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Koblenz. Die Zusammenarbeit der militärischen Sanitätsdienste auf NATO- und EU-Ebene erfolgte bisher getrennt voneinander. Seit dem 3. September wird diese multinationale Zusammenarbeit gebündelt. Dazu haben an diesem Dienstag auf der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein hochrangige Vertreter von Sanitätsdiensten aus 14 Nationen eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Es geht um die beiden Projekte „Multinational Medical Coordination Centre“ und „European Medical Command“ – kurz MMCC und EMC. Das MMCC basiert auf einer NATO-Initiative, das EMC auf einer Initiative der Europäischen Union. Durch die Koblenzer Erklärung der 14 beteiligten Nationen sind nun die beiden Projekte zusammengeführt worden. Am 4. September wurde dazu in der Rheinkaserne in Koblenz bei einem feierlichen Appell das MMCC/EMC mit einer Anfangsbefähigung – Initial Operational Capability – in Dienst gestellt.

Deutschland hat sich bereit erklärt, im sogenannten „Framework Nations Concept“ (FNC) der NATO eine führende Rolle in der sanitätsdienstlichen Unterstützung zu übernehmen und die besonderen Fähigkeiten der Bundeswehr zur Weiterentwicklung aller beteiligten Nationen zur Verfügung zu stellen. Hieraus entstand letztendlich das Multinational Medical Coordination Centre.

Das Framework Nations Concept geht auf eine deutsche Initiative aus dem Jahre 2013 zurück und wurde 2014 auf dem NATO-Gipfel in Wales offiziell beschlossen. FNC-Ziel ist es, Fähigkeitsdefizite der NATO durch die Zusammenfassung der Anstrengungen freiwilliger Nationen auf abgestimmten Feldern (Clustern) unter der Koordination und Federführung einer Rahmen- oder Anlehnnation (Framework Nation) abzubauen.

Innerhalb der Europäischen Union übernahm Deutschland im Rahmen der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (Permanent Structural Cooperation, PESCO) die Koordination für das zukünftige europäische Sanitätskommando (European Medical Command).

Diese beiden Projekte wurden nun in der ersten Septemberwoche mit Feststellung der Initial Operational Capability (IOC) zusammengeführt und sollen als multinationales Sanitätsdienst-Zentrum MMCC/EMC weiterentwickelt werden.

Entsendung weiterer Verbindungsoffiziere nach Koblenz

Das MMCC/EMC fungiert künftig als Bindeglied zwischen NATO und EU. Seit seiner Aufstellung im Dezember 2017 hat das Zentrum die Aufgabe, sanitätsdienstliche Fähigkeiten der verschiedenen Nationen zu koordinieren. Auch werden durch das MMCC/EMC die verschiedenen Anforderungen an die sanitätsdienstlichen Einsatzkräfte entsprechend des jeweiligen Mandats (Vereinte Nationen, NATO oder EU) harmonisiert. Künftig werden auch die Bereiche „Verwundetensteuerung“ und „Sanitätslogistik“ zu den Dienstleistungen des MMCC/EMC gehören.

Bisher besteht das multinationale Element MMCC/EMC neben den deutschen Anteilen aus einem niederländischen, einem französischen und einem norwegischen Verbindungsoffizier. Nach dem Erreichen der IOC wird das Zentrum nun durch die Entsendung weiterer Verbindungsoffiziere der beteiligten Nationen nach Koblenz aufwachsen.

Die Erklärung auf der Festung Ehrenbreitstein unterzeichneten die Vertreter folgender Länder: Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Rumänien, Schweden, Tschechien und Ungarn.


Erster Direktor des Multinational Medical Coordination Centre/European Medical Command war Generalarzt Dr. Bruno Most. Er übergab im Juli dieses Jahres das Amt an Generalarzt Dr. Stefan Kowitz. Kowitz war zuletzt von 2016 bis 2019 als Medical Advisor and Assistant Chief of Staff joint medical im Supreme Headquarter Allied Powers Europe (SHAPE)/Allied Command Operations (ACO) in Mons Belgien tätig.

Im nachfolgenden Interview äußert sich der neue Direktor des MMCC/EMC über die Bedeutung der nun in Koblenz erfolgten IOC-Zeremonie und über seine Erwartungen an das multinationale Zentrum. Das Interview erschien zuerst im Onlineauftritt des Sanitätsdienstes der Bundeswehr; wir erhielten freundlicherweise vom Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes eine Nachdruckerlaubnis.

Zentrumsmotto „Zwei Wurzeln – ein Team – eine Fähigkeit“

Herr Dr. Kowitz, welche Bedeutung hat die Indienststellung des MMCC/EMC mit einer Anfangsbefähigung – der Initial Operational Capability – am 4. September in Koblenz?
Generalarzt Dr. Stefan Kowitz: Die IOC-Zeremonie war ein wichtiger Meilenstein für die beteiligten Nationen – die Feststellung einer Erstbefähigung für das MMCC/EMC. Im Kern wurden hierbei die Projekte European Medical Command (EMC) und Multinational Medical Coordination Centre (MMCC) zum ersten Mal zusammenführt. Im Sinne der Nutzung gemeinsamer Kräfte und Ressourcen wollen wir beide Projekte in einer Institution unter dem Motto „Zwei Wurzeln – ein Team – eine Fähigkeit“ bündeln.

Welche Bedeutung hatte die Veranstaltung in Koblenz am 3. und 4. September für Sie persönlich und welche Erwartungen an das neue Zentrum haben Sie?
Kowitz: Die Veranstaltung war deshalb so wichtig, weil die Vertreter der Sanitätsdienste von insgesamt 14 Streitkräften mit ihren höchsten Repräsentanten anwesend waren. Für mich dokumentierte dies die Verbundenheit mit diesem und auch die Verpflichtung für dieses so wichtige Projekt der Sanitätsdienste der NATO und EU. Auch wurde mit dieser Zeremonie das erste multinationale Konzept für MMCC/EMC erlassen. Dieses bildet jetzt das Fundament, um in den nächsten zwei Jahren die volle Einsatzbereitschaft zu erreichen.

Durch meine verschiedenen Tätigkeiten im multinationalen Bereich weiß ich, dass solche wichtigen Projekte einen langen Atem verlangen. Umfangreiche Abstimmung zwischen den beteiligten Nationen erfordern unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten.

Eine Brücke zwischen den Institutionen NATO und EU

Sie sind seit Juli neuer Direktor des MMCC/EMC. Wie haben Sie die ersten Dienstwochen in Koblenz erlebt?
Kowitz: Dank der Aufbauleistungen von Generalarzt Dr. Most konnte ich den Betrieb quasi „in der Bewegung“ übernehmen. Die IOC-Zeremonie war eine große Herausforderung. Allerdings konnte ich dabei auf die guten Vorarbeiten des Teams und meines Vorgängers zurückgreifen – das hat mir das Ganze doch sehr erleichtert.

Als neuer Direktor sehe ich mich verpflichtet, sowohl für NATO- als auch für EU-Sanitätsdienste als Koordinator aufzutreten. Das MMCC/EMC hat eine unterstützende Aufgabe in NATO und EU und im Besonderen für die beteiligten Nationen und ist ein Brückenbildner zwischen dem Bündnis und der Europäischen Union. Ich freue mich, dass das Projekt „MMCC/EMC“ jetzt an Fahrt gewinnt und ich in den nächsten Monaten über einen größeren Stab verfügen werde.

Mit welchen Schwerpunkte befasst sich das MMCC/EMC momentan und welche Projekte werfen bereits ihren Schatten voraus?
Kowitz: Wir haben zum ersten Mal ein „Program of Work“ für das MMCC/EMC erarbeitet. Einer der ersten Punkte ist es, eine Liste von Antidoten und Therapeutika bei Einwirkung durch Chemieunfälle zu erstellen. Diese Liste wird dann durch Antidote und Pharmazeutika für biologische Ereignisse ergänzt (Anm.: Unter einem Antidot versteht man eine Substanz, die ein Gift inaktivieren oder dessen Wirkung herabsetzen beziehungsweise aufheben kann).

Hier wollen wir gemeinsam mit den Nationen des MMCC/EMC deren „Best Practise“-Erfahrungen sammeln. Möglicherweise nutzen wir diese Liste bereits für eine gemeinsame koordinierte Beschaffung der Nationen. Dies soll dann möglicherweise über die NATO Support and Procurement Agency (NSPA) in Luxemburg erfolgen, die auf dem Gebiet multinationale Beschaffung große Erfahrung hat.

Auch die Landes- und Bündnisverteidigung ist für uns ein großes Thema. Hier werden wir uns in einem Workshop beispielsweise über die notwendige sanitätsdienstliche Führungsorganisation bei der Patientenversorgung auf Divisions- und Korpsebene Gedanken machen. Die letzten Jahrzehnte lag der Schwerpunkt auf Krisenprävention – wir müssen nun auf dem Gebiet der Landes- und Bündnisverteidigung Erfahrungsträger zusammenführen.

Sanitätsdienstliche Fähigkeiten bündeln zum Wohle der Patienten

Auf politischer Ebene wird immer wieder eine engere europäische Zusammenarbeit auch bei den Streitkräften gefordert. Glauben Sie, dass die IOC-Zeremonie dazu beitragen kann, einen solchen Prozess zu forcieren?
Kowitz: Mit unserem Projekt sollen die Fähigkeiten der europäischen Streitkräfte, speziell der Sanitätsdienste, gestärkt werden. Die Koblenzer IOC-Erklärung wird dieses Ziel sicherlich unterstützten. Aber ich denke, unser Projekt „MMCC/EMC“ ist eher als Leuchtturmprojekt der Kooperation zwischen EU und NATO zu sehen. Schließlich bedienen wir beide Institutionen so, dass Duplizierungen von Fähigkeiten und Ressourcen verhindert werden. Ich erinnere daran, dass 90 Prozent der EU-Bürger zugleich in einem Mitgliedsland der NATO leben.

Unser Ziel ist es, dass wir nach Jahrzehnten der Reduzierungen im Bereich der Sanitätsdienste der EU und NATO, die derzeit noch begrenzten sanitätsdienstlichen Fähigkeiten beider Institutionen gemeinsam mit den Nationen des MMCC/EMC effektiv zum Wohle unserer Patienten und Verwundeten einsetzen können.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Koblenz, Festung Ehrenbreitstein – am 3. September 2019 unterzeichneten hier hochrangige militärische Vertreter der Sanitätsdienste aus 14 Nationen eine Erklärung über die zukünftige Zusammenarbeit. Zweiter von links: Generalstabsarzt Dr. Stephan Schoeps, Stellvertretender Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr.
(Foto: Markus Dittrich/Presse- und Informationszentrum Sanitätsdienst)

2. Rheinkaserne in Koblenz – hier fand am 4. September 2019 die feierliche Indienststellung des Multinational Medical Coordination Centre/European Medical Command (MMCC/EMC) mit einer Anfangsbefähigung statt.
(Foto: Markus Dittrich/Presse- und Informationszentrum Sanitätsdienst)

Kleines Beitragsbild: Blick auf den Konferenztisch im Kuppelsaal der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein – hier wurde am 3. September 2019 von 14 Nationen die Erklärung zur Vertiefung der Kooperation der Sanitätsdienste unterzeichnet.
(Foto: Markus Dittrich/Presse- und Informationszentrum Sanitätsdienst)


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