Bernburg/Berlin. Der Hass und die Verrohung schreiten voran! Im vergangenen Jahr wurden in der Bundeshauptstadt 1083 antisemitische Vorfälle registriert, 14 Prozent mehr als im Vorjahr (2017: 951). Experten warnen dabei vor wachsender Gewaltbereitschaft in Berlin. Denn die Zahl der antisemitischen Angriffe stieg im Vergleich zu 2017 um 155 Prozent, die Zahl der antisemitischen Bedrohungen um 77 Prozent. Dies geht aus einem Bericht hervor, den am heutigen Mittwoch (17. April) die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin – kurz RIAS Berlin – vorgestellt hat. Die Organisation warnt: [Aus den RIAS-Zahlen] „lässt sich einerseits eine Zunahme verrohter Ausdrucksformen des Antisemitismus in Berlin und andererseits ein Sinken der Hemmschwelle aufseiten der Täterinnen und Täter konstatieren.“ Zu zweifelhafter Bekanntheit hat es in diesem Zusammenhang ein Bundeswehrsoldat gebracht. Der 21-jährige Giovanni Datemasch, bis vor Kurzem Torhüter des Fußballvereins TV Askania Bernburg (fünftklassige Oberliga Nordost), hatte nach einem Spiel eine antisemitische Fotomontage auf Instagram geteilt. Der Fall beschäftige mittlerweile auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages.
Die erste Mannschaft des Fußballclubs aus Sachsen-Anhalt hatte am 16. März ihr Oberligaspiel gegen den BSG Chemie Leipzig mit 1:6 verloren. Gästekeeper Datemasch und Chemie-Kapitän Stefan Karau waren während der Partie aneinandergeraten. Datemasch hatte zudem mehrfach die Fans der Heimmannschaft provoziert und war daraufhin von diesen beschimpft und bespuckt worden.
Im Nachklang zu der aufgeheizten Begegnung teilte Datemasch, der in der Vergangenheit bereits an zwei Sichtungslehrgängen für die Bundeswehr-Fußballnationalmannschaft teilgenommen hatte, auf seinem Instagram-Profil eine Fotomontage. Die BILD-Zeitung titelte am 17. März: „Rassismus-Eklat in der Oberliga!“
Auf der Fotomontage trägt Datemasch auf seinem schwarzen Trikot die Aufschrift „Hass“. Auf der Kapitänsbinde des BSG-Spielers Karau ist ein Davidstern zu sehen. Das Profil von Datemasch auf der Social-Media-Plattform Instagram wurde zwar inzwischen gelöscht, das Hass-Bild aber längst bundesweit weiterverbreitet. Der Bernburg-Keeper hatte sich nach dem BILD-Bericht zu Wort gemeldet und erklärte, dass er das Gespräch mit den Leipzigern suchen werde. Die Montage habe er nicht selbst erstellt, nur „versehentlich“ geteilt. Er sei „nicht der Hellste in der App“, so seine Entschuldigung gegenüber den Medien.
Den Verantwortlichen des TV Askania war diese Erklärung zu billig. Trainer Tobias Donath wird von der Presse mit den Worten zitiert: „Wir distanzieren uns als Verein und ich als Coach auf das Schärfste von solchen Haltungen und können diese Einstellungen keineswegs tolerieren.“ Bernburgs sportlicher Leiter Max-Martin Schulze erklärte: „Wir stehen in Bernburg für Werte wie Toleranz und Weltoffenheit. Dieses Gedankengut hat bei uns nichts verloren, daher habe ich Giovanni Datemasch darüber informiert, dass er fristlos gekündigt und kein Vereinsmitglied mehr beim TV Askania Bernburg ist. So etwas ist nicht zu tolerieren.“
Bei der Bundeswehr wird der Fall momentan disziplinarrechtlich untersucht. Dies teilte ein Sprecher der Streitkräftebasis auf Anfrage der Mitteldeutschen Zeitung mit.
Die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen), für ihre Fraktion unter anderem als Obfrau im Sportausschuss und Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, wollte von der Bundesregierung wissen, wie sie den antisemitischen Post des Bundeswehrangehörigen beurteile und „welche personellen und weiteren Konsequenzen sie daraus ziehen wird“.
Ihr antwortete am 27. März der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung Thomas Silberhorn. Er erklärte zu dem Fall: „Die Bundesregierung verurteilt jegliche Form von Antisemitismus. Die Bekämpfung des Antisemitismus in all seinen Facetten hat für die Bundesregierung eine hohe Priorität. Jede Art von Antisemitismus hat in der Bundeswehr keinen Platz. Die jeweils zuständigen Stellen der Bundeswehr prüfen in derartigen Fällen alle einschlägigen Bestimmungen des Soldatengesetzes, der Wehrdisziplinarordnung und des Strafgesetzbuches und entscheiden über die notwendigen Maßnahmen.“
Zu den eingeleiteten Ermittlungen im Fall „Datemasch“ könne die Bundesregierung keine nähere Auskunft erteilen, da der betroffene Soldat das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung genieße, so Silberhorn zum Schluss seiner Ausführungen.
Kommen wir noch einmal zurück auf den Jahresbericht 2018 von RIAS, der nicht nur eine erschreckende Entwicklung in der Bundeshauptstadt dokumentiert, sondern auch fürchten lässt, dass sich überall in Deutschland antisemitische Vorfälle häufen werden. RIAS-Projektleiter Benjamin Steinitz warnt nachdrücklich vor einer zunehmenden Bereitschaft, antisemitische Aussagen mit „konkreten Gewaltandrohungen zu verbinden oder ihnen gar Gewalt folgen zu lassen“. Diese Entwicklung sei bei vielen vom Judenhass Betroffenen „bereits alltagsprägend“.
Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin gibt es seit 2015. Gegründet wurde sie durch den Verein für Demokratische Kultur in Berlin (VDK), der ebenfalls in der Hauptstadt seinen Sitz hat. Zusammen mit jüdischen und nichtjüdischen Organisationen hat RIAS Berlin, das von der Justizsenatsverwaltung der Stadt gefördert wird, ein berlinweites Meldenetzwerk für antisemitische Vorfälle aufgebaut.
VDK-Geschäftsführerin Bianca Klose bezeichnet die aktuellen Entwicklungen als „eine Verschiebung vom Sagen zum Tun“. Dabei reiche es, nicht „weit nach rechts“, sondern auch in die Mitte der Gesellschaft zu blicken. Die „Grenzverschiebung“ setze dabei besonders die Erinnerungskultur an die Verbrechen des Nationalsozialismus unter Druck. So habe sich eine Mehrheit der antisemitischen Äußerungen im Berichtsjahr 2018 auf die Vernichtung der europäischen Juden während des Nationalsozialismus bezogen. Dies habe sich zum Beispiel in einer Täter-Opfer-Umkehr oder der Relativierung bis hin zur Leugnung des Holocausts geäußert. In der Hälfte aller Vorfälle seien Stereotype des israelbezogenen Antisemitismus verwendet worden.
Die antisemitische Fotomontage, die Giovanni Datemasch „versehentlich“ mit zahllosen anderen seiner Zeitgenossen geteilt hat, zeigt die Wirkung eines Giftes, das schon einmal Millionen geistig und seelisch zerstört hatte.
Zu unserem Bildmaterial:
1. Die Fotomontage, die Giovanni Datemasch auf Instagram geteilt hatte.
(Bilder: nr; Bildmontage: mediakompakt)
2. Titelseite des RIAS-Berichtes über antisemitische Vorfälle 2018 in Berlin. Abgebildet ist Gimel, der dritte Buchstabe im hebräischen Alphabet. Die Aufnahme daneben zeigt den „Stolperstein“ für Kiwe Wild in Berlin-Wedding, beschmiert mit einem SS-Symbol. Die „Stolpersteine“ sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begonnen hat. Mit den im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln soll an das Schicksal jener Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert sowie in den Suizid getrieben oder ermordet wurden.
(Bilder: RIAS Berlin; Bildmontage: mediakompakt)
Kleines Beitragsbild: Symbolfoto „Fußballfans gegen Antisemitismus“. T-Shirt mit dem Logo des 2013 in Bremen von der Ultra-Gruppe „Caillera“ gegründeten gleichnamigen Forums. Die Gruppe dokumentiert in ihrem Internetauftritt und in den sozialen Medien antisemitische Vorfälle und weist auf entsprechende Info-Veranstaltungen hin.
(Bild: Initiative „Fußballfans gegen Antisemitismus“