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Berlin/Brunssum (Niederlande)/Hamburg. Der deutsche NATO-General Jörg Vollmer hat den Umgang mit afghanischen Ortskräften der Bundeswehr kritisiert. Im Interview mit NDR Info sagte der Vier-Sterne-General, das „eigentlich Beschämende“ in der Schlussphase des Afghanistaneinsatzes sei gewesen, „wie wir mit den Menschen umgegangen sind, die uns über so viele Jahre unterstützt haben. Wir hätten sie – und das wussten wir – deutlich früher nach Deutschland bringen können“. Vollmer sieht das als Negativ-Signal für die Zusammenarbeit mit Ortskräften in anderen Einsatzgebieten. Der Offizier war von Juli 2015 bis Februar 2020 Inspekteur des Deutschen Heeres. Am 22. April 2020 trat er den Dienstposten als Befehlshaber des Allied Joint Force Command der NATO im niederländischen Brunssum an. Das JFC Brunssum hatte den Einsatz in Afghanistan für das Bündnis geführt.

Vollmer sprach sich im NDR-Interview für eine „ehrliche Aufarbeitung“ des Afghanistaneinsatzes über Ressorts hinweg aus – sowohl hinter verschlossenen Türen als auch in der Öffentlichkeit. Den vernetzten Ansatz der verschiedenen Ministerien müsse man „jetzt ganz kritisch überprüfen“.

Das Petitum des NATO-Generals für noch laufende oder künftige Auslandseinsätze lautet: „Klar definieren und immer wieder evaluieren, was wir eigentlich erreichen wollen.“ Wenn man nicht erreiche, was man sich vorgenommen habe, müsse man sich bescheidenere Ziele setzen oder sich dafür entscheiden, „das Ganze zu beenden“. Der Bundestag wird sich im neuen Jahr in einem Untersuchungsausschuss und in einer Enquete-Kommission mit dem Afghanistaneinsatz befassen.

Europäer in Zukunft im NATO-Rahmen „handlungsfähiger“ machen

Gefragt nach der US-geführten Evakuierungsmission Mitte August am Flughafen Kabul erklärte Vollmer, derzeit könnten das „in dieser Geschwindigkeit und in dieser Qualität und in dieser Durchsetzungsfähigkeit nur unsere amerikanischen Verbündeten“ leisten. Forderungen, dass die Europäer künftig allein handlungsfähiger werden sollten, hält der General für nachvollziehbar. Er sagte dem NDR: „Ich halte es für sinnvoll, darüber nachzudenken, aber bitte im NATO-Rahmen und nicht Parallelstrukturen aufbauen in der Europäischen Union. Aber man muss ganz klar dann auch den politischen Willen haben, hier die Mittel beizustellen und sie auch entsprechend robust einzusetzen, wenn es notwendig ist.“

„Bundesregierung lässt Ortskräfte trotz zugesagter Evakuierung weiter im Stich“

Das Schicksal vieler früherer Ortkräfte in Afghanistan ist nach wie vor ungewiss. Die Bundesregierung kommt mit der Evakuierung gefährdeter Ortskräften der Bundeswehr und anderer deutscher Institutionen aus Afghanistan nur langsam voran. In einer Antwort des Bundesinnenministeriums vom 18. November an die Parlamentarierin Sevim Dağdelen (Die Linke) bestätigt die Bundesregierung, dass zum Stichtag 10. November – an diesem Mittwoch stellte die Bundestagsabgeordnete ihre Schriftliche Frage – noch mehr als 3800 Ortskräfte auf ihre Ausreise hofften. Das Antwortschreiben liegt dem bundeswehr-journal vor.

Daraus geht weiter hervor, dass nach dem Ende der Evakuierungsoperation im Zeitraum 28. August bis 7. November 2021 insgesamt 456 Ortskräfte in Deutschland einreisten.

Laut der Auskunft des Innenministeriums sollen sich in Afghanistan noch mindestens 645 Ortskräfte befinden, die zuvor für die Bundeswehr tätig waren. Außerdem hat das Ministerium noch 745 frühere Helfer des Auswärtigen Amts und 23 Afghanen, die für das Innenressort zum Beispiel bei Ausbildungsprogrammen für die lokalen Sicherheitsbehörden aktiv waren, aufgelistet. Auch diese Personen und ihre Familienangehörige warten verzweifelt auf eine Ausreisemöglichkeit.

Die größte Gruppe von „Locals“ bilden die rund 2500 ehemaligen und immer noch aktiven Ortskräfte von Institutionen der bilateralen deutschen Entwicklungszusammenarbeit.

Dağdelen sagte gegenüber dem bundeswehr-journal: „Nach der Niederlage der NATO im mörderischen Afghanistankrieg und den Chaos-Tagen beim Truppenabzug aus Kabul lässt die Bundesregierung die Ortskräfte trotz zugesagter Evakuierung weiterhin skrupellos im Stich.“


Randnotiz                                  

General Jörg Vollmer äußerte sich in dem Interview für eine Folge der Radio- und Podcastserie „Killed in Action – Deutschland im Krieg“ von NDR Info. „Der Abzug“ ist Titel und Thema dieser siebten Folge des Podcasts der langjährigen Afghanistan-Korrespondenten Christoph Heinzle und Kai Küstner.

Am 2. Januar (Sonntag) ist der Beitrag um 17 Uhr im Radio auf NDR Info zu hören. Zuvor am selben Tag sendet NDR Info ab 14:30 Uhr eine Zusammenfassung der ersten sechs Folgen.

„Killed in Action – Deutschland im Krieg“ erzählt am Beispiel Afghanistans, wie sich das Selbstverständnis der Bundeswehr durch die Auslandseinsätze gewandelt hat. Im Mittelpunkt steht die Perspektive der Soldaten und ihrer Angehörigen.


Der Bildausschnitt zeigt General Jörg Vollmer am 13. Januar 2020 in seiner Eigenschaft als Inspekteur des Deutschen Heeres. An diesem Montag besuchte der damalige Generalleutnant das Hauptquartier der U.S. Army Europe in Wiesbaden. Dort begrüßte ihn der amerikanische Generalleutnant Christopher Cavoli.
(Foto: Stephen P. Perez/U.S. Army)

Kleines Beitragsbild: Das Symbolfoto „Evakuierung aus Kabul“ wurde am 21. August 2021 auf dem Hamid Karzai International Airport gemacht und zeigt Menschen, die in der Abenddämmerung in eine C-17 Globemaster III der US-Luftwaffe drängen. Die Evakuierungsflüge der Amerikaner und anderer Nationen aus Kabul waren zu diesem Zeitpunkt die einzige Hoffnung Tausender auf der Flucht vor den Taliban.
(Foto: Taylor Crul/U.S. Air Force/U.S. Central Command Public Affairs)


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