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Berlin. Die hessische SPD-Politikerin Christine Lambrecht wird in der Ampel-Koalition unter dem designierten Bundeskanzler Olaf Scholz neue Bundesministerin der Verteidigung. Damit tritt sie die Nachfolge der aus dem Amt scheidenden Christdemokratin Annegret Kramp-Karrenbauer an. Die Vorgängerin hatte unmittelbar nach Bekanntwerden der Ministerpersonalie auf Twitter gratuliert und geschrieben: „Liebe Christine Lambrecht, ich wünsche Ihnen alles Gute und eine allzeit glückliche Hand für die Männer und Frauen der Bundeswehr, die unserem Land dienen.“

Es gab in den sozialen Medien weitere freundliche Grußbotschaften, aber auch Unverständnis über die Entscheidung der SPD-Verantwortlichen bis hin zur Ablehnung Lambrechts. Die neue Verteidigungsministerin hat bisher so gut wie keine Berührpunkte mit dem Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik oder der Bundeswehr. Lediglich im Juli 2014 hatte sie sich als damalige Fraktionsgeschäftsführerin gegen den Rat der SPD-Fachpolitiker vehement gegen die Beschaffung von bewaffneten Drohnen ausgesprochen. Auch eine gewisse Politik-Müdigkeit halten ihr die Kritiker vor: Im vergangenen Jahr hatte Lambrecht bekanntgegeben, dass sie sich aus der Politik zurückziehen wolle. Danach hatte sie nicht wieder für den neuen Bundestag kandidiert …

Blicken wir zunächst ins Berliner Willy-Brandt-Haus. Hier spielte am gestrigen Nikolaus-Montag (6. Dezember) ein letzter wichtiger Akt vor der Wahl von Olaf Scholz am morgigen Mittwoch zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. In der Bundeszentrale der Partei in Kreuzberg stellte Scholz seine sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder vor: vier Frauen und drei Männer.

Nach den Koalitionspartnern Bündnis 90/Die Grünen und der FDP vervollständigte so nun der Sieger der Bundestagswahl 2021 die Ministerliste. Von den insgesamt 16 künftigen Bundesministern im Kabinett Scholz, die von den drei künftigen Koalitionspartnern gestellt werden, sind acht Frauen.

Deutschlands Sicherheit jetzt „in den Händen starker Frauen“

Scholz sagte dazu bei der Pressekonferenz in der Zentrale: „Sicherheit wird in den Händen starker Frauen liegen.“ So soll beispielsweise das Bundesinnenministerium von der hessischen Fraktions- und Parteivorsitzenden Nancy Faeser geleitet werden. Sie gilt als Expertin, hatte sie doch zwölf Jahre lang als innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion das Thema intensiv bearbeitet. Wichtig ist ihr nach eigener Aussage insbesondere „gut ausgebildetes und ausgestattetes Personal“ bei den Sicherheitsbehörden. Einen Schwerpunkt will Faeser vor allem auf den Kampf gegen Rechtsextremismus setzen.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die zuletzt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (und kommissarisch auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) geleitet hatte, sagte bei der Vorstellung in Berlin: „Die Bundeswehrangehörigen haben verdient, dass wir ihnen mit Anerkennung und Respekt begegnen.“ Lambrecht will das Beschaffungswesen der deutschen Streitkräfte modernisieren, den Beruf attraktiver machen und künftige Auslandseinsätze ständig evaluieren.

Die bisherige Umweltministerin Svenja Schulze soll künftig Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verantworten. Sie habe breite Erfahrung mit globalen Themen und „ist international vernetzt“, so Scholz. Schulze selbst verwies bei dem Termin in der Zentrale auf die lange, starke Tradition der Entwicklungspolitik in der SPD – vertreten etwa durch Egon Bahr, Erhard Eppler oder Heidemarie Wieczorek-Zeul. Gerade in der heutigen Zeit gehe es um „internationale Solidarität und um die globale Ebene“, sagte sie.

Die designierten Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen wird die erste Frau und zugleich jüngste Leiterin des Auswärtigen Amtes sein. Sie will eintreten „für ein starkes und geeintes Europa, das sich mit Mut und Leidenschaft den Aufgaben stellt“. Baerbock erklärte vor Kurzem dazu: „Europa ist nicht nur eine Gemeinschaft der Staaten, sondern der Menschen, die hier zuhause sind. Ich setze mich für eine Europäische Union ein, die uns vor Krisen schützt und die Zukunft gestaltet, mit einer starken Rolle im globalen Gefüge. Ich arbeite für eine kohärente Außenpolitik: auf Augenhöhe, im Einsatz für Frieden, Sicherheit, Klimaschutz, Demokratie und Menschenrechte – weltweit.“

CDU-Experte Wadepuhl spricht von einem großen Erklärungsbedarf

Wenige nur hatten Christine Lambrecht als Nachfolgerin von Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Zettel. Thorsten Jungholt, politischer Korrespondent der Tageszeitung DIE WELT, sprach für seinen aktuellen Beitrag „Die Frau, der die Soldaten vertrauen sollen“ unter anderem mit dem CDU-Politiker Johann David Wadepuhl, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Experte für die Bereiche „Auswärtiges“ und „Verteidigung“.

Dieser bringt das Erstaunen Vieler in seinem Gespräch mit der WELT auf den Punkt: „Die Entscheidung der SPD, Christine Lambrecht zur neuen Verteidigungsministerin zu machen, ist eine echte Überraschung. Frau Lambrecht ist fachfremd, dem eher bundeswehrkritischen linken Lager der hessischen SPD zuzurechnen und hatte damit kokettiert, kein neues Amt in der Bundesregierung anzustreben. Da sehe ich also großen Erklärungsbedarf.“ Wadephul wertet die Personalie – so Autor Jungholt – „als weiteres Zeichen, dass der SPD die Verteidigungspolitik und die Bundeswehr ziemlich egal sind“.

Spagat zwischen Ministerpflichten und Drohnen-Ablehnung

Die Reaktionen besonders auf Twitter nach Bekanntgabe der Besetzung des Chefpostens im Wehrressort waren zum überwiegenden Teil voller Ablehnung. Da fragten erstaunte Nutzer „Wer ist jetzt diese Frau Lambrecht, was zeichnet sie aus und, warum macht sie Verteidigung?“ oder „Man fragt sich, was Frau Lambrecht als Verteidigungsministerin qualifiziert?“

Weitere Kommentare lauteten: „Also Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin – sie hat keinerlei militärische Erfahrung oder Expertise, um dieses Amt angemessen zu führen.“ „Mit Lambrecht als Verteidigungsministerin habe ich nicht gerechnet, vermitteln kann man das in der Truppe nicht.“ „Sollte man in der heutigen Zeit nicht lieber Kompetenz in der Verteidigung erwarten und nicht jemand ohne Bundeswehrerfahrung?“

Unverständnis gab es vor allem hinsichtlich der Position von Lambrecht in der Frage der bewaffneten Bundeswehr-Drohnen. So meinte ein Nutzer: „Demnach wird mit Christine Lambrecht wohl eine Gegnerin bewaffneter Drohnen Verteidigungsministerin.“ Ein anderer wies darauf hin: „Frau Lambrecht war in der Vergangenheit strikt gegen die Anschaffung von bewaffneten Drohnen, soll dieses jetzt aber als Ministerin umsetzen?“ (Anm.: Die Ampel-Koalition von SPD, Grünen und Liberalen haben sich in ihrem am 24. November veröffentlichten Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ auf die Beschaffung bewaffneter Drohnen zum Schutz der Bundeswehrangehörigen festgelegt.)

Viele Twitter-Nutzer zeigten sich auch irritiert über die Lebensplanung von Lambrecht. „Also ganz ehrlich – Christine Lambrecht verstehe ich nicht; sie hat ihren doch Rückzug aus der Politik angekündigt, dann sollte man das auch durchziehen“, hieß es vorwurfsvoll. Und: „Lambrecht, die sich vor wenigen Monaten noch aus der Politik zurückziehen wollte, soll also Verteidigungsministerin werden – wirkt wie die übliche Politiker-Rochade ohne Rücksicht auf Expertise.“

„Eine der erfahrensten und durchsetzungsstärksten Ministerinnen“

Aber das Medium Twitter hatte am Montag und heutigen Dienstag auch Positives zu bieten. So schrieb die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die lange Zeit ebenfalls als Kandidatin für das Ministeramt gehandelt worden war: „Ich gratuliere Christine Lambrecht zur Nominierung zur Bundesministerin der Verteidigung durch die SPD. Ich freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit in der Ampel-Koalition im Interesse der Bundeswehr und zum Wohle unserer Parlamentsarmee.“

Die Sozialdemokratin und Parlamentarierin Siemtje Möller, die von nicht Wenigen gerne an der Spitze des Verteidigungsministeriums gesehen worden wäre, äußerte sich auf Twitter wie folgt: „Mit Christine Lambrecht beruft Olaf Scholz eine der erfahrensten und durchsetzungsstärksten Ministerinnen ins Bundesministerium der Verteidigung. Ich kenne Lambrecht als absolut zuverlässige Ministerin mit einem klaren Kompass und insbesondere einer klaren Haltung im Kampf gegen Rechtsextremismus“. Ihre Wahl sei „ein starkes Signal an die Männer und Frauen der Bundeswehr, mit und ohne Uniform“.

Thomas Silberhorn, scheidender Parlamentarischer Staatssekretär von noch-Ministerin Kramp-Karrenbauer, schrieb: „Der designierten Bundesministerin der Verteidigung Christine Lambrecht wünsche ich viel Erfolg und Fortune im neuen Amt.“

Patrick Sensburg, Präsident des Reservistenverbandes, sandte ebenfalls beste Wünsche: „Liebe Christine Lambrecht, ich wünsche Ihnen alles Gute für dieses wunderbare Amt. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und Ihren Einsatz für die Reserve. Ohne Reserve geht es nicht.“

Rasch einen Plan für die künftige Aufstellung der Bundeswehr vorlegen

Auch der Deutsche Bundeswehr-Verband meldete sich nach der Pressekonferenz der SPD zu Wort. Oberstleutnant André Wüstner, Bundesvorsitzender der Interessenvertretung, sagte in einem Pressestatement: „Mit Christine Lambrecht soll eine erfahrene Politikerin Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt werden. Ich kenne sie seit Jahren und habe sie unter anderem im Justizministerium getroffen. Von den meisten Namen, die zuletzt für das Verteidigungsministerium gehandelt wurden, unterscheidet sich Frau Lambrecht durch ihre Erfahrung im Bundeskabinett, in der Leitung eines Ministeriums, in Finanz- und nicht zuletzt in Rechtsfragen. Sie hat sicherlich das Potenzial, um auch für die Bundeswehr den notwendigen Fortschritt zu erzeugen. Doch warten wir die Regierungsbildung und ersten 100 Tage ab, auch wenn man als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt zumeist nicht wirklich so viel Zeit zur Einarbeitung hat. Die vor ihr liegenden Aufgaben sind enorm, aber ich bleibe zuversichtlich für eine Bundeswehr, die besser als bisher für heutige sowie künftige Aufgaben gerüstet sein muss. In ihrer heutigen Vorstellungsrede hat sie zumindest erste wichtige Punkte gemacht.“

In einem Interview für die Zeitungen der Funke-Mediengruppe rief Wüstner zudem die künftige Verteidigungsministerin dazu auf, „nach ihrem Amtsantritt rasch einen Plan für die künftige Aufstellung der Bundeswehr vorzulegen“. Lambrecht müsse sich „zügig einarbeiten“, empfahl der Heeresoffizier. Sie müsse schnell die Bestandsaufnahme abschließen und dann „einen Plan für die Zukunft unserer Bundeswehr erarbeiten“. Der Bundesvorsitzende begrüßte ausdrücklich die Ankündigung der SPD-Politikerin, die Attraktivität des Soldatenberufs steigern und die materielle Einsatzbereitschaft erhöhen zu wollen. Zugleich warnte Wüstner: „Klar ist allerdings auch, dass eine Ministerin heute mehr denn je an Taten als an Worten gemessen wird.“

Nominierung ein großer Vertrauensbeweis und eine Herausforderung

Lambrecht sagte bei der Vorstellung der sozialdemokratischen Minister am 6. Dezember in Berlin unter anderem: „Für viele wird [meine] Nominierung als Verteidigungsministerin eine Überraschung sein.“ Sie selbst sehe darin einen großen Vertrauensbeweis und eine Herausforderung. „Die Bundeswehrangehörigen haben es verdienst, dass wir ihnen mit Anerkennung und mit Respekt begegnen, und ich möchte da ausdrücklich die Reservisten mit einbeziehen.“

Sie hob die Leistungen der Soldaten im Rahmen der Amtshilfe zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie sowie die Unterstützung bei der Naturkatastrophe im Ahrtal hervor. Diese Anerkennung dürfe sich nicht nur durch Worte, sondern müsse sich auch in Taten, vor allem bei der Beschaffung von angemessener Ausrüstung zeigen, meinte Lambrecht. Dafür müsse unbedingt das Beschaffungswesen modernisiert werden. Außerdem forderte sie mit Blick auf den sich rapide verändernden Altersdurchschnitt der Männer und Frauen in der Bundeswehr: „Wir müssen den Soldatenberuf attraktiv machen, damit er demografiefest ist.“

Früher Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Christine Lambrecht wurde am 19. Juni 1965 in Mannheim geboren. Sie wuchs als Einzelkind in Viernheim, der zweitgrößten Stadt im südhessischen Kreis Bergstraße, auf. Heute lebt sie mit ihrem Sohn in Berlin, verbringt jedoch immer noch Zeit in ihrer früheren Heimat.

Ihr Abitur machte sie 1984 an dem Viernheimer Albertus-Magnus-Gymnasium. Über ihren weiteren beruflichen Werdegang schrieb Lambrecht einmal: „Schon sehr früh stand für mich fest, dass ich Juristin werden wollte. Dabei war mir die ehemalige deutsche Justizministerin [und Sozialdemokratin] Herta Däubler-Gmelin immer ein großes Vorbild. Jura studierte ich an den Universitäten Mannheim und Mainz, wo ich 1995 mein zweites Staatsexamen sowie einen weiteren Aufbaustudiengang zur ,Magistra der Verwaltungswissenschaften‘ abgeschlossen habe.“

Zunächst arbeitete Christine Lambrecht als selbstständige Rechtsanwältin in Viernheim und lehrte als Dozentin Handels- und Gesellschaftsrecht an der Berufsakademie in Mannheim.

Für Politik interessierte sie sich bereits als Jugendliche. 1982 wurde sie Mitglied in der SPD. Ihre politische Karriere begann als Mitglied der Viernheimer Stadtverordnetenversammlung, deren Vorsitz sie in den Jahren 1997 bis 2001 innehatte.

1998 zog Lambrecht das erste Mal für den Kreis Bergstraße in den Deutschen Bundestag ein. In den Jahren 1998 bis 2013 war sie Mitglied im Rechtsausschuss. Von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 gehörte sie dem Ältestenrat des Parlaments an. Im April 2011 wurde sie Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion sowie Mitglied im Vermittlungsausschuss. Von 2013 bis 2017 war sie Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion (und in dieser Funktion auch wieder Mitglied im Ältestenrat).

Im September 2017 wurde Lambrecht erneut in den Bundestag gewählt und übte von Dezember 2017 bis März 2018 das Amt der Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden für den Bereich „Finanzen, Haushalt und Euro“ aus.

Am 14. März 2018 wurde sie zur Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen ernannt.

Am 27. Juni 2019 wurde die SPD-Politikerin als Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz vereidigt und war seit dem 20. Mai 2021 zugleich Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.

Im September 2020 berichteten lokale Online-Medien, dass die Bergsträßer Bundestagsabgeordnete ihren offiziellen Abschied aus der Bundespolitik verkündet habe. „Demnach will sie im kommenden Jahr nicht mehr als Abgeordnete für den Bundestag kandidieren“, berichtete die Online-Zeitung Bensheim-Auerbach. Für ihren Rückzug habe Christine Lambrecht private Gründe angegeben. Im November 2020 erklärte die damalige Ministerin schließlich in einem Interview mit den SPIEGEL-Mitarbeiterinnen Susanne Beyer und Lydia Rosenfelder, warum sie 2020 aus dem Bundestag ausscheiden wird. Und nun der Abschied vom Abschied …


Unsere Aufnahmen zeigt die Bundesministerin der Justiz Christine Lambrecht am 4. November 2020 im Rahmen der Befragung der Bundesregierung.
(Foto: Henning Schacht/Deutscher Bundestag)


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