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Büchel/Berlin. „Steadfast Noon“ ist eine der wenigen multinationalen Übungen der NATO, über die nichts Offizielles zu erfahren ist. Sie wird von großer militärischer Geheimhaltung begleitet. Die Medien (wenn sie denn überhaupt berichten können) behelfen sich angesichts magerer Fakten mit reißerischen Schlagzeilen, Spekulation und teilweise auch Meinungsmache. So titelte die linke Tageszeitung junge Welt in der vergangenen Samstagsausgabe über „Steadfast Noon 2019“: „NATO probt für Atomkrieg“. Und: „Dabei stellt die Bundesrepublik Deutschland ihre Eignung als Komplize unter Beweis“. Die Bündnisübung, die am vergangenen Montag (14. Oktober) auf den beiden Luftwaffenstützpunkten Kleine Brogel in Belgien und Büchel in der Eifel begonnen hatte, wird von der NATO alljährlich durchgeführt. In Kleine Brogel und Büchel lagern die USA Atomwaffen. „Steadfast Noon“ dauerte bis Freitag (18. Oktober).

Nach dem Ende des amerikanisch-russischen INF-Vertrages über das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen am 2. August dieses Jahres ist wieder das Thema „Atombomben auf deutschem Boden“ in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

Der Abrüstungsvertrag, der am 8. Dezember 1987 von US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow unterzeichnet worden war, verbot landgestützte Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern. Die Vereinigten Staaten hatten das INF-Vertragswerk Anfang Februar 2019 zuerst gekündigt, kurz darauf dann Russland. Die USA behaupten weiterhin, Moskau habe mit einem neuen Mittelstreckensystem – russische Bezeichnung „Novator 9M729“, NATO-Code „SSC-8“ – gegen das Abkommen verstoßen. Der Kreml bestreitet dies und beteuert nach wie vor, die Reichweite des beanstandeten Raketensystems liege unter 500 Kilometern.

Die NATO steht hinter der amerikanischen Entscheidung, aus dem INF-Abkommen auszusteigen (INF = Intermediate Range Nuclear Forces). Der Nordatlantikrat, das oberste Beschlussgremium des Bündnisses, hatte dazu einstimmig ein acht Punkte umfassendes Dokument verabschiedet.

Bundesregierung verweigert Informationen mit Hinweis auf „das Staatswohl“

Das Thema „Atombomben in Deutschland“ beschäftigt die Öffentlichkeit und besonders die Bundesregierung derzeit auch noch aus einem anderen Grund: Weil die Tornado-Kampfflugzeuge der deutschen Luftwaffe ab 2025 ausgemustert werden sollen, braucht die Bundeswehr ein Nachfolge-Waffensystem, das auch Atomwaffenträger sein wird und von den USA für diese Rolle entsprechend zertifiziert ist. Auf der Luftwaffenbasis Büchel in Rheinland-Pfalz lagern etwa 20 Atombomben vom Typ B61, jede mit der mehrfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.

Angaben über die Anzahl der amerikanischen Nuklearwaffen, die in Europa lagern, stammen von Experten wie Hans M. Kristensen, dem Direktor der Initiative „Nuclear Information Project“ der Vereinigung amerikanischer Wissenschaftler (Federation of American Scientists, FAS).

Von offizieller Seite wird bis heute nicht einmal die Existenz eines Atomwaffendepots in Büchel bestätigt. So verweigerte die Bundesregierung zuletzt wieder am 12. September eine entsprechende Auskunft. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken zur „Nuklearen Teilhabe und Nutzung der Fliegerhorste Büchel und Nörvenich“ verwies sie auf die „verpflichtenden Geheimhaltungsregeln des Bündnisses“ und die „Informationen, die in besonders hohem Maße das Staatswohl berühren und daher selbst in eingestufter Form nicht beantwortet werden können“. Die Frage der Linken, ob Büchel ein Stationierungsort für US-Atomwaffen sei, blieb somit wieder einmal offen.

Übungsflüge der beteiligten Kampfflugzeuge ohne Nuklearwaffen

Da erstaunt schon, dass die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am Freitag doch einige Details über das Atomwaffenmanöver der NATO veröffentlichen konnte. Die Bundeswehr beteilige sich – so der Agenturbericht – an der geheimen Bündnisübung „Steadfast Noon“ mit Maschinen des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33. Die Kampfjets des Geschwaders vom Typ Panavia Tornado IDS (IDS = Interdiction Strike), stationiert auf dem Fliegerhorst Büchel, könnten im Ernstfall im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ in der NATO taktische US-Atomwaffen vom Typ B61 transportieren und im Zielgebiet abwerfen.

Weiter heißt es bei der dpa: „Nach Angaben von Militärexperten wird bei den regelmäßig stattfindenden ,Steadfast Noon‘-Manövern unter anderem geübt, wie man die US-Atomwaffen sicher aus unterirdischen Magazinen zu den Flugzeugen transportiert und unter die Kampfjets montiert. Bei Übungsflügen wird dann allerdings ohne Bomben geflogen. Nach im Internet veröffentlichten Fotos nehmen neben deutschen Jets in diesem Jahr unter anderem Kampfflugzeuge aus Italien an den Manövern teil. Sie starteten vom Militärflugplatz Volkel in den Niederlanden, wo wie in Büchel US-Atomwaffen lagern sollen.“

Kathrin Vogler, friedenspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, befasste sich in einer Pressemitteilung am Freitag mit „Steadfast Noon 2019“. Sie beklagte: „Es ist völlig wahnsinnig, was da gerade geschieht. Die USA üben mit der Bundeswehr sowie niederländischen, italienischen und polnischen Streitkräften, wie man einen Atomkrieg in Europa führt. Käme es dazu, würden Millionen Menschen sterben und kein Stein bliebe auf dem anderen. Es ist auch skandalös, dass die Bevölkerung nicht informiert wird.“

Austausch der alten B61-Atombomben gegen moderne Version B61-12

Nur drei der 29 NATO-Mitglieder besitzen eigene Atomsprengköpfe: die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich. Nukleare Teilhabe bedeutet vor diesem Hintergrund, dass die USA ihren Verbündeten im Verteidigungsfall Atombomben zur Verfügung stellen. Die Bündnispartner unterhalten dafür entsprechende Trägersysteme, in Büchel sind dies – wie bereits beschrieben – die Kampfjets vom Typ Tornado IDS. Neben Deutschland und Belgien sind auch Italien, die Niederlande und die Türkei in diese Zwei-Schlüssel-Vereinbarung eingebunden. Die Nutzung der amerikanischen Atomwaffen setzt immer die Zustimmung des US-Präsidenten voraus, die notwendigen Codes sind streng geheim.

Die in Büchel deponierten nuklearen Waffen der USA sollen in den nächsten Jahren modernisiert werden. Entgegen früheren Medienberichten ist jetzt die Stationierung von 20 neuen Atombomben des Typs B61-12 in Büchel erst ab dem kommenden Jahr vorgesehen. Bei der neuen Generation von Bomben handelt es sich um lenkbare Präzisionswaffen (siehe unseren Artikel vom September 2015).

Über die Kosten des „B61-Modernisierungsprogramms“ schrieb unlängst die Kampagne „Büchel ist überall – atomwaffenfrei.jetzt“ in einem Fachbeitrag: „Die National Nuclear Security Administration (NNSA), eine vom Kongress eingesetzte Behörde im US-Department of Energy, schätzt die Kosten [für dieses Programm] auf etwa zehn Milliarden plus 1,8 Milliarden US-Dollar für die Lenkflügelausstattung [der B61-12]. 2010 wurde noch mit vier Milliarden US-Dollar gerechnet. Es ist geplant, ab 2020 insgesamt etwa 400 Stück der B61-12 herzustellen. Umgerechnet kostet jede B61-12 etwa 25 Millionen US-Dollar. Damit diese neue Bombe produziert werden kann, müssen […] zuerst neue Fabriken gebaut. Dies kostet weitere zweistellige Milliardenbeträge. Gegen die neuen Fabriken gibt es in den USA regionalen Widerstand.“

Wie die NNSA am 24. September mitteilte, konnten im August auf dem Tonopah-Testgelände in Nevada drei Flugerprobungen mit der B61-12 erfolgreich abgeschlossen werden. Die Bomben enthielten dabei kein nukleares Material. Im kommenden Jahr nun soll das Waffensystem B61-12 mit einer F-16 einem finalen Test unterzogen werden, ehe die Auslieferung beginnt.

Arbeitspapier der Parlamentarischen Versammlung der NATO verrät Details

Mittlerweile ist es um das „bestgehütete offene Geheimnis der NATO“ ein wenig transparenter geworden. So berichtete am 16. Juli dieses Jahres die belgische Tageszeitung De Morgen über ein Papier aus dem Ausschuss „Sicherheit und Verteidigung“ der Parlamentarischen Versammlung der NATO, das sich mit einer „neuen Ära der nuklearen Abschreckung“ befasst. In dem Dokument, das anscheinend unbeabsichtigt in die Öffentlichkeit gelangt ist, sind die Stationierungsorte der amerikanischen A-Bomben aufgelistet: Kleine Brogel (Belgien), Büchel (Deutschland), Aviano und Ghedi (Italien), Volkel (Niederlande) und Inçirlik (Türkei).

Auch der deutschsprachige Belgische Rundfunk (BRF) berichtete am selben Tag über das Dokument, das bei der Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO Ende Mai in der slowakischen Hauptstadt Bratislava als Arbeitsgrundlage gedient hatte und später „irgendwie“ ins Internet geraten war.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat in der Vergangenheit keinen Hehl aus seinem Standpunkt hinsichtlich der amerikanischen Atomwaffen in Europa gemacht. Erst im Februar hatte er Deutschland und andere Bündnispartner gemahnt, ihre Beteiligung an US-Atomwaffen nicht aufzugeben. In einem Gespräch mit der Berliner Morgenpost hatte der Norweger erklärt: „Die nukleare Teilhabe ist wichtig für die NATO. Und ich dränge so viele Bündnispartner wie möglich, Teil dieser nuklearen Teilhabe zu sein.“ Das Ziel der NATO, so der Generalsekretär weiter, sei eine Welt ohne nukleare Waffen. Aber: „Die Welt wird nicht sicherer, wenn wir auf nukleare Waffen verzichten, während Russland, China und andere ihre Atomwaffenarsenale behalten oder sogar vergrößern.“


Zu unserem Bildmaterial:
1. Kampfjet vom Typ Tornado IDS aus Büchel, fotografiert am 14. Juli 2010.
(Foto: Tim Felce/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 2.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)

2. Am 16. Juli 2019 veröffentlichte die belgische Tageszeitung De Morgen Teile eines Berichts aus dem Ausschuss „Sicherheit und Verteidigung“ der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der ins Internet gelangt war und die Stationierungsorte amerikanischer Atomwaffen in Europa auflistete. Unsere Collage zeigt die Titelseite der Zeitung mit der Schlagzeile über die Kernwaffen in Kleine Brogel, darunter im Ausriss die entsprechende Seite aus dem NATO-Papier.
(Bildquelle: De Morgen; Bildmontage: mediakompakt)

3. Übersicht über die Anzahl und die Stationierungsorte der US-Atomwaffen in Europa. Die Informationen stammen von der Vereinigung amerikanischer Wissenschaftler (Federation of American Scientists, FAS), die ihren Sitz in Washington D.C. hat. Hinweis*: In der Grafik ist in der Spalte „Türkei“ unter „Trägerflugzeug“ noch kein Flugzeugtyp eingetragen. Ursprünglichen Planungen zufolge sollten einmal türkische F-35 als Atomwaffenträger zum Einsatz kommen. Nach der Entscheidung der Regierung Erdogan, das russische Raketenabwehrsystem S-400 zu kaufen, haben die USA die Türkei jedoch aus dem Programm „ Kampfjet F-35“ gestrichen.
Im Bildhintergrund zu sehen ist ein deutscher Panavia Tornado IDS, aufgenommen am 15. Juli 2009 auf dem britischen Luftwaffenstützpunkt Fairford in Gloucestershire, einer Grafschaft im Südwesten Englands.
(Foto: Aldo Bidini/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 – vollständiger Lizenztext:
https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:GNU_Free_Documentation_License,_version_1.2?uselang=de;
Infografik © FAS 2019; Lokalisierung mediakompakt 10.19)


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