Hamburg/Saarlouis. Unter Führung von Brigadegeneral Jens Arlt rettete die Bundeswehr im August 2021 in Afghanistans Hauptstadt Kabul Tausende Menschen vor den Taliban. Nach Ende des 20-jährigen Kriegseinsatzes am Hindukusch fordert nun der Kommandeur der in Saarlouis beheimateten Luftlandebrigade 1 „klare politische Vorgaben“ bei Auslandseinsätzen der Truppe. Im Gespräch mit der Zeitschrift stern sagte der 52 Jahre alte Heeresoffizier: „Die Ziele müssen erreichbar sein und immer wieder überprüft werden.“ Beim Afghanistaneinsatz sei es „nicht damit getan zu sagen, es ist ein Desaster“. Arlt: „Es ist essenziell, diese 20 Jahre aufzuarbeiten“.
Der Fallschirmjäger-Kommandeur hatte nach der Machtübernahme der Taliban im vergangenen Sommer in Kabul die größte und riskanteste Rettungsmission in der Geschichte der Bundeswehr geleitet, bei der mehr als 5300 Schutzbedürftige nach Deutschland ausgeflogen werden konnten. Zehntausende Ausreiseberechtigte jedoch mussten zurückbleiben – „ein Dilemma, das uns moralisch umtreibt“, so Arlt gegenüber dem stern.
Hintergründe des Einsatzes soll im kommenden Jahr ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages aufklären. Dies kündigten SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag an; mit der Bewertung des deutschen Gesamteinsatzes in Afghanistan soll eine Enquete-Kommission beauftragt werden.
Das deutsche Engagement am Hindukusch endete unter dramatischen Umständen, die General Arlt im Gespräch mit dem stern beschreibt. Auf der Flucht vor den Taliban hätten sich Tausende Afghanen mit ihren Familien vor den wenigen Zugängen zum Kabuler Flughafen gedrängt, so sein Augenzeugenbericht. Dort hätten teils „enorme Brutalität“ und das „Gesetz des Stärkeren“ geherrscht. Frauen seinen „einfach niedergewalzt, Kinder in den Stacheldraht getreten“ worden. Um Schutzbedürftige aus Verstecken in der Stadt zu retten, hätten Soldaten vom Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr „alle Register gezogen“.
Am kommenden Montag (6. Dezember) soll Jens Arlt für seinen Einsatz in Hannover mit dem Leibniz-Ring ausgezeichnet. Im September war ihm von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen worden.
Das ganze Interview mit Bundeswehr-General Arlt in der Printausgabe der Zeitschrift stern am morgigen Donnerstag (2. Dezember) und Online auf stern Plus.
Das Recht der „Enquête“ (französisch „Untersuchung“) gehört zu den klassischen Instrumenten der Legislative, um sich unabhängig von der Exekutive umfassende Informationen über einen bestimmten Sachbereich zu beschaffen, die als Grundlage für spätere Entscheidungen dienen können. In der parlamentarischen Praxis der Bundesrepublik Deutschland blieb das Untersuchungsrecht jedoch zunächst weitgehend auf die Erforschung politischer Skandale und Missstände in Untersuchungsausschüssen beschränkt.
Das 1969 in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verankerte Institut der Enquête-Kommission (EK) meint ein Gremium, in dem Abgeordnete gemeinsam mit externen Sachverständigen komplexe und politisch bedeutsame gesellschaftliche und naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen systematisch aufarbeiten. Auf der Grundlage dieser Bestandsaufnahme werden in EK Ansatzpunkte wie auch potenzielle Auswirkungen gesetzgeberischen Handelns diskutiert und dem Bundestag Empfehlungen für seine weitere Arbeit in dem entsprechenden Feld vorgelegt. Ähnliches gilt für die Landtage der deutschen Länder, die in den vergangenen Jahren ebenfalls zahlreiche EK eingesetzt haben. Die Tätigkeit von EK ist damit auf die Unterstützung der allgemeinen Parlamentsfunktionen bezogen.
EK sollen die Legislative durch die Einbeziehung externen, vor allem wissenschaftlichen Sachverstands im Rahmen der Gesetzgebungsfunktion stärken, indem sie die Abhängigkeit des Parlaments von den Informationen und den Gesetzesvorlagen der Ministerialbürokratie verringern. Damit soll auch ein Beitrag zur Kontrolle der Regierung geleistet werden. In den vergangenen Jahren haben EK darüber hinaus die Funktion wahrgenommen, durch ihre Arbeit auch die Öffentlichkeit für ihr jeweiliges Thema zu sensibilisieren.
Das Bild zeigt Brigadegeneral Jens Arlt während der Evakuierungsflüge der Bundeswehr auf dem Flugplatz Taschkent in Usbekistan. Im Hintergrund eine deutsche Transportmaschine des Typs A400M.
(Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr)
Kleines Beitragsbild: Das Symbolfoto „Evakuierung aus Kabul“ wurde am 21. August 2021 auf dem Hamid Karzai International Airport gemacht und zeigt Menschen, die in der Abenddämmerung in eine C-17 Globemaster III der US-Luftwaffe drängen. Die Evakuierungsflüge der Amerikaner und anderer Nationen aus Kabul waren zu diesem Zeitpunkt die einzige Hoffnung Tausender auf der Flucht vor den Taliban.
(Foto: Taylor Crul/U.S. Air Force/U.S. Central Command Public Affairs)