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Berlin. Steindenkmal für gefallene Soldaten der Weltkriege, Mahnmal für die Opfer des Faschismus, Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Denkmal für die Opfer von Flucht und Vertreibung, Gedenktafel „Graf Stauffenberg“, Gedenkstätte für die Verstorbenen der Coronavirus-Pandemie, Gedenktafeln für die Opfer des NSU – und immer wieder ehemalige Konzentrationslager, jüdische Grabplatten und Stolpersteine zur Erinnerung an verschleppte und ermordete jüdische Mitbürger: offenbar ist nichts sicher vor dem Vandalismus, der in Deutschland grassiert und unfassbare Schäden (auch seelische) hinterlässt. Im Juli erst hatten Unbekannte binnen weniger Tage nahe der KZ-Gedenkstätte Buchenwald in Thüringen erst sieben und später dann zwei weitere „Bäume der Erinnerung“ abgesägt und zerstört. Die Bäume gehörten zum Gedenkprojekt „1000 Buchen“ des Vereins „Lebenshilfe-Werk Weimar/Apolda“.

Der Bundestagsabgeordnete Jan Korte (Die Linke) hatte sich vor dem Hintergrund dieser Tat bereits bei der Bundesregierung nach ähnlichen Angriffen auf Gedenkstätten in Deutschland erkundigt. Aus der Regierungsantwort vom 28. Juli geht hervor, dass „die Polizeibehörden in den vergangenen fünf Jahren 1514 politisch motivierte Straftaten registriert“ hätten, „die sich gegen Gedenkstätten richten, darunter 856 Sachbeschädigungen und 393 Fälle des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Stand: 26. Juli 2022).“

931 der insgesamt 1514 Straftaten seien im Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) „rechts“ registriert worden, 376 im Phänomenbereich PMK „links“. Auf den Phänomenbereich PMK „nicht zuzuordnen“ seien 171 Sachverhalte entfallen. Im Phänomenbereich PMK „Ausländische Ideologie“ habe man 29 Straftaten erfassen können. Religiös motiviert gewesen seien sieben Straftaten, so die Auskunft der Regierung.

Sicherheitsbehörden konnten bislang zu 127 Straftaten Tatverdächtige ermitteln

Korte sowie die beiden linken Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut und Nicole Gohlke erkundigten sich zudem am 31. August bei der Bundesregierung nach den Aufklärungsquoten bei Angriffen auf Gedenkstätten in der Bundesrepublik in den vergangenen fünf Jahren.

Bezogen auf die mittlerweile 1543 gemeldeten Delikte mit dem Angriffsziel „Gedenkstätte“ wurden demnach zu 127 Straftaten Tatverdächtige ermittelt. Dies entspreche einer Aufklärungsquote von 8,2 Prozent, führte die Bundesregierung aus.

Zugleich verwies sie darauf, dass es sich gemäß der Regularien des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen von Politisch motivierter Kriminalität dann um einen aufgeklärten Fall handele, „wenn für die Tat nach dem (kriminal-)polizeilichen Ermittlungsergebnis mindestens ein namentlich bekannter oder auf frischer Tat betroffener Tatverdächtiger ermittelt werden konnte“.

Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft leidet

In ihrer Antwort erkläre die Bundesregierung zudem: „Die anhaltend hohe Gewaltorientierung gegen Personen und Sachen ist kennzeichnend für den Rechtsextremismus. Dabei sind insbesondere Angriffe auf Gedenkstätten der Opfer des Nationalsozialismus ein Ausdruck der rechtsextremistischen Ideologie. Die seit Längerem zu beobachtenden, an Häufigkeit und Intensität zunehmenden politisch rechts motivierten Agitationen und Straftaten verletzen Prinzipien des demokratischen Rechtstaates, haben negative Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und beeinträchtigen das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft.“

Die nach wie vor hohen Fallzahlen seien ein Anlass zur Sorge, so die Bundesregierung weiter. Diese Entwicklung erfordere ein konsequentes Handeln der Sicherheitsbehörden. Vor diesem Hintergrund müssten alle zuständigen Behörden auch ihre Anstrengungen intensivieren und der Politisch motivierten Kriminalität „rechts“ beziehungsweise dem gewaltorientierten Rechtsextremismus in all seinen Ausprägungen „mit einer ganzheitlichen wie nachhaltigen Bekämpfungsstrategie auf nationaler und internationaler Ebene im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenzuweisung gemeinsam begegnen“.

Die für den Bereich der PMK „rechts“ erstellten Maßnahme- und Konzeptpapiere würden fortlaufend auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüft sowie turnusmäßig, aber auch anlassbezogen aktualisiert, versicherte die Regierung. Wörtlich heißt es abschließend in ihrer Antwort: „Mit der Umsetzung der Maßnahmen wird die Bekämpfung der PMK ,rechts‘ und des gewaltorientierten Rechtextremismus intensiviert, erweitert und zum Teil neu strukturiert.“

In diesem Jahr bis zum Stichtag 13. August bereits 163 Vorfälle

Wie aus der Delikte-Übersicht, die vom Bundesinnenministerium erstellt und der Regierungsantwort beigefügt worden ist, für das Jahr 2022 (1. Januar bis Stichtag 13. August) hervorgeht, wurden bislang für diesen Zeitraum insgesamt 163 Straftaten erfasst.

Diese 163 Delikte verteilen sich wie folgt (siehe dazu auch unsere Infografik): 83 zuordenbar dem Täterspektrum rechts, 29 dem Täterspektrum links, 18 dem Bereich „Ausländische Ideologie“, 33 Taten waren nicht zuzuordnen.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Der jüdischer Friedhof im baden-württembergischen Freudental nach der Schändung vom 1. Oktober 2007. Die Kriminalpolizei Ludwigsburg leitet damals direkt nach der Entdeckung der Tat umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen ein. Sie teilte in einer Presseerklärung mit: „Auf Grund des Tatortes und der vorgefundenen Schriftzüge muss von einem rechtsgerichteten Hintergrund ausgegangen werden. Der verursachte Sachschaden wird auf etwa 100.000 Euro geschätzt.“
(Foto: http://www.alemannia-judaica.de/freudental_friedhof_2007.htm)

2. Das Hintergrundbild unserer Infografik zeigt Nazi-Symbole auf alten Grabsteinen des jüdischen Friedhofs im mecklenburg-vorpommerischen Kröpelin (Landkreis Rostock). Der jüdische Friedhof in der Kleinstadt war in den vergangenen Jahren mehrfach Ziel von Vandalismus: so 2011, 2012, 2013 und 2016. Juden gibt es in Kröpelin schon lange nicht mehr, der Judenhass aber ist geblieben. 1986 schrieb der deutsche Historiker und Politikwissenschaftler Julius H. Schoeps in einem Aufsatz: „Da in der Bundesrepublik kaum noch Juden leben, gegen die man handgreiflich werden könnte, tobt man sich an den Steinen aus – quasi als Judenersatz.“ Eine beschämende und beklemmende Realität im Land der „nachgeborenen Generationen“ …
(Foto: nr; Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 09.22)

Kleines Beitragsbild: Gedenkstätten-Vandalismus nicht nur in Deutschland, sondern ein europaweites Phänomen. Die Aufnahme vom Februar 2015 zeigt geschändete Gräber auf dem jüdischen Friedhof im französischen Sarre-Union. Der Friedhof der Gemeinde im Département Bas-Rhin in der Region Grand Est (nordwestliches Elsass) war bereits 1988 und 2001 Ziel solcher Anschläge.
(Foto: Claude Truong-Ngoc/Wikipedia/
https://fr.wikipedia.org/wiki/Profanation_du_cimeti%C3%A8re_juif_de_Sarre-Union/
unter Lizenz CC BY-SA 3.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)


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