Koblenz/Ditzingen. Es klingt verdächtig nach einem Schildbürgerstreich: Am 24. September dieses Jahres meldete DER SPIEGEL vorab, dass „die Bundeswehr für bis zu 600 Millionen Euro Tausende Uralt-Funkgeräte nachbauen“ will. Nach Informationen des Magazins habe das Koblenzer Beschaffungsamt mit dem französischen Rüstungskonzern Thales bereits einen entsprechenden Rahmenvertrag abgeschlossen. Konkret geht es um die Funkgerätefamilie SEM 80/90, die in den frühen 1980er-Jahren vom damaligen Stuttgarter Unternehmen Standard Elektrik Lorenz AG (SEL) für die Bundeswehr entwickelt und produziert worden war. SEL wurde später in Teilen von Thales übernommen.
Die ab 1982 in die Bundeswehr eingeführten Funkgeräte SEM 80/90 sind auch heute noch als Standardausrüstung in den meisten deutschen Militärfahrzeugen vorhanden. Mit Zusatzgeräten ist Relaisbetrieb, Datenübertragung, Sprach- und Datenverschlüsselung möglich. Die an die Bundeswehr gelieferten Geräte haben zudem NEMP-Schutz (Anm.: NEMP = Nukleare Elektromagnetische Impulse; die immer zahlreicher verbauten elektrischen und elektronischen Komponenten im Wehrmaterial aller Art können durch elektromagnetische Impulse – beispielsweise durch Energiewaffen mit Mikrowellen, Entladungen bei Gewittern, Sonnenwinde oder Kernwaffenexplosionen – bis zum Totalausfall geschädigt werden, deswegen ist ein spezieller EMP-Schutz beziehungsweise eine EMP-Härtung erforderlich).
In den letzten Jahren hatte die Bundewehr verschiedene wehrtechnische Initiativen gestartet, um die Truppe mit digitalen Funkgeräten auszustatten, unter anderem um breitbandigere Datenübertragung für das sogenannten Battle Management System (BMS), die neue streitkräftegemeinsame Technologie zur Digitalisierung landbasierter Operationen, zu ermöglichen.
Mit einem Battle Management System soll die vernetzte Gefechtsführung sowohl auf nationaler als auch auf Bündnisebene möglich werden. Dabei soll das BMS dafür sorgen, dass sich Informationen interoperabel zwischen Gefechtsständen, Einheiten und Verbündeten bruchfrei austauschen und verwenden lassen. Dank dieser Vernetzung wird ein digitales Lagebild möglich, das es erlaubt, taktische Entscheidungen schneller und präziser als heute zu treffen und umzusetzen.
Im Jahr 2023 soll das neue digitale Führungssystem ausgereift zur Verfügung stehen. Dann wird es erstmals für die Speerspitze der schnellen Eingreiftruppe der NATO, die Very High Readiness Joint Task Force/Land (VJTF/L), zum Einsatz kommen. Deutschland ist bei diesem Zyklus in zwei Jahren die Führungsnation. Das Projekt „BMS VJTF 2023“ ist Teil des Gesamtvorhabens „Digitalisierung Landbasierter Operationen“ (D-LBO).
Mittlerweile hat sich jedoch gezeigt, dass das Vorhaben D-LBO weit hinter dem Zeitplan liegt. Der Verzug führte letztendlich dazu, dass jetzt die alte Technik von SEL ihren „zweiten Frühling“ erleben darf. Der SPIEGEL berichtete in seiner Vorabmeldung: „Weil sich die Beschaffung neuer, digitaler Geräte immer wieder verzögert, will die Truppe nun die alten erst einmal nachbauen lassen. In den nächsten zwei Jahren soll Thales dafür den Prototypen eines neuen Funkgeräts entwickeln, das die gleichen Maße und Anschlüsse hat wie das alte, sodass es problemlos in alle Fahrzeuge eingebaut werden kann. Gleichzeitig soll es nicht mehr leisten dürfen als die alten Modelle ,SEM 80/90‘, um auf diese Weise eine langwierige Ausschreibung umgehen zu können. Bis zu 30.000 dieser Retro-Geräte auf dem technischen Stand der Achtzigerjahre zum Stückpreis von etwa 20.000 Euro könnten dann bis zum Jahr 2035 eingesetzt werden.“
Das Ganze hörte sich nach SPIEGEL-Lesart dann doch an wie ein tolles Stück aus Schilda. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) hielt nun am 6. Oktober mit einer Presserklärung dagegen. Bei dem Millionen-Beschaffungsprojekt handele es sich um eine wohldurchdachte Zwischenlösung, so das BAAINBw. Der Pressetext aus Koblenz ist mit „Bewährte Hülle, neuer Kern – Bundeswehr sichert die Einsatzfähigkeit für Landstreitkräfte“ überschrieben.
In der Pressemitteilung führt das Bundesamt aus: „Durch den kürzlich geschlossenen Rahmenvertrag zum Fähigkeitserhalt der Funkgerätefamilie SEM 80/90 sichert die Bundeswehr die Einsatzfähigkeit der Landstreitkräfte. Nach über 35 Jahren Nutzung konnten Wartung und Reparatur nicht mehr verlässlich und insbesondere wirtschaftlich gewährleistet werden.“
Um die bisherigen Funktionen im Rahmen der Einsatzfähigkeit sämtlicher Landfahrzeuge weiterhin unterbrechungsfrei sicherzustellen, habe man am 22. Juli dieses Jahres eine entsprechende Vereinbarung mit der Firma Thales Deutschland GmbH geschlossen, erklärte das BAAINBw weiter.
Der zuständige Projektleiter in Koblenz wird im Pressetext mit den Worten zitiert: „Die beabsichtigte Lösung mit neuen, softwarebasierten Funkgeräten bietet der Truppe kosteneffizient alle bisherigen Fähigkeiten, da sie im Kern auf den technologischen State-of-the-Art zurückgreift.“ Und: „Durch die Beibehaltung der bisherigen, einsatzerprobten äußeren Form gelingt es uns, der Truppe die Funkgeräte schnellstmöglich zur Verfügung zu stellen, da keine komplexen Umbauten an den Fahrzeugen erforderlich sind und die Geräte nach dem Prinzip ,Plug and Play‘ in das bestehende System eingebaut werden können.“
Die seit den 1980er-Jahren in der Bundeswehr genutzten Funkgräte SEM 80/90 werden überwiegend in Fahrzeugen der Landstreitkräfte verwendet und dienen dort der taktischen Kommunikation. Ziel der deutschen Streitkräfte bleibe es, den Truppenfunk auf lange Sicht vollumfänglich zu digitalisieren, versichert das BAAINBw. Bis zur vollständigen Umsetzung dieses umfangreichen Vorhabens sichere die jetzige Vereinbarung zum „Fähigkeitserhalt Funkgerätefamilie SEM 80/90“mit der Thales Deutschland GmbH „die durchgängige Einsatzbereitschaft der Truppe“.
Zu unserem Firmenbild: „Bewährte Hülle, neuer Kern“ – die Funkgeräte SEM 80/90, nun produziert von Thales, sollen auch künftig zur Einsatzfähigkeit der deutschen Landstreitkräfte beitragen.
(Foto: Thales Deutschland GmbH/für BAAINBw; Bildmontage mediakompakt)
Kleines Beitragsbild: Der Bildausschnitt zeigt ein Bundeswehr-Gerät aus der Funkgerätefamilie SEM 80/90.
(Foto: Stefan Uj/Bundeswehr)