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Berlin/Bonn. Der kommende Dienstag (10. September) könnte ein Tag mit innenpolitischer Brisanz werden. Nach einem Bericht des in der Hauptstadt erscheinenden Tagesspiegel will der Berliner Personalrat des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) vor dem örtlichen Verwaltungsgericht feststellen lassen, dass der Ministeriumshauptsitz Berlin und nicht Bonn ist. Sollten die Kläger bei diesem Termin am 10. September gewinnen, könnte damit – so der Tagesspiegel – „das Ende des Nebeneinanders von zwei Ministeriumssitzen in Bonn und Berlin mit hohem Kohlendioxid-Ausstoß für dienstliche Flüge und Extrakosten von fast neun Millionen Euro im Jahr eingeläutet“ werden.

Die Abonnementzeitung zitierte in ihrem Bericht am heutigen Freitag (6. September) aus „brisanten Schriftsätzen“, die den ersten Dienstsitz des BMVg „wie eine Attrappe aussehen lassen“. So sei bereits vor Jahren der Ministerbungalow auf der Bonner Hardthöhe ersatzlos abgerissen worden, im Gegenzug sei für die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Übernachtungsmöglichkeit im Ministerium in Berlin geschaffen worden. In Bonn sei zudem der Besucherdienst „mangels Bedarf“ geschlossen worden, ebenso gebe es dort keine Pressestelle und keine Personenschutzkräfte des Bundeskriminalamtes mehr. Weitere in den Schriftstücken aufgelistete Punkte ließen den ersten Dienstsitz am Rhein „wie ein Potemkinsches Dorf“ aussehen, schreibt der Tagesspiegel.

In der am Dienstag vor dem Berliner Verwaltungsgericht zu verhandelnden Personalvertretungssache „Personalrat BMVg Berlin ./. BMVg u.a.“ soll festgestellt werden, dass die Dienststelle Berlin des Bundesministeriums der Verteidigung Hauptstelle im Sinne des Bundespersonalvertretungsgesetzes ist. Ein entsprechender Urteilsspruch könnte Auswirkungen auch auf andere Ministerium haben und den politischen Druck für einen Komplettumzug der Regierung aus dem Rheinland an die Spree 30 Jahre nach dem Mauerfall erhöhen.

Hauptstadtbeschluss und Verabschiedung des Berlin/Bonn-Gesetzes

Blicken wir noch einmal zurück auf das sogenannte „Berlin/Bonn-Gesetz“, das die Ministeriumsaufteilungen erst möglich gemacht hat. Das Gesetz wurde vor 25 Jahren, am 10. März 1994, vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit in 2. und 3. Lesung verabschiedet. Die eigentliche Entscheidung der Parlamentarier über die künftige deutsche Hauptstadt war bereits am 20. Juni 1991 gefallen. An diesem Donnerstag war der Antrag „Vollendung der Einheit Deutschlands“ – mit dem Inhalt, den künftigen Regierungssitz in Berlin zu etablieren – parteiübergreifend von prominenten Abgeordneten formuliert und eingebracht worden. Nach kontroverser Debatte nahm der Bundestag schließlich den Antrag mit 338 (für Berlin) zu 320 Stimmen (für Bonn) an.

Knapp drei Jahre nach dem Hauptstadtbeschluss des Bundestages regelten die Abgeordneten somit am 10. März 1994 die rechtlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung des Umzugsbeschlusses. Bereits ein halbes Jahr zuvor hatte die Bundesregierung entschieden, bis zum Jahr 2000 nach Berlin zu wechseln.

Das Berlin/Bonn-Gesetz bestimmte Berlin als Sitz des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung. Es regelte (und regelt) zudem die bereits im Beschluss vom 20. Juni 1991 festgelegte faire Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn. Dies beinhaltet die Entscheidung über die Ansiedlung von Bundesministerien in Berlin und Bonn. Auch der Ausgleich für die Region Bonn, unter anderem durch Verlagerung von Einrichtungen des Bundes, war und ist im Berlin/Bonn-Gesetz festgelegt, ebenso weitere Regelungen für die vom Umzugsbeschluss betroffenen Beschäftigten.

Inzwischen sind mehr als 60 Prozent der Ministeriumsarbeitsplätze in Berlin

In der parlamentarischen Sommerpause des Jahres 1999 zog der Bundestag nach Berlin um. Offizieller Arbeitsbeginn war der 1. September. Die erste Parlamentssitzung nach dem Umzug in das umgebaute Reichstagsgebäude fand am 4. Oktober statt. Die Bundesregierung nahm 1999 ebenfalls offiziell ihre Arbeit in Berlin auf. Ein Jahr später zog auch der Bundesrat nach Berlin.

Noch heute haben sechs von 14 Ministerien ihren ersten Dienstsitz in Bonn. Am Rhein sind
das Bundesministerium für Bildung und Forschung;
das Bundesministerium für Gesundheit;
das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft;
das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit;
das Bundesministerium der Verteidigung;
das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Alle anderen acht Bundesministerien befinden sich in Berlin. Die Bundesministerien, deren erster Dienstsitz Berlin ist, haben einen zweiten Sitz in Bonn.

Nach dem Berlin/Bonn-Gesetz sollten ursprünglich 60 Prozent der Arbeitsplätze in den Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleiben. Nur die Minister und einige wichtige Arbeitseinheiten sollten an die Spree umziehen. Inzwischen hat sich das Verhältnis umgekehrt: mehr als 60 Prozent der Ministeriumsarbeitsplätze befinden sich in Berlin.

Doppelstrukturen kosteten im Jahr 2018 fast neun Millionen Euro

Mit Stichtag 31. Juli 2019 sind nur noch 30 Prozent der Dienstposten aller Bundesministerien in Bonn angesiedelt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grünen), aus der am 30. August auch der General-Anzeiger Bonn zitierte, hervor. Demnach haben die Ministerien in Berlin 14.331 Stellen, während es am Rhein 6525 Stellen sind.

Selbst zwei der sechs Ministerien, die in Bonn ihren ersten Dienstsitz haben, beschäftigen in Berlin mehr Mitarbeiter: So hat das Verteidigungsministerium 1463 Stellen an der Spree und 1334 in Bonn; beim Gesundheitsministerium steht das Verhältnis bei 395 zu 333. Die geringste Zahl an Bonner Dienstposten haben Justizministerium (1), Bundeskanzleramt (19) und Finanzministerium (151).

Zu den aktuellen Zahlen der Verteilung der ministeriellen Arbeitsplätze zwischen Berlin und der Bundesstadt Bonn äußerte sich Dörner am 29. August zusammen mit dem FDP-Bundestagsabgeordneten Alexander Graf Lambsdorff (beide Wahlkreis Bonn) in einer gemeinsamen Presseerklärung. Darin heißt es unter anderem: „Die Rutschbahn nach Berlin setzt sich unvermindert fort. Zum 31. Juli diesen Jahres sind nur noch gut 30 Prozent der ministeriellen Arbeitsplätze in Bonn angesiedelt. Besonders alarmierend ist, dass sich über 90 Prozent aller neu geschaffenen Stellen in Berlin befinden. Die Formulierung im Koalitionsvertrag von Union und SPD, Bonn bleibe zweites bundespolitisches Zentrum, wird mehr und mehr zum Lippenbekenntnis.“

Die Bundesregierung beziffert die teilungsbedingten Kosten für das Jahr 2018 auf Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken mit 8,6 Millionen Euro, davon 6,2 Millionen für Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin. 2017 waren es 7,9 Millionen Euro gewesen.

Man darf auf den kommenden Dienstag und die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin gespannt sein. Wir werden das Thema wieder aufgreifen.

Redaktioneller NACHBRENNER

Die Hauptdienststelle des Bundesministeriums der Verteidigung hat ihren Sitz weiterhin in Bonn. Das hat das Verwaltungsgerichts Berlin in einem personalvertretungsrechtlichen Verfahren am heutigen Dienstag (10. September) entschieden.

Nach dem Berlin/Bonn–Gesetz aus dem Jahr 1994 und dem darauf beruhenden Beschluss der Bundesregierung befindet sich – wie wir es eingangs bereits beschrieben habe – der Dienstsitz des Verteidigungsministeriums in Bonn; ein weiterer Dienstsitz besteht in Berlin. Die Dienststelle in der Hauptstadt galt in personalvertretungsrechtlicher Sicht bislang als sogenannte Nebenstelle, bei der aufgrund eines Beschlusses der Beschäftigten in Berlin ein eigener Personalrat gewählt wurde.

Mit Blick auf die Wahlen zur Personalvertretung im nächsten Jahr wollte der Berliner Personalrat die Feststellung erreichen, dass Berlin inzwischen Hauptsitz der Dienststelle geworden ist und sich in Bonn nur eine Nebenstelle befindet.

Die 71. Kammer wies den Antrag des Personalrates zurück. Nach Auffassung der Kammer ist das Verwaltungsgericht Berlin zwar örtlich für die Entscheidung zuständig, weil sich auch in Berlin ein Dienstsitz befindet. Die Entscheidung, wo sich der Hauptsitz des BMVg befindet, obliege aber allein der Bundesregierung. Die Entscheidung über die Sitzfestlegung sei nach wie vor gültig und ausdrücklich für Rechts- und Verwaltungsvorschriften bestimmend, die an den Sitz der Behörde anknüpfen, so die Kammer. Eine lediglich faktische Verlagerung der Schwerpunkte oder der Beschäftigtenzahlen ändere daran nichts, solange der Dienstsitz in Bonn als Dienststelle im Sinne des Bundespersonalvertretungsrechts fortbestehe (Beschluss: VG 71 K 4.19 PVB).

Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.


Zu unseren zwei Aufnahmen:
1. Das Bundesministerium der Verteidigung – kurz BMVg – in Bonn. Das Luftbild vom 9. August 1994 zeigt den ersten Dienstsitz des Verteidigungsministers beziehungsweise der Verteidigungsministerin auf der Bonner Hardthöhe.
(Foto: Detmar Modes/Bundeswehr)

2. Sitzung des Deutschen Bundestages im Ersatzplenarsaal des Gebäudeensembles „Alte Wasserwerk“ in Bonn am 20. Juni 1991. Auf der Tagesordnung: die Abstimmung über die künftige Hauptstadt Deutschlands und damit auch über den neuen Regierungssitz. Die historische Aufnahme entstand unmittelbar nach Verkündung des Abstimmungsergebnisses durch die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten hatte sich für Berlin entschieden.
(Foto: Presse-Service Steponaitis/Deutscher Bundestag)


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