Liebe Leserin, lieber Leser,
Freunde des bundeswehr-journal!
Ein neues Jahr hat begonnen, das alte Jahr 2021 hat sich verabschiedet (besser: wir haben uns von ihm verabschiedet). Die vergangenen zwölf Monate, die auch das bundeswehr-journal ständig redaktionell begleitet hat, waren wirklich herausfordernd: Coronavirus-Pandemie, Flutkatastrophe, Abzug und Evakuierung aus Afghanistan. Irina Steinhauer, die im Referat „Onlinedienste und Parlamentsfernsehen“ des Deutschen Bundestages arbeitet, hat einen ganz besonderen Jahresrückblick verfasst. Einen Rückblick auf 2021 durch die parlamentarische Brille. Die Autorin und das Referat des Bundestages erteilten uns freundlicherweise für diesen Beitrag eine Nachdruckerlaubnis. Dafür bedanken wir uns herzlich. Erinnern wir uns nun gemeinsam an „ein Jahr voller politischer Kontroversen und hitziger Debatten“ – „als wäre es Gestern gewesen“…
Nicht selten saßen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in den vergangenen Monaten bis spät in die Nacht im Plenarsaal zusammen, um im Akkord über Gesetzentwürfe und Anträge abzustimmen. Auch jenseits akuter Krisen trafen sie eine Reihe richtungsweisender Entscheidungen: vom Lobbyregister bis zum nachgeschärften Klimaschutzgesetz. 2021 war aber auch ein Jahr im Zeichen der Bundestagswahl.
Mit dem Zusammentritt des neuen Parlaments am 26. Oktober endete die 19. Wahlperiode – und mit ihr die Große Koalition unter der Unionspolitikerin Angela Merkel. Rund anderthalb Monate nach der Konstituierung des neuen Bundestages wählten die Abgeordneten den Sozialdemokraten Olaf Scholz zum neuen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Zunächst aber beginnt das neue Jahr, wie das alte aufgehört hat: mit Debatten zur Pandemielage in Deutschland. Wenige Tage nach Neujahr verlängern Bund und Länder den bestehenden Lockdown und verschärfen die Kontaktbeschränkungen. Im Parlament erklärt Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 13. Januar: „Die Impfung bringt Licht ans Ende des Tunnels.“ Die Opposition reagiert mit scharfer Kritik am Krisenmanagement der Regierung, besonders an der aus ihrer Sicht nur schleppend anlaufenden Impfkampagne.
Ende Januar liefern sich Koalition und Opposition einen verbalen Schlagabtausch: In einer Aktuellen Stunde debattieren die Abgeordneten in zunehmend scharfem Ton über Versäumnisse in der Pandemie und Auswege aus der Krise. Am 11. Februar spricht Kanzlerin Merkel in ihrer Regierungserklärung von der „schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“. An die Bevölkerung appelliert sie, ausdauernd zu bleiben und die Auflagen umzusetzen. Die Opposition kritisiert vor allem die aus ihrer Sicht unzureichende Transparenz der Entscheidungen.
Angesichts steigender Infektionszahlen beschließt das Parlament am 21. April die Bundesnotbremse. Während in Berlin Tausende gegen die Corona-Politik demonstrieren, wird im Plenarsaal hitzig debattiert. Am Ende sind 342 Abgeordnete für den Entwurf von Union und SPD, 250 dagegen, 64 enthalten sich.
Konkret sieht das neue Infektionsschutzgesetz vor, dass bis Ende Juni in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt automatisch zusätzliche Maßnahmen wie nächtliche Ausgangssperren greifen, wenn dort an drei aufeinanderfolgenden Tagen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 überschritten wird. Zudem ermächtigt die Gesetzesänderung die Bundesregierung, ab dieser Inzidenz mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat durch Rechtsverordnungen Gebote und Verbote zu erlassen. Wenige Tage nach der Abstimmung im Plenum tritt die Notbremse in Kraft.
Die Corona-Pandemie beschäftigt den Bundestag auch in der parlamentarischen Sommerpause: Nach einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition beschließen die Abgeordneten in einer Sondersitzung am 25. August, die epidemische Notlage von nationaler Tragweite um drei Monate zu verlängern. Festgestellt worden war die Pandemie-Notlage im März 2020. Sie gibt dem Bund besondere Befugnisse nach dem Infektionsschutzgesetz, etwa zum Erlass von Rechtsverordnungen sowie Anordnungen.
Es bleibt die letzte Verlängerung: Rund anderthalb Monate nach der Bundestagswahl beschließt das Parlament, die epidemische Notlage Ende November auslaufen zu lassen. Nach einer kontroversen Debatte entscheiden sich am 18. November 398 Abgeordnete für den Gesetzentwurf der neuen Ampel-Partner, 254 sind dagegen, 36 enthalten sich.
Umstritten ist auch die von der „Ampel“-Koalition geplante Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal, die der Bundestag am 10. Dezember debattiert. Vertreter der Opposition werfen der neuen Regierung vor, halbherzig gegen die steigenden Infektionszahlen vorzugehen.
Der neue Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) hingegen appelliert an die Opposition, sich in dieser Notlage einer Zusammenarbeit nicht zu verweigern. „Diese Pandemie ist eine Aufgabe für uns alle und keine Gelegenheit für Parteipolitik.“ Mit der Nachschärfung des Infektionsschutzgesetzes hätten die Länder alle nötigen Instrumente gegen die Ausweitung der Pandemie in der Hand, so der Minister. In der anschließenden namentlichen Abstimmung spricht sich eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten für den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen aus.
Die Corona-Lage beherrscht 2021 nicht nur die gesetzgeberische Arbeit im Parlament. Sie verändert auch den Arbeitsalltag der Abgeordneten im Bundestag. So gilt etwa seit Oktober die 3G-Regel im Plenarsaal.
Wer weder einen Impf- oder Genesenennachweis noch einen Corona-Test vorlegt, muss die Sitzung von der Besuchertribüne aus verfolgen. Im Dezember wird zudem die Maskenpflicht ausgeweitet und gilt nun auch am Sitzplatz. Ausgenommen sind allein die amtierenden Präsidentinnen und Präsidenten sowie die Abgeordneten am Redepult und an den Saalmikrofonen.
Die Pandemie ist jedoch nicht die einzige Krise, die den Bundestag 2021 herausfordert: Mitte Juli sorgen Starkregen und Unwetter für enorme Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Das Hochwasser zerstört ganze Ortschaften, mindestens 180 Menschen sterben. Am 7. September beschließt der Bundestag einen von Union und SPD initiierten 30-Milliarden-Euro-Fonds für den Wiederaufbau in den betroffenen Gegenden.
Nach dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan, übernehmen Mitte August die radikalislamistischen Taliban die Macht im Land. Viele Afghanen versuchen zu fliehen, eine Rettungsaktion unter Zeitdruck beginnt. Auch die Bundeswehr bricht mit mehreren Flugzeugen auf, um Schutzbedürftige in Sicherheit zu bringen. Das Mandat dafür erteilen ihr die Abgeordneten am 25. August nachträglich. Im Parlament räumt Bundeskanzlerin Merkel ein, die Regierung habe die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan falsch eingeschätzt.
Einen Tag später beendet die Bundeswehr ihre Evakuierungsmission in Kabul – und mit ihr den fast 20 Jahre langen Einsatz in Afghanistan. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble dankt den Bundeswehrangehörigen der Mission „für deren Einsatzbereitschaft und Leistungswillen“ während eines Empfangs am 13. Oktober.
Rund 93.000 Soldatinnen und Soldaten waren in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Afghanistan im Einsatz, 59 ließen dort ihr Leben. Mit einem Abschlussappell auf dem Paradeplatz des Verteidigungsministeriums und einem Großen Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude werden sie gewürdigt.
Auch jenseits dieser akuten Krisen fasst der Bundestag 2021 eine Reihe von breitenwirksamen Beschlüssen: vom Lobbyregister über die Pflegereform bis zum nachgeschärften Klimaschutzgesetz.
Vor allem gegen Ende der 19. Wahlperiode nimmt sich der Bundestag ein ziemliches Mammutprogramm vor. Der Grund: Was bis zum Ende der Legislaturperiode nicht abgearbeitet ist, verfällt – und muss bei Bedarf nach der Wahl noch einmal neu auf den Weg gebracht werden. Sachliche Diskontinuität nennt man dieses „Alles-auf-Anfang“-Prinzip, das die Abgeordneten 2021 zu einem regelrechten Endspurt zwingt.
Am 25. März beschließt der Bundestag ein Lobbyregister, das die Einflussnahme auf politische Entscheidungen transparenter machen soll. Ziel des von Union und SPD eingebrachten Gesetzes ist es, einen „Regelungsrahmen für das Miteinander von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft“ zu schaffen. Konkret bedeutet das eine Registrierungspflicht für diejenigen, die Interessenvertretung gegenüber dem Parlament ausüben und dabei im demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess mitwirken.
Weitere vielbeachtete Gesetzesbeschlüsse fasst der Bundestag am 11. Juni: Die Pflegereform soll dazu beitragen, Pflegekräfte besser zu bezahlen und zugleich Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zu entlasten. Ziel des ebenfalls verabschiedeten Lieferkettengesetzes ist es, Menschenrechte und Umwelt in der globalen Wirtschaft zu schützen.
Kurz vor der Sommerpause verschärft der Bundestag zudem das Klimaschutzgesetz. Grund für den Vorstoß: Ende April erklärt das Bundesverfassungsgericht Teile des Klimaschutzgesetzes für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Der neue Gesetzentwurf der Bundesregierung, den die Abgeordneten am 24. Juni beschließen, sieht vor, den Treibhausgasausstoß bis 2030 um 65 Prozent und bis 2040 um 88 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu verringern. Im Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein.
Mit der 19. Wahlperiode beenden auch die drei eingesetzten Untersuchungsausschüsse ihre Arbeit: der 1. Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag vom 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz, der 2. Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut und der 3. Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal.
In den vergangenen Jahren hatten sie mögliche Missstände in Regierung und Verwaltung geprüft, mögliches Fehlverhalten von Politikern untersucht sowie Zeugen und Sachverständige vernommen. Im Juni übergeben die drei Ausschüsse ihre Abschlussberichte an Bundestagspräsident Schäuble. Wenige Wochen später startet der 19. Bundestag in seine letzte Sommerpause. Der Wahlkampf nimmt Fahrt auf, das Superwahljahr 2021 bewegt sich auf seinen Höhepunkt zu.
Ende September wirbelt die Bundestagswahl das Kräfteverhältnis im Parlament durcheinander. Erstmals seit 19 Jahren wird die SPD stärkste Kraft (25,7 Prozent). Gefolgt von Union (24,1 Prozent), Grünen (14,8 Prozent), FDP (11,5 Prozent) und AfD (10,3 Prozent). Die Linke verfehlt mit 4,9 Prozent knapp die Fünf-Prozent-Hürde, darf aber dank dreier Direktmandate trotzdem in den 20. Bundestag einziehen.
Und der ist so groß wie noch nie: mit 736 Abgeordneten ist das Parlament erneut auf Rekordgröße angewachsen. Während zunächst mit einem Platz weniger gerechnet wird, muss die Mitgliederzahl bei der Feststellung des endgültigen Ergebnisses knapp drei Wochen nach der Wahl noch einmal nach oben korrigiert werden.
Verschiebt sich das politische Kräfteverhältnis, muss sich das auch in der Sitzverteilung widerspiegeln. Noch bevor Ende Oktober der Startschuss für die 20. Wahlperiode fällt, wird schon fleißig angepackt unter der Kuppel. Während Bundestagsneulinge ihre (provisorischen) Büros beziehen und Abgewählte Umzugskartons packen, machen Handwerker und IT-Techniker den Plenarsaal startklar für die erste Sitzung.
Am 26. Oktober ist es dann soweit: Im Plenarsaal konstituiert sich der neue Bundestag. Die scheidende Kanzlerin beobachtet die Sitzung bereits von der Tribüne aus – Merkel ist mit Beginn der neuen Legislaturperiode kein Bundestagsmitglied mehr.
Rund zwei Monate nach der Wahl präsentieren die Spitzen von SPD, Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag. Das mehr als 170 Seiten lange Dokument trägt den Titel „Mehr Fortschritt wagen“. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz verkündet Kanzlerkandidat Scholz: „Die Ampel steht!“ Es ist der Startschuss für das erste rot-grün-gelbe Bündnis auf Bundesebene.
In der Nikolauswoche endet mit der Kanzlerwahl endgültig die Ära Merkel. Nach 16 Jahren verlässt die erste Regierungschefin der Bundesrepublik die politische Bühne. Anderthalb Wochen bevor sie Helmut Kohls Amtszeitrekord von 5870 Tagen eingestellt hätte, übernimmt ein anderer die Regierungsgeschäfte. Am 8. Dezember wählt der Bundestag den SPD-Politiker Olaf Scholz zum Kanzler der 20. Wahlperiode.
In geheimer Abstimmung erhält der ehemalige Finanzminister 395 von 707 abgegebenen Stimmen. „Ich habe ‚Ja‘ gesagt“, verkündet er wenig später auf einem bekannten Kurznachrichtendienst. Es gibt Blumen, Glückwünsche und – pandemiebedingt – „Fistbumps“ (spezielle Begrüßungsform mit der geballten Faust) statt Umarmungen. Um 12 Uhr nimmt der 63-Jährige zum ersten Mal auf dem Kanzlersessel der Regierungsbank Platz.
Eine Woche später, am 15. Dezember, hält Scholz seine erste Regierungserklärung. „Vor uns liegen große Aufgaben“, sagt er und kündigt an, zentrale Vorhaben im Bereich Klimaschutz, Digitalisierung und wirtschaftliche Transformation zügig anpacken zu wollen. Am selben Tag konstituieren sich 25 ständige Ausschüsse, einer mehr im Vergleich zur vergangenen Wahlperiode.
Nicht nur in der Regierung sorgt die Bundestagswahl für Wechsel. Auch im Präsidium des Bundestages gibt es im Nachklang der Abstimmung eine personelle Veränderung: Mit SPD-Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas steht erstmals seit mehr als 20 Jahren wieder eine Frau an der Spitze des Hohen Hauses. „Ich werde die Präsidentin aller Abgeordneten sein“, versichert Bas während ihrer Antrittsrede. Nach Annemarie Renger und Rita Süssmuth ist die 53-jährige Duisburgerin die dritte Parlamentschefin in der Geschichte der Bundesrepublik.
Das Amt wird traditionell von der stärksten Fraktion besetzt. Schäuble, Vorgänger von Bas, sitzt während der Konstituierung trotzdem ein letztes Mal ganz vorne am Platz des Parlamentspräsidenten. Denn mit seinen fast 50 Jahren Parlamentserfahrung ist der CDU-Politiker das mit Abstand dienstälteste Mitglied des Bundestages; als solches eröffnet er als Alterspräsident die erste Sitzung.
Am 16. Dezember, wenige Tage vor dem vierten Advent, kommt der Bundestag zum letzten Mal im Jahr 2021 zusammen. Auf der Tagesordnung steht ein großes Streitthema: die Sitzordnung im Plenarsaal. Mit den Stimmen der „Ampel“-Koalition sowie der Linksfraktion wird entschieden, dass CDU/CSU und FDP die Plätze tauschen. In Zukunft sollen die Unionsabgeordneten neben der AfD und die FDP-Abgeordneten neben den Grünen sitzen.
Die Sitzordnung war bereits vor der Konstituierung Thema. Damals hatte der Vorältestenrat beschlossen, die bisherige Sitzordnung beizubehalten. Allerdings ist jeder Bundestag – wie nun geschehen – frei, über seine Sitzordnung eigenständig zu entscheiden. Die Handwerker und IT-Techniker werden also ein weiteres Mal anrücken müssen, bevor der Bundestag jetzt Anfang Januar zu seiner ersten Sitzung im neuen Jahr zusammenkommt.
Liebe Freunde des bundeswehr-journal,
ich wünsche Ihnen allen ein gutes, gesegnetes neues Jahr. Bleiben Sie gesund. Und begleiten Sie unsere Arbeit auch in den kommenden Monaten wieder mit Interesse, Kommentaren und Kritik. 2022 könnte ebenfalls ein herausforderndes Jahr werden …
Ihr
Christian Dewitz
(Herausgeber)
Zu unserer Symbolaufnahme: Die Westseite des Reichstagsgebäudes in Berlin in weihnachtlichem Glanz.
(Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag)