Berlin. Wie der Tagesspiegel in seiner Sonntagsausgabe (3. Juni) berichtet, wird das Verteidigungsministerium wohl demnächst sogenannte Big-Data-Software beschaffen lassen. Auf Anfrage der Berliner Zeitung erklärte das Ministerium, man teste derzeit „im Rahmen von Pilotprojekten SAP Analytics sowie IBM Watson“. Mit der Big-Data-Analyselösung des deutschen Softwareherstellers SAP sollen frühzeitig mögliche Ausstattungs- und Versorgungsprobleme bei der Bundeswehr identifiziert werden. Mit dem Computerprogramm Watson des US-Unternehmens IBM sollen vor allem potenzielle Krisen noch weit vor ihrem Frühstadium ausgemacht werden.
Der Begriff „Big Data“ steht für riesige Mengen an Daten, die tagtäglich anfallen – Daten in der Größenordnung von Zettabytes, die von Computern, Mobilgeräten und elektronischen Sensoren produziert werden (ein Zettabyte entspricht einer Milliarde Terabytes). Generell kann „Big Data“ als jedes Dataset definiert werden, das die Grenzen und Möglichkeiten der konventionellen IT übersteigt. Und immer geht es darum, in den gigantischen Datenmengen die relevanten Muster zu entdecken.
Herkömmliche Datenbanken und Datentools haben zunehmend Probleme, mit der rasant wachsenden Datenflut fertig zu werden. So scheitern relative Datenbanken am Volumen. ETL-Prozesse, die wichtigsten Komponenten in einer Data-Warehouse-Landschaft, sind zu langsam und haben Schwierigkeiten mit den vielfältigen Datenformaten (ETL-Prozesse sind dafür verantwortlich, dass Daten aus den Quellsystemen in die Zielsysteme überführt werden). Die traditionelle BI ist ebenfalls zu langsam und kann die Massen an unstrukturierten Daten nicht mehr effektiv verarbeiten (BI – Business Intelligence – bezeichnet Prozesse und Verfahren, die zur systematischen Datenanalyse in elektronischer Form eingesetzt werden).
„Big Data“ handelt von allem, was mit herkömmlicher Technologie aufgrund der Größe der Daten nicht mehr funktioniert – etwa große Datenmengen zu erfassen, zu speichern, zu durchsuchen, zu verteilen, zu analysieren und zu visualisieren.
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte zum Tagesspiegel: „Wir haben unglaublich viel Wissen, das wir bisher nicht handhaben konnten.“ Die Beschaffung der Big-Data-Technologie erfolgt laut Ministerium nun „im Zuge der Digitaloffensive“. Wenn man bedenkt, dass das IBM-Watson-Produkt bereits im Jahre 2010 am Markt eingeführt worden ist, muss man aber wohl eher von einer „zögerlichen Offensive“ sprechen …
Watson ist ein Computerprogramm aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz und wird für die Krisenfrüherkennung eingesetzt. Der IBM-Produktslogan „Watson versteht alle Formen von Daten, interagiert auf natürliche Weise mit Menschen, lernt hinzu und zieht Rückschlüsse“ ist selbsterklärend. Die Software findet in großen Datenmengen Muster; damit sollen Tendenzen erkannt werden, aus denen sich innerhalb der nächsten sechs bis 18 Monate eine Krise – vergleichsweise der Krimkrise – oder einschneidende politische Veränderung – wie etwa der Arabische Frühling – entwickeln könnte.
Die Software des im baden-württembergischen Walldorf ansässigen Unternehmens SAP soll helfen, die Materialprobleme der Bundeswehr besser in den Griff zu bekommen. Mit „Analytics“ wird momentan die vorausschauende Wartung (predictive maintenance) getestet.
Übrigens: Bei der Frage nach der besten „Vorhersage-Software“ für den sicherheits- und wehrpolitischen Bereich war zunächst auch die Big-Data-Software „Gotham“ der amerikanischen Startup-Firma Palantir Technologies in der engeren Auswahl. Sie wurde aber letztendlich vom Verteidigungsministerium verworfen.
Palantir hat aber auch mächtige Befürworter. 2015 war bekannt geworden, dass inzwischen viele US-Institutionen die Palantir-Software nutzen – von der NSA über die CIA und das FBI, die U.S. Air Force und die Marines, das Department of Homeland Security bis hin zur US-Katastrophenschutzbehörde.
In Deutschland werden Medienberichten zufolge momentan hessische Polizisten im Umgang mit Palantirs Produkt geschult. Nach Angaben des Wiesbadener Präsidiums für Technik Logistik und Verwaltung (PTLV) geht es dabei „um eine Analyseplattform zur effektiven Bekämpfung des islamistischen Terrorismus und der schweren und organisierten Kriminalität“. Hessische Innenpolitiker wiesen mittlerweile auch darauf hin, dass die Palantir-Dienstleistung „für alle staatsschutzrelevanten Themen“ genutzt werden kann.
Die Frage, ob auch die Bundeswehr an Software von Palantir Interesse hat, ist offiziell nun auch geklärt. Denn der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) hatte sich bei der Bundesregierung nach einer möglichen Geschäftsbeziehung zwischen der Truppe und der Palantir Technologies erkundigt.
Am 26. April antwortete ihm der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, Peter Tauber: „Die Produkte der Firma Palantir, hier insbesondere das ,Big-Data‘-Analysewerkzeug ,Gotham‘, sind als marktführende/-gängige Produkte im Bundesministerium der Verteidigung bekannt. Im Rahmen einer grundsätzlichen Marktanalyse/-sichtung zu entsprechenden Produkten hat ein Gespräch mit Vertretern der [amerikanischen] Firma stattgefunden. Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr arbeitet nicht mit Palantir zusammen. Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung befinden sich keine Produkte der Firma Palantir in Nutzung.“
Symbolgrafik zum Thema „Big Data“.
(Bild: theamericangenius.com)
Kleines Beitragsbild: Symboldarstellung „Künstliche Intelligenz“.
(Bild: IBM Watson)
Dass eine Software das Materialproblem der Bundeswehr lösen kann, darf bezweifelt werden. Eine Software gibt weder vor, was, wie viel oder bis wann bestellt wird, noch erteilt sie entsprechende Freigaben von Geldern, noch handelt sie Verträge aus. Diese notwendigen Vorgaben muss nach wie vor der Anwender machen.
Selbstverständlich kann man die Genehmigungskette elektronisch durchführen (inklusive automatischer Kontroll- und Erinnerungsfunktion daran, ob die Genehmigung erteilt und ob das Lieferdatum seitens des Auftragnehmers erfüllt wurde). Aber auch hier ist die entscheidende Instanz, welche die entsprechenden Konsequenzen initiieren muss, letztendlich der Anwender.
Die Software könnte vielleicht die Durchlaufzeiten einer Bestellung verringern, aber beispielsweise das Problem fehlenden Materials nicht. Denn dieses Problem befindet sich genau in jenen Teilen der Bestellkette, die von Personen verantwortet werden.