Berlin. Der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe fordert die Bundesregierung auf, die Bundeswehr zur „stärksten konventionellen Streitmacht Europas“ zu machen. Dies sei die richtige Antwort auf das „hochgefährliche“ Ende des INF-Vertrags zur Begrenzung atomarer Mittelstreckenraketen, sagte Rühe im Interview für die Sonntagsausgabe (10. Februar) des Tagesspiegel. Der CDU-Politiker spricht sich zugleich gegen eine Stationierung neuer amerikanischer Raketen in Deutschland oder im übrigen Europa aus. Zur Abschreckung müsse die Regierung die Bundeswehr nun konventionell stärken.
Hart geht Rühe im Tagesspiegel-Interview mit seiner Partei und der Sicherheitspolitik der Union ins Gericht. Karl-Theodor zu Guttenberg von der Schwesterpartei CSU habe die Bundeswehr als Verteidigungsminister gar „zerstört. Die heftige Kritik an zu Guttenberg ist innerhalb weniger Tage die zweite Attacke eines ehemaligen Verteidigungsministers auf den Vorgänger beziehungsweise Nachfolger auf dem Chefsessel im BMVg. Kurz zuvor hatte sich Franz Josef Jung (CDU) über den Amtskollegen, der 2011 wegen der sogenannten „Plagiatsaffäre“ zurücktreten musste, geäußert (siehe hier).
Der Niedergang der Bundeswehr habe insgesamt mit dem Amtsantritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel 2005 begonnen, meinte Rühe. „In vielen Bereichen erkenne ich meine Partei nicht wieder. Am meisten bedrückt mich die Abwesenheit von erfahrenen Leuten in der Außen- und Sicherheitspolitik“, beklagte er weiter. Von der neuen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer sei in dieser Hinsicht nicht viel zu erwarten: „Ihr fehlt eindeutig die Erfahrung in diesen Bereichen.“ Deswegen habe er auch die Kandidatur von Friedrich Merz unterstützt.
Die Union sei früher einmal „die Bundeswehr-Partei gewesen“, erinnerte Rühe. Dies sei nicht mehr so. Die schwersten Fehler seien von 2005 an gemacht worden: die überstürzte Abschaffung der Wehrpflicht und die radikalen Sparmaßnahmen. Auch die Abschaffung des Planungsstabes unter dem damaligen Amtsinhaber Thomas de Maizière sei falsch gewesen und eine der Ursachen für das heutige Missmanagement, etwa beim Segelschulschiff „Gorch Fock“.
Um die Schlagkraft der Bundeswehr sicherzustellen, bedürfe es eines „Bundeswehr-Fähigkeitsgesetzes“, das die Aufgaben und Finanzierung bis zum Jahr 2030 definiere. Nur so bekomme die Truppe „Beständigkeit“, forderte Rühe schließlich in seinem Gespräch mit der Tagesspiegel-Redaktion.
Der gebürtige Hamburger Volker Rühe war von 1989 bis 1992 Generalsekretär der CDU. Am 1. April 1992 übernahm er unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl das Amt des Bundesministers der Verteidigung, das er bis zum 26. Oktober 1998 ausübte.
In Rühes Amtszeit fiel die strategische Neuausrichtung der Bundeswehr und der gesamten NATO nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Mit seinem Namen eng verbunden sind auch erste deutsche Beteiligungen an Missionen der Vereinten Nationen (VN) in Somalia und Kambodscha sowie die Beteiligung der Bundeswehr an Operationen im Rahmen der NATO und im VN-Auftrag während des Bosnienkrieges.
Dieses Engagement löste eine innenpolitische Diskussion über die Vereinbarkeit deutscher Militäreinsätze mit dem Grundgesetz aus, in der Rühe mit der CDU/CSU eine Verfassungsänderung mit der Festschreibung von Einsatzoptionen der Bundeswehr befürwortete. Das „Out of area“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 über die Auslandseinsätze der Bundeswehr schuf schließlich die Voraussetzungen, ohne Grundgesetzänderung deutsche Soldaten im Rahmen von VN- und NATO-Operationen einzusetzen. Während des Bosnienkrieges nahmen unsere Streitkräfte beispielsweise zunächst an Maßnahmen zur Luftraumüberwachung teil. Später folgten im Rahmen von IFOR und SFOR Einsätze zum Zwecke der Friedenssicherung auf dem Balkan.
Rühe leitet von April 2014 bis Juni 2015 in Berlin das vom Deutschen Bundestag eingesetzte Gremium „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“.
Unser Bild zeigt Volker Rühe, den Vorsitzenden der „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“. Die sogenannte „Rühe-Kommission“ tagte in Berlin insgesamt mehr als ein Jahr.
(Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag)
Kleines Beitragsbild: Der Vorsitzende der Parlamentskommission, Bundesminister a.D. Rühe. Die Kommission wurde am 10. April 2014 von Norbert Lammert, dem damaligen Bundestagspräsidenten, konstituiert. Stellvertretender Vorsitzender des Gremiums war der SPD-Politiker Walter Kolbow.
(Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag)
Warum haben sich die Ex-Verteidigungsminister Jung und Rühe nicht früher öffentlich geäußert???