Berlin. Seit mehr als einer Woche herrscht in Teilen der Ukraine das Inferno. Trotz harter internationaler Sanktionen und weltweiter Kritik verfolgt Russlands Präsident Wladimir Putin im Nachbarland weiter beharrlich seine imperialen Ziele. Putins Überfall auf die Ukraine brachte den Krieg zurück nach Europa, ein Krieg, der mit jedem Tag blutiger und schmutziger wird. Ein Krieg, der vor Atomkraftwerken wie dem von Saporischschja nicht Halt macht. Ein Krieg, der möglicherweise die größte Binnenflucht innerhalb Europas seit 1945 auslösen und Millionen Menschen vertreiben könnte. Gleichzeitig tobt – unter der Klassifizierung „Sanktionen“ – ein historischer Finanz- und Wirtschaftskrieg des Westens gegen die elftgrößte Volkswirtschaft der Erde. Diese ökonomischen Sanktionen könnten aus Russland mittelfristig einen Pariastaat machen. Die Welle der Ächtung, die eigentlich Putin und seine Clique meint, zieht sich bereits durch viele Lebensbereiche der Russen: vom Handel über die Kultur bis hin zum Sport.

In einem offenen Brief wandten sich kurz nach dem Einmarsch in die Ukraine Hunderte russische Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten an Putin. Darin heißt es unter anderem: „Wir […] erheben entschiedenen Protest gegen die von den Streitkräften unseres Landes begonnenen kriegerischen Handlungen auf dem Territorium der Ukraine. Dieser verhängnisvolle Schritt führt zu gewaltigen Menschenopfern und untergräbt die Grundlagen des etablierten Systems der Internationalen Sicherheit. Die Verantwortung für die Entfesselung eines neuen Kriegs in Europa liegt vollständig bei Russland.“ Und: „Für diesen Krieg gibt es keinerlei vernünftige Rechtfertigungen. Die Versuche, die Situation im Donbass als Anlass für die Entfesselung einer militärischen Operation auszunutzen, erwecken keinerlei Vertrauen. Es ist ganz offensichtlich, dass die Ukraine keine Bedrohung der Sicherheit unseres Landes darstellt. Der Krieg gegen sie ist ungerechtfertigt und offensichtlich sinnlos.“ Kernbotschaft des Appells ist die Warnung an den Kreml-Alleinherrscher: „Mit der Entfesselung des Krieges hat sich Russland zu internationaler Isolierung verurteilt, zu einem ausgestoßenen Land.“

In unserem heutigen Beitrag blicken wir noch einmal zurück auf die wehr- und sicherheitspolitischen Reaktionen des Westens unmittelbar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und in den folgenden Kriegstagen. Über den Putin’schen Krieg mitten in Europa …

Ist die NATO-Russland-Grundakte von 1997 jetzt nur noch Makulatur?

24. Februar – Brüssel. Die NATO hat unmittelbar nach Beginn der russischen Invasion erstmals ihre Verteidigungspläne für die östliche Bündnisflanke in Kraft gesetzt. Wie Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einem Treffen des Nordatlantikrats am 24. Februar mitteilte, erfolgte dies nach dem „brutalen Kriegsakt“ auf Bitten des Oberbefehlshabers für Europa (SACEUR), des amerikanischen Generals Tod D. Wolters. Stoltenberg erklärte, die Mitgliedstaaten hätten Wolters die Befugnis erteilt, die Fähigkeiten und Truppen „dort einzusetzen, wo sie benötigt werden“, und zwar einschließlich der NATO Response Force (der Schnellen Eingreiftruppe der NATO).

Der NATO-Generalsekretär verwies in seinem Auftritt vor der Presse auch darauf, dass das Bündnis bereits in den vergangenen Wochen seine militärische Präsenz stark ausgebaut habe. Die Verbündeten hätten dabei mehr als einhundert Kampfflugzeuge als startbereite Abfangjäger in Alarmbereitschaft versetzt. Hinzu kämen 120 Kriegsschiffe, die derzeit im Bündnisgebiet unterwegs seien. Die russische Invasion sei keine Überraschung, sagte Stoltenberg. Es sei genau das eingetreten, wovor die NATO seit Wochen gewarnt habe.

Stoltenberg deutete zudem an, dass die Allianz nun auch möglicherweise die NATO-Russland-Grundakte von 1997 in Frage stellen könnte. „Wir haben heute noch nicht alle Antworten“, sagte er, „aber es wird eine neue Wirklichkeit geben, ein neues Europa“.

Festes Bekenntnis der Bündnismitglieder zu Artikel 5 des NATO-Vertrages

24. Februar – Brüssel. Der Nordatlantikrat, das wichtigste politische Entscheidungsgremium der NATO, verurteilte in einer Erklärung „auf das Schärfste den schrecklichen Angriff Russlands auf die Ukraine“. Dieser Angriff sei völlig ungerechtfertigt und unprovoziert. Der Nordatlantikrat verurteilte auch Belarus, das diesen Angriff ermöglicht habe.

Weiter heißt es in der Erklärung: „Dieser erneute Angriff ist ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, und steht in völligem Widerspruch zu den Verpflichtungen Russlands aus der Schlussakte von Helsinki, der Charta von Paris, dem Budapester Memorandum und der NATO-Russland-Grundakte. Der Angriff stellt einen Akt der Aggression gegen ein unabhängiges, friedliches Land dar.“ An die Adresse der Ukraine gerichtet versichern die Ratsmitglieder: „Wir stehen an der Seite des ukrainischen Volkes und seines rechtmäßigen, demokratisch gewählten Präsidenten, seines Parlaments und seiner Regierung. Wir werden die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen, einschließlich ihrer Hoheitsgewässer, stets uneingeschränkt unterstützen.“

Russland wird mit Nachdruck aufgefordert, „von dem von ihm eingeschlagenen Weg der Gewalt und Aggression“ abzulassen. Die russische Führung müsse nun die volle Verantwortung für die Folgen ihres Handelns tragen. Dabei werde Russland einen sehr hohen wirtschaftlichen und politischen Preis zahlen. Die NATO werde sich weiterhin eng mit den einschlägigen Akteuren und anderen internationalen Organisationen, einschließlich der EU, abstimmen.

Am Schluss des Dokuments kündigt der Nordatlantikrat an: „Russlands Handlungen stellen eine ernsthafte Bedrohung für die euro-atlantische Sicherheit dar und werden geostrategische Folgen haben. Die NATO wird weiterhin alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit und Verteidigung aller Bündnispartner zu gewährleisten. Wir verlegen zusätzliche defensive Land- und Luftstreitkräfte in den östlichen Teil des Bündnisses sowie zusätzliche Seestreitkräfte. Wir haben die Bereitschaft unserer Streitkräfte erhöht, um auf alle Eventualitäten reagieren zu können.“

Die Abschreckung und Verteidigung im gesamten Bündnisgebiet werde weiter gestärkt, so das Gremium. Dazu seien bereits Konsultationen nach Artikel 4 des Washingtoner Vertrages geführt worden. Alle Maßnahmen der NATO seien und blieben „präventiv, verhältnismäßig und nicht deeskalierend“. Das Bekenntnis der Bündnismitglieder zu Artikel 5 des Washingtoner Vertrages sei zudem unumstößlich – man sei geeint, sich gegenseitig zu verteidigen.

Enger Schulterschluss der Allianz mit der Europäischen Union

24. Februar – Brüssel. Am frühen Donnerstagnachmittag empfing NATO-Chef Stoltenberg die Spitzen der Europäischen Union, den Ratspräsidenten Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Der Termin im Brüsseler Hauptquartier sollte vor allem den engen Schulterschluss des Bündnisses mit der Europäischen Union dokumentieren. Michel und von der Leyen nahmen auch an der Videokonferenz der 30 Staats- und Regierungschefs der NATO teil. Zugeschaltet waren auch die engen Partner Schweden und Finnland – auch dies mit Symbolwirkung.

NATO-Oberbefehlshaber Wolters hatte angesichts der Spannungen mit Russland schon in der vergangenen Woche die Bereitschaftszeiten für mehrere Zehntausend Bündnissoldaten drastisch verkürzt. Kräfte der schnellen Eingreiftruppe NRF müssen jetzt innerhalb von nur sieben statt innerhalb von 30 Tagen verlegt werden können. Für weitere Truppenteile gilt eine sogenannte „Notice-to-Move“-Frist von 30 statt von 45 Tagen. Bereits vor einigen Woche hatte Wolters diese Frist für die schnellste NATO-Eingreiftruppe, die VJTF (Very High Readiness Joint Task Force), erhöht. Dies bedeutet, dass die zugehörigen Soldaten derzeit innerhalb von höchstens fünf Tagen bereit für eine Verlegung in ein Krisengebiet sein müssen.

„Russlands Angriff auf die Ukraine eine Zäsur von weltpolitischer Bedeutung“

24. Februar – Berlin. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht wandte sich an diesem Donnerstag in einem Tagesbefehl an die Truppe. Den Soldaten, Reservisten und zivilen Mitarbeitern der Streitkräfte teilte sie mit:

Seit heute Nacht greifen russische Truppen das Staatsgebiet der Ukraine an. Das, was wir mit Diplomatie verhindern wollten, ist eingetreten. Die Bundesregierung verurteilt diesen Akt des Krieges aufs Schärfste und fordert die russische Führung auf, alle Kampfhandlungen sofort einzustellen und alle russischen Truppen unverzüglich aus der Ukraine abzuziehen. Auch die Internationale Gemeinschaft hat den Einmarsch in großer Geschlossenheit verurteilt. Deutschland weiß sich in dieser Frage auf einer Seite mit seinen Partnern in der NATO und der Europäischen Union.

Russlands Angriff auf die Ukraine ist eine Zäsur von weltpolitischer Bedeutung. Wir haben wieder Krieg in Europa. Nicht nur die europäische Friedensordnung, zu der sich auch Russland nach 1990 bekannt und verpflichtet hat, ist schwer beschädigt. Russland bricht Völkerrecht und tritt die gemeinsam vereinbarten Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen und der Charta von Paris mit Füßen.

Auch die Bundeswehr ist von dieser neuen Lageentwicklung betroffen. Das Bündnisgebiet der NATO ist bedroht und es ist nicht absehbar, wie weit Putin mit seiner Aggression gehen wird. Die NATO hat die vorgesehenen Krisenreaktionspläne aktiviert. Die Verstärkung unserer Kräfte im Rahmen der enhanced Forward Presence der NATO in Litauen war bereits erfolgt. Wir ergreifen nun Maßnahmen, um unsere reaktionsschnelle Einsatz- und Verlegebereitschaft zu erhöhen. Dafür sind wir vorbereitet. Unser Ziel ist es, unsere Verbündeten an der Ostflanke zu schützen und die Unversehrtheit von NATO-Territorium sicherzustellen. Unsere Verbündeten und Freunde an der NATO-Ostflanke verlassen sich auf uns und wir sind da, wenn sie uns brauchen.

Über weitere Schritte beraten wir derzeit intensiv mit unseren Alliierten. Über die konkreten Aufgaben, die nun auch auf unsere […] Soldaten zukommen, werden der Generalinspekteur der Bundeswehr und ich Sie laufend unterrichten. Klar ist, dass die Bundeswehr in dieser Krise gefordert sein wird, und dass wir unseren Auftrag zur Landes- und Bündnisverteidigung uneingeschränkt wahrnehmen werden.

Die russische Seite hat es nun in der Hand, die Aggression sofort zu beenden, und die akute Bedrohung des Friedens in ganz Europa zu entschärfen. Unsere Gedanken sind in diesen Stunden beim ukrainischen Volk, das um seine Freiheit und seine Sicherheit ringt.

Ich bin stolz, dass wir in dieser Stunde großer Sorge und Bedrängnis auf eine motivierte und starke Bundeswehr zählen können. Und ich weiß die Sicherheit unseres Landes und unserer Verbündeten bei Ihnen allen in guten Händen. Für Ihren Einsatz in dieser akuten Lage danke ich Ihnen herzlich.

Maßnahmenkatalog des Bündnisses für den Krisenfall inzwischen ausgelöst

24. Februar – Berlin. In einer am Donnerstagnachmittag veröffentlichten Pressemitteilung teilte das Bundesministerium der Verteidigung mit, dass man nun NATO-Alarmmaßnahmen umgesetzt habe. Das Ministerium: „Die NATO hat aufgrund der aktuellen Ereignisse die Mitgliedstaaten aufgefordert, weitere Krisenreaktionsmaßnahmen auszulösen, die sogenannten ,Crisis Response Measures‘, ein Maßnahmenkatalog der NATO für den Krisenfall. Deutschland steht fest an der Seite seiner Bündnispartner und [hat] gemeinsam mit den Alliierten der zugrundeliegenden Vorgehensweise im NATO-Rat […] zugestimmt.“

Basierend auf der NATO-Entscheidung zur Auslösung der Krisenreaktionsmaßnahmen, habe das Ministerium nun sogenannte nationale Alarmmaßnahmen ausgelöst, heißt es in der Presseerklärung weiter. Und: „Die Bundeswehr wird bis in die einzelne Dienststelle vorbereitende Maßnahmen für den Fall einer Verlegung der NATO Response Force treffen.“

Ein Onlinebeitrag der Bundeswehr erklärte an diesem Tag zeitgleich zur Veröffentlichung der Pressemitteilung: „Die Bundeswehr trifft jetzt unter anderem Vorbereitungen für den Fall einer Verlegung der deutschen Anteile der NATO Response Force. Die Eingreiftruppe zählt rund 40.000 […] Soldaten. 13.700 Männer und Frauen werden von der Bundeswehr gestellt. Bereits am Freitag hatte die NATO die Reaktionszeiten nach einem möglichen Alarmbefehl deutlich heruntergesetzt: Teile der NRF müssen nun nach Eingang der sogenannten ,Notice-to-Move‘ in kürzerer Zeit marschbereit sein.“

Aufgrund der Bereitschaftserhöhung könne es möglicherweise in den nächsten Tagen verstärkt zu militärischen Bewegungen in der Öffentlichkeit kommen, heißt es in dem Onlinetext weiter. Auch könne es in Deutschland zu Verkehrseinschränkungen kommen, da Transportkapazitäten für militärische Zwecke vorgehalten werden müssten.

Angemessene Reaktion auf den Bruch des Völkerrechts durch Russland

24. Februar – Berlin. In einem weiteren Onlinebeitrag des Verteidigungsministeriums an diesem Donnerstagnachmittag wird ebenfalls noch einmal über die NRF-Einsatzbereitschaft aufgeklärt. Unter anderem heißt es dort: „Mit dem Maßnahmenkatalog ,Crisis Response Measures‘ kann die Einsatzbereitschaft und Mobilität von Truppen der NATO Response Force erhöht werden. Die Verringerung der Reaktionszeiten im Fall eines Alarmbefehls gilt nicht nur für die deutschen [Kräfte], sondern für alle Angehörigen der NRF. Es handelt sich um eine rein defensive Maßnahme: Die Entscheidung zu einer tatsächlichen Verlegung der NRF treffen die NATO-Mitgliedstaaten im Nordatlantikrat in Brüssel.“

Und an anderer Stelle wird erläutert: „Die Erhöhung der Verlegebereitschaft betrifft in Deutschland die sogenannte Initial Follow-on Forces Group (IFFG), die Ersatztruppe für die Very High Readiness Joint Task Force, die VJTF. Deren Angehörige wurden an ihren Standorten in erhöhte Bereitschaft versetzt. Nächstes Jahr werden sie in der VJTF dienen: Dann übernimmt Deutschland die Führung der NATO-Speerspitze.“

Der Autor des ministeriellen Beitrags weist am Schluss noch einmal darauf hin, dass die Maßnahmen die Sicherheit der Bündnispartner erhöhen und einen möglichen Aggressor abschrecken sollen. Die Einleitung defensiver Maßnahmen sei dabei eine angemessene Reaktion auf den Bruch des Völkerrechts durch Russland. Die Nachbarländer Russlands – darunter auch die NATO-Staaten Estland, Lettland und Litauen – fühlten sich spätestens seit der Annexion der Krim 2014 durch Russland besonders bedroht. Dazu Verteidigungsministerin Lambrecht: „Die Allianz steht zusammen, stark und geeinter denn je. Und Deutschland ist mit mehreren Tausend [Bundeswehrangehörigen] in den kommenden Jahren einer der Haupttruppensteller der NATO Response Force. Unsere Partner können sich auf unsere Solidarität und die Präsenz unserer Truppen verlassen.“

Sorgenvolle Worte des Inspekteurs des Deutschen Heeres

24. Februar – Strausberg. Dass hochrangige Angehörige der Bundeswehr öffentlich Kritik am deutschen Militär üben, ist ungewöhnlich. Generalleutnant Alfons Mais, der Inspekteur des Deutschen Heeres, meldete sich an diesem Donnerstag im sozialen Netzwerk LinkedIn sogar ungewöhnlich scharf zu Wort. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und der Einsatzbereitschaft der deutschen Streitkräfte warnte er, die Bundeswehr stehe derzeit „mehr oder weniger blank da“. Der Hilferuf des Heeresinspekteurs:

Du wachst morgens auf und stellst fest: Es herrscht Krieg in Europa. Gestern haben wir im Heer einen „Tag der Werte“ durchgeführt. Im Kern stand die Frage „wofür dienen wir?“ Nie war es einfacher der Generation, die den Kalten Krieg nicht mehr erlebt hat, das zu verdeutlichen.

Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da. Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung anbieten können, sind extrem limitiert.

Wir haben es alle kommen sehen und waren nicht in der Lage, mit unseren Argumenten durchzudringen, die Folgerungen aus der Krim-Annexion zu ziehen und umzusetzen. Das fühlt sich nicht gut an! Ich bin angefressen!

Noch ist NATO-Territorium nicht direkt bedroht, auch wenn unsere Partner im Osten den konstant wachsenden Druck spüren.

Wann, wenn nicht jetzt ist der Zeitpunkt, den Afghanistaneinsatz strukturell und materiell hinter uns zu lassen und uns neu aufzustellen, sonst werden wir unseren verfassungsmäßigen Auftrag und unsere Bündnisverpflichtungen nicht mit Aussicht auf Erfolg umsetzen können.

Grundsätzliche Veränderung der deutschen Sicherheitspolitik erforderlich

24. Februar – Berlin. Auch die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, äußerte sich an diesem Tag zum Thema „Einsatzbereitschaft der Bundeswehr“. Ihrer Meinung nach werden nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zahlreiche neue Aufgaben und Herausforderungen auf die Truppe zukommen. Dabei sieht Högl aber das deutsche Militär nur bedingt einsatzbereit. „Die Kaltstartfähigkeit der Bundeswehr ist nicht so, wie sie sein müsste“, erklärte sie im Fernsehsender phoenix und antwortete auf die Frage nach Einsatzfähigkeit von Mensch und Material bei der Bundeswehr: „Wir wissen nicht ganz genau, ob es so ist.“ Nunmehr bedürfe es einer raschen Bestandsaufnahme der Leistungsfähigkeit der Truppe. „Jetzt muss knallhart priorisiert werden“, forderte die Wehrbeauftragte. So müsse beispielsweise bei der Ausbildung die Sicherung der Grenzen des NATO-Bündnisses und die der eigenen Grenzen künftig im Vordergrund stehen.

Högl vertrat bei phoenix außerdem die Ansicht, dass eine grundsätzliche Veränderung der deutschen Sicherheitspolitik unbedingt nötig sei. „Perspektivisch wird es wahrscheinlich darum gehen: Weniger Auslandseinsätze mit weniger Kräften, dafür eine Verstärkung für die Bundes- und Landesverteidigung“, erklärte sie. Eine Umstrukturierung der Bundeswehr, die man immer wieder angedacht habe, sei nun unumgänglich. „Wir hätten nicht geglaubt, dass das so schnell, so brutal kommen wird“, gestand die SPD-Politikerin ein.

Die Wehrbeauftragte rechnet damit, dass an Deutschland Bitten um weiteren militärischen Beistand – insbesondere von den baltischen Staaten, möglicherweise auch aus Rumänien – herangetragen werden wird. „Ich fordere, dass die Bundeswehr vorbereitet ist, dass sie dafür ausgerüstet, ausgestattet und ausgebildet ist – und das ist noch nicht an allen Stellen der Fall“, kritisierte Högl. Wenn etwa bei den deutschen Soldaten in Litauen Kälte- und Nässeschutz fehlten, sei das „nicht akzeptabel in einem der reichsten Länder der Erde“.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine – ein „Nine-Eleven-Moment“ für Europa

24. Februar – Berlin. Högls Vorgänger im Berliner Amt, Hans-Peter Bartels, verglich an diesem Donnerstag die Bedeutung des russischen Angriffs auf die Ukraine mit der der Terroranschläge in den USA vom 11. September 2001. „Für Europa ist das ein Nine-Eleven-Moment“, sagte Bartels der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ). „Das ist ein Tag, der alles verändert. Man sieht plötzlich etwas, das man nie mehr erwartet hat – dass noch mal ein Angriffskrieg in Europa stattfindet.“ Gleichzeitig befürchtet der frühere Wehrbeauftragte mit der russischen Invasion auch „den Beginn eines neuen Kalten Krieges“.

Als Konsequenz aus dem russischen Angriff forderte Bartels eine grundlegende Strukturreform der Bundeswehr: „Wir brauchen in den Streitkräften weniger Kommandobehörden und mehr Truppe, also voll aufgestellte organische Kräfte.“ Vor allem im Heer seien Änderungen nötig. Derzeit gebe es dort statt der angestrebten acht bis zehn Brigaden nur siebeneinhalb, denen zudem „wichtige Fähigkeiten fehlen“ würden, kritisierte Bartels im Gespräch mit der NOZ: „Die haben keine eigenen Fernmelder, keine eigene Sanität, keine eigene Logistik, keine eigene ABC-Abwehr.“

Die Lücken sind laut Bartels vor allem dadurch verursacht, weil das Heer seit der letzten Reform von 2011 noch auf Einsätze wie die erst kürzlich beendeten Afghanistanmission ausgerichtet gewesen sei. Hier hätten sich sechs Brigaden in regelmäßigen Abständen abgewechselt und nur die vor Ort eingesetzte Brigade sei vollständig versorgt worden. Nötig seien aber Brigaden, die alle komplett ausgerüstet sein müssten und gleichzeitig verlegt werden könnten. „Derzeit ist Deutschland aber nicht mal in der Lage, eine Brigade für die NATO-Reaktionsstreitkräfte voll auszurüsten“, beklagte Bartels.

Der frühere Kieler Bundestagsabgeordnete bemängelte auch den Zustand der Bundeswehr-Ausrüstung. „Das Material ist in dramatischer Verfassung. Es ist in manchen Bereichen zu alt, in manchen Bereich gibt es zu wenig – und wenn es mal neues Material gibt, funktioniert es erst mal lange nicht.“ Außerdem forderte Bartels, dass die Bundesregierung rasch die Verteidigungsausgaben – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – erhöht: „Es wird zusätzliches Geld gebraucht – je schneller desto besser.“

Reservisten sollen Durchhaltefähigkeit an der NATO-Ostflanke gewährleisten

24. Februar – Berlin. Die Bundeswehr erwägt, wegen des Krieges in der Ukraine auch Reservisten einzuberufen. Das sagte Verteidigungsministerin Lambrecht nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) an diesem Donnerstag im Verteidigungsausschuss. Sie kündigte in der Sitzung an, mit dem Präsidenten des Reservistenverbandes, dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Patrick Sensburg, darüber sprechen zu wollen.

Aktuell gibt es rund 20.000 Reservisten, die an regelmäßigen Übungen teilnehmen. Nach RND-Informationen geht es bei der Erwägung, Reservisten einzuberufen, vor allem darum, bei den bevorstehenden und sich voraussichtlich ausweitenden Einsätzen der Bundeswehr in Osteuropa die Durchhaltefähigkeit zu gewährleisten.

Weitere deutsche Eurofighter bei der Luftraumsicherung über Rumänien

24. Februar – Berlin/Neuburg an der Donau/Mihail Kogălniceanu (Rumänien). Drei weitere Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 aus Neuburg an der Donau verstärken jetzt die NATO-Mission „enhanced Air Policing South“ in Rumänien und schützen gemeinsam mit der italienischen Luftwaffe den südosteuropäischen Luftraum der NATO.

Bereits in der vergangenen Woche waren drei Eurofighter desselben Geschwaders nach Rumänien gestartet, um für zwei Wochen am Air Policing South teilzunehmen. Jetzt werden nicht nur weitere Kampfflugzeuge verlegt, sondern das Engagement zusätzlich verlängert, so dass nun insgesamt sechs Kampfjets bis zunächst Ende März vor Ort bleiben werden, erklärte Verteidigungsministerin Lambrecht nach der Sitzung des Verteidigungsausschusses am Donnerstag.

In einer Pressemitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung zur Luftraumsicherung von Rumänien aus heißt es: „In Anbetracht des russischen Einmarschs in der Ukraine hat sich Deutschland dazu entschlossen, das Engagement beim NATO enhanced Air Policing South (eAPS) in Rumänien auszudehnen. Dazu werden wir die drei ursprünglich eingesetzten Waffensysteme Eurofighter um drei weitere Luftfahrzeuge ergänzen und den Beitrag zudem voraussichtlich bis Ende März 2022 verlängern. Die Verlegung der Verstärkungskräfte hat bereits am heutigen Tag (24. Februar) begonnen. Zusammen mit der italienischen Luftwaffe werden wir in Rumänien weiterhin im Rahmen des ,Quick Reaction Alert‘ (QRA) die Sicherheit im NATO-Luftraum gewährleisten und die im Jahr 2014 verabschiedeten Maßnahmen zur Bündnissolidarität und Rückversicherung umsetzen.“

(Berichterstattung wird fortgesetzt) …


Zu unserem Bildmaterial:
1. Es sind düstere Zeiten für die Ukraine und Europa – am 5. März 2022 brachten Kirchenhelfer den Gekreuzigten Christus aus einer Kathedrale in Lviv zum Schutz vor Kriegsbeschädigung an einen sicheren Ort. Letztmalig war das Kunstwerk während des Zweiten Weltkriegs zum Schutz ausgelagert worden.
(Bild: nr/Twitter)

2. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht stellte sich am 24. Februar 2022 bei einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses zum Angriff Russlands auf die Ukraine den Fragen der nationalen und internationalen Presse.
(Foto: Jörg Volland/Bundeswehr)

3. Am 24. Februar 2022 verurteilte der Nordatlantikrat den Überfalls Putins auf das Nachbarland Ukraine auf das Schärfste. Unser Symbolbild zeigt die Flaggen der 30 NATO-Mitgliedstaaten vor dem Hauptquartier des Bündnisses in Brüssel.
(Foto: NATO)

4. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 24. Februar 2022 bei seinem Statement vor der Presse.
(Foto: NATO)

5. Der Inspekteur des Deutschen Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, sorgte mit seinem Appell in dem sozialen Netzwerk LinkedIn für Aufsehen. Die Aufnahme zeigt ihn bei einer Veranstaltung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes im Dezember 2021 in Berlin.
(Foto: Mika Schmidt/DBwV)

6. Die ukrainische Bevölkerung leistet den Invasoren erbitterten Widerstand. Das Foto eines bewaffneten jüdischen Kämpfers, das in den sozialen Medien vielfach geteilt wurde, führte Putins Behauptung, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ werden, komplett ad absurdum. Wo das Bild genau aufgenommen wurde, lässt sich nicht sagen.
(Bild: nr/Twitter)

7. Die Verluste der russischen Streitkräfte in der Ukraine scheinen hoch. Das ukrainische Militär spricht von mehr als 10.000 Soldaten, die den Invasionstruppen mittlerweile fehlen würden – Kriegstote, Verwundete, Deserteure. Russland selbst beziffert die eigenen Verluste mit „einigen Hundert“. Überprüfen lassen sich die Zahlen der Kriegsparteien nicht. Das Bild zeigt einen zerstören russischen Panzer nach dem Einsturz einer Brücke in der Ukraine.
(Bild: nr/Twitter)

8. London, Paris, Rom, Berlin – Europa protestiert gegen den Überfall auf die Ukraine und den brutalen Krieg im Nachbarstaat Russlands. Alleine in München kamen am 2. März 2022 rund 45.000 Menschen auf dem Königplatz zusammen, um gegen das „völkerrechtswidrige und menschenverachtende“ Vorgehen Putins zu demonstrieren.
(Bild: nr/Twitter)

9. Nach Angaben des unabhängigen russischen Menschenrechtsmedienprojekts OVD-Info sind in Russland seit Kriegsbeginn mehr als 13.000 Menschen bei Anti-Kriegs-Protesten und kremlkritischen Demonstrationen verhaftet worden. Der Mut dieser Bürger in einem Land mit immer weniger Spielraum für die Demokratie ist schlichtweg bewundernswert.
(Bild: nr/Twitter; Bildmontage: mediakompakt)

10. Der Krieg in der Ukraine und um die Ukraine führt zu unzähligen Fehlinformationen auch über den Konflikt hinaus. In vielen sozialen Netzwerken hat sich beispielweise ein Foto verbreitet, das den Anschein erweckt, ein Titelbild des Time-Magazins zu sein. Auf dem vermeintlichen Cover ist das Gesicht Putins zu sehen. Im Bereich der Mund- und Nasenpartie des russischen Präsidenten ist das Foto bearbeitet – es sieht aus, als sei ein Teil des Fotos weggerissen. Zu sehen ist stattdessen die Mund- und Nasenpartie von Adolf Hitler. Auf den ersten Blick wirkt es so, als sei das Foto von Putin mit Hitlerbart ein echtes Time-Produkt. Es gibt jedoch ein Indiz dafür, dass es sich nicht um das echte Titelbild des aktuellen Time-Magazins handelt: Am Rand des Fotos steht der Hinweis „by Patrick Mulder“ – „von Patrick Mulder“. Mulder, laut eigenem Twitter-Profil Künstler und Grafikdesigner, hatte das Foto als Montage am 27. Februar auf seinem Account veröffentlicht. Seine Begründung: Er halte das echte Cover-Foto des Magazins für „uninspiriert“. Mulder erklärte, es sei nie seine Absicht gewesen, Falschinformationen zu verbreiten. Dennoch stehe er zu seinem „Kunstwerk“. Das echte Time-Cover, das ebenfalls den Titel „The Return of History“ trägt, zeigt einen russischen Panzer mit Soldaten.
(Bilder: nr/Twitter; Bildmontage: mediakompakt)

Kleines Beitragsbild: In vielen Städten rund um den Globus demonstrierten Menschen direkt nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine gegen den Kreml-Despoten Putin.
(Bild: nr)


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