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Berlin. Rechtzeitig vor dem Brüsseler NATO-Gipfel wohl an die Presse „durchgesteckt“! Zwei Tage vor dem mit großer Spannung erwarteten Treffen der Staats- und Regierungschefs der Allianz mit einem unberechenbaren US-Präsidenten Trump schlägt die BILD-Zeitung heftig Alarm. Im politischen Teil auf Seite vier, in übergroßer Aufmachung. Unheilvolle Lettern verkünden dort am heutigen Montag (9. Juli), was wir immer schon geahnt haben: „Bundeswehr am Limit!“

Woher weiß BILD dies? Nun, Karina Mößbauer, Parlamentskorrespondentin des Boulevardblattes und Autorin des Beitrages, zitiert aus einem „Papier“, das „BILD vorliegt“. Diese „Bewertung zur Einsatzbereitschaftslage der Bundeswehr aus dem Bundesverteidigungsministerium für den Zeitraum 2018/2019“ (ein Dokument „Nur für den Dienstgebrauch“) eignet sich offenbar hervorragend, um vor dem Gipfel in der belgischen Hauptstadt noch einmal zusätzlichen Druck auf die Protagonisten um Bundeskanzlerin Angela Merkel aufzubauen. Merkel wird nach Brüssel von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister Heiko Maas begleitet.

So schlussfolgert Mößbauer nach dem Studium der „Geheim-Analyse aus dem Ministerium“: „Die Bundeswehr könnte aktuell keine weiteren Einsätze stemmen.“ Das klingt fast nach Bankrotterklärung (soll es wohl auch).

Offenbar kein Spielraum mehr für zusätzliche Aufträge

Was genau besagt die „Geheim-Analyse“? Mößbauer berichtet, dass es der ministeriellen Bewertung zufolge bis Ende 2019 „keinen Spielraum für neue, zusätzliche Aufträge“ gebe. Defizite beim Personal und Material seien der Grund dafür.

Zum einen agierten die Streitkräfte „am Rande der personellen Belastbarkeit“ (so müsse bereits jetzt schon die „4/20-Regel“, nach der Soldaten nach vier Monaten Auslandseinsatz 20 Monate Pause haben sollen, gebrochen werden, um aktuelle Verpflichtungen erfüllen zu können). Zum anderen fehle beispielsweise bei Übungen Material, weil dieses für Einsätze und andere Daueraufgaben gebraucht werde – beim Material müsse außerdem generell ein geringer Gesamtbestand verzeichnet werden.

BILD-Autorin Mößbauer zitiert weiter: „Ein neuer Auftrag könnte sogar zu Fähigkeitsverlusten führen, weil er den Grundbetrieb weiter einschränken würde.“ Und: „Die besorgniserregende Botschaft – neue Aufgaben kann die Bundeswehr bis 2020 nur dann übernehmen, wenn sie Verantwortung bei anderen laufenden Aufträgen abgibt.“

Teilstreitkräfte mit großen Sorgen bei Material und Personal

Offen nennt die Korrespondentin auch einzelne Problemfelder der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche. Über das Heer beispielsweise soll es in der ministeriellen Verschlusssache heißen, es gebe „derzeit keinen Handlungsspielraum für neue Einsätze“. So bräuchte das Heer 325 Kampfpanzer Leopard 2, aber nur 179 seien verfügbar, davon jedoch lediglich 90 einsatzbereit.

Laut Mößbauer thematisiert die „Geheim-Analyse“ auch „die geringe Zahl an verfügbaren Luftfahrzeugen beziehungsweise Flugstunden verbunden mit der Auftragsbelastung der Luftwaffe“. Dies alles wirke sich auf den Ausbildungsbetrieb aus. Zudem fehlten der Luftwaffe Piloten und Techniker für den Transporthubschrauber CH-53.

Hauptproblem der Marine sei der Mangel an einsatzfähigen Schiffen und Booten. Die BILD-Autorin nach einem Blick in die interne Bewertung: „Die schwimmenden Einheiten‘ fallen unvorhergesehen aus (viele auch wegen der ,fortschreitenden Nutzungsdauer‘), Ersatzteile fehlen oder Reparaturen dauern länger als geplant.“

AfD fordert Rücktritt von Verteidigungsministerin von der Leyen

Nun, dies alles sind hinlänglich bekannte Missstände und oft schon erörterte Fehlentwicklungen bei der Bundeswehr. Die Reaktionen auf Mößbauers „Am Limit“-Artikel hielten sich denn auch bis zum Montagabend in Grenzen. Um genau zu sein: Lediglich die AfD stand bereits kurz nach Erscheinen der BILD-Zeitung mit einer Presseerklärung auf der Matte. Andere Stimmen zu dem alarmierenden Thema? Fehlanzeige! Vorerst …

Dann lesen wir doch mal, was der stellvertretende AfD-Bundesprecher, Georg Pazderski, heute um 12 Uhr einforderte („als Reaktion auf einen Medienbericht, die Bundeswehr könnte aktuell keinen weiteren Einsatz stemmen“). Pazderski in seinem Pressetext: „Ursula von der Leyen hat nachdrücklich bewiesen, dass sie mit der Führung der Bundeswehr hoffnungslos überfordert ist.“ Sie habe in fast fünf Jahren als Verteidigungsministerin „nicht mal den Ansatz einer nachhaltigen Strategie vorgelegt, wie die uneingeschränkte Einsatzbereitschaft der deutschen Streitkräfte für die Landes- und Bündnisverteidigung wiederhergestellt werden“ könne, so der AfD-Sprecher weiter. Die Bundeswehr habe weder die notwendige Planungssicherheit, noch sei sie in der Lage, die außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands in der Welt wirksam zu schützen oder gar durchzusetzen.

Pazderski, der 41 Jahre Berufssoldat war und 2012 die Bundeswehr als Oberst im Generalstabsdienst verließ, schlussfolgert: „Vor diesem dramatischen Hintergrund ist es vollkommen unseriös, einfach nur mehr Geld zu fordern und Neuaufstellungen der Bundeswehr anzukündigen, ohne auch nur im Entferntesten ein Konzept oder eine Vorstellung zur Lösung der zahllosen Probleme vorzulegen.“ Und er fordert: „Von der Leyen hat auf ganzer Linie versagt. Diese Ministerin ist nicht mehr tragbar und muss abgelöst werden.“

Trump bezeichnet Lastenverteilung im Bündnis als „unfair und inakzeptabel“

Es darf vermutet werden, dass der BILD-Reißer vom heutigen Montag für die Dienstreise der deutschen Delegation zum NATO-Gipfel nach Brüssel nicht unbedingt förderlich ist. Denn die Lage ist mehr als angespannt. Erst vor wenigen Stunden hat US-Präsident Donald Trump noch einmal in einem seiner berüchtigten Tweets geklagt: „Die Vereinigten Staaten geben viel mehr für die NATO aus als jedes andere Land. Das ist weder fair, noch ist es akzeptabel.“

Dass sich Trump dabei besonders Deutschland vorknöpfte, überrascht schon nicht mehr. Twitternd beklagte er heute die aus seiner Sicht unzureichenden Etaterhöhungen Berlins. Die USA würden vier Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung ausgeben, Deutschland gerade einmal ein Prozent. Sein Land, so der amerikanische Präsident, trage rund 90 Prozent der Verteidigungslasten der gesamten Bündnismitglieder. Dies müsse sich ändern.

Ob die BILD-Zeitung zu den Quellen des täglichen Pressespiegels im Weißen Haus gehört? Eher unwahrscheinlich! Sollte Donald Trump jedoch eine Übersetzung des Mößbauer-Beitrages erhalten, käme ihm diese „Zusatzmunition“ beim zweitägigen Meeting im Brüsseler NATO-Hauptquartier sicher nicht ungelegen. Aber vielleicht war das ja auch vom Boulevard so beabsichtigt. In der Hoffnung auf verkaufsfördernde Schlagzeilen …


Zu unserem Bildmaterial: Ausgabe der BILD-Zeitung vom 9. Juli 2018 mit dem Beitrag „Bundeswehr am Limit“ von Karina Mößbauer.
(Fotos und grafische Bearbeitung: mediakompakt)


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