Brüssel/Berlin. Die NATO erhöht wegen der Russland-Krise die Einsatzbereitschaft Tausender Soldaten. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) aus Bündniskreisen müssen Kräfte der schnellen Eingreiftruppe (NATO Response Force, kurz NRF) jetzt von nur sieben statt innerhalb von 30 Tagen verlegt werden können. Für weitere Truppenteile gelte ab sofort eine sogenannte „Notice-to-Move“-Frist von 30 statt 45 Tagen, so die dpa-Eilmeldung. Zur Erhöhung der Verlegebereitschaft der NRF-Kräfte äußerte sich auch am späten Freitagabend (18. Februar) das Bundesministerium der Verteidigung in einer Pressemitteilung …
Darin heißt es: „Auf Antrag des Supreme Allied Commander Europe (SACEUR), General Tod D. Wolters, und in enger Abstimmung mit den Alliierten wird die Bundesregierung die Reaktionsfähigkeit der in die NATO Response Force gemeldeten Kräfte der Bundeswehr erhöhen. Zu dieser Entscheidung ist SACEUR autorisiert. Mit der Maßnahme gehen keinerlei Verlegungen einher, sondern es werden vorbereitende Maßnahmen getroffen, um im Falle einer Aktivierung der NRF die Zeiten bis zur Herstellung der Verlegebereitschaft zu reduzieren. Eine tatsächliche Verlegung der Kräfte bedürfte eines politischen Beschlusses des NATO-Rats.“
Damit werde die Zeit, bis zu der das Herstellen der Verlegebereitschaft abgeschlossen sein muss, reduziert, so das Ministerium weiter. Es sei abzusehen, dass weitere vorbereitende Maßnahmen zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft und zur Verbesserung der Reaktionsfähigkeit seitens der NATO und in enger Abstimmung mit den Bündnispartnern auf Grundlage von politischen Entscheidungen und unter Berücksichtigung der aktuellen Lageentwicklung getroffen werden könnten.
Die NATO Response Force ist die schnelle Eingreiftruppe des Bündnisses. Im Konfliktfall kann sie zügig und flexibel weltweit verlegen werden. Sie leistet so einen wesentlichen Beitrag zur glaubwürdigen Abschreckung und wirksamen Landes- und Bündnisverteidigung der NATO-Mitgliedstaaten. Deutschland ist verantwortliche Rahmennation und mit rund 16.800 Kräften wesentlicher Truppensteller für die NRF 2022 bis 2024 und die VJTF (Very High Readiness Joint Task Force) 2023. Die deutschen Soldaten für die VJTF 2023 sind in der angegebenen Gesamtzahl 16.800 mit eingerechnet.
Im Juli vergangenen Jahres nannte die Bundeswehr in einem Online-Beitrag weitere Details der zugewiesenen Bündnisaufgabe. Dort hieß es: „Deutschland wird erstmals als Rahmennation die Spezialkräfte der NRF führen. Die Verantwortung übernimmt hier das Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Zusätzlich stellt die Bundeswehr die Hauptquartiere der Land- und Luftstreitkräfte der NRF, erneut eine Kampftruppenbrigade sowie seegehende Einheiten für den maritimen Anteil der NATO Response Force.“
Wie aus dem Beitrag außerdem hervorgeht, wird die Bundeswehr auch die Verantwortung für die ABC-Abwehr der NRF (ABC = atomar, biologisch, chemisch) im gesamten Einsatzraum übernehmen. Kerneinheit soll dabei die Combined Joint Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Defence Task Force (Combined Joint CBRN Defence Task Force) der Streitkräftebasis (SKB) sein.
Die SKB wird zudem erstmalig einen RSOM-Verband (RSOM = Reception, Staging, Onward Movement) zur Stärkung der Führungs- und Logistikunterstützung für die nationalen Unterstützungskräfte aufstellen. Mit RSOM werden Streitkräfte, Mittel und Material in einem Einsatzgebiet aufgenommen (Reception), zusammengeführt (Staging) und bereitgestellt (Onward Movement), bevor sie in ihren eigentlichen Operationsraum verlegen – ein Schlüsselverfahren, um die Einsatz- und Gefechtsbereitschaft der Kampfverbände herzustellen.
Das Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR) und der Sanitätsdienst der Bundeswehr werden ebenfalls maßgeblich zur NRF beitragen. Im Online-Text wird dies so erläutert: „Der Sanitätsdienst stellt insgesamt zwei Sanitätseinsatzverbände – jeweils einen für die VTJF und einen für die nationalen Unterstützungskräfte. Eine besondere Herausforderung ist hierbei die Vorbereitung und Ausbildung aller Beteiligten unter den derzeitigen Rahmenbedingungen der COVID-19-Pandemie.“
Das Verteidigungsministerium macht in seiner Pressemitteilung zur Erhöhung der NRF-Verlegebereitschaft auch noch einmal klar, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Verbündeten im Bündnis dem zweigleisigen Ansatz gegenüber Russland – glaubhafte Verteidigungsbereitschaft und Rückversicherung der Alliierten bei gleichzeitiger Offenheit zum Dialog – verpflichtet bleiben wird.
Wörtlich heißt es in der Veröffentlichung: „Unsere Maßnahmen sind präventiv, verhältnismäßig und nicht eskalierend. Die Erhöhung der Verlegebereitschaft ermöglicht es der NATO, im Falle einer weiteren Eskalation durch Russland vor allem unseren osteuropäischen Alliierten eine angemessene Rückversicherung zum Schutz des Bündnisgebiets zu garantieren.“
Und: „Die NATO-Alliierten setzen den diplomatischen Austausch und den Dialog mit Russland zu Fragen der euro-atlantischen Sicherheit weiterhin fort. Die Bundesregierung unterstützt alle diese Bemühungen. Russland wurden substanzielle Vorschläge zur Verbesserung der Sicherheit aller Staaten im euro-atlantischen Raum unterbreitet, der NATO-Generalsekretär hat Russland gestern erneut zum Dialog im Rahmen des NATO-Russland-Rats eingeladen. Die Bundesregierung ermutigt Russland eindringlich, die Lage zu deeskalieren und ernsthafte Schritte für eine diplomatische Lösung zu unternehmen.“
US-Präsident Joe Biden befürchtet trotz aller Beteuerungen aus Moskau einen russischen Einmarsch in die Ukraine in den nächsten Tagen. Biden sagte am Donnerstag (17. Februar) in Washington, die Gefahr einer Invasion sei „sehr hoch“. Nach seiner Einschätzung könne es bereits „in den nächsten paar Tagen“ dazu kommen.
Außenministerin Annalena Baerbock hat den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze als „absolut inakzeptable“ Drohung „gegenüber uns allen“ verurteilt. „Heute, das müssen wir so deutlich sagen, droht neuer Krieg – mitten in unserem Europa“, sagte sie am Freitag (18. Februar) bei der Münchner Sicherheitskonferenz. „Russland spricht mit seinem Truppenaufmarsch eine absolut inakzeptable Drohung aus. Gegenüber der Ukraine. Aber auch gegenüber uns allen – und unserer Friedensarchitektur in Europa.“
Russland hat für den heutigen Samstag (19. Februar) ein Manöver unter Einbeziehung „strategischer Streitkräfte“ angekündigt. Wladimir Putin werde in seiner Eigenschaft als „Oberbefehlshaber der russischen Armee“ die geplante Übung mit strategischen ballistischen Raketen und Marschflugkörpern beaufsichtigen, teilte das russische Verteidigungsministerium laut verschiedener Nachrichtenagenturen am Freitag (18. Februar) mit.
Zu unserem Bildmaterial:
1. Patch mit dem Logo der NATO Response Force auf dem Ärmel einer Feldbluse.
(Foto: Marco Dorow/Bundeswehr)
2. Vier-Sterne-General Tod D. Wolters ist seit dem 2. Mai 2019 Befehlshaber des U.S. European Command (USEUCOM) und seit dem 3. Mai 2019 in Personalunion Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) der NATO. Er folgt in dieser Doppelfunktion Curtis M. Scaparrotti, der in den Ruhestand ging. Die Aufnahme zeigt Wolters am 30. März 2020 anlässlich der Aufnahmezeremonie für das neue NATO-Mitglied Mazedonien.
(Foto: Ross Fernie/NATO)