Leipzig. Queer in der Bundeswehr – das war lange ein Thema, das totgeschwiegen wurde. Bis in die 1960er-Jahre galten homosexuelle Handlungen in der Truppe als Straftaten. Wer sich in den späteren Jahren outete, musste damit rechnen, degradiert zu werden. Inzwischen sollen Gleichbehandlungsgesetze bei der Bundeswehr eine Diskriminierung unmöglich machen. Doch wie sieht die Realität queerer Menschen in Uniform – sei es beim Militär oder anderen Sicherheitskräften – heute aus?
Die Reportagereihe „exactly“ des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) befasst sich in ihrer aktuellen Ausgabe mit der Frage, wie homophob Bundeswehr und Polizei (immer noch) sind. Dazu sprachen Jonas Juckeland und Leon Grüninger unter anderem mit queeren Soldaten, die ihre Sexualität bis jetzt geheim halten. Sie haben Angst, von Kameraden ausgegrenzt zu werden. Wer offen mit seiner Homosexualität umgeht, scheint nach wie vor auf Ressentiments zu stoßen.
Bundesweit setzt sich der Verein „QueerBw“ für die Belange queerer Soldaten ein. In einer Selbstdarstellung heißt es: „,QueerBw‘ ist seit 2002 die Interessenvertretung der lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Angehörigen der Bundeswehr. Wir setzen uns für Gleichberechtigung ein und bieten eine Anlaufstelle für alle ,queeren‘ Bundeswehrangehörigen. Wir unterstützen bei der Ausbildung und beraten im Umgang mit queeren Lebensweisen.“
Leutnant Sven Bähring ist der erste Vorsitzende von „QueerBw“ und besonders stolz auf einen aktuellen Erfolg gegen Homophobie bei der Bundeswehr: das im Sommer vom Deutschen Bundestag beschlossene Rehabilitierungsgesetz homosexueller Soldaten (siehe auch hier).
Das Gesetz sieht eine pauschalisierte Entschädigung für homosexuelle Soldaten vor, deren Karriere vor dem Jahr 2000 verhindert wurde. Ein wichtiger Schritt, meint Bäring, doch das Gesetz geht ihm – wie die Reportage zeigt – nicht weit genug.
Kommt Homophobie unter Angehörigen der Bundeswehr vermehrt vor? Professor Dr. Rolf Pohl ist Soziologe und Sozialpsychologe. Sein Arbeitsschwerpunkt: „Männlichkeits- und Geschlechterforschung“. Beim Thema „Akzeptanz“ seien wir längst noch nicht so weit, wie wir glauben, meint Pohl. Grund sei ein Männlichkeitsbild, das auf Stärke und Weiblichkeitsabwehr fuße. Ihn überrascht deshalb auch nicht „eine starke Ausprägung homophober Einstellungsmuster in Organisationen mit hoher Konzentration an Männlichkeit“.
Auch bei der Polizei ist „Queerness“ nach wie vor kein einfaches Thema. Grit Merker ist Ansprechperson für LSBTTI der Polizei Sachsen-Anhalt (die Abkürzung LSBTTI steht für die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, Transsexuellen und intergeschlechtlichen Menschen). Auf dem nächsten Christopher Street Day in Magdeburg im August will sie auch für mehr Vertrauen in die Polizei werben. Denn viele Opfer von Hasskriminalität aus der queeren Szene scheuen sich nach wie vor, dort Anzeige zu erstatten oder sich beraten zu lassen.
„Queer“ ist ein Sammelbegriff für Personen, „deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung (wen sie begehren oder wie sie lieben) nicht der heteronormativen Norm entspricht“. Diese Erklärung stammt von der Berliner Konzeptions- und Beratungsstelle für Diversitätsentwicklung, die von der Senatsverwaltung der Hauptstadt für den Bereich „Kultur und Europa“ im April 2017 gegründet wurde. Seit 2019 ist das Projektbüro, das unter dem Namen „Diversity Arts Culture“ arbeitet, Teil der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung Berlin.
Das Projektbüro definiert weiter: „Der Begriff ,queer‘ wird auch verwendet, um Bewegungen und Dinge zu bezeichnen, die mit queeren Menschen in Verbindung stehen, wie beispielsweise die queere Szene, Queer Studies oder queere Filmfestivals.“
Diversity Arts Culture erläutert zudem: „Der Begriff kommt aus dem Englischen und bezeichnet zunächst Dinge oder Personen, die meist im negativen Sinn von der Norm abweichen. Er lässt sich mit ,seltsam‘, ,eigenartig‘ oder ,sonderbar‘ übersetzen. Er wurde benutzt, um abwertend insbesondere über Homosexuelle aber auch andere Personen zu sprechen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht der heteronormativen Norm entspricht. Im Zuge der Aids-Bewegung gelang es der queeren Community jedoch, den Begriff wieder aufzuwerten (reclaiming), sodass für viele Menschen ,queer‘ heute ein positiver Begriff ist und sie sich gerne ,queer‘ nennen. Als Sammelbegriff ist das Wort sehr offen und bietet vielen Menschen ein Identifikationsangebot.“
Das Reportageformat „exactly“ geht jeden Montag mit einem Video in der ARD-Mediathek (ab 8 Uhr) und beim YouTube-Channel „MDR Investigativ“ (ab 17 Uhr) einer gesellschaftspolitischen Frage nach. Zuletzt lautete diese: „Wie homophob sind Polizei und Bundeswehr?“
Was die beiden MDR-Autoren Leon Grüninger und Jonas Juckeland dazu herausgefunden haben, ist im MDR-Fernsehen am kommenden Mittwoch (12. Januar) um 20:45 Uhr in der Reihe „Exakt – die Story“ zu sehen.
Das Reportageformat „exactly“ hatte im März 2021 Premiere. Es berichtet kritisch und zugleich emotional, fängt Diskussionen in der Gesellschaft ein, befasst sich intensiv mit Streitfragen und kontroversen Standpunkte. Egal, ob es um die psychosomatischen Folgen von Corona geht, den rechten Terror, das Thema „Abtreibung“, das Schicksal Zwangsprostituierter oder die Macht der Werbung – das MDR-Reporterteam berichtet darüber. Die bisherigen 23 Ausgaben von „exactly“ wurden über 1,5 Millionen Mal bei „MDR Investigativ“ auf YouTube und in der ARD-Mediathek aufgerufen.
Die entsprechenden temporären Links dazu (alle Angaben ohne Gewähr):
https://www.mdr.de/investigativ/index.html
Zu unserem Bildmaterial:
1. „Exakt – die Story“ mit dem Thema „Schwul in Uniform – ein Problem?“ von Jonas Juckeland und Leon Grüninger. Die Aufnahme zeigt Leutnant Sven Bähring von „QueerBw“ vor einem Jet der Deutschen Luftwaffe.
(Foto: mia media/für den MDR)
2. Polizistin Grit Merker erzählt in dem Reportagebeitrag, wie die Polizei in Sachsen-Anhalt gegen Diskriminierung vorgehen will.
(Foto: mia media/für den MDR)
Kleines Beitragsbild: Symbolbild „Regenbogenfahne“ aus dem Bildangebot von Pixabay. Die Regenbogenfahne steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen und für alle, für die die Welt bunt wie ein Regenbogen ist. Sie ist seit mehr als 40 Jahren ein Symbol für Vielfalt und Respekt, für Akzeptanz und Gleichberechtigung von Menschen, die sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau oder anderen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizieren. Als erster großer Auftritt des farbenfrohen Musters gilt eine Demonstration für die Rechte von Homosexuellen am 25. Juni 1978 in San Francisco; das Design entwarf damals der schwule Künstler Gilbert Baker. In der heute gebräuchlichsten Variante zeigt die Fahne sechs Farben, die Vielfalt und Zusammenhalt ausdrücken (von oben nach unten: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Lila). Nicht zu verwechseln ist die Regenbogenfahne mit der bunten Anti-Kriegs-Flagge. Die Anordnung der sieben Farben des 1961 in Italien entworfenen Friedenssymbols ist anders: Violett oben und Rot unten.
(Foto: Filmbetrachter/unter Pixabay License = freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich)