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Berlin/Tel Aviv (Israel). Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins „Report Mainz“ sind Planungen für eine Bewaffnung neuer Bundeswehr-Drohnen deutlich weiter vorangeschritten, als bisher bekannt. Das geht aus dem Vertrag für die Beschaffung des unbemannten Luftfahrzeugsystems (Unmanned Aircraft System, UAS) Heron TP hervor, der „Report Mainz“ nach Angaben des Senders „exklusiv“ vorliegt. Über Einzelheiten berichtete das Magazin am gestrigen Dienstag (6. November) in einem Beitrag um 21:45 Uhr im Ersten. „Drohnen für die Bundeswehr“ wird in dieser Woche mehrfach wiederholt.

In dem Vertrag werden „Report Mainz“ zufolge bereits konkrete Schritte für die Bewaffnung der G-Heron TP fixiert (Anm.: das „G“ steht für „German“). So seien dort unter anderem die Anpassung und der Einbau der Munition für die deutsche Version des aus Israel stammenden UAS vereinbart. Darüber hinaus auch die taktische Ausbildung der Bundeswehrsoldaten an dem bewaffneten System. Außerdem würden sehr konkrete Anforderungen für bewaffnete Einsätze formuliert, berichtet das Magazin.

Eine Überbrückungslösung für fast 900 Millionen Euro

Blenden wir zurück zum 13. Juni dieses Jahres. An diesem Mittwoch stimmten der Verteidigungs- und der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages einer erstmaligen Anschaffung von bewaffnungsfähigen Drohnen des Typs Heron TP zu. Das unbemannte Luftfahrzeugsystem wird von Israel Aerospace Industries (IAI) produziert. Angeschafft werden sollen fünf Heron-Systeme, hinzu kommen die entsprechenden Dienstleistungen. Kosten des Auftrags: knapp 900 Millionen Euro – für die Anmietung der Fluggeräte als Überbrückungslösung bis zum Entwicklungsabschluss einer europäischen Kampfdrohne.

Die parlamentarische Entscheidung im Sommer war begleitet von zahlreichen warnenden Stimmen. So befürchtet beispielsweise die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW): „Das Leasing der Heron TP könnte die Koalitionspartner in Zugzwang bringen, die Waffenfähigkeit des bereits angeschafften teuren Drohnensystems auch zu nutzen.“ Die IPPNW fordert wie andere gesellschaftliche Friedensgruppierungen auch eine parlamentarische Debatte unter Einbeziehung von Experten und der Zivilgesellschaft „über die Legalität, über ethische Fragen sowie über die humanitären Folgen eines Einsatzes von Kampfdrohnen“ (zur Drohnen-Grundsatzdebatte siehe unseren Beitrag aus dem Jahr 2014).

Anforderungsprofil beschreibt detaillierte Einsatzszenarien

Im Zusammenhang mit dem Großauftrag hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stets zu Protokoll gegeben, dass es sich bei der G-Heron TP von IAI nicht um eine bewaffnete Drohne handele. Die Entscheidung zur Bewaffnung würde erst getroffen, nachdem eine breite gesellschaftliche Debatte stattgefunden habe. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Auch die vertrauliche Vorlage des Finanzministeriums an den Haushaltsausschuss vom Sommer dieses Jahres versichert: „Die Herstellung der vollumfänglichen Bewaffnungsfähigkeit, die eine taktische Waffenausbildung des Bedienpersonals voraussetzt sowie eine Munitionsbeschaffung, sind nicht beauftragt.“

Nun schlägt das Politikmagazin der ARD Alarm. „Report Mainz“ enthüllt: „In dem als vertraulich eingestuften Vertrag zwischen dem Verteidigungsministerium und Airbus werden im Anforderungsprofil für die Drohnen detaillierte Einsatzszenarien beschrieben. So heißt es zum Beispiel, die G-Heron TP müsse in der Lage sein, die ,identifizierten Bodenziele mit vom RPA (Anm.: RPA = Remotely Piloted Aircraft/unbemanntes, ferngesteuertes Luftfahrzeug) mitgeführter SP zu bekämpfen‘. SP ist die im Vertrag verwendete Abkürzung für ,Special Payload‘ – gemeint ist damit Munition.“

Weiter zitiert „Report Mainz“ aus dem brisanten Papier: „Außerdem müsse die Heron TP laut Vertrag in der Lage sein, mindestens einmal am Tag die ,präzise Bekämpfung von mindestens zwei leichtgepanzerten (ungepanzerten) Fahrzeugen oder weichen (Personen)-Zielen nacheinander in einer Mission‘ leisten zu können.“

Die Linke spricht von „bewusster Täuschung der Öffentlichkeit“

Der Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger (Die Linke) sagt gegenüber „Report Mainz“: „Die Öffentlichkeit wird an dem Punkt konkret getäuscht, weil die Beschaffungsentscheidung, die gefällt wurde, als ,bewaffnungsfähige Drohne‘ beschrieben wurde. Es geht nicht um den Schutz von Truppen, sondern es geht um den Abschuss von Fahrzeugen und Personen. Das Problem ist, dass die Öffentlichkeit darüber nicht wirklich in Kenntnis gesetzt wird, weil im Grunde genommen klar ist: Man hat jetzt das Ziel, eine bewaffnete Drohne anzuschaffen und mit der vor allem in Mali oder in Afghanistan zu agieren.“

Die für den Beitrag „Drohnen für die Bundeswehr“ Verantwortlichen weisen auch auf zwei Bestandteile des ihnen vorliegenden Vertrages hin, die deutlich den inzwischen eingeschlagenen Weg belegen.

Da ist zum einen eine von einer „eventuell erforderlichen Modifikation von Präzisionsmunition“ die Rede, um „den Bestimmungen der Bundeswehr zu entsprechen“. Wie „Report Mainz“ ausführt, wird in der Vereinbarung mit dem israelischen Verteidigungsministerium ein sehr detaillierter Integrationsprozess der Munition in das Gesamtsystem beschrieben bis hin zum Test mit scharfer Bewaffnung. Im Vertrag sei zudem die Anschaffung von bis zu 17 Präzisionsraketen optioniert, so das ARD-Redaktionsteam. Für die Herstellung dieser sogenannten „technischen Bewaffnungsfähigkeit“ habe das Verteidigungsministerium rund 51 Millionen US-Dollar angesetzt, obwohl der Aspekt der Bewaffnung vom Parlament eigentlich noch gar nicht beschlossen sei.

Trainingsflüge für spätere bewaffnete Einsätze bereits jetzt eingeplant?

Auf Anfrage von „Report Mainz“ verweist das Haus von Ministerin von der Leyen darauf, dass die Vereinbarungen nur eine „technische Fähigkeit zur Bewaffnung“ darstellten. Zu verstehen seien darunter Maßnahmen, „die zur Zertifizierung der Bewaffnung und zur Qualifikation der Munition beitragen“, erklärte das Ministerium.

Tobias Lindner von Bündnis 90/Die Grünen kritisiert vor dem Hintergrund der „Report Mainz“-Recherchen die Verteidigungsministerin. Der Parlamentarier empört sich: „Die ganze Beschaffung – das sieht man – ist ausgelegt auf Bewaffnungsfähigkeit. Sonst würde man nicht 50 Millionen Euro jetzt für die Zertifizierung des Systems im Hinblick auf diese Eigenschaft ausgeben. Das ist unverantwortlich, wenn es um Geld geht, und das ist unverantwortlich auch, wenn es um Moral geht.“

„Report Mainz“ ist in dem vertraulichen Vertragswerk auch noch auf einen anderen entlarvenden Punkt gestoßen. So soll zwischen Airbus und dem Verteidigungsministerium die „Durchführung von Flügen im Rahmen von Training und Ausbildung inklusive Trainingsflüge zum SP-Einsatz (innerhalb spezieller Luft/Bodenschießplätze)“ bereitgestellt werden – also Trainingsflüge für spätere bewaffnete Einsätze.

In der ministeriellen Stellungnahme für die Mainzer wird argumentiert: „Weitere Zwischenschritte mit Blick auf einen potenziellen Einsatz von bewaffneten G-Heron TP wären die Ausbildung des Personals und die Beschaffung entsprechender Munition. Die parlamentarische Billigung hierzu steht aus. Somit kann zukünftig – nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung – über die Beschaffung der Munition sowie die dazugehörige Ausbildung von Personal gesondert entschieden werden.“

Heron TP der Bundeswehr soll offenbar nicht im deutschen Luftraum fliegen

Nach den Erkenntnissen von „Report Mainz“ wird die G-Heron TP übrigens – anders als ursprünglich vorgesehen – nie in Deutschland fliegen. Das Magazin nennt den Grund dafür: „Ursprünglich vorgesehene Systemkomponenten, die einen Betrieb unter hiesigen Wetterbedingungen ermöglicht hätten, sollen nun doch nicht mehr eingebaut werden. So wird zum Beispiel der ursprünglich geplante Blitzschutz für das Flugzeug nicht mehr eingebaut.“ Erstmals habe das Verteidigungsministerium bestätigt, so „Report Mainz“: „Die nachträgliche Integration eines Blitzschutzes wäre aus unserer Sicht mit einem unverhältnismäßig hohen Entwicklungsaufwand verbunden.“

Über die Veränderung in der geplanten Zulassung sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD Fritz Felgentreu auf Nachfrage: „Da die G-Heron TP ohnehin in Deutschland nicht eingesetzt werden soll, dient es der Beschleunigung des Beschaffungsvorganges, wenn wir auf ein Zulassungsverfahren für den deutschen Luftraum zum gegenwärtigen Zeitraum ganz verzichten.“

Aus Sicht der Opposition erinnern die Schwierigkeiten bei der Zulassung an das Drohnendebakel um den Euro Hawk. Auch diese Drohne scheiterte letztendlich an den entsprechenden Auflagen. Dazu Grünen-Politiker Lindner: „Da sind 750 Millionen Euro Steuergeld versenkt worden und hätten Herrn de Maizière fast das Amt gekostet. Jetzt bei der G-Heron TP löst man das Problem nicht, man mogelt sich quasi drumherum und stellt einfach die Drohne in Israel ab, damit man keine deutsche Zulassung anstreben muss.“


Randnotiz                                  

„Drohnen für die Bundeswehr“, knapp siebenminütiger Beitrag des ARD-Politikmagazins „Report Mainz“. Die Erstausstrahlung war am Dienstagabend, 6. November 2018, im Ersten. Die weiteren Sendetermine sind unter anderem:
Mittwoch, 7. November 2018, um 10:30 Uhr und 20:15 Uhr jeweils in tagesschau24;
Freitag, 9. November 2018, um 20:15 Uhr im SWR-Fernsehen Baden-Württemberg und im SWR-Fernsehen Rheinland-Pfalz.
Alle Angaben ohne Gewähr.


Unser Bild zeigt eine Drohne des Typs Heron TP des Rüstungsunternehmens Israel Aerospace Industries, kurz IAI.
(Foto: Israel Aerospace Industries)

Kleines Beitragsbild: Heron TP von IAI auf dem Rollfeld.
(Foto: Israel Aerospace Industries)


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