Washington D.C./Berlin. Nun also doch – als Michael R. Gordon und Gordon Lubold in ihrem Beitrag für das Wall Street Journal am 5. Juni als allererste Journalisten in den USA von den Plänen des Präsidenten berichteten, „Tausende US-Soldaten aus Deutschland“ abziehen zu wollen, da hielten sich die Reaktionen beiderseits des Atlantiks noch in Grenzen. Donald Trump war bekannt für seine emotionalen Irrfahrten und politischen Schnellschüsse. Experten beruhigten: Auch in diesem Fall würde nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Dem Präsidenten jedoch war und ist es Ernst mit dem Truppenabzug. Am 15. Juni erneuerte er in Washington seinen Vorwurf, Deutschland erreiche nach wie vor nicht das Zwei-Prozent-Ziel der NATO für Verteidigungsausgaben. Die USA würden den Abzug der Truppen verfolgen, solange Deutschland nicht mehr Geld zahle. Am gestrigen Mittwoch (29. Juli) nun wurden genauere Pläne bekannt – der amerikanische Verteidigungsminister Mark T. Esper briefte Medienvertreter im Pentagon über Details des Teilabzuges. Die Bundesregierung war zuvor offiziell nicht informiert worden. Deutschland ist für die US-Streitkräfte eines der wichtigsten militärischen Drehkreuze weltweit. Insgesamt sind aktuell rund 35.000 GIs in Deutschland stationiert, hinzu kommen 17.000 amerikanische und 12.000 deutsche Zivilbeschäftigte.
An der Pressekonferenz von Esper nahmen auch Luftwaffengeneral John E. Hyten (Stellvertretender Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs) und Luftwaffengeneral Tod D. Wolters (Befehlshaber des United States European Command und in Personalunion Supreme Allied Commander Europe der NATO) teil. Wie der amerikanische Verteidigungsminister mitteilte, wollen die USA „möglichst rasch“ ein Drittel der bislang in Deutschland stationierten Soldaten abziehen. Etwa die Hälfte der rund 12.000 betroffenen Soldaten sollen in die Vereinigten Staaten zurückgeholt, weitere 5600 in andere NATO-Länder verlegt werden.
Esper verpackte die Trump-Entscheidung als Maßnahmen, die die „strategische Flexibilität“ der US-Streitkräfte erhöhen und auch die NATO stärken sollen.
Vor dem Hintergrund der Ankündigungen von Esper unterrichtete die Bundesregierung – vertreten durch den Staatsminister im Auswärtigen Amt Niels Annen und den Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung Peter Tauber – am gestrigen Mittwoch unter anderen den Deutschen Bundestag.
In einer gemeinsamen Presseerklärung des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums heißt es dazu: „Den vorliegenden Informationen zufolge plant die US-Regierung, die Präsenz permanent in Deutschland stationierter […] Soldaten auf maximal 25.000 zu verringern. 6400 […] Soldaten sollen in die USA zurückverlegt werden, zum Teil um von dort im Rahmen von Rotationen wieder in Europa eingesetzt zu werden. 5600 […] Soldaten sollen dauerhaft innerhalb Europas verlegt werden.“
Aus der Pressemitteilung geht weiter hervor: „Von den Verlegungen sind nach derzeitigem Stand unter anderem folgende Standorte betroffen: die derzeit in Stuttgart ansässigen Hauptquartiere USEUCOM und USAFRICOM, der Standort Vilseck (zugehörig zu Grafenwöhr) in Bayern sowie der Standort Spangdahlem in Rheinland-Pfalz.“
Die US-Planungen seien noch nicht abgeschlossen und könnten weiteren Anpassungen unterliegen, so Annen und Tauber. Die Umsetzung einiger Verlegemaßnahmen könnte kurzfristig erfolgen, ein Großteil hingegen einen längeren Zeitvorlauf benötigen.
Die Bundesregierung nehme diese Entscheidung zur Kenntnis und werde sich mit Blick auf die weitere Umsetzung eng mit den betroffenen Bundesländern, der US-Regierung sowie innerhalb der NATO abstimmen.
Weitere Angaben zu den Abzugsplänen machte im Rahmen der Pressekonferenz im Pentagon der Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa Wolters.
So soll die in Stuttgart-Vaihingen beheimatete Kommandozentrale für die US-Truppen in Europa (United States European Command, USEUCOM) nach Mons in Belgien verlegt werden. Dort befindet sich bereits eines der beiden militärischen Hauptquartiere der NATO. Möglicherweise werde auch die Afrika-Kommandozentrale (United States Africa Command, USAFRICOM) aus Stuttgart-Möhringen weichen müssen, fügte Wolters hinzu. Außerdem sollen zwei Bataillone der US-Streitkräfte nach Italien umziehen.
Die USA wollen zudem ein Geschwader ihrer Kampfjets vom Typ F-16 aus Deutschland abziehen und nach Italien verlegen, erklärte der Kommandeur. Die US-Kampfjets sind in Deutschland im rheinland-pfälzischen Spangdahlem stationiert.
Beißende Kritik hatte bereits im Juni ein intimer Kenner der gewachsenen deutsch-amerikanischen Beziehungen geäußert. Der frühere Befehlshaber der US-Truppen in Europa, Generalleutnant a.D. Ben Hodges, hatte die einsame Abzugsentscheidung Trumps gegenüber dem SPIEGEL als „kolossalen Fehler“ bezeichnet. Die Entscheidung illustriere, dass der Präsident nicht verstanden habe, wie essenziell die in Deutschland stationierten US-Truppen für die Sicherheit Amerikas seien.
Hodges war in seiner Kritik noch weiter gegangen. Trump habe – so Hodges – gemeinsam mit Richard Grenell, dem früheren US-Botschafter in Deutschland, in den USA und Europa „Porzellan zerschlagen“. Der frühere Befehlshaber: „Der Kongress wurde nicht eingeweiht, die US-Kommandeure in Europa waren ahnungslos, mit Deutschland oder der NATO hat niemand gesprochen. Ein solches Vorgehen gefährdet den Zusammenhalt innerhalb des Bündnisses.“
Zur Umsetzung des geplanten Teilabzugs dürfte noch nicht das letzte Wort gefallen sein. US-Sicherheitskreise gehen laut amerikanischen Medien davon aus, dass die Realisierung „Monate für die Planung und Jahre für die Ausführung“ in Anspruch nehmen wird. Verteidigungsminister Esper räumte in der Pressekonferenz ein, dass der Abzug aus Deutschland die USA „sicherlich einen einstelligen Milliardenbetrag“ kosten werde, der allerdings „über Jahre gestreckt“ werden solle.
Im US-Kongress hat sich bereits bei Trumps Republikanern und bei den Demokraten Widerstand formiert. Der Plan wird dort vor allem kritisch gesehen, weil er das Verteidigungsbündnis NATO schwächen und Russland in die Hände spielen könnte. Im Senat und im Repräsentantenhaus gibt es daher bereits Überlegungen, den Teilabzug über das Gesetz zum kommenden Militärhaushalt zu verhindern. Zudem bewirbt sich Trump im November um eine zweite Amtszeit. Falls er die Wahl verlieren sollte, könnte der neue Präsident der USA die Pläne auf Eis legen.
Zu unserem Bildangebot:
1. US-Soldaten waren jahrzehntelang in vielen deutschen Garnisonsstädten ein vertrautes Bild. Die Aufnahme vom 1. April 2015 zeigt eine Truppenparade in den Rose Barracks in Vilseck nach der Rückkehr von Einheiten des 2. US-Kavallerieregiments von der „Operation Atlantic Resolve“, eine von den USA durchgeführte Operation zur Unterstützung und Bestärkung der NATO-Alliierten in Europa im Rahmen der European Reassurance Initiative (ERI). Der „Operation Atlantic Resolve“ untergeordnet war 2015 die „Operation Dragoon Ride“. „Dragoon Ride“ hatte am 21. März 2015 an der NATO-Ostgrenze im Baltikum begonnen. Nach einem Manöver war dort das 2. Kavallerieregiment der US-Armee auf dem Landweg in seine Heimatbasis Vilseck rückverlegt worden. Der Konvoi aus verschiedenem Militärgerät hatte dabei einen Weg von rund 1800 Kilometern unter anderem durch Polen und Tschechien zurückgelegt und Anfang April Vilseck erreicht.
(Foto: Markus Rauchenberger/U.S. Army)
2. Bericht von Michael R. Gordon und Gordon Lubold am 5. Juni 2020 im Wall Street Journal über Donald Trumps Pläne zum Abzug amerikanischer Truppen aus Deutschland.
(Bildschirmfoto: Quelle Online-Ausgabe des Wall Street Journal vom 5. Juni 2020;
Bildmontage: mediakompakt)
3. US-Präsident Trump hat aus seinen persönlichen Motiven für einen Truppenabzug aus Deutschland nie einen Hehl gemacht. Er hat immer wieder betont, der Abzug erfolge, weil Berlin das NATO-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung auszugeben, nicht erreicht habe (es liegt bei etwa 1,38 Prozent). Die Bundesregierung wurde von Washington vor der Entscheidung über den Truppenabzug nicht konsultiert. Die Aufnahme – entstanden am 30. Juni 2019 – zeigt Trump bei seinem Truppenbesuch auf dem südkoreanischen Luftwaffenstützpunkt Osan.
(Foto: Sergio Gamboa/U.S. Air Force)
4. US-Verteidigungsminister Mark T. Esper brachte am 29. Juli 2020 das Kunststück fertig, die unausgegorene Entscheidung Trumps als sinnvolle Notwendigkeit zu verkaufen, die die „strategische Flexibilität“ der US-Streitkräfte erhöhen und auch die NATO stärken werde. Das Foto zeigt Esper am 29. April 2019 bei einem Vortrag im Pentagon.
(Foto: Dana M. Clarke/U.S. Army)
5. Die in Stuttgart-Vaihingen beheimatete Kommandozentrale für die US-Truppen in Europa – United States European Command, USEUCOM – soll in das belgische Mons verlegt werden.
(Foto: Alexander Migl/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 4.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)
Unser Großbild auf der START-Seite zeigt einen Kommandowechsel am 21. Juli 2014 in Grafenwöhr beim 7. Army Joint Multinational Training Command. Ein Oberfähnrich der Bundeswehr trägt die deutsche Flagge.
(Foto: Christina M. Dion/U.S. Army)
Kleines Beitragsbild: Parade am 28. Dezember 2018 auf dem Truppenübungsplatz der US-Streitkräfte in Grafenwöhr. Angetreten sind Angehörige des 1. Bataillons des 82. Feldartillerieregiments. Das Regiment gehört zur 1. Einsatzbrigade (1st Armored Brigade Combat Team) der 1. US-Kavalleriedivision (1st Cavalry Division).
(Foto: Craig Norton/U.S. Army National Guard)
Ist die deutsche Politik geschockt? Vielleicht wird sie endlich wach! Die amerikanische Denkweise ist doch seit Präsident Obama bekannt. Aber unter dem Sicherheitsschirm der Vereinigten Staaten lebt es sich ja so bequem. Da braucht mein eigentlich keine Bundeswehr mehr und an Abmachungen mit der NATO braucht man sich schon gar nicht zu halten. So die Denkweise viel zu vieler Politiker bis weit in die SPD hinein.
Die Welt befindet sich im Umbruch. Will Europa (und Deutschland als ein Teil von Europa) in der neuen Weltordnung eine Rolle spielen, so braucht es unter anderem einsatzbereite und moderne Streitkräfte zur Durchsetzung und Verteidigung der eigenen Interessen. Verzichten oder vernachlässigen wir unsere Streitkräfte, werden wir in nicht allzu ferner Zeit Vasallen von Staaten sein, deren Staatssystem uns gar nicht gefallen wird.