Berlin/Osnabrück. Unverständnis, ja Empörung bundesweit und damit scharfer Gegenwind: Die Sozialdemokraten in der Bundeshauptstadt haben sich während ihres Landesparteitags am vergangenen Samstag (30. März) mit einem Antrag offenbar selbst nachhaltig geschadet. Der Antrag für ein Werbeverbot der Bundeswehr an Schulen zielt darauf ab, das Schulgesetz des Landes um folgende Formulierung zu ergänzen: „Es wird militärischen Organisationen untersagt, an Berliner Schulen für den Dienst und die Arbeit im militärischen Bereich zu werben.“ Minderjährige seien in einem Alter, in welchem sich zentrale Lebens- und Wertvorstellungen erst noch entwickeln müssten, lautet die Begründung im Antragstext. Dementsprechend anfällig seien sie „für militärische Propaganda und Verharmlosung der realen Gefahren eines militärischen Einsatzes“. Der Beschluss der Hauptstadt-SPD könnte möglicherweise auch Auswirkungen auf die Anwesenheit von Jugendoffizieren an Schulen haben. Allerdings ist er nicht bindend.
Mittlerweile hat Berlins Innensenator und stellvertretender SPD-Landesvorsitzender Andreas Geisel den Rückwärtsgang eingelegt. Gegenüber Medienvertretern versicherte er, dass von seiner Partei „ein Werbeverbot, kein Informationsverbot für die Bundeswehr an Schulen“ beschlossen worden sei. Die Besuche von Jugendoffizieren in Klassenzimmern seien von dem SPD-Antrag nicht betroffen. Gemeint seien im Parteitagsbeschluss Veranstaltungen von Karriereberatern, die das Ziel hätten, Personal für die Bundeswehr zu gewinnen, so Geisel. „Jeder Schule steht es frei, auch die Bundeswehr zu sich einzuladen.“
Zuvor hatten die Genossinnen und Genossen in Berlin heftige Kritik einstecken müssen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen beispielsweise hatte den Beschluss und die Begründung als einen „Schlag ins Gesicht aller Soldatinnen und Soldaten“ bezeichnet. „Sie halten bei jedem Einsatz den Kopf dafür hin, dass in Deutschland Frieden und Freiheit herrschen“, so die CDU-Politikerin.
Der Wehrbeauftragte der Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, hatte die Berliner SPD daran erinnert, dass die Bundeswehr in die Mitte der Gesellschaft gehört. „Sie ist kein ,Staat im Staate‘, sondern ausdrücklich – auch weil Sozialdemokraten das so mit durchgesetzt haben – Teil der demokratischen Ordnung unseres Grundgesetzes.“
SPD-Parteichefin Andrea Nahles hatte kurz danach darauf hingewiesen, dass der Beschluss der Berliner Genossen lediglich „eine Einzelstimme in der Partei“ darstelle. Die SPD sei vielmehr froh, „dass wir eine Parlamentsarmee haben“. Sie hatte schließlich noch hinzugefügt: „Das heißt, dass Bundeswehrangehörige an den Schulen willkommen sind.“
Hart war Sozialdemokrat und Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann mit den Hauptstädtern ins Gericht gegangen. Er hatte auf Twitter geschrieben: „Bin entsetzt über Beschluss der Berliner SPD, Jugendoffizieren der Bundeswehr die Schulen zu verbieten.“ Die Bundeswehr sei demokratisch, eine Parlamentsarmee. „Die Soldaten verdienen unseren Respekt. Wer so einen Unsinn beschließt, sollte sich selbst von unseren Schulen fernhalten.“
Klar Stellung bezieht inzwischen auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund. „Soldaten sind Staatsbürger in Uniform und gehören damit in die Mitte der Gesellschaft. Ein Schulverbot für die Parlamentsarmee darf es nicht geben“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Neuen Osnabrücker Zeitung. Zum staatlichen Bildungsauftrag gehöre auch, dass sich Schüler mit dem Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft auseinandersetzen könnten. Wenn die Berliner SPD an ihrem Beschluss festhalte, missachte sie diesen Auftrag.
Und nun zu Christine Richter. Die Chefredakteurin der Berliner Morgenpost befasst sich in einem Leitartikel, der am heutigen Samstag erscheint, mit dem Parteitagsbeschluss der SPD Berlin und der fatalen Außendarstellung des Landesverbandes. „Partei ohne Führung“ – ein empfehlenswerter Meinungsbeitrag der renommierten Journalistin, den wir vorab veröffentlichen dürfen.
Christine Richter, Berliner Morgenpost: Das passiert nicht oft – die Berliner SPD hat es in den vergangenen Tagen in die Tagesschau geschafft. Freuen kann man sich allerdings nicht darüber, denn es ging um den Bundeswehr-Beschluss, den die Berliner Sozialdemokraten am vergangenen Wochenende auf ihrem Parteitag verabschiedet haben. Demnach sollen Informationsveranstaltungen der Bundeswehr in Schulen künftig in Berlin untersagt sein, denn so die Begründung des Antrags: „Für Töten und Sterben macht man keine Werbung.“
Die Empörung über die Haltung der Sozialdemokraten zur Bundeswehr war, als der Beschluss am Montag öffentlich bekannt wurde, groß. Zum Glück. Die Bundes-SPD (wo die Berliner Sozialdemokraten eh einen schlechten Ruf haben) schäumte. Thomas Oppermann, einst einflussreicher SPD-Fraktionschef im Bundestag und jetzt Vize-Parlamentspräsident, erklärte den Berlinern, dass wir mit der Bundeswehr eine Parlamentsarmee haben und die sehr wohl zu unserer Demokratie gehört. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte: „Ich bin Jugendoffizieren für ihre wertvolle und durchaus kontroverse Arbeit sehr dankbar.“ Und sogar Andrea Nahles, die SPD-Chefin, die zum linken Flügel zählt, distanzierte sich von den Berlinern.
Ich frage mich, wie so ein Antrag überhaupt durchkommen kann. Gestellt übrigens von der Spandauer SPD, deren Chef Raed Saleh, der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, ist. Es gibt doch – wie in jeder Partei – eine Antragskommission, die einen Parteitag vorbereitet. Chef der Berliner SPD ist Michael Müller. Er müsste doch einen solchen Antrag verhindern können. Und zwar aus innerer Überzeugung, dass die Bundeswehr ein wichtiger Teil unserer Demokratie ist. Dass wir stolz sind auf unsere Soldaten und Soldatinnen, die unsere Freiheit und den Frieden verteidigen, die auch für uns und unsere Werte bei Auslandssätzen den Kopf hinhalten. Soldaten, das sind Staatsbürger in Uniform. Und wer meint, dass die Bundeswehr in Schulen auf Werbetour geht, der kennt sich auch überhaupt nicht aus. Die Jugendoffiziere kommen auf Einladung einer Schule zu den Jugendlichen, sie berichten über die Arbeit der Bundeswehr, über die internationale Sicherheitslage oder die Auslandseinsätze. Geworben wird dort nicht. Das ist Aufgabe der Karriereberater – beispielsweise bei Ausbildungsmessen.
Nun, Müller hat diesen Beschluss nicht verhindert. Im Laufe der Woche erklärte er dann, er glaube nicht, dass dieser umgesetzt werde, denn es sei ja die Entscheidung einer jeden Schule, wen sie einlade. Der politische Schaden war da längst angerichtet.
Wenn Müller aber schon so wenig in der Berliner SPD zu sagen hat […], wer denn dann, frage ich mich. Saleh, der Fraktionschef, offensichtlich auch nicht. Er trommelte vor dem Parteitag mächtig dafür, dass Lehrer in Berlin wieder verbeamtet werden sollten. Jahrelang hat die SPD die Verbeamtung abgelehnt, inzwischen ist Berlin aber das einzige Bundesland, das nicht mehr verbeamtet. Mit der Folge, dass viele Lehrer in andere Bundesländer abwandern und der Lehrermangel in der Stadt immer größer wird. Doch die Berliner Sozialdemokraten hören auch nicht auf Saleh: Leidenschaftlich wurde auf dem Parteitag diskutiert, es gab mehr als 40 Wortmeldungen – und die Verbeamtung wurde abgelehnt.
In der jüngsten forsa-Umfrage kommen die Sozialdemokraten in Berlin nur noch auf 15 Prozent. Als Partei, die den Regierenden Bürgermeister stellt. Aber wer so agiert, wer mit solchen Positionen beim Wähler punkten will, für den kann es auch noch weiter bergab gehen. Ganz schnell.
Die Berliner Morgenpost ist eine deutsche regionale Tageszeitung im Großraum Berlin. Sie wurde 1898 gegründet und gehört seit 2014 zur Funke-Mediengruppe. Das Blatt erscheint täglich. Die verkaufte Auflage beträgt etwa 81.000 Exemplare, ein Minus von 55,1 Prozent seit 1998.
Mit Christine Richter hatte im Juni 2018 erstmals eine Frau die Chefredaktion einer Funke-Tageszeitung übernommen. Die Berliner Morgenpost kennt die Journalistin so gut wie keine andere – sie kam vor gut einem Jahrzehnt zu der Tageszeitung und wurde im März 2012 Mitglied der „Mopo“-Chefredaktion.
Der Schriftzug „SPD“ wurde im Mai 2016 beim damaligen Landesparteitag der Berliner Sozialdemokraten fotografiert.
(Bild: SPD Neukölln)
Kleines Beitragsbild: Symboldarstellung „Zeitungen“ aus dem Bildangebot von Pixabay.
(Foto: kalhh/freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich; grafische Bearbeitung mediakompakt)
Überprüft jetzt der Verfassungsschutz die Berliner SPD? Wäre doch angebracht!
In einem Obrigkeitsstaat schickt die Regierung speziell ausgebildetes Personal in die Schulen, besonders bei Themen, die nicht so beliebt sind und bei denen das Volk zu ungehorsamen Auffassungen neigen könnte. In Demokratien handelt man so etwas kontrovers ab. Aber wer will schon Demokratie? …
Auch in einer Demokratie gibt es Regeln, die beispielsweise durch das Grundgesetz vorgegeben sind und an die man sich zu halten hat – ob sie einem nun gefallen oder nicht. Selbstverständlich kann man darüber diskutieren und diese Regeln abändern. Bis dies geschehen ist, hat aber jeder diese Regeln zu befolgen.
Sollten alle Bürger sich lediglich nach Gutdünken an die Verfassung halten (oder nicht), hat man Anarchie und keine Demokratie mehr. Diese Tatsache wird von Mitbürgern am rechten und linken politischen Rand oftmals vergessen.