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Berlin. Für 150 Liegenschaften der Bundeswehr besteht der Verdacht einer Belastung mit Kampfmitteln. Diese können flächendeckend oder auch nur in Teilbereichen vorhanden sein. Historisch erkundet wurden bislang rund 52.900 Hektar, 28.929 Hektar davon sind höchstwahrscheinlich mit Altlasten kontaminiert. Dies sind Angaben, die die Bundesregierung am 30. November in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemacht hat. Katja Keul, Sven-Christian Kindler, Tobias Lindner und weitere Abgeordnete der Fraktion wiesen in ihrer Vorbemerkung zur Anfrage „Kampfmittelbeseitigung“ darauf hin, dass alleine die in Deutschland mit chemischen Kampfstoffen vermuteten Orte nach wie vor ungeklärte Risiken für Menschen und Umwelt – insbesondere durch den Eingang hochtoxischer Stoffe ins Grundwasser – darstellten.

Typische erfasste Bundeswehr-Liegenschaften sind unter anderem Truppen- und Standortübungsplätze, Flugplätze, Kasernen sowie Depots.

Ein Verdacht auf das Vorhandensein chemischer Kampfstoffe besteht laut Bundesregierung für die beiden Liegenschaften Standortübungsplatz Berlin/Brandenburg als Teilfläche des früheren Truppenübungsplatzes Döberitzer Heide und Truppenübungsplatz Wildflecken in Bayern. Auf dem Truppenübungsplatz Döberitzer Heide wurden im Ersten Weltkrieg Kampfstoffe erprobt. Der Truppenübungsplatz Wildflecken diente nach dem Zweiten Weltkrieg als Sammelstelle der US-Armee für Kampfstoffmunition.

Auf einer weiteren militärischen Liegenschaft in Deutschland, dem niedersächsischen Truppenübungsplatz Munster, wurden nach Angabe der Bundesregierung chemische Kampfstoffe und Kampfstoffmunition nachgewiesen. Die erforderlichen Räumungs- und Sanierungsmaßnahmen würden andauern, heißt es in der Antwort. Der Truppenübungsplatz Munster war unter anderem unter den Nationalsozialisten bis zum Kriegsende Produktionsstandort für derartige Kampfstoffe beziehungsweise Kampfstoffmunition.

Frühe Erfassung von Verdachtsstandorten durch das Umweltbundesamt

Die Bundesregierung wies in ihrer Antwort an die Grünen zunächst auf die grundsätzliche Vorgehensweise zur Ermittlung von „Verdachtsstandorten für nicht beräumte nichtchemische und chemische Kampfstoffe sowie Munition mit und ohne chemische Kampfstoffe“ hin.

In den frühen 1990er-Jahren seien im gesamten Bundesgebiet Verdachtsstandorte von Rüstungsaltlasten ermittelt worden – darunter auch Verdachtsstandorte für chemische Kampfstoffe und Kampfstoffmunition, so die Regierungsantwort. Diese Ermittlung habe das Umweltbundesamt im Jahr 1993 veröffentlicht, 1996 sei das Ergebnis noch ergänzt worden. Das Umweltbundesamt habe danach allerdings wegen der „Änderungen in den Zuständigkeiten“ keine Aktualisierung mehr vorgenommen. Die Bearbeitung dieser Bestandsdokumentation sei deshalb auch „schon vor vielen Jahren eingestellt“ worden.

Der Bund/Länder-Arbeitskreis „Kampfmittelräumung“

Allerdings verweist die Bundesregierung auch auf die permanente Pflicht zur Beseitigung militärischer Altlasten und Kampfmittel. Sie bleibe „auch Jahrzehnte nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges eine Daueraufgabe“. Für die Bundesländer. Die Regierungserläuterung dazu: „Als Aufgabe der Gefahrenabwehr im ordnungsrechtlichen Sinne fällt die Beseitigung von Kampfmitteln und Kampfmittelrückständen wegen der föderalen Kompetenzverteilung nach Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 83 des Grundgesetzes in die Zuständigkeit und gemäß Artikel 104 a Absatz 1 Grundgesetz in die grundsätzliche Finanzierungsverantwortung der Bundesländer. Aus dieser Pflicht heraus haben die Bundesländer die Kampfmittelbeseitigung organisiert und als Konsequenz des föderalen Charakters sehr unterschiedlich mit Verordnungen, über Verwaltungsvorschriften und Erlasse bis hin zum allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geregelt.“

Zwar ist die Beseitigung von Kampfmitteln Länderangelegenheit. Diese haben jedoch in der Vergangenheit unterschiedliche Regelungen zur Kampfmittelräumung getroffen, die in der Praxis „die zielorientierte und termingerechte Projektbearbeitung“ erschwerte. Zur besseren Abstimmung und zu einer einheitlichen Herangehensweise in der Praxis haben deshalb die Länder auf Anregung des Bundesinnenministeriums im Dezember 2019 einen Bund/Länder-Arbeitskreis „Kampfmittelräumung“ unter Beteiligung der Leitstelle des Bundes für Kampfmittelräumung beim Niedersächsischen Landesamt für Bau und Liegenschaften und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben initiiert.

Vorrangiges Ziel des Arbeitskreises ist laut Bundesregierung „die Beförderung des Informationsaustausches und die fachliche Abstimmung unter anderem bei Begrifflichkeiten, technischen Verfahren der Kampfmittelräumung, Qualitätsanforderungen für Kampfmittelräumarbeiter und des Forschungsbedarfs“. Die Leitung des Arbeitskreises wird durch das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern wahrgenommen.

Kampfmittel-Belastungssituation wird „anlassbezogen“ untersucht

Wie die Bundesregierung außerdem in ihrer Antwort darlegte, erfolgt auf den umfangreichen von der Bundeswehr genutzten Liegenschaften keine systematische Erkundung von eventuellen Kampfmittelbelastungen, die dem bekannten Altlastenprogramm der Bundeswehr „Boden- und/oder Grundwasserkontaminationen“ vergleichbar wäre. „Vielmehr wird auf den von der Bundeswehr genutzten Liegenschaften die Kampfmittel-Belastungssituation anlassbezogen erkundet und gegebenenfalls geräumt“ – beispielsweise bei Baumaßnahmen.

Aus diesen Erkundungen sind bisher entsprechende Daten zu insgesamt 237 Bundeswehr-Liegenschaften in 14 Bundesländern in eine seit September 2018 existierende „Digitale Bestandsdokumentation Kampfmittelräumung“ eingeflossen. Wie schon eingangs geschildert, sind 150 dieser 237 Liegenschaften wahrscheinlich mit Kampfmitteln belastet. Die Bundesregierung liefert dazu in ihrer Antwort folgende Übersicht:

Baden-Württemberg 17 erfasste Liegenschaften/5 davon mit Verdacht auf Kampfmittel
Bayern 42/15
Berlin 1/1
Brandenburg 2/2
Bremen 2/2
Hamburg 1/0
Hessen 11/10
Mecklenburg-Vorpommern 0/0
Niedersachsen 40/27
Nordrhein-Westfalen 36/26
Rheinland-Pfalz 52/35
Saarland 6/5
Sachsen 0/0
Sachsen-Anhalt 1/1
 Schleswig-Holstein 23/20
 Thüringen 3/1
Gesamt: 237/150

Eines der größten Immobilien-Portfolios Deutschlands

Weiteres Zahlenmaterial stammt der Bundesregierung zufolge aus dem Bereich der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz BImA. Die Bundesanstalt ist die zentrale Dienstleisterin für Immobilien des Bundes. Sie gehört zum Geschäftsbereich des Bundesfinanzministers. Aufgabenschwerpunkte sind das einheitliche Immobilienmanagement des Bundes, Immobilienverwaltung und -verkauf sowie Bundesforst. Sitz der Einrichtung ist Bonn.

Mit mehr als 26.000 Objekten, 500.000 Hektar Grundstücksfläche sowie 39.000 Wohnungen ist die BImA verantwortlich für eines der größten Portfolios Deutschlands. Das Spektrum reicht von Wohn-, Industrie- und Gewerbeimmobilien über forst- und landwirtschaftliche Flächen bis hin zu ehemals militärischen Flächen. Die Bundesanstalt führt Konversionsimmobilien der Bundeswehr und der ausländischen Streitkräfte zivilen Folgenutzungen zu. Gemeinsam mit Kommunen werden Verwertungsmodelle, Potenzial- und Marktanalysen, städtebauliche Verträge sowie Erschließungs- und Nutzungskonzepte entwickelt.

In der Antwort der Bundesregierung heißt es über die BImA: „Von den aktuell rund 17.000 Liegenschaften der Bundesanstalt wurden etwa 14.600 hinsichtlich eines Kampfmittelverdachts geprüft beziehungsweise befinden sich in Prüfung. Diese umfassen rund 80 Prozent der gesamten Liegenschaftsfläche der BImA. Systematisch werden noch weitere Liegenschaften in einem sogenannten Nacherfassungsprogramm risikoorientiert überprüft, wenn ein Kampfmittelverdacht aufgrund von militärischer Vornutzung oder von Kriegseinwirkungen naheliegt. Pro Jahr werden damit mehrere Hundert solcher Liegenschaften einer Prüfung unterzogen.“

Fünf Bundeswehr-Liegenschaften mit „nicht-chemischer“ Munition belastet

Wie die Regierung weiter mitteilte, ist von 132 Verdachtsstandorten auszugehen, die sich auf aktuellen oder ehemaligen Truppenübungsplätzen der Bundeswehr und ihrer Partner befinden. Hierzu gehören auch die Truppenübungsplätze, die als Bestandteile des „Nationalen Naturerbes“ im „Naturerbe Bund“ verblieben sind. Für 105 weitere Standorte mit insgesamt etwa 72.000 Hektar Fläche ist das Eigentum in drei Tranchen an Träger des „Nationalen Naturerbes“ übertragen worden. Hierunter befinden sich auch ehemalige Truppenübungsplätze, jedoch handelt es sich bei diesen Flächen nicht immer um Standorte mit Kampfmittelverdacht.

Neben dem bereits genannten Standortübungsplatz Berlin/Brandenburg und den beiden Truppenübungsplätzen Wildflecken und Munster, bei denen ein Kampfmittelverdacht auf chemische Kampfstoffe besteht, gibt es fünf Bundeswehr-Liegenschaften mit Kampfmittelverdacht auf „nicht-chemische“ Munition. Dabei handelt es sich um die Truppenübungsplätze Munster, Hammelburg (Bayern), Putlos (Niedersachsen), Baumholder (Rheinland-Pfalz) und den Luft-Boden-Schießplatz Nordhorn (Niedersachsen).

Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung von der zivilen Anschlussnutzung abhängig

Auf die Frage der Bundestagsabgeordneten, in welchem Umfang der Bund plane, diese Standorte vollständig zu sanieren beziehungsweise zu beräumen, erklärte die Bundesregierung unter anderem: „Flächendeckende Kampfmittelräumungen sind aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, der technischen Möglichkeiten, des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht vorgesehen.“

Und: „Ehemalige Truppenübungsplätze der Bundeswehr und ehemalige Truppenübungsplätze anderer militärischer Einheiten im Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben werden nach den folgenden Kriterien beräumt: Bestätigt sich im Rahmen von Erkundungsverfahren auf ehemaligen [Militärgelände] der Verdacht von Kampfmittelbelastungen, setzt die BImA alle notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr um und arbeitet mit den zuständigen Behörden der jeweiligen Bundesländer zusammen. Die Anforderungen an die notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung sind unmittelbar von der Art der zivilen Anschlussnutzung abhängig. Eine Kampfmittelräumung für Forstflächen, die nach militärischer Nutzungsaufgabe in ihrem forstlichen und naturschutzfachlichen Bestand gesichert werden sollen, wäre vollflächig nur unter dem Verlust der erhaltungswürdigen Ausstattungsmerkmale und unverhältnismäßiger Aufwendungen möglich. Sie beschränkt sich nach Abstimmung mit den zuständigen Behörden üblicherweise auf die betretungssichere und für die Waldbrandprävention erforderliche Infrastruktur (Wege, Waldbrandsperrriegel, Löschteiche und ähnliches).“

Beeinträchtigung und Schädigung von Grundwasser und Gewässern

Zur Frage der Abgeordneten nach der Beeinträchtigung und Schädigung von Grundwasser oder Gewässer durch Kampfstoffe und Munition seit 2010 teilte die Bundesregierung mit, dass es ihrer Kenntnis nach auf den von der Bundeswehr genutzten Liegenschaften in den vergangenen zehn Jahren zu keinen Vorfällen gekommen sei.

Grundwasserbeeinträchtigungen und Grundwasserschädigungen sowie Gewässerbeeinträchtigungen und Gewässerschädigungen durch chemische und andere Kampfstoffe und Munition mit und ohne chemische Kampfstoffe seien lediglich bereits vor 2010 in zwei Bundeswehr-Liegenschaften aufgetreten:
Truppenübungsplatz Munster: Hier wird seit 2000 eine Sanierung des Grundwassers durchgeführt; Gesamtlaufzeit des Projekts bis 2030.
Luft-Boden-Schießplatz Nordhorn: Eine geringfügige Grundwasserkontamination mit sprengstofftypischen Verbindungen ist im Bereich eines ehemaligen Zielkreises seit 2002 erkannt und wird seitdem überwacht.

Hinterlassenschaften zweier Kriege und Altlasten aus Übungsbetrieb

Wissen wollten die Parlamentarier auch, wie groß die Bundesregierung die Gefahren, die von chemischen Kampfstoffen und von Munition mit chemischen Kampfstoffen ausgehen, grundsätzlich einschätzt. Die Regierung gab an, dass „eine grundsätzliche Gefährdungseinschätzung nicht möglich“ sei. Die konkrete Gefährdung durch Kampfmittel sei verlässlich immer nur vor Ort zu ermitteln und hänge von der Art der Kampfmittel und deren Korrosionszustand sowie von zahlreichen Umgebungsfaktoren – wie beispielsweise der Lagerungstiefe, dem Abstand zum Grundwasser sowie den Milieubedingungen in der gesättigten und ungesättigten Zone im unmittelbaren Lagerungsumfeld – ab. Die Gefahrensituation müsse von den zuständigen Behörden im Einzelfall bewertet werden, erklärte die Regierung. Die Behörden seien dann auch für die Gefahrenabwehr, die Sanierungsplanung und die Sanierung zuständig.

Die Gesamtbewertung der Gefährdungslage durch die Bundesregierung lautet: „Die von Kampfmittelbelastungen ausgehenden Gefahren entstammt aus zwei Weltkriegen sowie unterschiedlichen Eintrags- und Belastungsszenarien wie beispielsweise großflächigem und unterschiedlichen militärischen Übungsbetrieb. […] Flächendeckende Kampfmittelräumungen sind unter anderem aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, der technischen Möglichkeiten, des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht vorgesehen. Für Bundesliegenschaften, die durch die Bundeswehr genutzt werden, ist zurzeit kein derartiger Räumbedarf zur Gefahrenabwehr zu erwarten.“

Zum Thema „Kosten für Beräumung und Sanierung von Standorten“ heißt es in der Regierungsantwort: „Aufgrund der gemäß Staatspraxis bestehenden Kostentragungspflicht des Bundes hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben unter Wahrung der hoheitlichen Aufgabe der Länder für Räummaßnahmen auf ihren eigenen Liegenschaften mit dem Jahresabschluss 2019 Rückstellungen für Maßnahmen zur Gefahrenabwehr der Kampfmittelrisiken von rund 2,1 Milliarden Euro (Brutto-Maßnahmenkosten) gebildet. […] Für Liegenschaften, die durch die Bundeswehr genutzt werden, ist eine Kostenprognose zurzeit nur für den Truppenübungsplatz Munster möglich. Hier sind Gesamtkosten von rund 61 Millionen Euro zu erwarten.“


Unsere Aufnahme vom Oktober 2009 zeigt einen Sprengstoffexperten der Bundeswehr bei der Übung „Northern Coasts“.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

Großbild auf der START-Seite: Entschärfter Bombenblindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg.
(Foto: Bezirksregierung Münster)

Kleines Beitragsbild: Verschiedene Munitionsaltlasten.
(Foto: SafeLane Global)


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