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Moskau/Peking/Brüssel. Am gestrigen Dienstag (11. September) begann in Russland mit „Wostok 2018“ („Osten 2018“) das größte strategische Militärmanöver Moskaus „seit dem Jahr 1981“. So zumindest hat Wladimir Putins Verteidigungsminister Sergei Shoigu bei einer Dienstreise in den zentralen Militärbezirk Ende August die Manöverdimensionen eingeordnet. Die Hauptphase von „Wostok 2018“ dauert nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums vom 11. bis zum 17. September und ist in zwei Phasen gegliedert. In der zweitägigen Phase eins werden die beteiligten Stäbe ihre letzten Übungsvorbereitungen treffen, in der fünf Tage dauernden Phase zwei findet dann das eigentliche Übungsgeschehen statt. Insgesamt sollen dabei etwa 300.000 Soldaten eingesetzt werden. Für „Wostok 2018“ vorgesehen sind zudem rund 36.000 Panzer und andere Militärfahrzeuge, mehr als 1000 Flugzeuge und Hubschrauber plus Drohnen sowie gut 80 Marineschiffe. Auch Russlands Nachbarstaaten China und die Mongolei nehmen an dem Mega-Manöver teil.

Zentrale Ziele des Manövers sollen nach Auskunft des Verteidigungsministeriums in Moskau sein, die Fähigkeit der Truppe zur raschen Überwindung großer Entfernungen und die Zusammenarbeit zwischen Marine und Infanterie zu testen. Deshalb sieht das Übungsdrehbuch auch die Verlegung von militärischen Kräften an die Ostgrenze Russlands sowie die Verstärkung der Nordmeer- und der Pazifik-Flotte vor.

An „Wostok 2018“ beteiligen sich insbesondere Kräfte des östlichen Militärbezirks (Ferner Osten und der östliche Teil Sibiriens sowie die Pazifikflotte; Hauptquartier Chabarowsk am Amur, nahe der Grenze zu China) und des zentralen Militärbezirks von Russland (Wolga-Ural und Westsibirien bis zum Baikalsee; Hauptquartier Jekaterinburg am Ural). Trainiert wird auf fünf Übungsplätzen sowie im Japanischen Meer, in der Beringsee und im Ochotskischen Meer.

All diese Details nannte am 6. September bei einer Pressekonferenz in Moskau der Generalstabschef der russischen Streitkräfte, Waleri Gerasimow. Bei dem Briefing, an dem auch viele Militärattachés und Vertreter der NATO-Mitgliedsländer teilnahmen, beantworteten Armeegeneral Dmitri Bulgakov und Generaloberst Alexander Fomin ebenfalls Fragen.

Symbolträchtige Begegnung von Putin und Xi Jinping in Wladiwostok

Die rund 3000 Soldaten der Volksbefreiungsarmee Chinas, die mit Flugzeugen und Hubschraubern an „Wostok 2018“ teilnehmen, trainieren gemeinsam mit russischen Kräften auf dem Truppenübungsplatz Zugol in der Region Transbaikalien östlich des Baikalsees. Seit dem Jahr 2003 haben Moskau und Peking etwa 30 gemeinsame Militärübungen abgehalten, bislang waren chinesische Einheiten aber noch nie bei strategischen Manövern der Russen dabei. Diese Ehre hatten bisher nur enge Verbündete wie etwa Weißrussland.

Gustav Gressel, Osteuropa-Experte des European Council on Foreign Relations (das ECFR in Berlin stellt Analysen zu Themen europäischer Außenpolitik bereit), sprach mit der Deutschen Welle über das Besondere der chinesischen Beteiligung an „Wostok 2018“. Der ECFR-Mitarbeiter macht in dem am 10. September erschienenen Beitrag darauf aufmerksam, dass China als direkter Nachbar Russlands diesmal nicht nur zu den integrierten Polizei- und Anti-Terror-Übungen, sondern auch zum „militärischen Hardcore-Teil“ eingeladen sei. Das hätten die Chinesen schon seit längerem angestrebt. Laut Gressel verfügt die Volksbefreiungsarmee teilweise über modernere Technik als die Russen. Aber was die Offiziersausbildung, das Verlegen und Führen von Truppen sowie die flexible Einsatzführung angehe, seien sie den russischen Streitkräften weit hinterher.

Dmitri Trenin, Leiter des Carnegie Moscow Center, ein regionaler Ableger der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace in Washington D.C., brachte die Bedeutung der erstmaligen Beteiligung Chinas an russischen Strategie-Militärmanövern gegenüber Pressevertretern auf einen simplen Nenner: Mit der russisch-chinesischen Übung gebe Moskau zu verstehen, dass man in den USA einen potenziellen Feind und in China einen potenziellen Verbündeten sehe.

Es scheint kein Zufall zu sein, dass sich die beiden Präsidenten Wladimir Putin und Xi Jinping am Dienstag zum Auftakt des Großmanövers im Rahmen eines Wirtschaftsforums im russischen Wladiwostok am Pazifik trafen. Putin schwärmte dort im Beisein der Medien über die „vertrauensvollen Beziehungen zu China in den Bereichen Politik, Sicherheit und Militär.“ Sein Amtskollege pries „die Freundschaft“ beider Länder, die „ständig stärker“ werde.

Man könnte angesichts von „Wostok 2018“ und Wladiwostok durchaus von einer sino-russischen Annäherung sprechen, die zu einer nachhaltigen geopolitische Verschiebung führen könnte – zulasten der USA.

Moskau sieht Sicherheit der NATO-Mitgliedstaaten keinesfalls bedroht

Die russische Seite hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, dass sich das gigantische Manöver keinesfalls gegen den Westen richte. Maria Sacharowa beispielsweise, die Leiterin der Abteilung für Information und Presse des Außenministeriums der Russischen Föderation, hatte im Vorfeld von „Wostok 2018“ darauf hingewiesen: „Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Das Übungsgebiet liegt weit außerhalb des NATO-Zuständigkeitsbereichs. Die Sicherheit der NATO-Mitgliedstaaten ist nicht bedroht.“ Auch Generalstabschef Gerasimow hatte versichert, dass sich das Manöver nicht „gegen ein anderes Land“ richte.

Dmitri Peskow, seit 2012 Pressesprecher von Putin, hatte die Dimensionen der Übung diplomatisch relativiert. Ihre Größe richte sich nach der Größe der Aufgabe, für die Sicherheit des Landes zu sorgen. Dies sei einfach die übliche Weiterentwicklung von Streitkräften. Und an anderer Stelle hatte Peskow erklärt, es sei „gerechtfertigt, notwendig und alternativlos“, dass sein Land Maßnahmen zur Erhaltung der Verteidigungsfähigkeit betreibe. Die gegenwärtige internationale Lage zeige sich gegenüber Russland häufig „aggressiv und unfreundlich“.

Ministerin von der Leyen bezeichnete das Manöver als „Machtdemonstration“

Die NATO sieht „Wostok 2018“ skeptisch. Nach Einschätzung der Experten in der Brüsseler Zentrale des Bündnisses zeige das Großmanöver mit den Nachbarstaaten China und Mongolei, dass sich die russische Regierung nun auf „das Einüben von Großkonflikten“ verlegt habe. Die Wochenzeitung DIE ZEIT zitierte vor wenigen Tagen die französische Regierung, die von „Wostok 2018“ als einem „Einschüchterungsversuch“ gesprochen hatte. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte „Wostok 2018“ – so die ZEIT weiter– als eine „Machtdemonstration“ bezeichnet. Die NATO hat schon vor längerer Zeit angekündigt, das Manöver im Osten genau beobachten zu wollen.

Henning Otte, der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, äußerte sich am gestrigen Dienstagmorgen im Rahmen eines längeren Interviews mit dem Deutschlandfunk ebenfalls zu der riesigen Übung in Sibirien und der Pazifikregion. Russland versuche Stärke zu zeigen, so Otte. Außerdem suche Moskau „quasi verzweifelt Verbündete, will auf sich aufmerksam machen“. Er sorge sich zwar nicht über eine mögliche neue Konfrontation mit Russland, meinte der Unionspolitiker weiter. Aber: „Ich mache deutlich, dass die NATO und mithin auch die Bundeswehr sich verstärken müssen. Deswegen führen wir die Debatte, dass unsere Streitkräfte mehr Geld brauchen, dass klar festgelegt ist, bis 2023 insgesamt 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu investieren. Und ich bin der Meinung, wir sollen alles daransetzen, diese Zahlen schon früher zu erreichen.“

DGAP-Experte bezeichnet Übungen dieses Umfangs als „relativ normal“

Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal einen Blick auf zwei globalstrategischen Einordnungen des Großmanövers „Wostok 2018“ werfen. So schrieb der Moskau-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt Pavel Lokshin am 2. September: „Russland und China [trennt] trotz öffentlicher Freundschaftsbekundungen von Putin und Chinas Xi Jinping geopolitisch mehr als [es] verbindet. In Russlands Zukunftsvision ist für ein starkes China kein Platz, und umgekehrt sieht es nicht anders aus. Unter der viel beschworenen ,Multipolarität‘ verstehen beide Mächte vor allem eines – der Welt eigene Regeln diktieren.“

Russland habe nach wie vor die Befürchtung, von China geopolitisch zum Juniorpartner degradiert zu werden, argumentierte Lokshin. „In Zentralasien, Moskaus altem Hinterhof, macht China Russland bereits sehr erfolgreich Konkurrenz: mit Handel und Investitionen.“ All dies mache die Idee einer echten russisch-chinesischen Allianz zumindest fragwürdig, ganz zu schweigen von historischen Konflikten. Denn aus der Sicht Chinas „gehört Russland zu westlichen Mächten, die das Reich der Mitte in den letzten Jahrhunderten erniedrigten und immer mehr chinesisches Territorium unter ihre Kontrolle brachten“.

Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin, wies in ihren Einschätzungen für die Deutsche Welle (Beitrag vom 10. September) zwar darauf hin, dass die Größe dieses Manövers auch etwas mit der russischen Zielvorstellung zu tun habe und deshalb das Szenario nahelege, dass „Russland für einen globalen Krieg auch mit atomaren Kräften“ trainiere.

Zugleich aber gab die Expertin der DGAP Entwarnung. Sie ist der Ansicht, dass „Wostok 2018“ für die USA keinesfalls „ein Albtraum“ sei. „Es ist ganz klar ein Zeichen Russlands an die USA von militärischer Stärke, und eines gewissen Großmachtbewusstseins. Aber letztlich sind solche Übungen für alle größeren Staaten relativ normal“, beruhigte Pagung.


Zum Bildmaterial unseres Beitrages:
1. Offizielle Collage „Wostok 2018“ des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation.
(Foto: Ministerstwo Obrony Rossijskoj Federazii/Wikipedia/unter Lizenz CC-BY 4.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)

2. Russlands Verteidigungsminister Sergei Shoigu bei einer Pressekonferenz im Vorfeld des Großmanövers „Wostok 2018“.
(Foto: Vadim Savitsky/Ministerstwo Obrony Rossijskoj Federazii)


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