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Berlin/Köln. Die Zahl der durch das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) erfassten Extremismusverdachtsfälle steigt seit 2017 an. Dies hängt auch mit einem erhöhten Meldeaufkommen zusammen, das nach Ansicht der Experten unter anderem auf eine deutlich gestiegene Sensibilität in der Truppe zurückzuführen sein dürfte. Zum Stichtag 31. Dezember 2019 waren durch das BAMAD insgesamt 743 Verdachtsfälle über alle Phänomenbereiche hinweg – Rechtsextremismus, Reichsbürger/Selbstverwalter, Linksextremismus, Islamismus, Ausländerextremismus – bearbeitet worden. In 482 Fällen hatte es sich um Neuaufnahmen aus dem Berichtsjahr 2019 gehandelt. 2019 wurden über alle Phänomenbereiche hinweg 14 Bundeswehrangehörige als Extremisten ausgemacht, bei 38 Personen eine fehlende Verfassungstreue. Jetzt wollte die Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) wissen, „wie hoch die aktuelle Anzahl der Verdachtsfälle im Phänomenbereich ,Rechtsextremismus‘ in der Bundeswehr [ist], und wie viele bestätigte Fälle [es] gibt“.

Der Abgeordneten antwortete am Montag vergangener Woche (2. November) der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung Thomas Silberhorn. Silberhorn bezieht sich in seiner Antwort auf die neue Terminologie und Kategorisierung bei der Verdachtsfall-Bearbeitung im Aufgabenbereich „Extremismusabwehr“ des Bundesamtes, die im Sommer 2019 im Zuge der Modernisierung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) eingeführt worden ist. Mit dieser geänderten BAMAD-Systematik – der sogenannten „Farbenlehre“ – ist jetzt eine bundeswehreinheitliche und transparente Einordnung der jeweiligen Fallgruppen möglich.

Die Information des Staatssekretärs: „Aktuell führt der MAD in der Bundeswehr 744 Verdachtsfälle (gemäß ,Farbenlehre‘ GELB und ORANGE) im Phänomenbereich ,Rechtsextremismus‘. Aktuell bewertet der MAD acht Personen als ,erkannte Extremisten‘ (gemäß ,Farbenlehre‘ ROT) im Phänomenbereich ,Rechtsextremismus‘ (ohne ,Reichsbürger/Selbstverwalter‘).“

Extremismus-Bericht erklärt die neue „Farbenlehre“

Im „1. Bericht der Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle“ (zur Unterrichtung der Leitung des Verteidigungsministeriums, des Parlaments sowie der Öffentlichkeit) für den Berichtszeitraum 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2019 wird die „Farbenlehre“ erklärt.

Kategorie GELB: Die Farbe „Gelb“ steht für die Aufnahme einer Verdachtsfallbearbeitung zu einer Person, zu der tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorliegen; diese können sich bereits aus Zweifeln an der Verfassungstreue ergeben. Die Schwelle für eine Aufnahme ist niedrig. In dieser Phase gilt es zu klären, ob der Verdacht tatsächlich begründet ist und ob die gewonnenen Informationen die Qualität vorhaltbarer Erkenntnisse haben.

Kategorie GRÜN: Das Etikett „Grün“ bedeutet: Ein zuvor bestehender Verdacht, dass von der betroffenen Person Bestrebungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 MADG [MAD-Gesetz] in Verbindung mit § 4 BVerfSchG [Bundesverfassungsschutzgesetz] ausgehen oder dass sie sich an solchen beteiligt, ist nicht mehr begründet.

Kategorie ORANGE: Das Bearbeitungsergebnis „Orange“ signalisiert: Die Erkenntnisse begründen zumindest die Feststellung einer fehlenden Verfassungstreue. Die Frage, ob von der Person auch Bestrebungen gemäß § 1 Absatz 1 MADG ausgehen, ist Gegenstand weiterer Ermittlungen.

Kategorie ROT: Die Farbe „Rot“ signalisiert, dass die vorliegenden Erkenntnisse die Einstufung der betreffenden Person als Extremist im Sinne des § 4 BVerfSchG rechtfertigen.

Auf den Punkt gebracht: Gelb kennzeichnet Verdachtsfälle. Grün sind Fälle, bei denen ein Verdacht ausgeräumt wurde. Orange bedeutet, dass mindestens fehlende Verfassungstreue festgestellt wurde. Rot sind die erkannten Extremisten.

Seit Jahresende 2019 bis jetzt nur noch ein weiterer Verdachtsfall

Zieht man den ersten Extremismus-Bericht der zum 1. Oktober vergangenen Jahres im Bundesministerium der Verteidigung neu eingerichteten Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle (KfE) gemeinsam mit der Antwort Silberhorns heran, dann fällt ein erfreulicher Zwischenstand auf: Seit dem 31. Dezember 2019 bis einschließlich 2. November 2020 ist offenbar lediglich ein weiterer, alle Phänomenbereiche übergreifender Verdachtsfall hinzugekommen.

Im Phänomenbereich „Rechtsextremismus“ ist zudem seit dem 31. Dezember 2019 laut Silberhorn kein weiterer „erkannter Extremist“ zu den bereits im KfE-Bericht dokumentierten Fällen hinzugekommen (die insgesamt im Bericht genannten 14 Extremismus-Fälle teilen sich auf in acht Fälle „Rechtsextremismus“, zwei Fälle „Reichsbürger/Selbstverwalter“ und vier Fälle „Islamismus“).

Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr nach wie vor im Fokus

Die Bundestagsabgeordnete der Grünen stellte noch eine zweite Frage. Brugger wollte von der Bundesregierung wissen, „wie hoch die aktuelle Anzahl der Verdachtsfälle im Phänomenbereich ,Rechtsextremismus‘ im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr [ist], und wie viele bestätigte Fälle [es] gibt“.

Dazu die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs: „Im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr – kurz KSK – führt der MAD derzeit rund zwei Dutzend Verdachtsfälle (gemäß ,Farbenlehre‘ GELB/ORANGE) im Phänomenbereich ,Rechtsextremismus‘ (ohne ,Reichsbürger/Selbstverwalter‘).“ Aktuell, so Silberhorn weiter, bewerte der Dienst einen KSK-Angehörigen im Phänomenbereich „Rechtsextremismus“ (wiederum ohne den Bereich „Reichsbürger/Selbstverwalter“) als „erkannten Extremisten“ (gemäß „Farbenlehre“ ROT).

49 Personen wegen extremistischer Verfehlungen aus der Bundeswehr entlassen

Werfen wir zum Schluss noch einmal einen Blick in den Bericht der Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle. Dort erfahren wir auch, dass im Berichtsjahr 2019 insgesamt 22.467 Soldateneinstellungsüberprüfungen eingeleitet worden waren. In 42 Fällen hatte das BAMAD als mitwirkende Behörde aufgrund vorliegender sicherheitserheblicher Erkenntnisse unterschiedlicher Art vorgeschlagen, die überprüften Personen als ein Sicherheitsrisiko anzusehen. Diese Fälle waren deshalb auch dem jeweils zuständigen Geheimschutzbeauftragten vorgelegt worden. Der jeweils zuständige Beauftragte hatte schließlich in 25 Fällen (davon 22 mit Extremismusbezug) ein Sicherheitsrisiko erkannt, das einer Zulassung zur umfassenden Waffenausbildung entgegenstand.

2019 hatte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBw) auch 49 Personen wegen extremistischer Verfehlungen aus der Bundeswehr entlassen müssen. Im Extremismus-Bericht heißt es dazu: „Die Verfehlungen waren in 46 Fällen dem rechtsextremistischen Bereich, in einem Fall dem linksextremistischen Spektrum und in zwei Fällen dem islamistischen Bereich zuzuordnen. Dabei ist zu beachten, dass es sich hier nicht nur um erkannte Extremisten im Sinne des §4 BVerfSchG handelte, sondern auch um Fälle fehlender Verfassungstreue beziehungsweise solche Verdachtsfälle, bei denen lediglich Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorlagen.“

Jüngere Soldaten offenbar empfänglicher für rechtsextremes Gedankengut

Zur Häufung von Extremismusverdachtsfällen im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, die von besonderer Bedeutung für die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit war, äußern sich die Verfasser des Berichts ebenfalls. Sie schreiben: „Im Grunde weist die Verteilung von Rechtsextremisten und rechtsextremistischen Verdachtsfällen keine regionale Häufung oder sonstige feststehende Muster auf. Allerdings ist an Standorten mit vielen Bundeswehrangehörigen erfahrungsgemäß auch eine höhere Zahl an Verdachtsfällen zu verzeichnen, insbesondere wenn es sich um Einheiten mit einem höheren Anteil an jungen Soldaten der Laufbahn der Mannschaften und Unteroffiziere handelt.“ Demgegenüber sei die Zahl der Rechtsextremisten und rechtsextremistischen Verdachtsfälle an Standorten mit überwiegend lebensälteren Bundeswehrangehörigen und höheren Dienstgraden sehr gering, berichtet die KfE.

Das KSK bezeichnet die Koordinierungsstelle als „Aushängeschild der Bundeswehr“. Aufgrund der besonderen Anforderungen an das Personal sei hier ein besonderer Zusammenhalt unter den Kommandoangehörigen notwendig. Aber: „Die aus nachvollziehbaren Sicherheitsgründen erforderliche besondere Abschottung des Verbandes birgt umgekehrt aber auch die Gefahr intransparenter Entwicklungen.“

Wir haben den ersten „Bericht der Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle“ (Berichtszeitraum 2019) für Sie in unserem Servicebereich „bundeswehr-journal (Bibliothek)“ beim Dienstleister Yumpu-Publishing eingestellt. Sie können hier in der 22 Seiten umfassenden Veröffentlichung blättern und sich gezielt einzelne Bereiche ansehen, ein Download der Datei oder ein Ausdruck einzelner Seiten ist aber bei uns nicht möglich. Über die ESC-Taste in Yumpu kommen Sie hierhin zurück. Zum Extremismus-Bericht 2019 der KfE:

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Der Themenkomplex „Extremismusabwehr, Verdachtsfallbearbeitung und Farbenlehre“ spielt auch eine zentrale Rolle im 34-seitigen „MAD-Report“, der Anfang Mai 2020 erschienen ist. Dieser erstmals aufgelegte Jahresbericht des Militärischen Abschirmdienstes präsentiert und erläutert die Arbeitsschwerpunkte und Tätigkeitsfelder des Dienstes für das vergangene Jahr. Auch wenn die Extremismusabwehr das wohl prominenteste Feld darstellt, so hat der MAD 2019 doch auch in anderen Bereichen wichtige Arbeit geleistet. In komplexen nachrichtendienstlichen Operationen beispielsweise hat der Dienst Spionage und andere gegen die Bundeswehr gerichtete nachrichtendienstliche Aktivitäten verhindert. In den Einsatzgebieten der Bundeswehr etwa sammelte der MAD in mehr als 2000 Gesprächen wichtige Informationen, die einen wesentlichen Beitrag zur Auftragserfüllung unserer Soldaten darstellten. Zum MAD-Jahresbericht 2019 auf Yumpu:

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Unser Symbolbild zeigt einen Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes. Der MAD ist der kleinste aller drei deutschen Geheimdienste und der, von dem in der Öffentlichkeit wohl am wenigstens bekannt ist. Das Wappen des Abschirmdienstes (siehe Aufnäher am Ärmel) zeigt eine Fackel hinter dem bundesdeutschen Adler auf einem Schild.
(Bild: MAD)


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