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Washington/Kabul. 12. März 2018 – für die USA war dieser Montag vor gut zweieinhalb Monaten ein ganz besonderes Datum, auch wenn die meisten Amerikaner es wohl nicht wussten. Der 12. März 2018 hat mit dem militärischen Engagement der Supermacht in Afghanistan zu tun und markiert ein denkwürdiges Jubiläum: es war der 6000ste Einsatztag der USA am Hindukusch. Der Krieg in Afghanistan ist inzwischen der am längsten währende Militärkonflikt seit Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648. Weder in der Neuzeit noch in der Neuesten Geschichte findet sich ein längerer Waffengang. George F. Will, prominenter amerikanischer Publizist und Pulitzer-Preisträger, empfahl in der Washington Post: „Die Amerikaner sollten sich in Zukunft mit der Gleichmäßigkeit eines Metronoms – alle 1000 Tage – an diesen längsten Kriegseinsatz in ihrer 242-jährigen Geschichte erinnern.“ Denn Will fürchtet, dass die Mission in Südasien noch lange nicht beendet sein wird. Ein jetzt erschienener Quartalsbericht an den US-Kongress mit einer Zwischenbilanz zur Militäroperation Freedom’s Sentinel befeuert den Pessimismus …

Der Report mit der offiziellen Bezeichnung „Lead Inspector General (Lead IG) quarterly report on Operation Freedom’s Sentinel (OFS)“ erscheint bereits seit Jahren als Gradmesser des Erfolgs beziehungsweise Misserfolgs der US-Bemühungen in Afghanistan. Der nun vorliegende zwölfte Bericht, entstanden unter Federführung des Generalinspekteurs des US-Verteidigungsministeriums Glenn A. Fine, betrachtet den Zeitraum 1. Januar bis 31. März 2018.

Kurz noch eine Vorbemerkung zu den aktuellen westlichen Militärmissionen in Afghanistan: Die NATO ist mit ihrer „Resolute Support Mission“ (RSM) für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte zuständig (Afghan National Defence and Security Forces, ANDSF); die RSM löste zum 1. Januar 2015 die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF) ab. Die US-geführte Operation „Freedom’s Sentinel“ betreibt in Afghanistan mit Spezialkräften in erster Linie „Terrorismusbekämpfung“; die OFS ersetzte die zum 31. Dezember 2014 beendete Operation „Enduring Freedom“ (OEF).

Sicherung der Hauptstadt Kabul hat oberste Priorität

US-Präsident Donald Trump hatte am 22. August vergangenen Jahres nach ausgiebigen Konsultationen mit seinen Beratern eine neue Afghanistan-Strategie vorgestellt. In seiner Rede an die Nation, gehalten auf dem Militärstützpunkt Fort Myer in Arlington/Virginia, hatte er unter anderem eine Personalaufstockung der amerikanischen Truppen angekündigt. Inzwischen sind rund 14.000 US-Soldaten in Afghanistan stationiert (vor Trumps Rede waren es etwa 8400 GIs). Daneben gibt es bedeutend mehr Luftangriffe und Kampfeinsätze von Spezialkräften. Auch andere NATO-Länder haben ihre Afghanistankontingente aufgestockt. Die Bundeswehr ist derzeit (Stand: 14. Mai 2018) mit 1121 Soldaten in Afghanistan vertreten; das aktuelle Bundestagsmandat vom 22. März – gültig bis 31. März 2019 – sieht eine Personalobergrenze von 1300 Mann vor.

Die aktuelle Quartalsbilanz für den US-Kongress kommt insgesamt zu der Einschätzung, dass die Aufständischen – allen voran die Taliban – ihre Ziele in Afghanistan nicht erreichen konnten. Vielmehr seien momentan die nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte „im Vorteil“. Der Bericht schränkt aber in einem Atemzug ein: „Alles in allem deuten jedoch die vorhandenen Messgrößen nicht unbedingt auf Fortschritt hin.“

Vor allem die massiven und komplexen Angriffe der Taliban und der Gruppierung „Islamischer Staat in der Provinz Khorasan“ in der Hauptstadt Kabul mit knapp 200 Todesopfern machten der afghanischen Regierung und den Verbündeten schwer zu schaffen. General John W. Nicholson Jr., Oberkommandierender der US- und damit auch der NATO-Streitkräfte in Afghanistan, erklärte mittlerweile die Sicherung Kabuls zu seiner „Hauptaufgabe“ und zur „höchsten Priorität“ für die „Resolute Support Mission“.

Kampf um die Provinzen, Kampf um jeden Distrikt

Zu den weiteren aussagekräftigen Belegen über die derzeitigen Kräfteverhältnisse im Land zählt der Bericht die Lagebeschreibung aus den jeweiligen Provinzen mit ihren Distrikten. Demnach leben momentan rund 65 Prozent der afghanischen Bevölkerung in Gebieten, die von der Regierung kontrolliert werden (im letzten Quartalsbericht waren es 64 Prozent). Von den Taliban direkt kontrolliert werden im Augenblick zwölf Prozent der Bevölkerung (im letzten Quartalsbericht ebenfalls zwölf Prozent).

Weiter heißt es in dem Fine-Report: „Mittlerweile konnte die Regierung in Kabul die Kontrolle oder den Einfluss über zwei weitere Distrikte gewinnen (jetzt 229 von 407 Distrikten = 56,3 Prozent). Die Taliban übernahmen im Laufe des Quartals die Kontrolle über einen weiteren Distrikt (jetzt 59 = 14,5 Prozent). 119 Distrikte sind nach wie vor umkämpft und nicht in der Hand der einen oder anderen Kriegspartei.“

Ziel der Regierung Ghani und der Partnerstaaten ist es laut Quartalsbericht, einmal 80 Prozent der afghanischen Bevölkerung nachhaltig schützen zu können.

Armee und Polizei nach wie vor mit großen Personalsorgen

Sorge bereitet Generalinspekteur Glenn A. Fine auch die zahlenmäßige Entwicklung der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte. Von Anfang Januar bis Ende März habe die Zahl der afghanischen Soldaten und Polizisten wegen Fahnenflucht, Todesfällen und Verletzungen weiter abgenommen. Inzwischen liege die Gesamtstärke elf Prozent (rund 38.270 Mann) unter der offiziellen Stärke von 352.000, so der Bericht. Fine kommentiert diese Entwicklung so: „Dieses Personaldefizit kommt zu einer Zeit, in der die Schlagkraft der Afghan National Defence and Security Forces eigentlich ausgebaut werden sollte. Damit tauchen zwangsläufig auch wieder Fragen nach der Effektivität afghanischer Truppenteile sowie die Sorgen um Rekrutierungszahlen und Verlustraten auf.“

Da offizielle Zahlen über die wahre Stärke der nationalen Regierungskräfte Afghanistans nur selten veröffentlicht werden, hier am Schluss noch die aktuellen Angaben der U.S. Forces Afghanistan (USFOR-A) aus dem Fine-Report: Zum 1. Januar 2018 hatte die ANDSF insgesamt 313,728 Aktive. Ein Jahr zuvor, zum Stichtag 1. Januar 2017, waren es noch 331,708 Mann gewesen.

Die afghanische Armee (Afghan National Army, ANA) zählte zum 1. Januar 2018 – einschließlich der Luftwaffenangehörigen – 184,572 Aktive. In den afghanischen Polizeikräften (Afghan National Police, ANP) dienten zu diesem Stichtag insgesamt 129,156 Personen.

Die Zahl der Regierungsgegner ist und bleibt diffus. US-Quellen nannten zu Jahresbeginn eine Taliban-Stärke von mindestens 60.000 Kämpfern – dies sei realistisch, bestätigten verschiedene Experten Dem afghanischen Ableger des „Islamischen Staates“ – „Islamischer Staat in der Provinz Khorasan“ – schreiben Fachleute inzwischen bis zu 4000 kampfwillige, zumeist auch kampferprobte Anhänger zu.


Zu unserer Bildfolge:
1. Camp Shorabak in der Provinz Helmand, 12. Juni 2017: Soldaten der afghanischen Armee trainieren Hausdurchsuchungen. In das Bild einmontiert ist die Umschlagvorderseite des zwölften Quartalsreports „Lead Inspector General (Lead IG) quarterly report on Operation Freedom’s Sentinel (OFS)“, der im Mai 2018 unter Federführung von Generalinspekteur Glenn A. Fine erschienen ist.
(Foto: Lucas Hopkins/U.S. Marine Corps; Bildmontage mediakompakt)

2. Hauptquartier der „Resolute Support Mission“ in Kabul, 13. August 2015: Generalleutnant Qadam Shah Shahim, der damalige Chef des Generalstabes der afghanischen Armee (Bildvordergrund links), bei der Lagebesprechung mit hochrangigen amerikanischen Offizieren und Beratern. Der General hat im April 2017 die Streitkräfte verlassen und ist inzwischen Botschafter Afghanistans in Kasachstan.
(Foto: Susan Harrington/ Public Affairs „Resolute Support Mission“)

3. Provinz Kandahar, 1. Januar 2014: Spezialkommandos der amerikanischen und afghanischen Streitkräfte bei einem gemeinsamen Einsatz gegen Regierungsgegner.
(Foto: Bertha A. Flores/U.S. Army)

Unser Großbild auf der START-Seite zeigt den Kommandeur einer afghanischen Militäreinheit bei einem feierlichen Appell. Das Pferd, auf dem er reitet, soll nach Informationen eines Pressesprechers der afghanischen Armee einem hochrangigen Führer der Aufständischen gehört haben. Man habe es bei Kämpfen im Distrikt Achin in der Nangarhar-Provinz requirieren können, so die Erklärung. Die Aufnahme wurde am 9. Mai 2018 gemacht.
(Foto: Felix Figueroa/Hauptquartier „Resolute Support Mission“)

Kleines Beitragsbild: Camp Commando in der Nähe der Hauptstadt Kabul, 25. April 2018: Mehr als 600 Soldaten einer Spezialeinheit der afghanischen Armee haben ihre Ausbildung beendet und dürfen nun das rote Barett ihrer Waffengattung tragen.
(Foto: Bob Ditchey/Hauptquartier „Resolute Support Mission“)


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