menu +

Nachrichten


Kabul (Afghanistan)/New York. Nach einem Bericht der in New York ansässigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sind seit der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban in Afghanistan viele ehemalige Sicherheitskräfte der Regierung hingerichtet worden oder verschwunden. Taliban-Kräfte hätten in vier der 34 Provinzen des Landes mehr als 100 ehemalige Soldaten, Polizisten oder Geheimdienstmitarbeiter umgebracht oder zur Seite schaffen lassen, heißt es in einem am 30. November veröffentlichten Bericht der Organisation.

Der rund 30 Seiten starke englischsprachige Bericht „,No Forgiveness for People Like You‘: Executions and Enforced Disappearances in Afghanistan under the Taliban“ dokumentiert die Tötungen oder das Verschwinden von 47 ehemaligen Angehörigen der früheren Nationalen Sicherheitskräfte Afghanistans (ANSF) – Militär, Polizei, Geheimdienst und Miliz.

Die Opfer sollen sich alle sich zwischen dem 15. August und dem 31. Oktober den Taliban ergeben haben oder von ihnen aufgegriffen worden sein. HRW sammelte verlässliche Informationen zu mehr als 100 Tötungen allein in den Provinzen Ghazni, Helmand, Kandahar und Kunduz.

Lokale Taliban-Kommandeure ignorieren feste Zusagen

„Die von der Taliban-Führung versprochene Amnestie hat lokale Kommandeure nicht davon abgehalten, ehemalige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte kurzerhand hinzurichten oder verschwinden zu lassen“, beklagt Patricia Gossman. Die Stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch fordert: „Es liegt nun an den Taliban, weitere Tötungen zu verhindern, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und die Familien der Opfer zu entschädigen.“

HRW hat in den vier genannten Provinzen 40 Personen persönlich und weitere 27 telefonisch befragt, darunter Zeugen, Verwandte und Bekannte der Opfer, außerdem ehemalige Regierungsbeamte, Journalisten sowie Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Taliban-Mitglieder. Ein Taliban-Befehlshaber sagte gegenüber HRW, dass den Verantwortlichen für Gräueltaten „nicht vergeben werden kann“.

Erbeutete Personalunterlagen der Regierung durchforstet

Die Taliban-Führung hatte im Sommer die sich ergebenden afghanischen Sicherheitskräfte angewiesen, sich registrieren zu lassen. Daraufhin hätten diese ein Schreiben erhalten, das angeblich ihre Sicherheit garantieren sollte. Die Taliban-Kräfte hätten diesen Prozess jedoch genutzt, um Menschen zu inhaftieren und innerhalb weniger Tage nach der Registrierung standrechtlich hinzurichten oder gewaltsam verschwinden zu lassen. Die Leichen seien später dann von Angehörigen oder anderen Mitgliedern der Gemeinschaft gefunden worden, berichtet die New Yorker Organisation.

Die Taliban hätten zudem Zugang zu den von der ehemaligen Regierung hinterlassenen Personalunterlagen gehabt und genutzt, um Personen zu identifizieren, die verhaftet und exekutiert werden sollten.

Die Taliban-Führung hatte bereits viele Monate vor ihrer Machtübernahme eine Generalamnestie für alle Sicherheitskräfte erklärt und diese auch nach dem Fall der Hauptstadt Kabul mehrmals erneut bekräftigt. Die meisten Provinzen und auch die Hauptstadt waren weitgehend kampflos an die Islamisten gefallen. In mehreren Provinzen ergaben sich die Sicherheitskräfte in Massen.

Menschenrechtssituation in Afghanistan weiterhin genau beobachten

Am 21. September hatten die Taliban die Einsetzung einer Kommission angekündigt, die angeblich Berichte über Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Diebstahl und andere Straftaten untersuchen soll. Die Kommission hat bislang keine Ermittlungen zu den gemeldeten Tötungen angekündigt, allerdings über die Verhaftung mehrerer Taliban-Mitglieder wegen Diebstahls und die Entlassung anderer wegen Korruption berichtet. In einer Antwort auf die Recherchen von HRW vom 21. November erklärten die Taliban, sie hätten die Verantwortlichen für die Übergriffe entlassen. Nachprüfbare Informationen, die diese Behauptung hätten stützen können, wurden bislang aber nicht vorgelegt, kritisiert HRW.

„Die unbelegten Behauptungen der Taliban, sie würden handeln, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, scheinen bisher nichts weiter als ein PR-Gag zu sein“, meint Patricia Gossman. „Der Mangel an Rechenschaftspflicht macht deutlich, dass die Vereinten Nationen die Menschenrechtssituation in Afghanistan weiterhin genau beobachten muss. Es braucht solide Mechanismen zur Überwachung, Untersuchung und öffentlichen Berichterstattung.“

Wir haben den Bericht von Human Rights Watch für Sie auch in unserem Servicebereich „bundeswehr-journal (Bibliothek)“ beim Dienstleister Yumpu-Publishing eingestellt. Sie können sich hier die einzelnen Inhalte gezielt ansehen, ein Download der Datei oder ein Ausdruck einzelner Seiten ist aber nicht möglich. Über die ESC-Taste in Yumpu kommen Sie hierhin zurück. Zum englischsprachigen Report „,No Forgiveness for People Like You‘: Executions and Enforced Disappearances in Afghanistan under the Taliban“:

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von www.yumpu.com zu laden.

Inhalt laden



Unser Bildausschnitt zeigt einen Taliban-Kämpfer kurz nach der Eroberung Kabuls im August 2021.
(Videostandbild: Quelle Beitrag „Ein Land in Geiselhaft“ des Nachrichtensenders WeLT/YouTube Channel)

Kleines Beitragsbild: Das Symbolfoto „Evakuierung aus Kabul“ wurde am 21. August 2021 auf dem Hamid Karzai International Airport gemacht und zeigt Menschen, die in der Abenddämmerung in eine C-17 Globemaster III der US-Luftwaffe drängen. Die Evakuierungsflüge der Amerikaner und anderer Nationen aus Kabul waren zu diesem Zeitpunkt die einzige Hoffnung Tausender auf der Flucht vor den Taliban.
(Foto: Taylor Crul/U.S. Air Force/U.S. Central Command Public Affairs)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN