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Berlin/Brüssel/Strasbourg. Es waren Marathonberatungen der europäischen Staats- und Regierungschefs, mit denen Anfang Juli die Frage der Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker geklärt werden sollte. Am Ende gab es eine faustdicke Überraschung. Weder Manfred Weber (Europäische Volkspartei) noch Frans Timmermans (Partei der Europäischen Sozialisten), geschweige denn Ska Keller (Europäische Grüne), Margrethe Vestager (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa), Nico Cué (Europäischen Linke) oder Jan Zahradil (Allianz der Konservativen und Reformer in Europa) – allesamt Spitzenkandidaten der Europawahl – konnten einen Konsens für sich verbuchen. Aus dem Hut zauberte der Europäische Rat schließlich einen völlig überraschenden Vorschlag für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten beziehungsweise der -präsidentin: Ursula von der Leyen, Deutschlands Verteidigungsministerin.

Bundesverteidigungsministerin von der Leyen hat in fünfeinhalb Jahren Amtszeit viel versprochen, vieles hat sich nicht verbessert. Sie hat mehrere „Trendwenden“ befohlen: darunter „mehr Personal“, „mehr Material“. Zwar hat die Bundeswehr inzwischen mehr Geld zur Verfügung, in der Truppe herrscht aber nach wie vor Mängelverwaltung. Der Kardinalsfehler von der Leyens im aktuellen Amt war es zudem, den Männern und Frauen in den Streitkräften ein generelles „Haltungsproblem“ und „falsch verstandenen Korpsgeist“ zu unterstellen. Damit war die Ministerin bei der Truppe – so formulierte es beispielsweise der Tagesspiegel – schlichtweg „unten durch“.

Ein unerfüllter Auftrag und neue Herausforderung „Europa“

Jetzt könnte die Zeit der CDU-Politikerin als erste deutsche Verteidigungsministerin überraschend schnell enden. Ursula von der Leyen hinterlässt ihrem potenziellen Nachfolger (wenn sie denn EU-Kommissionschefin wird) ein Amt, das wenig attraktiv erscheint. Scheitern auf dem Chefsessel des Wehrressorts fast schon vorprogrammiert …

Das ARD-Fernsehmagazin „Bericht aus Berlin“ wird sich am kommenden Sonntag (14. Juli) unter Leitung von Tina Hassel mit dem möglichen Wechsel von der Leyens nach Brüssel befassen. Ariane Reimers und Christian Feld – beide Korrespondenten des ARD-Hauptstadtstudios mit engem Bezug zu verteidigungspolitischen Themen – wollen dabei unter dem Arbeitstitel „Ein unerfüllter Auftrag“ eine erste Bilanz der rund 2000 Amtstage der deutschen Ministerin ziehen. Vorgesehen ist dazu auch ein Gespräch mit dem SPD-Politiker Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt.

Lange Personaldebatte und Abstimmung am Abend

Der kommende Dienstag (16. Juli) wird wohl ein spannender Tag werden – auch und gerade für die Bundeswehr. Für den Vormittag ist im Europäischen Parlament in Strasbourg eine mehrstündige Debatte über die Personalie „Ursula von der Leyen“ angesetzt. Die Abstimmung über die Juncker-Nachfolge ist auf 18 Uhr terminiert. Von der Leyen benötigt insgesamt 374 von 751 Stimmen im Parlament, also annähernd 50 Prozent.

Die Sozialdemokraten könnten dabei den Ausschlag geben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ließ Jens Geier, Obmann der deutschen SPD-Abgeordneten in Brüssel, in der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) ein Dokument verteilen, in dem zahlreiche aktuelle und frühere Vorwürfe gegen die Bundesministerin der Verteidigung aufgelistet sind. Tenor des Papiers: „Warum Ursula von der Leyen eine unzulängliche und ungeeignete Kandidatin ist.“

In dem zweiseitigen, in englischer Sprache verfassten Text werden unter anderem Missstände wie die Berateraffäre oder die Kostenexplosion bei der Sanierung des Marineschulschiffs „Gorch Fock“ thematisiert. Das Papier wärmt aber auch „alten Kaffee“ auf wie beispielsweise den Vorwurf, von der Leyen führe eigentlich wegen Plagiaten in ihrer Dissertation zu Unrecht einen Doktortitel.

(Anm.: Nach einer eingehenden Prüfung der Plagiatsvorwürfe gegen die Verteidigungsministerin hatte der Senat der Medizinischen Hochschule Hannover im März 2016 entschieden, dass die CDU-Politikerin ihren Doktortitel weiter führen darf – die Untersuchung hatten zwar Mängel ergeben, diese waren aber nicht als gravierend eingestuft worden).

Kandidatin konnte die Sozialdemokraten keineswegs überzeugen

Von der Leyen traf sich am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche (10. und 11. Juli) im Europaparlament mit fast allen Fraktionen, um für ihre Kandidatur zu werben. Geier sprach nach dem Besuch von der Leyens in der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament von einer „Luftnummer“. „Die Kandidatin ist wolkig geblieben – und das bei Kernthemen wie Klimapolitik, Sozialer Säule, Steuervermeidung, Flüchtlingspolitik und Rechtsstaatlichkeit. Dieser Auftritt hat ihr mehr geschadet als geholfen“, so Gruppenchef Geier.

Auch die Spanierin Iratxe García, Vorsitzende der S&D-Fraktion, zeigte sich nach dem Treffen mit von der Leyen enttäuscht: „Wir müssen uns den Herausforderungen, die sich durch die Globalisierung, den Klimawandel und die Digitalisierung ergeben, stellen. […] Unsere Fraktion wird auf Rückmeldungen von Frau von der Leyen warten, da wir sehr konkrete Vorschläge gemacht haben. Ihre Antworten waren nicht ausreichend, folglich werden wir unsere Forderungen aufschreiben und die Kandidatin auf der Grundlage der Antworten beurteilen, die wir von ihr erhalten.“

(Anm.: Die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament – kurz S&D – ist eine Fraktion im Europäischen Parlament; sie umfasst die Mitglieder der SPE sowie weitere Mitglieder, die keiner Partei auf europäischer Ebene angehören, aber programmatisch der Sozialdemokratie nahestehen).


Randnotiz                                  

„Unerfüllter Auftrag“ – ein Thema der Sendung „Bericht aus Berlin“ des ARD-Hauptstadtstudios am Sonntag, 14. Juli 2019, ab 18:30 Uhr.
Alle Angaben ohne Gewähr.


Die Aufnahme zeigt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 7. Dezember 2018 beim 31. Parteitag der CDU Deutschlands in Hamburg.
(Foto: Olaf Kosinsky/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 3.0-de –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode)

Kleines Beitragsbild: Schriftzug am Gebäude der ARD in Berlin.
(Foto: ankawü/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 3.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)


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