Berlin/Stuttgart. Im Februar 2020 zerschlugen deutsche Sicherheitsbehörden ein rechtsextremistisches Terrornetz. Den Ermittlungen zufolge hatte eine „Gruppe S.“ Anschläge sowie Attentate geplant und beabsichtigt, in Deutschland eine Bürgerkriegssituation zu schaffen. Am 4. November 2020 erhob die Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart Anklage gegen elf mutmaßliche Mitglieder dieser rechtsterroristischen Vereinigung und einen mutmaßlichen Unterstützer. Die Hauptverhandlung in dem Staatsschutzverfahren findet nun ab dem 13. April vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Stuttgart, Prozessgebäude Stammheim, statt. Über den Fall berichtete das ZDF-Politmagazin „Frontal 21“ am gestrigen Dienstag (6. April).
Werner S., der Anführer der nach ihm benannten, mutmaßlich rechtsextremen Terrorzelle „Gruppe S.“, hatte noch kurz vor seiner Festnahme am 14. Februar 2020 versucht, Kriegswaffen in seinen Besitz zu bringen, um für einen Anschlag im Reichstagsgebäude in Berlin gerüstet zu sein. Das geht aus Ermittlungsakten hervor, die dem ZDF-Magazin „Frontal 21“ und den Stuttgarter Nachrichten vorliegen. Demnach war Werner S. dabei, ein Kalaschnikow-Sturmgewehr mit 2000 Schuss Munition, eine Maschinenpistole der israelischen Marke Uzi sowie Handgranaten zu erwerben.
Der Deal sollte über den Waffenhändler André Mike B. laufen, den Werner S. aus der selbsternannten Bürgerwehr „Soldiers of Odin“ kannte, und das Arsenal der Gruppe ergänzen. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen verfügten bereits über 27 erlaubnispflichtige Waffen, vor allem Pistolen der russischen Hersteller Makarow und Tokarew.
Die „Soldiers of Odin“ bezeichnen und geben sich als „Nachbarschaftshilfe“, treten faktisch jedoch wie eine Bürgerwehr auf und stellen das staatliche Gewaltmonopol infrage. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beispielsweise beobachtet die Gruppierung bereits seit Längerem.
Die „Soldiers of Odin“ wurde im Oktober 2015 in Finnland gegründet. Mittlerweile existieren in zahlreichen Ländern Ableger mit Untergruppierungen. Laut Verfassungsschutz sind in den Reihen der Gruppierung „verbal aggressive Äußerungen und ein fremdenfeindliches Auftreten“ zu beobachten. Zudem sollen sich unter den Aktivisten mehrere Personen, die der Behörde aus anderen rechtsextremistischen Zusammenhängen bekannt sind, befinden.
Der Präsident des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg, Ralf Michelfelder, bestätigte den geplanten Waffenkauf: „In der Tat haben sich die Verdächtigen Waffen besorgen wollen oder auch besorgt, um für diesen Terroranschlag vorbereitet zu sein.“
In der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft vom 4. November 2020 heißt es über die „rechtsterroristische Vereinigung ,Gruppe S.‘“ unter anderem: „Die Gründungsmitglieder zielten darauf ab, mit ihrer Vereinigung die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern und letztlich zu überwinden. Zu diesem Zweck sollten durch Angriffe auf Moscheen und die Tötung oder Verletzung einer möglichst großen Anzahl dort anwesender muslimischer Gläubiger bürgerkriegsähnliche Zustände herbeigeführt werden. Es wurde auch erwogen, gewaltsam gegen politisch Andersdenkende vorzugehen.“ Und: „Im Laufe der Zeit wurde innerhalb der Vereinigung der Entschluss gefasst, sich für die ins Auge gefassten Anschläge Schusswaffen zu beschaffen. Der hierfür notwendige und in Höhe von 50.000 Euro veranschlagte Geldbetrag sollte dabei durch die Mitglieder aufgebracht werden.“
Der Anführer der Gruppe, Werner S., schrieb in einer Chatgruppe, man wolle mit dem „richtigen Training und einem exzellenten, ausgereiften Konzept“ auf einen Schlag alle Politiker im Reichstag „ausschalten“. Dafür plane er den Aufbau einer „etwa über 1000 Mann“ starken Miliz, mit der er dem „ganzen Spuk […] ganz zügig ein Ende bereiten“ wolle.
Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) sagte in einem Interview mit „Frontal 21“: „Das, was die ,Querdenker‘ mit dem Sturm auf den Reichstag gemacht haben, wollte die ,Gruppe S.‘ mit der Kalaschnikow umsetzen.“ Diesen vernetzten Terrorismus müsse man sehr ernst nehmen. „Die ,Gruppe S.‘ wollte Mitglieder des Deutschen Bundestages liquidieren, prominente Politiker umbringen und dadurch eine Art Chaos sowie Angst und Schrecken in der Republik erzeugen,“ erklärte Özdemir.
Die „Gruppe S.“ hatte zuvor bereits die Grünen-Spitzenpolitiker Robert Habeck und Anton Hofreiter persönlich ins Visier genommen. LKA-Präsident Michelfelder warnte gegenüber „Frontal 21“: „Wir sind bei unseren Durchsuchungen auf ein nach meiner Bewertung riesiges Waffenlager gestoßen. Hätten die Beschuldigten ihre geplanten Terrortaten umsetzen können, hätten wir eine ganz brutale, ganz massive Tötungsmaschinerie am Laufen gehabt.“
Spezialeinsatzkommandos sowie Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten hatten im Februar 2020 in einer abgestimmten Aktion die 13 Mitglieder der „Gruppe S.“ im gesamten Bundesgebiet verhaftet und dabei 53 Objekte durchsucht. Einer der Verdächtigen starb im vergangenen Sommer in der Untersuchungshaft (der 46-jährige Beschuldigte aus Ostwestfalen war am 13. Juli 2020 tot in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Dortmund aufgefundenen worden; ein Fremdverschulden lag nach Erkenntnissen der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht vor, eine Presseerklärung der Justizvollzugsanstalt wies auf einen möglichen Suizid hin).
Der Bundestagsabgeordnete Özdemir äußerte sich am heutigen Mittwoch (7. April) auf Twitter: „Rechte Gewalt ist in Deutschland leider tödliche Realität. Das Terrornetzwerk ,Gruppe S.‘ hat sich Mordwaffen organisiert, Anschläge auf Moscheen, Innenstädte und Bundestag geplant. Gut, dass das LKA Baden-Württemberg konsequent ermittelt und ,Frontal 21‘ und ,Stuttgarter Nachrichten‘ recherchieren. Ziel: Nazis entwaffnen!“
Wir haben in der Vergangenheit immer mal wieder über die Enttarnung rechtsextremistischer Gruppierungen berichtet, zuletzt im November 2020 über die Aufdeckung einer rechtsextremen Chatgruppe in der Bundeswehr (siehe hier).
„Rechter Verdacht: ZDF-Magazin ,Frontal 21‘ zur Terrorzelle ,Gruppe S.‘“ Achtminütiger Beitrag von Joachim Bartz und Arndt Ginzel. Ausstrahlung am 6. April 2017 (um 21 Uhr) im ZDF.
Bis zum 6. April 2023 ist das Video unter dem Titel „Rechtsextreme Umsturzpläne – Terrorverdächtige vor Gericht“ noch in der Mediathek des ZDF abrufbar: https://zdf.de/politik/frontal-21
Alle Angaben ohne Gewähr.
Zu unserem Bildangebot:
1. Werner S. und seine Gefolgsleute planten unter anderem – so die Erkenntnisse der Bundesanwaltschaft – mit dem „richtigen Training und einem exzellenten, ausgereiften Konzept“ auf einen Schlag alle Politiker im Reichstag „ausschalten“. Die Aufnahme zeigt die Westansicht des Reichstagsgebäudes im November 2020.
(Foto: Simone M. Neumann/Deutscher Bundestag)
2. Szene aus dem ZDF-Beitrag „Rechtsextreme Umsturzpläne – Terrorverdächtige vor Gericht“ von Joachim Bartz und Arndt Ginzel. Bartz ist ZDF-Redakteur, Ginzel freier Journalist.
(Videostandbild: Quelle ZDF-„Frontal 21“)
3. Szene aus dem ZDF-Beitrag „Rechtsextreme Umsturzpläne – Terrorverdächtige vor Gericht“: Interview mit Ralf Michelfelder, Präsident des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg.
(Videostandbild: Quelle ZDF-„Frontal 21“)