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Berlin/Pristina (Kosovo). Am heutigen Donnerstag (17. Mai) nahm Bundeskanzlerin Angela Merkel in der bulgarischen Hauptstadt Sofia am Drittstaatengipfel der Europäischen Union (EU) mit Ländern des Westlichen Balkans teil. Die sechs Partner im Westbalkan sind Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien. Merkel sprach sich gegen eine Aufnahme dieser Länder in die EU bis 2025 aus. Sie wolle kein Zieldatum, sondern Fortschritte bei Reformen. Fortschritte müsse es vor allem bei Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung geben. Mit dem Kosovo als potenziellem Kandidaten für einen EU-Beitritt befasste sich vor Kurzem erst die Bundestagsfraktion der Linken. In ihrer Kleinen Anfrage zum „Zustand der Rechtsstaatlichkeit, [zur] Unterstützung des Kosovo durch Deutschland und [zur] sicherheitspolitischen Zusammenarbeit“ erkundigten sich Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Andrej Hunko und weitere Abgeordnete der Linken auch nach dem Verbleib der Bundeswehr im Kosovo.

Aus der Vorbemerkung der Fragesteller in ihrer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung wird rasch deutlich, wie die Linken über das Thema „Kosovo“ denken: großer Aufwand, aber kaum Ertrag!

Konkret kritisiert die Opposition: „Seit fast zwei Jahrzehnten sollen die Kosovo-Verwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK) und seit zehn Jahren die größte ausländische EU-Rechtsstaatsmission (EULEX) beim Aufbau demokratischer Strukturen helfen. Darüber hinaus soll die von der NATO geführte Schutztruppe (KFOR), bei der Bundeswehrsoldaten einer der wichtigsten Teile sind, für Sicherheit sorgen. Doch unter den Augen von KFOR hat sich der Kosovo zum islamistischen Terrorzentrum in der Region entwickelt, saudische Gewalt- und Hassprediger konnten ungestört die ideologische Basis dafür schaffen.“ Bei ihrer Bewertung stützen sich die Parlamentarier der Linken auf einschlägige Pressebeiträge, etwa aus der Welt oder von dpa.

Am Waffen-, Drogen- und Organhandel im Kosovo beteiligt?

Weiter stört sich die Fraktion der Linken neben dem „Einfluss aus Saudi-Arabien auch [an der] wachsenden Einflussnahme der Türkei auf dem Balkan“. Insbesondere die Zusammenarbeit der Regierung Erdoğan bei der „Rückführung“ türkischer Staatsangehöriger aus dem Kosovo wird scharf kritisiert. An diesen Aktionen soll, so mutmaßen die Fragesteller, der Innenminister und der Geheimdienstchef des Kosovo beteiligt gewesen sein.

Die Vorbemerkung der Fraktion befasst sich auch mit Hashim Thaçi, seit April 2016 Präsident der Republik Kosovo. Im Text der Linken heißt es – unter Bezug auf die österreichische Tageszeitung Der Standard sowie auf Die Welt und das ZDF: [Thaçi] „wird seit langem […] verdächtigt, Verbindungen zur organisierten Kriminalität zu haben beziehungsweise gehabt zu haben und am Waffen-, Drogen- und Organhandel beteiligt gewesen zu sein.“

Stabilität exportieren und bei der weiteren Demokratisierung helfen

Dass es bei den Staaten des Westlichen Balkans noch viel Schatten und zu wenig Licht gibt, davon ist auch Florian Hahn, europapolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, überzeugt. Denn gerade im Bereich von Korruption und organisierter Kriminalität liege dort noch einiges im Argen, erklärte der Unionspolitiker jetzt vor dem Hintergrund des Gipfeltreffens in Sofia.

Zugleich warnte er: „Dennoch wäre es fatal, diese Staaten ihrem Schicksal zu überlassen. Sie brauchen die Unterstützung von Europa – in beiderseitigem Interesse.“ Hahn gab zu bedenken, dass es an Europa liege, entweder Stabilität zu exportieren und bei der weiteren Demokratisierung zu helfen, oder aber Europa importiere „Instabilität bei unterlassener Hilfeleistung“.

Zusammenarbeit mit lokalen Autoritäten und internationalen Organisationen

Der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo – seit Sommer 1999 – ist der längste der aktuellen deutschen Auslandseinsätze.

Völkerrechtliche Grundlage des Einsatzes ist die Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die am 10. Juni 1999 verabschiedet wurde. Sie regelte und regelt den Einsatz der NATO-Sicherheitstruppe Kosovo Force (KFOR), zu der von Beginn an Bundeswehrkontingente gehörten. Auftrag der internationalen Truppe war es zunächst, den Aufbau eines friedlichen, multiethnischen und demokratisch-rechtsstaatlichen Umfeldes zu unterstützen und militärisch abzusichern.

Nachdem das Land sich am 17. Februar 2008 für unabhängig erklärt hatte, änderte sich auch das Aufgabenspektrum der NATO-Mission. Die KFOR-Soldaten blieben zwar weiterhin auf Grundlage der Resolution 1244 des Sicherheitsrates im Land, konzentrierten sich aber fortan auf die Überwachung der Entwicklung von professionellen, demokratischen und multi-ethnischen Sicherheitsstrukturen. KFOR arbeitet dabei eng mit lokalen Autoritäten und internationalen Organisationen zusammen.

Kosovoeinsatz der Bundeswehr kostete bisher rund 3,4 Milliarden Euro

In ihrer Kleinen Anfrage stellten die Abgeordneten der Linken auch etliche Fragen zum Einsatz unserer Streitkräfte im Kosovo und damit zur Beteiligung deutscher Kräfte an KFOR. Die Antwort der Bundesregierung vom 14. Mai liefert einige interessante Detailinformationen.

So ist der Abzug der Bundeswehr aus dem Feldlager Prizren bis Ende 2018 geplant (Bundeswehrangehörige werden danach allerdings wohl noch im Hauptquartier der KFOR in Pristina verbleiben). Die mit der kosovarischen Regierung abgestimmte Anschlussnutzung des Feldlagers sieht die Schaffung eines „Kosovarisch-Deutschen Innovations- und Trainingsparks“ vor. Dieser Park, der 2019 eröffnet werden soll, habe das Potenzial, der Republik Kosovo den entscheidenden Anstoß zu besserer wirtschaftlicher Entwicklung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu geben, schreibt die Bundesregierung.

Für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an KFOR wurden im Haushaltsjahr 2017 einsatzbedingte Zusatzausgaben (finanziert aus Einzelplan 14, Kapitel 1401, Titelgruppe 08) in Höhe von insgesamt rund 37,6 Millionen Euro geleistet. Insgesamt betrugen die einsatzbedingten Zusatzausgaben seit Beginn der Bundeswehr-Beteiligung an KFOR bis einschließlich 31. Dezember 2017 nach Regierungsangaben rund 3,4 Milliarden Euro (unsere Infografik zeigt die Ausgaben während der vergangenen 19 Einsatzjahre).

Schwerpunktmäßig hat die Bundeswehr im vergangenen Jahr Kräfte der nationalen Kosovo Security Force (KSF) „im Rahmen von Beratung vor Ort und militärischer Ausbildungshilfe“ unterstützt. Dies soll auch in diesem Jahr wieder die Hauptaufgabe der im Kosovo stationierten Bundeswehrangehörigen sein.

Aktuell (Stand: 14. Mai) sind 382 Bundeswehrangehörige – darunter 58 Soldatinnen und 58 Reservisten – im Kosovo stationiert. Zusätzlich werden derzeit zwei Bataillone als operative Reservekräfte (Operational Reserve Forces, ORF) bereitgehalten. Zum einen ein österreichisch-deutsches ORF-Bataillon mit 647 Soldaten aus beiden Nationen, zum anderen ein italienisches ORF-Bataillon mit rund 600 Soldaten.

Arbeit der EU-Rechtsstaatsmission EULEX auf dem Prüfstand

Sehen wir uns am Schluss noch den Fragenkomplex der Linksfraktion zu den angeblichen Verfehlungen von Politikern und Staatsbediensteten im Kosovo an. Sevim Dağdelen, Heike Hänsel und Andrej Hunko wollten wissen: „Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse, dass fachliche Inkompetenz und/oder politisches Kalkül EULEX daran gehindert hätten, die Selbstaneignung des Staates und seiner Institutionen durch eine korrupte Elite effektiv zu bekämpfen?“

Dazu die Antwort der Bundesregierung: „Die EU-Rechtsstaatsmission EULEX hat beim Aufbau von Polizei und Justiz der Republik Kosovo sowie durch Ausübung ihrer exekutiven Befugnisse in den vergangenen neun Jahren wichtige Erfolge erzielt.“ EULEX-Richter hätten mehr als 620 Fälle abgeschlossen, davon 460 Straffälle, unter anderem in den Bereichen Korruption, organisierte Kriminalität und Kriegsverbrechen. In 250 Fällen von Kriegsverbrechen habe die EULEX-Mission Ermittlungen eingeleitet beziehungsweise Anklage erhoben und damit den Rückstau bei der Bearbeitung von Fällen in diesem Bereich deutlich abgebaut.

Nach Auskunft der Bundesregierung wird momentan von EULEX noch in sechs Fällen im Bereich der organisierten Kriminalität und in einem Fall im Bereich der Kriegsverbrechen gegen führende Politiker und Beamte des Kosovo ermittelt (vor fast genau einem Jahr – zum Stichtag 9. Mai 2017 – waren es laut Bundesregierung „zwölf Fälle im Bereich organisierte Kriminalität und 35 Fällen im Bereich Kriegsverbrechen“ gewesen).

Darüber hinaus habe EULEX zur abschließenden Klärung von mehr als 40.000 Streitfällen in Eigentumsfragen beitragen können. Die forensischen Experten von EULEX Kosovo hätten zudem bei der Suche nach vermissten Personen in 566 Fällen detaillierte Unterstützung geleistet und bei der Identifizierung von 518 Personen entscheidend geholfen.


Zum Bildmaterial unseres Beitrags „KFOR-Einsatz der Bundeswehr“:
1. Vor sechs Jahren, am 1. Juni 2012, wurden bei Auseinandersetzungen zwischen NATO-Soldaten und Serben im Nordkosovo zwei Bundeswehrangehörige durch Schüsse verletzt. Sie wollten gemeinsam mit anderen Kräften der KFOR in der Ortschaft Rudare eine von Serben errichtete Barrikade entfernen. Die Aufnahme von diesem Tag zeigt einen US-Soldaten und Soldaten der Bundeswehr bei den Auseinandersetzungen, bei denen die KFOR Tränengas, Hartgummigeschosse aber auch scharfe Munition einsetzte.
(Foto: Jim Wagner/172nd Public Affairs Detachement/U.S. Army)

2. Das Hintergrundfoto unserer Infografik wurde am 13. März 2016 im KFOR-Stützpunkt „Nothing Hill“ im Norden des Kosovo aufgenommen. Es zeigt Soldaten des deutschen Einsatzkontingents bei einer Übung „Crowd and Riot Control“ (englischsprachiger Fachterminus, kann in etwa mit „Überwachung von Menschenansammlungen und die Eindämmung von Krawallen“ übersetzt werden).
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Die Aufnahme vom 16. Oktober 2015, entstanden in der südkosovarischen Stadt Ferizaj, zeigt Kräfte der Kosovo Police bei einem Training, im Vordergrund ein deutscher Ausbilder.
(Foto: Mary Junell/Multinational Battle Group-East/U.S. Army)


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