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Berlin/Bonn/Schrobenhausen. Gerät der Lenkflugkörper PARS 3 LR wieder einmal in die Negativschlagzeilen? Wie das Wirtschaftsmagazin Capital in seiner aktuellen Ausgabe 10/2019 (Erscheinungstermin 19. September) berichtet, sollen die Panzerabwehrraketen für den Kampfhubschrauber Tiger gravierende Mängel aufweisen. Capital-Autor Thomas Steinmann beruft sich in seinem Beitrag „Teure Rüstungspleite bei der Bundeswehr“ auf einen vertraulichen Prüfbericht des Bundesrechnungshofes.

Der Lenkflugkörper PARS 3 LR (Panzerabwehr-Raketensystem 3 Long Range), von denen die Bundeswehr im Jahr 2006 insgesamt 680 Stück für 418,8 Millionen Euro bestellt hat, sei „technisch veraltet“ und „wenig treffsicher“, zitiert Steinmann aus dem Bericht der Bundesbehörde vom April dieses Jahres. Die Prüfer würden deshalb auch empfehlen, die neuen Lenkflugkörper zu „verwerten“ – also zu verschrotten.

In seinem Bericht rüge der Bundesrechnungshof außerdem, dass das Verteidigungsministerium frühere Warnungen vor den Risiken bei der Entwicklung der sensorgesteuerten Luft-Boden-Rakete ignoriert habe. Zudem habe die Bundeswehr trotz Kritik an PARS 3 LR aus der Truppe selbst auf eine bei neuen Rüstungsprojekten vorgesehene Einsatzprüfung verzichtet, ehe 2013 die Hersteller MBDA und Diehl mit der Serienfertigung beauftragt worden seien. Dieses Vorgehen sei „in hohem Maße kritikwürdig“, heißt es laut Capital in dem Prüfbericht weiter. Zudem sei ein Projektabbruch trotz „massiver Qualitätsmängel“ und jahrelanger Verspätungen aufseiten der Industrie „nicht konsequent“ verfolgt worden (siehe auch unseren Beitrag vom 21. Oktober 2012).

Bei der Einsatzprüfung offenbar eine hohe Anzahl an Fehlschüssen

Gefertigt werden die vertraglich vereinbarten 680 „Fire-and-Forget“-Flugkörper PARS 3 LR durch die PARSYS GmbH, die ihren Sitz im bayerischen Schrobenhausen hat. Die Programmgesellschaft PARSYS ist ein Joint Venture zwischen den Unternehmen Diehl BGT Defence (seit dem 1. Februar 2017 Diehl Defence GmbH & Co. KG) und MBDA Deutschland GmbH. Die Partner halten jeweils 50 Prozent an der PARSYS GmbH. Diehl liefert den bildverarbeitenden Suchkopf, MBDA Deutschland den gesamten restlichen Flugkörper einschließlich Integration.

Ein massiver Kritikpunkt der Rechnungshofprüfer ist den Capital-Recherchen zufolge – wie bereits erwähnt – das Thema „Einsatzprüfung“. Die Einsatzprüfung soll erst 2018 in den USA zu einem Zeitpunkt stattgefunden haben, zu dem bereits mehr als die Hälfte der bestellten Raketen ausgeliefert worden war. Bei dem Test habe es eine „hohe Anzahl an Fehlschüssen“ gegeben, schreiben die Prüfer, die sich dabei auf die bundeswehreigene Dokumentation der Testschüsse berufen. Viele Raketen hätten „nach dem Abschuss ihr zugewiesenes Ziel verloren und ein neues Ziel gewählt“. Dadurch würden auch eigene Truppen und Zivilisten im Zielgebiet der Lenkwaffe gefährdet.

Kampfhubschrauber Tiger ohne PARS 3 LR nur bedingt einsatzfähig

Wegen der Mängel an der Rakete sowie an der Waffenanlage des Kampfhubschraubers Tiger hält der Bundesrechnungshof eine weitere Erprobung des Systems für „nicht zielführend“. Dies zitiert Steinmann aus dem Behördendokument. Die Prüfer hätten deshalb auch geschlussfolgert, dass „keine signifikant höhere Trefferwahrscheinlichkeit zu erwarten“ sei.

Damit hätten die Prüfer auch die Frage nach der künftigen Verwendbarkeit des Tiger-Hubschraubers, bei dem PARS 3 LR eigentlich als Hauptbewaffnung eingesetzt werden sollte, gestellt, schreibt der Journalist weiter. Nach Ansicht des Bundesrechnungshofes sei der Tiger ohne Hauptbewaffnung PARS 3 LR „nur bedingt einsatzfähig“. Die Prüfer hätten zudem in ihrem Bericht darauf hingewiesen, dass das derzeit genutzte Panzerabwehrraketensystem HOT nur noch bis 2027 verfügbar sei.

Finaler Bericht des Bundesrechnungshofes steht noch aus

Wie das Wirtschaftsmagazin abschließend mitteilte, wurde vor Veröffentlichung des Artikels auch das Bundesministerium der Verteidigung um ein Statement gebeten. Dazu Autor Steinmann: „Auf Anfrage von Capital verwies das Verteidigungsministerium auf das noch laufende Widerspruchsverfahren. Man habe im Juli eine vertrauliche Stellungnahme zu dem Berichtsentwurf des Bundesrechnungshofes abgegeben, teilte ein Ministeriumssprecher mit. Auf dieser Basis werde der Rechnungshof nun seinen finalen Bericht erstellen. Zu den Inhalten könne man sich daher derzeit nicht äußern.“

Das bundeswehr-journal bat schließlich den Generalunternehmer um eine offizielle Erklärung. Ein Sprecher der PARSYS GmbH antwortete uns wie folgt: „Wir wissen, dass ein Bericht des Bundesrechnungshofes zu PARS 3 LR in der Entstehung ist. Inhalte sind uns – außer Vorab-Informationen aus der Presse – nicht bekannt und wir wurden auch von offizieller Stelle nicht zu einer Stellungnahme aufgefordert. Sobald der Bericht vorliegt, werden wir uns mit den Inhalten befassen. Fakt ist, dass PARS 3 in Rahmen von Abnahmetests die spezifizierten Systemleistungen im einsatznahen Umfeld vollständig erfüllt hat. Die erfolgreichen Abnahmetests waren Voraussetzung für den Start der Serienfertigung.“


Zu unserem Bildmaterial:
1. und 2. Bestückung eines Kampfhubschraubers Tiger mit dem Lenkflugkörper PARS 3 LR. Die Aufnahmen entstanden bei der Wehrtechnischen Dienststelle für Luftfahrzeuge und Luftfahrtgerät der Bundeswehr 61 (WTD 61) in Manching.
(Fotos: Bernhard Huber/MBDA Deutschland)

Kleines Beitragsbild: Grafische Darstellung einer Panzerabwehrlenkwaffe PARS 3 LR nach dem Abschuss.
(Bild: Diehl Defence GmbH & Co. KG)


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