Osnabrück. Der Wehrexperte und frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels kritisiert die Afghanistan-Politik des deutschen Außen- und Verteidigungsministeriums. „Die Fortschrittsberichte des Auswärtigen Amts haben offenbar immer ein Bild von Afghanistan gezeichnet, wie es sein soll, aber nicht, wie es wirklich war“, sagte Bartels. Er hat den Afghanistaneinsatz der NATO und Bundeswehr erst als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und später als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages beobachtet. Der Kieler äußerte sich jetzt gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).
Dem Verteidigungsministerium warf Bartels in seinem Gespräch mit der NOZ vor, zu spät mit den Evakuierungsflügen begonnen zu haben. „Wenn man am Freitag ankündigt, A400M-Transportmaschinen nach Kabul schicken zu wollen, dann darf die erste Maschine nicht erst am Montag starten“, sagte Bartels. „Die Bundeswehr kann schneller sein, man muss es ihr aber auch abverlangen.“
Bartels nannte die Entwicklung in Afghanistan „eine Tragödie mit Ansage“. Mit „Ansage“ bezog sich der frühere Wehrbeauftragte auf die Ankündigung von Ex-US-Präsident Donald Trump im Februar 2020, die amerikanischen Truppen ohne Vorbedingung abzuziehen. „Den Taliban zu sagen, ,wir gehen raus, und dann wäre es nett, wenn ihr einen Frieden mit der afghanischen Regierung vereinbart‘, ist völlig blauäugig“, so Bartels.
Er bemängelte zudem, dass der gesamte 20-jährige Afghanistaneinsatz mit insgesamt 50 truppenstellenden Nationen „ein internationales Chaos“ gewesen sei. Bartels beklagte: „Es hat nie eine Gesamtstrategie unter einer einheitlichen Führung gegeben.“
Der gebürtige Düsseldorfer Hans-Peter Bartels (Jahrgang 1961) war von 2015 bis 2020 für eine Amtszeit Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Der SPD-Politiker trat für eine Aufrüstung der Bundeswehr und eine Aufstockung des Wehretats ein. 2020 beklagte Bartels die dürftige Datenlage zu Rechtsextremismus in der Truppe und nannte es „kurios“, dass er als Wehrbeauftragter der einzige sei, der Zahlen zu dem Phänomen nennen könne. Er sah den MAD in der Pflicht, denn die Bundeswehr müsse mitbekommen, wenn „Verfassungsfeinde eindringen“.
Eine Wiederwahl von Bartels nach fünf Jahren wäre wohl möglich gewesen. Ohne nähere Begründung gab jedoch Ende April 2020 der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich bekannt, dass die SPD-Fraktion dies „nicht befürworte“. Als Nachfolgerin in das Wehrbeauftragten-Amt wurde am 7. Mai 2020 die Sozialdemokratin Eva Högl gewählt.
Zu unserem Bildmaterial
1. Die Gesamtlage in Afghanistan hat sich nach dem Sieg der Taliban in nahezu allen Landesteilen und der Einnahme Kabuls für die meisten Menschen verschlechtert. Die Bundeswehr unterstützt die seit Montagmorgen (16. August 2021) laufenden Evakuierungsoperationen des Auswärtigen Amtes, um deutsche Staatsbürger sowie einheimische Ortskräfte und ihre Familien aus Kabul in Sicherheit zu bringen. Die Deutsche Luftwaffe ist mit inzwischen drei A400M im Einsatz, die vom Fliegerhorst Wunstorf in Richtung Hindukusch gestartet sind. Vom militärischen Teil des Flughafens Köln/Bonn startete außerdem ein A310 mit militärischen Kräften und Material in die Region. Die Aufnahme vom 16. August zeigt Bundeswehrsoldaten, die an Bord des Airbus mit der Kennung 10+23 gehen.
(Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr)
2. Hans-Peter Bartels (rechts) am 24. Juni 2014 in seiner damaligen Funktion als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestages bei einem Treffen mit dem künftigen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
(Foto: Achim Melde/DBT)
Kleines Beitragsbild: Das Symbolfoto „Taliban auf dem Vormarsch“ stammt vom Propagandakanal „Islamic Emirate of Afghanistan – alemarah“. Die Aufnahme vom 13. Juni 2021 zeigt, so der Begleittext von Alemarah Media, Kämpfer nach ihrer erfolgreichen Ausbildung im „Abdullah bin Mubarak Jihad Training Camp“.
(Foto: Alemarah Media)
„Die Fortschrittsberichte des Auswärtigen Amts haben offenbar immer ein Bild von Afghanistan gezeichnet, wie es sein soll, aber nicht, wie es wirklich war“, sagte Bartels.
Hat Herr Bartels diese oder ähnliche Äußerungen während seiner Zeit als Mitglied des Verteidigungsausschusses oder als Wehrbeauftragter auch schon kundgetan? Verfügt er über diese Erkenntnisse erst seit ein paar Tagen?