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Hannover. Die AfD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag fordert, dass künftig auch freie Kapazitäten der deutschen Luftwaffe für Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber genutzt werden. Ihr am vergangenen Freitag (13. September) im Landesparlament in Hannover eingebrachter Antrag wurde einhellig von Politikern der Großen Koalition aus SPD und CDU wie auch von Bündnis 90/Die Grünen und FDP zurückgewiesen. Bereits vor Behandlung des Antrags im Landtag hatten Vertreter der anderen Fraktionen mit Empörung auf die AfD-Initiative reagiert.

Jens Ahrends, innenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, hatte bei seiner Rede am Freitag im Landtag geklagt, dass „nach Aussage der Landesregierung“ in Niedersachsen derzeit nur jede vierte Abschiebung gelinge. „Wenn die Landesregierung also in dem Tempo weitermacht, werden wir etwa 15 Jahre brauchen, nur um die heute in Niedersachsen lebenden ausreisepflichtigen Personen abzuschieben“, so das Szenario des AfD-Landtagsabgeordneten. Und: „Die ineffiziente bisherige Abschiebepraxis kostet die Steuerzahler jedes Jahr viele Millionen.“

Antragsteller wollen „gegebenenfalls notwendige Veränderung der Rechtslage“

Der frühere Berufsoffizier hatte im Landtagsplenum argumentiert, die Flexibilität bei Abschiebungen würde durch die Nutzung von freien Kapazitäten der Luftwaffe deutlich erhöht. Außerdem sei nicht zu erwarten, „dass die Kommandanten der Bundeswehrmaschinen sich weigerten, renitente ausreisepflichtige Migranten mitzunehmen“. „Von daher ist die Abschiebewahrscheinlichkeit deutlich höher“, schlussfolgerte Ahrends. Er forderte die Landesregierung auf, den „Antrag der AfD-Fraktion zu unterstützen und entsprechend zu handeln“.

In einer ebenfalls am Freitag erschienenen Presseerklärung der AfD wird Ahrends zudem zitiert: „Die deutsche Luftwaffe fliegt meist wöchentlich in Länder wie Afghanistan, den Irak oder nach Jordanien, und die Maschinen sind dabei nur selten bis auf den letzten Sitzplatz belegt. Diese ungenutzten Sitzplätze könnten über das Lufttransportkommando an die Ausländerbehörden der Bundesländer gemeldet werden und stünden somit als zusätzliche kostenfreie Kapazität für Abschiebeflüge zur Verfügung, insbesondere zum Transport sogenannter ,Dirty Protesters‘, also von Personen, die sich mittels Gewalt und manchmal unter auch unter Einsatz ihrer Körperflüssigkeiten und Fäkalien einem Flug widersetzten.“

In ihrem Antrag verlangt die AfD schließlich vom Landtag, er möge die Landesregierung auffordern, „sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass freie Kontingente bei routinemäßigen Flügen [der Bundeswehr] in die Heimatländer abzuschiebender Personen genutzt werden“. Zweitens: „Sich für eine gegebenenfalls notwendige Veränderung der Rechtslage einzusetzen, um die Nutzung von Bundeswehrflügen zu Abschiebezwecken möglich zu machen“.

Zahlreiche kaum oder nicht lösbare rechtliche Fragen

Der CDU-Politiker Rainer Fredermann machte in seiner Erwiderung auf Ahrends deutlich, dass nicht allein aus rechtlichen, sondern auch aus historischen Gründen eine Militarisierung von Polizeiaufgaben unbedingt verhindert werden müsse. In seiner Rede, die dem bundeswehr-journal vorliegt, erläuterte Fredermann noch einmal die Zuständigkeitsverteilung bei Abschiebungen sowie die Voraussetzungen zur Amtshilfe der Bundeswehr bei Abschiebungen durch Bereitstellung von Transportflugzeugen und Luftfahrzeugführern. Er wies in diesem Zusammenhang auf den Artikel 35 Abs. 1 des Grundgesetzes hin, nach dem alle Behörden des Bundes und der Länder zu gegenseitiger Amts- und Rechtshilfe verpflichtet seien. Auch die Bundeswehr. Es gebe jedoch besondere Voraussetzungen bei Amtshilfe durch die Bundeswehr, so Fredermann. „Die Bundeswehr darf lediglich Amtshilfe leisten, aber keine hoheitlichen Aufgaben erfüllen. Und der Transport von Flüchtlingen geht für viele Juristen über die Amtshilfe hinaus.“

Zudem wäre der Antrag der AfD dann erst „überhaupt diskutabel“, wenn die Bundeswehr ausschließlich technische Unterstützung bei einer Abschiebung leisten würde. Insgesamt werfe der Antrag aber zahlreiche rechtliche Fragen auf, die „nicht oder nur schwer in den Griff zu bekommen“ seien, sagte Fredermann bei der Debatte im Landtag. Er könne sich zudem nicht des Eindrucks erwehren, als würden die Antragsteller die grundgesetzrechtlichen Probleme auch sehen und deshalb eine Grundgesetzänderung im Sinn haben. Der Unionspolitiker, der unter anderem Beauftragter seiner Landtagsfraktion für Fragen der Bundeswehr ist, versicherte abschließend: „Von der CDU-Fraktion wird es keine Unterstützung für eine Initiative zur Grundgesetzänderung geben.“

Unter dem Deckmäntelchen eines scheinbaren Pragmatismus

Zu Beginn seiner Ausführungen hatte der Vertreter der CDU der AfD auch vorgeworfen, sie produziere bewusst Bilder und wolle so „mit diesem Kopfkino Politik machen“. Fredermann hatte gewarnt: „Zum einen soll den Menschen im Ausland deutlich gemacht werden, dass sie, wenn sie unberechtigt zu uns kommen, vom Militär zurückgebracht werden. Zum anderen soll es den Menschen in Deutschland zeigen, die Antragstellerin ist die, die Härte zeigt und dafür auch bereit ist, die Bundeswehr einzusetzen. Dass es keinen rechtlichen Rahmen gibt und mit Sicherheit auch nicht konstruiert werden kann, spielt hierbei gar keine Rolle.“

Der SPD-Landtagsabgeordnete Karsten Becker ging später in seiner Bewertung des AfD-Antrags sogar noch einen Schritt weiter. Er zürnte: „Mit dem Abtransport von Migranten durch die Bundeswehr will die AfD unter dem Deckmäntelchen eines scheinbaren Pragmatismus propagieren, dass von Menschen anderer Hautfarbe, Kultur oder Religion eine prinzipielle Gefährlichkeit ausgeht.“

Eine Vereinnahmung und Beleidigung von Bundeswehrangehörigen

Der innenpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag Marco Genthe äußerte sich gegenüber dem bundeswehr-journal wie folgt: „Abschiebungen durchzuführen gehört weder zu den Aufgaben der Bundeswehr, noch haben die Soldaten die dazu notwendige Ausbildung. Bei den von der AfD angesprochenen Flügen handelt es sich zudem um NATO-Flüge und nicht um Bundeswehr-Flüge. Von diesen organisatorischen Problemen einmal abgesehen, geht die Forderung jedoch schlicht am Thema vorbei, denn Abschiebungen scheitern in der Regel nicht an den Flügen, sondern bereits deutlich vor dem Moment, an dem ein Migrant die Gangway betritt. Nötig sind deshalb keine zusätzlichen Flüge, sondern deutlich schnellere und effektivere Verfahren.“

Belit Onay, innen- und migrationspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Niedersachsen, übersandte uns zum Entschließungsantrag der AfD folgendes Statement: „Abschiebungen scheitern im Wesentlichen nicht an abgebrochenen Abschiebungsflügen oder zu laschen Gesetzen. In der Regel verhindern tatsächliche oder rechtliche Abschiebungshindernisse diese Flüge. Zum Beispiel stehen Gefahren für Leib und Leben als Folge von Verfolgung sowie Krisensituationen in den Zielstaaten oder mangelnde Aufnahmebereitschaft der jeweiligen Herkunftsstaaten im Wege. Es ist darum politischer Unfug, die Abschiebungszahlen über ein rigoroseres Vorgehen in der Abschiebungspraxis erhöhen zu wollen.“

Die AfD tue mit ihrem Antrag so, als ob Bundeswehrangehörige aufgrund blinden Gehorsams und mangels Zivilcourage weniger Abschiebungsflüge abbrechen würde als zivile Piloten. Dies sei eine Vereinnahmung und Beleidigung der Soldaten, rügte Onay.

Der Transport von Abzuschiebenden gehöre sicherlich nicht zum Auftrag der Bundeswehr, so der Landtagsabgeordnete der Grünen. Vielmehr seien die Hürden für den Einsatz der Streitkräfte im Innern im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgrund historischer Erfahrungen glücklicherweise hoch angesetzt und stünden klar den Plänen der AfD entgegen.

Eine völlig andere Situation sei es hingegen gewesen, als die Bundeswehr in den Zeiten stark erhöhter Flüchtlingszuwanderung nach 2015 zahlreichen Hilfsanträgen der Länder und Kommunen nachgekommen sei und Unterbringungsplätze bereitgestellt, Mahlzeiten ausgeliefert und Asylsuchende transportiert habe. Onay: „Für diese humanitäre Hilfe sind wir den Bundeswehrangehörigen sehr dankbar.“

Das Statement des Politikers fasst zusammen und schließt mit den Hinweisen: „Ganz konkret sind Abschiebungen durch die Bundeswehr für uns Grüne nicht verantwortbar. Die Sicherheit der Truppe und der ungestörte Ablauf der Versorgungsflüge stehen auf dem Spiel. Es ist zudem ein inakzeptables Sicherheitsrisiko, abzuschiebenden Personen in Bundeswehr-Flugzeugen und auf Bundeswehr-Stützpunkten Einsichten in sicherheitsrelevante Abläufe und Lokalitäten zu gewähren.“

Der Einsatz der Bundeswehr beziehungsweise der Luftwaffe bei Abschiebungen ist bei der AfD übrigens kein neues Thema. So hatte die AfD-Bundespolitikerin Alice Weidel bereits im August 2017 in ihrer Pressemitteilung „Abschiebungen durchsetzen“ gefordert: „Die Bundesregierung verfügt in Form der Bundeswehr über in Sicherheitsfragen bestens ausgebildetes Personal, das auch noch die notwendige Infrastruktur mitbringt, um diese Aufgaben [der Abschiebung] zu übernehmen.“


Zu unseren beiden Symbolfotos:
1. Blick auf das Cockpit des Airbus A400M. Die Aufnahme wurde am 9. Juni 2018 – am „Tag der Bundeswehr“ – auf dem Fliegerhorst Wunstorf gemacht.
(Foto: Tim Rademacher/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 4.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)

2. Blick in den Plenarsaal des Niedersächsischen Landtags. Hier wurde auch am 13. September 2019 über den AfD-Antrag „Nutzung von Kapazitäten der Bundeswehr zur Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger Migranten“ (vom 2. September 2019; Drucksache 18/4479) abgestimmt.
(Foto: Tom Figiel/Landtag Niedersachsen)


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