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Freiburg im Breisgau. „Als Zivilist muss man sich bewusst machen, dass im militärischen Milieu alles ein Stück weit nach rechts versetzt ist. Was im Militär als konservativ angesehen wird, ist aus Sicht der Zivilgesellschaft rechtsradikal. Wenn man das begriffen hat, kann man manche Vorgänge in der Bundeswehr besser verstehen.“ Dies sagt einer, der als ehemaliger Zeitsoldat und als Reserveoffizier des Heeres die Innenansicht der Truppe kennt. Einer, der fast 25 Jahre als Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr in Freiburg tätig war und sich in seiner Forschung stets intensiv mit der politischen Rolle der deutschen Streitkräfte vom Kaiserreich bis in die Gegenwart befasst hat. Wir sprechen von Wolfram Wette, Militärhistoriker und Friedensforscher, Professor am Historischen Seminar der Universität Freiburg. Er äußerte sich vor wenigen Tagen erst wieder in einem Interview der Badischen Zeitung zu der immer wiederkehrenden Frage „Gibt es in der Bundeswehr einen braunen Sumpf?“ …

Dieser Frage wird Wolfram Wette mit Sicherheit auch am kommenden Donnerstag (11. Januar) begegnen, wenn er in der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität zum Thema „Rechtsradikale bei der Bundeswehr: Im Geiste der Freikorps“ sprechen wird. Der Vortrag mit anschließender Diskussion findet statt im Rahmen der Vortragsreihe „Tacheles“. Veranstalter sind die Humanistische Union Baden-Württemberg und das Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Freiburg in Kooperation mit dem Arbeitskreis Kritischer Juristen und Juristinnen (AKJ).

Aktueller Aufhänger für Wettes Vortrag ist – wen wundert es – der Fall des 28 Jahre alten Bundeswehr-Oberleutnants Franco Hans A., der am 4. Dezember von der Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main angeklagt wurde.

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

Franco A. sei unter anderem „hinreichend verdächtig, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben“, so die Bundesanwaltschaft. Der Soldat habe „aus einer völkisch-nationalistischen Gesinnung heraus zu einem unbekannten Zeitpunkt einen Anschlag auf das Leben hochrangiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens, die sich für ihr aus Sicht des Angeschuldigten flüchtlingsfreundliches Engagement besonders auszeichnen“, geplant. Den Ermittlungen zufolge wollte der Angeschuldigte bei einem Anschlag den Verdacht auf Flüchtlinge lenken; er hatte sich deshalb unter falscher Identität selbst als Asylsuchender aus Syrien registrieren lassen.

Militärhistoriker Wette nahm in seinem Interview mit der Badischen Zeitung auch zum Fall Franco A. Stellung. Er erklärte: „Immer, wenn so etwas passiert, wird vom Einzelfall gesprochen. Das teilt die Bundeswehr mit anderen großen Organisationen wie der Kirche oder den Gewerkschaften. Im Fall der Bundeswehr ist es vermutlich auch so. Der Fall Franco A. ist singulär. Was wichtiger ist, ist das Umfeld. Der Kommandeur der französischen Militärakademie Saint-Cyr, an der der Heeresoffizier seine Masterarbeit eingereicht hatte, hat diese als rechtsextrem und rassistisch bewertet.“ Danach sei der Bundeswehr dringend empfohlen worden, den Verfasser der Arbeit aus dem Dienst zu entlassen. Die deutsche Seite habe jedoch abgewiegelt und Franco A. zum Berufsoffizier befördert. „Das ist das eigentlich Bedenkliche“, klagte Wetter.

Viele Jahre am Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr

Wolfram Wette, Jahrgang 1940, geboren in Ludwigshafen am Rhein, diente nach seinem Abitur in Geislingen als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr. Dort trug er von 1959 bis 1965 die Waffenfarbe der Fernmeldetruppe, sein letzter Dienstgrad war Hauptmann der Reserve des Heeres.

Nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr studierte Wette in München bei den Professoren Hans Maier und Nikolaus Lobkowicz Geschichte, Politikwissenschaften und Philosophie. Er promovierte 1971 mit einer Arbeit zu den Kriegstheorien deutscher Sozialisten. Von 1971 bis 1995 arbeitete er als Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg im Breisgau. 1990 habilitierte er sich an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit einer Studie über den SPD-Politiker Gustav Noske, den ersten Reichswehrminister der Weimarer Republik.

Seit 1998 ist Wette, einer der Mitbegründer des Arbeitskreises „Historische Friedensforschung“, als Professor für Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Freiburger Universität tätig.

Haben unsere Streitkräfte ein strukturelles Problem mit rechtem Gedankengut?

Am 12. Mai vergangenen Jahres hatte die Wochenzeitung DIE ZEIT einen lesenswerten Beitrag von Wolfram Wette zu „Franco A. und die anderen“ veröffentlicht. Bereits die Unterzeile verrät uns den zeitgeschichtlichen Schwerpunkt der damaligen Arbeit: „In der Bundeswehr existiert ein strukturelles Problem mit rechtem Gedankengut – die Pläne von Franco A. erinnern an die Freikorps-Offiziere der Weimarer Republik.“

Dazu Historiker Wette: „Wer in der Geschichte des deutschen Militärs nach möglichen historischen Vorbildern der potenziellen Terroristen in der Uniform der Bundeswehr sucht, wird […] fündig bei den rechtsradikalen Freikorps-Offizieren der frühen 1920er-Jahre. In den damaligen Nachkriegswirren überließen sie es nicht den politischen Parteien und den Institutionen der jungen Weimarer Republik, die Politik zu gestalten. Sie maßten sich an, selbst den Weg zu bestimmen, den Deutschland nehmen sollte – und ermordeten missliebige Persönlichkeiten, die sie als ,Feinde im Innern‘ betrachteten.“

Wette schildert in seinem damaligen ZEIT-Beitrag auch die Geschichte des KSK-Hauptmanns (KSK: Kommando Spezialkräfte) Daniel K., der sich am 28. Juli 2007 aus der Deckung gewagt und wahre Gesinnung offenbart hatte. K. hatte an diesem Samstagnachmittag eine E-Mail an den Oberstleutnant Jürgen Rose gesandt. Der ranghöhere Offizier diente zu jener Zeit beim Wehrbereichskommando IV in München und war einer der Sprecher der kritischen Soldatenorganisation „Darmstädter Signal“, die der Friedensbewegung nahesteht.

„Sie werden beobachtet von Offizieren einer neuen Generation“

2007 hatte Rose aus Gewissensgründen seine Beteiligung am Tornado-Einsatz im Süden Afghanistans, den er für völkerrechtswidrig hielt, verweigert. Dass er sich mit dieser Haltung bei den Kameraden nicht nur Freunde machte, war ihm bekannt.

Dann erreichte ihn die Mail des „Elitesoldaten“ aus Calw, der mit seinem vollen Namen „Kaufhold“ unterzeichnet hatte. Wette zitierte in der ZEIT aus dieser Mail, die Jahre zuvor – 2008 – erstmals bereits vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel dokumentiert worden war. In der Kaufhold-Mail an Oberstleutnant Rose hieß es unter anderem: „Ich beurteile Sie als Feind im Innern und werde mein Handeln danach ausrichten, diesen Feind im Schwerpunkt zu zerschlagen.“

Das, so Militärhistoriker Wette in seinem ZEIT-Beitrag, entspreche exakt dem Ton der rechtsradikalen Freikorpskämpfer aus den frühen Jahren der Weimarer Republik, die später durchweg bei der NSDAP und der SS untergekommen seien. Kaufhold drohte seinem „Kameraden“ außerdem: „Sie werden beobachtet, nein, nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht.“

Mit einer „einfachen Disziplinarmaßnahme“ den Fall zu den Akten gelegt

Empfänger Rose hatte 2007 unmittelbar nach dem Erhalt der Hass- und Droh-Mail förmlich Beschwerde eingelegt. Was ist daraus geworden? Wir zitieren aus dem damaligen Spiegel-Beitrag: „Was nun über Monate folgt, empfindet [Rose] als einen Kampf gegen Windmühlen. ,Natürlich habe ich auf den möglichen extremistischen Hintergrund hingewiesen und um disziplinarische Ermittlungen gebeten‘, sagt Rose. Nach wenigen Tagen erhält der Offizier die Nachricht, alles sei erledigt, der Fall abgeschlossen: Gegen Daniel K. sei ,eine einfache Disziplinarmaßnahme‘ verhängt worden. Worin die besteht, wird – formal korrekt – nicht erwähnt. Rose vermutet einen Verweis in der Personalakte des Hauptmanns. Das Truppengericht ist jedenfalls nicht eingeschaltet worden.“

Die unangemessen lasche Behandlung des auch heute noch verstörenden Falles „des KSK-Hauptmanns Daniel Kaufhold“ hatte damals die Bundestagsfraktion der Linken zu einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung animiert. Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen und weitere Abgeordnete hatten dazu der Regierung am 10. April unter dem Arbeitstitel „Rechtsextrem motivierte Gewaltdrohungen eines KSK-Hauptmanns gegen einen Angehörigen des ,Darmstädter Signals‘“ 18 Einzelfragen zukommen lassen.

Die Antwort vom 28. April 2008 fühlt sich auch heute noch wie der „falsche Film“ an, in den man im Leben schon mal geraten kann. Die Regierung schrieb: „Die Prüfung der in Rede stehenden E-Mail im August 2007 hat keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen rechtsextremistischer Bestrebungen ergeben.“ Punktum! Auf die Frage „Sieht sich die Bundesregierung veranlasst, intensiver als bisher gegen rechtsextreme Auffassungen und Organisationsansätze in der Bundeswehr und insbesondere im KSK vorzugehen, und wenn ja, welche Maßnahmen will sie hierzu ergreifen?“ lautet die lapidare Auskunft: „Die Bundesregierung sieht sich hierzu nicht veranlasst.“ Und: „Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass innerhalb des Truppenteils Kommando Spezialkräfte eine Gruppe von Offizieren oder anderer Soldaten besteht, von der rechtsextremistische Bestrebungen ausgehen beziehungsweise die sich an solchen Bestrebungen beteiligt.“

Vorgehensweise „mit dem Konzept vom Staatsbürger in Uniform unvereinbar“

Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke kommentierte die Antworten der Bundesregierung in einer Pressemitteilung am 1. Mai 2008 so: „Die Bundesregierung duldet rechten Korpsgeist weiterhin im Kommando Spezialkräfte.“ Der Verfasser der rechtsextremen Hass-Mail an den kritischen Bundeswehroffizier Jürgen Rose könne nach wie vor im KSK dienen. Auch sei davon auszugehen, dass der beschuldigte Soldat auch weiterhin für Auslandseinsätze vorgesehen sei und in der Ausbildung für andere Soldaten eingesetzt werde. Denn die Bundesregierung habe ja darauf hingewiesen, dass die gegen Kaufhold verhängte einfache Disziplinarmaßnahme „der Förderung eines im Übrigen bewährten Soldaten“ nicht entgegenstehe. Jelpke erzürnt: „Nach dem Motto ,Schwamm drüber‘ soll im KSK alles beim Image als extrem rechtslastige Rambo-Truppe bleiben. Das ist mit dem Konzept vom Staatsbürger in Uniform unvereinbar.“

In seinem gut neun Jahre später erschienenen Aufsatz „Franco A. und die anderen“ urteilte ZEIT-Autor Wette: „[Es] überrascht, dass die Vorgesetzten [den Fall Kaufhold] niedrig hängten und den durchgeknallten Freikorps-Adepten mit einer geringfügigen Disziplinarmaßnahme mehr deckten als bestraften, ihn also mehr oder minder gewähren ließen.“ Großes Unbehagen bereite die Vorstellung, Offiziere wie dieser KSK-Hauptmann oder der potenzielle Terrorist Oberleutnant Franco K. könnten an einem Einsatz der Bundeswehr im Innern beteiligt sein. Beide sähen sich unzähligen „inneren Feinden“ gegenüber, die nach ihrer rassistischen, fremdenfeindlichen und aggressiven Einstellung bekämpft werden müssten. „Mit solchen Rechtsextremisten und jenen Nationalkonservativen, die sie verharmlosen, hat die Bundeswehr wahrlich ein strukturelles Problem“, warnt Wette.

Man darf auf seinen Vortrag am Donnerstag in der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität wirklich sehr gespannt sein …


Randnotiz                                  

„Rechtsradikale bei der Bundeswehr: Im Geiste der Freikorps“, Vortrag von Professor Dr. Wolfram Wette mit anschließender Diskussion. Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 11. Januar 2018, statt. Beginn: 20:15 Uhr. Ort: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Kollegiengebäude I/KG I (Platz der Universität 3, 79098 Freiburg im Breisgau), Hörsaal 1009.
Militärhistoriker Wette spricht im Rahmen der Vortragsreihe „Tacheles“. Veranstalter von „Tacheles“ sind die Humanistische Union Baden-Württemberg und das Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Freiburg in Kooperation mit dem Arbeitskreis Kritischer Juristen und Juristinnen (AKJ).
Alle Angaben ohne Gewähr.


Zu unserem Bildlauf:
1. Kollegiengebäude I der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau; die Aufnahme stammt vom 15. Juni 2005.
(Foto: Chalco/Wikipedia/)

2. Porträtbild von Professor Dr. Wolfram Wette, daneben die Ankündigung zur Vortragsveranstaltung „Rechtsradikale bei der Bundeswehr: Im Geiste der Freikorps“ in der Freiburger Universität am 11. Januar 2018.
(Foto: Thomas Kunz/Foto Freiburg/unter CC BY-SA 2.0 DE – vollständiger Lizenztext:
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/legalcode; Bildmontage mediakompakt)

3. Am 22. März 2008 berichtete Ulrike Demmer in ihrem Spiegel-Beitrag „Feind im Inneren“ über die Hass-Mail des Hauptmanns vom Kommando Spezialkräfte an Oberstleutnant Jürgen Rose und die unverständliche Reaktion der Bundeswehrführung darauf.
(Bildquelle: Seitenausriss Magazin Der Spiegel, Ausgabe 13/2008, Beitrag „Feind im Inneren“ von Ulrike Demmer; grafische Bearbeitung: mediakompakt)

Kleines Beitragsbild: Wolfram Wette gilt als ausgewiesener Kenner der historischen Epoche der Weimarer Republik (1918 bis 1933) und den militärhistorischen Ereignissen im Zusammenhang mit den damaligen Freikorps und der später folgenden Reichswehr. 1987 erschien die Noske-Biographie des Freiburger Historikers (Wolfram Wette: „Gustav Noske. Eine politische Biographie“, herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt; Droste Verlag, Düsseldorf). Der Sozialdemokrat Gustav Noske war erster Reichswehrminister im nachkaiserlichen Deutschland. Er leitete unter den starken Einschränkungen des Versailler Vertrages den Aufbau der damaligen Reichswehr. Unsere zeitgeschichtliche Aufnahme zeigt Noske im Januar 1919 in Berlin bei der Besichtigung des konterrevolutionären Freikorps „Hülsen“.
(Bild: Bild 183-R27092, Bundesarchiv/unter Lizenz CC BY-SA 3.0 DE – vollständiger Lizenztext:
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode)


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