Bonn/Berlin. Deutschland leistet sich seit rund drei Jahrzehnten de facto eine Doppel-Hauptstadt: Acht Ministerien befinden sich in Berlin, sechs in Bonn. Die Bundesministerien, deren erster Dienstsitz Berlin ist, haben einen zweiten Sitz am Rhein (und umgekehrt). Die Aufteilung regelt das „Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands“, besser bekannt als Berlin/Bonn-Gesetz. Es sieht vor, dass „der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt“. Das ist allerdings schon seit längerer Zeit graue Theorie – es gibt eine beständige starke Sogwirkung nach Berlin. Auch in diesem Jahr sollen wieder etliche ministerielle Planstellen vom Dienstsitz Bonn zum Dienstsitz Berlin verlegt werden. Spitzenreiter dabei: das Bundesministerium der Verteidigung.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet hat eine neue Debatte über die örtliche Verteilung der deutschen Ministerien angestoßen und sich gegen einen möglichen Komplettumzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin ausgesprochen. Der CDU-Politiker sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am heutigen Dienstag (23. April): „Berlin ist doch schon heute völlig überhitzt und überfordert und kämpft um bezahlbaren Wohnraum. Welchen Sinn soll es machen, jetzt noch Tausende Beamte und ihre Familien mit Milliarden-Kosten nach Berlin umzusiedeln?“
Die Bonner Republik sei das Beste gewesen, was Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg habe passieren können, meinte Laschet. Bonn habe Bescheidenheit und gleichzeitig Offenheit ausgestrahlt. Der Ministerpräsident warnte im Gespräch mit der dpa: „Manche in Berlin glauben, dass die Zustände und die Lebenswirklichkeit in der Bundeshauptstadt typisch seien für ganz Deutschland – und sie diskutieren auch so. Die Tugenden der Bonner Republik von Maß und Mitte, Unaufgeregtheit und Bescheidenheit täten auch heute gut.“
Der Begriff „Rutschbahneffekt“ erfüllt auch heute noch die Bonner mit Sorge. Argwöhnisch wird jede noch so kleine Regierungsentscheidung gesehen, nach der weiteres Personal aus den in Bonn verbliebenen Ministerien nach Berlin „rutsch“. Denn – so das schlagende Argument der Berlin-Befürworter – ein einziger Dienstsitz sei praktischer und kostengünstiger.
Auch in diesem Jahr gibt es Veränderungen. Dies brachte der FDP-Bundestagsabgeordnete Otto Fricke in Erfahrung. Er wollte von der Bundesregierung wissen, wie viele ministerielle Planstellen in diesem Jahr und in den darauffolgenden Jahren vom Dienstsitz Bonn zum Dienstsitz Berlin verlegt werden sollen.
Aus der Antwort der Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Anne Katrin Bohle vom 4. April geht hervor, dass 2019 insgesamt 22 Planstellen beziehungsweise Stellen vom Dienstsitz Bonn zum Dienstsitz Berlin wandern sollen. Für 2020 und die Jahre danach sind Bohle zufolge keine Veränderungen mehr geplant.
Die meisten Stellenveränderungen soll es in diesem Jahr beim Bundesministerium der Verteidigung geben (8 Verlagerungen von Bonn nach Berlin). Es folgen das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (4), das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (3), das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2), das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (1,9), das Bundesministerium für Finanzen (1,1), das Bundesministerium für Gesundheit (1) sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (1).
Auch der Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan äußerte sich jetzt gegenüber der dpa zum Dauerbrenner „Bonn-Berlin-Umzug“. Inzwischen seien nur noch 33 Prozent der ministeriellen Arbeitsplätze in Bonn, klagte der Kommunalpolitiker. So könne es nicht weitergehen. Nach Meinung von Sridharan hat sich die Arbeitsteilung zwischen den beiden Städten bewährt und sei alles andere als Geldverschwendung. Er rechnete vor: „Setzen Sie die Kosten einmal ins Verhältnis zu den Umzugs- und Baukosten für jene Bonner Ministerien, die nach Berlin umziehen müssten. Wie lange könnte dafür wohl gependelt werden? 100 Jahre?“
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen will mit der Bundesregierung bis Ende 2019 eine Zusatzvereinbarung zum Berlin/Bonn-Gesetz aushandeln. Das Ziel sei, so berichtete dpa, Bonn als zweites bundespolitisches Zentrum zu stärken. Auch solle die Position der Bundesstadt unter anderem als Standort der Vereinten Nationen und als Kompetenzzentrum für Cybersicherheit ausgebaut werden.
25 Jahre nach der Verabschiedung des Berlin/Bonn-Gesetzes (am 10. März 1994 in der 216. Sitzung des Deutschen Bundestages; ausgefertigt am 26. April 1994 und verkündet im Bundesgesetzblatt am 6. Mai 1994) wünscht sich offenbar eine klare Mehrheit der Deutschen endlich einen Komplettumzug vom Rhein an die Spree. In einer aktuellen Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur votierten 55 Prozent der Befragten für den Komplettumzug, 27 Prozent sprachen sich dagegen aus.
Sogar in Nordrhein-Westfalen sind laut der YouGov-Erhebung mehr Bürger (47 Prozent) für einen Komplettumzug als dagegen (36 Prozent). Von den Berlinern wollen fast zwei Drittel (65 Prozent) die ganze Regierung in ihrer Stadt haben, nur 18 Prozent würden lieber darauf verzichten.
Berlins Wirtschaftssenatorin und Bürgermeisterin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen) fordert die Verlagerung sämtlicher Regierungsbeschäftigten von Bonn nach Berlin. In einem Gastbeitrag für die Freitagsausgabe (26. April) des Tagesspiegel schreibt sie auch als Antwort auf den Vorstoß von Ministerpräsident Armin Laschet: „Es ist an der Zeit, das Berlin/Bonn-Gesetz zu überdenken. Die Bundesministerien sollten perspektivisch vollständig nach Berlin verlagert werden.“
Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Hauptstadtbeschluss stelle sich die Frage, wie lange Deutschland sich noch „absurde und teure Parallelstrukturen“ leisten wolle, so Pop. Die Berliner Vize-Regierungschefin argumentiert: „Wie lange sollen Beschäftigte der Bundesregierung für jährlich knapp acht Millionen Euro zwischen Bonn und Berlin pendeln; teils nur für wenige Stunden?“ Laschets Forderung sei „ein durchsichtiger Versuch, auf Kosten der Hauptstadt Regionalpolitik zu machen“, kritisiert Pop schließlich in ihrem Tagesspiegel-Beitrag.
Am Freitag dieser Woche (26. April) vor 25 Jahren wurde das vom Deutschen Bundestag am 10. März 1994 verabschiedete „Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands“ ausgefertigt und kurze Zeit später, am 6. Mai 1994, mit der Verkündigung im Bundesgesetzblatt wirksam.
Dieses Berlin/Bonn-Gesetz regelte die Verlagerung von Bundestag und Bundesregierung in die Hauptstadt Berlin sowie die Verteilung der Bundesministerien und anderer Bundesbehörden zwischen Berlin und Bonn. Außerdem garantiert es einen „angemessenen“ finanziellen Ausgleich für die Region Bonn. Zugleich wurde mit dem Gesetzt eine „dauerhafte und faire Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn“ sichergestellt. Der Kernbereich der Regierungsfunktionen wurde dabei allerdings für Berlin reserviert.
Im Berlin/Bonn-Gesetz wurde das Prinzip des doppelten Dienstsitzes festgeschrieben. Die Berliner Ministerien erhielten eine Filiale in Bonn und umgekehrt. Größter Streitpunkt ist nach wie vor Paragraf 4 des Gesetzes. Er regelt, dass „der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt“.
Ihren Hauptdienstsitz in Berlin haben die Ministerien für Arbeit und Soziales, Familie, Finanzen, Inneres, Justiz, Verkehr, Wirtschaft sowie Auswärtiges Amt. Folgende Ministerien haben den Hauptsitz in Bonn: Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft, Umwelt, Verteidigung und wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Das Luftbild vom 9. August 1994 zeigt die Bonner Hardthöhe mit dem Bundesministerium der Verteidigung, bis heute erster Dienstsitz des Verteidigungsministers beziehungsweise der Verteidigungsministerin.
(Foto: Detmar Modes/Bundeswehr)