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Berlin. Katarina Barley, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, hat in den vergangenen Tagen mit einem Interview heftige Reaktionen ausgelöst. Die Gefühlspalette der Kritiker reichte dabei von bloßem Unverständnis bis hin zu glaubhafter Empörung. Gesprochen hatte die Spitzenkandidatin der deutschen Sozialdemokraten für die Europawahl am Mittwoch (10. April) in Berlin mit dem deutschen Dienst des russischen Fernsehsenders RT. RT Deutsch stellte Barley unter anderem Fragen zum Europawahlkampf, über das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 und – so die Formulierung des Senders – „über den außenpolitischen Umgang mit Russland“.

RT (ehemals Russia Today), gegründet 2005, ist ein von Russlands Regierung finanzierter Auslandsfernsehsender mit nachrichtenorientiertem Programm. Der Sender hat seinen Sitz in Moskau.

RT Deutsch, vorwiegend ein Internetportal mit Textbeiträgen und Videos, nahm seinen Betrieb im Studio Berlin-Adlershof im November 2014 auf. Der deutsche Ableger des Moskauer Kanals verfolgt eine klare Marschroute, nachzulesen auf der Homepage: „RT Deutsch nimmt die Herausforderung an, die etablierte deutsche Medienlandschaft aufzurütteln und mit einer alternativen Berichterstattung etablierte Meinungen zu hinterfragen. Wir zeigen und schreiben das, was sonst verschwiegen oder weggeschnitten wird.“

In der 2013 erschienenen Publikation „Der Kreml auf allen Kanälen – wie der russische Staat das Fernsehen lenkt“ der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ finden sich über RT einige interessante Fakten. Mit einem Budget von etwa 250 Millionen Euro jährlich unterhalte der Sender Büros in 19 Ländern, so der Report. RT nehme für sich in Anspruch, eine Alternative zu CNN International und BBC World zu sein. Die Nachrichtenkanäle des russischen Senders in verschiedenen Sprachen verfolgten alle das Ziel, einen alternativen Blick (aus der Perspektive Moskaus) auf die Welt zu vermitteln und dabei international dem Kreml zu mehr Einfluss zu verhelfen.

Staatlich finanzierte und staatlich gelenkte Medien

Dass RT zumeist als „Propagandakanal des russischen Präsidenten Wladimir Putin“ bezeichnet wird, ist inzwischen übliche Realität. Clemens Wergin, Ressortleiter „Ausland“ der Tageszeitung Die Welt, schrieb jetzt in einem Meinungsbeitrag zum Barley-Interview: „Wir leben in einer Zeit, in der autoritäre Regime wieder eine Gefahr darstellen für den Raum von Demokratie und Freiheit in der Welt. Gleichzeitig durchleben freie Medien auf weiten Teilen des Globus eine durch die Digitalisierung ausgelöste Krise, die ihr Geschäftsmodell bedroht. Das schafft immer mehr Raum für staatlich finanzierte und staatlich gelenkte Medien, mit denen autoritäre Regime Einfluss auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen ausüben.“

Ministerin Barley war nicht die erste Bundespolitikerin der SPD, die mit RT sprach. Vor ihr hatten sich bereits Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier oder Sigmar Gabriel interviewen lassen. Aber auch Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Wolfgang Kubicki (FDP) oder Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen) waren schon vor dem Mikrofon mit dem RT-Logo aufgetaucht. Es ist allerdings ein Unterschied, ob quasi „im Vorbeigehen“ ein Statement abgegeben wird oder dem Wunsch nach einem längeren Gespräch entsprochen wird – so wie offenbar im Fall der Bundesjustizministerin geschehen.

Sie stellte sich dem russischen Sender am Rande einer Veranstaltung des Vereins der Ausländischen Presse in Deutschland (VAP) in Berlin. Rund 50 Korrespondenten waren gekommen. Barley nahm sich Zeit und beantwortete mehr als sieben Minuten lang geduldig die Fragen des RT-Reporters. Exklusiv, denn andere Sender oder Agenturen waren dabei nicht zugegen. RT Deutsch verbreitete das Gespräch anschließend via YouTube.

„Natürlich auch sehr kritisch in einigen Punkten“

Barleys Interview beinhaltet einige Aussagen, die starkes Wasser auf die (Propaganda)-Mühlen Putins sein dürften. So sagte sie einen Satz, der auch prompt zur Schlagzeile des Senders für seinen Videobeitrag wurde: „Wir pflegen ein enges Verhältnis zu Russland. Russland ist immer unser Partner gewesen und wird es auch bleiben.“ Aber, so die SPD-Politikerin weiter, es gebe auch Differenzen und man sei „natürlich sehr kritisch in einigen Punkten“. Erst auf Nachfrage nannte Barley dann die Annexion der Krim, die aus Sicht der Ukraine, der USA und der Europäer bis heute einen Bruch des Völkerrechts bedeutet. Bei diesem Thema „werden wir nach wie vor unsere Positionen vertreten“, versichert die Sozialdemokratin. Welt-Ressortleiter Wergin nannte später in seinem Kommentar diese Antwort eine „schiere Zahnlosigkeit“.

Von RT gefragt, wen sie „als Feinde Europas bezeichnen“ würde, antwortete Barley, es gebe „Feinde Europas von innen und von außen […] und es sind dann diejenigen, die ansonsten versuchen, Europa zu spalten.“ Zu seiner Frage blendete der russische Sender später im Videobeitrag dann an der richtigen Stelle ein Anti-Trump-Wahlplakat der SPD ein – Propaganda geht so!

Auch zum Thema „Zwei-Prozent-Ziel der NATO bei den Verteidigungsausgaben“ machte Barley Wladimir Putin eine Freude. Die Spitzenkandidatin der SPD für Europa erklärte doch tatsächlich: „Zum NATO-Zwei-Prozent-Ziel haben wir uns klar geäußert, dass wir es für richtiger halten, die Bundeswehr anständig auszurüsten, als sie aufzurüsten. Da gibt es genug zu tun. […] Die Aufwüchse bis zu zwei Prozent, die sind gewaltig, das sind hohe zweistellige Milliardenbeträge. Das ist ehrlich gesagt in der momentanen Lage und in der Bevölkerung kaum zu vermitteln.“

Politische Gegner werden das Interview zu nutzen wissen

Für die Ministerin gab es nach ihrem „arglosen Interview“ (so Welt-Autor Wergin) heftigen Gegenwind aus den Reihen der Christdemokraten, von den Grünen und von der FDP. Die Linken und die Afd hielten sich bedeckt. Die Genossinnen und Genossen äußerten, wenn überhaupt, dann wohl nur hinter verschlossenen Türen Kritik.

Deutliche Worte fanden Vertreter der CDU. Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann sagte der BILD-Zeitung: „Frau Dr. Barley hat offenbar vor lauter Europawahlkampf die Orientierung verloren. Es geht nicht nur um ihre fatalen Aussagen zu den Russland-Sanktionen, es geht auch darum, dass sie sich als Bundesjustizministerin offen gegen die Position der Bundesregierung und der Europäischen Union ausspricht und sich damit als Kronzeugin vor die russische Propaganda spannen lässt.“

Saarlands CDU-Ministerpräsident Tobias Hans äußerte gegenüber dem Blatt: „Das Barley-Lob für Russland – ausgerechnet gegenüber Russlands Propagandasender im Westen – war danebengegriffen. Sie adelt damit auch als deutsche Justizministerin die unappetitliche Stimmungsmache von ,Russia Today‘ gegen die EU“.

Der Osteuropa-Experte von Bündnis 90/Die Grünen, der Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin, erklärte im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Dass SPD-Kandidatin Barley vor dem russischen Staatssender von den inneren und äußeren Feinden Europas schwadroniert, aber eben nicht die hybriden russischen Strategien zur Schwächung der EU anspricht, ist gefährlich und realitätsfern.“

Nico Lange, politischer Planer für CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer, schrieb auf Twitter: „Während die CDU um jeden Euro kämpft, um Europas Sicherheit zu stärken, gibt die SPD Europakandidatin Katarina Barley Interviews für die russische Staatspropaganda, die rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche sendet, um Europa zu schwächen.“

Auf Twitter finden sich auch Stimmen der Freidemokraten. So meinte Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion: „Der Europawahlkampf startet und was ist das Erste, das SPD-Spitzenkandidatin Barley macht? Sie tritt im russischen Staatsfernsehen auf.“

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Sprecherin für Verteidigungspolitik, entrüstete sich: „Die deutsche Justizministerin und Spitzenkandidatin zur Europawahl der SPD, Katarina Barley, gibt Putins Propagandakanal ein Interview und stellt das 2%-Ziel und Deutschlands internationale Verpflichtungen in Frage. Russland frohlockt. Unverfroren? Naiv? Oder dumm? Ich bin sprachlos.“

Jan Drebes hat zu der ganzen Angelegenheit schon aus beruflichen Gründen eine klare Meinung. Er ist Parlamentskorrespondent der Rheinischen Post. In einem Kommentar für die in Düsseldorf erscheinende Tageszeitung warnt er jetzt: „Das Interview [war] ein Fehler. Ein russischer Propagandasender, der in Deutschland und ganz Europa heftig umstritten ist, den die EU wegen ,prorussischer Desinformation‘ kritisierte, kann über ein Interview mit ,Ministerin Barley‘ schreiben: ,Wir pflegen ein enges Verhältnis zu Russland‘. […] Das Interview werden Barleys politische Gegner zu nutzen wissen.“


Unser Bildmaterial zeigt Ministerin Katarina Barley am 10. April 2019 während ihres Interviews mit dem Sender RT Deutsch in Berlin.
(Videostandbild: Quelle RT-Videobeitrag/YouTube)


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